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Europarecht - Die Einführung in die Grundfreiheiten

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Europarecht

Die Einführung in die Grundfreiheiten

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Inhaltsverzeichnis

A. Die Einführung in die Grundfreiheiten

295

Gem. Art. 3 Abs. 3 EUV errichtet die Union einen Binnenmarkt zur Förderung einer harmonischen, ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung des Wirtschaftslebens zwischen den Mitgliedstaaten.

Art. 26 Abs. 2 AEUV

Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gem. den Bestimmungen des AEUV gewährleistet ist.

Die Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sollen durch die vier Grundfreiheiten beseitigt werden.

Der Verwirklichung des Binnenmarktzieles dienen die vier Grundfreiheiten

des freien Warenverkehrs, Art. 28–44 AEUV,

des freien Personenverkehrs, Art. 45–55 AEUV,

des freien Dienstleistungsverkehrs, Art. 56–62 AEUV,

des freien Kapitalverkehrs, Art. 63–66 AEUV.

 

I. Die Berechtigten der Grundfreiheiten

1. Die Berechtigung der Unionsbürger

296

Expertentipp

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Wiederholen Sie an dieser Stelle die Ausführungen zur Unionsbürgerschaft in Rn. 22–27.

Durch die Grundfreiheiten werden primär die Unionsbürger berechtigt. Sie dürfen sich grundsätzlich

Ausnahmen für die Unionsbürger aus den ost- und südosteuropäischen Beitrittsstaaten im Folgenden unter Ziff. 2. auf alle Grundfreiheiten in allen Mitgliedstaaten berufen.

Auf die Eigenschaft als Unionsbürger kommt es allerdings bei der Waren- und der Kapitalverkehrsfreiheit nicht an.

Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht S. 119; Streinz Europarecht Rn. 815, 819. Der Wortlaut beider Grundfreiheiten enthält keinen Hinweis auf ihren persönlichen Schutzbereich. Es ist unerheblich, ob der Erbringer bzw. Inhaber einer Ware die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates hat. Jeder ist Berechtigter, der Erbringer oder Empfänger einer Ware ist, auch wenn er nicht in der Union wohnt. Für die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit muss zumindest einer der Beteiligten in einem Mitgliedstaat wohnen.

2. Die Übergangsregelungen für die Unionsbürger aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten

297

Die zwischen den älteren Mitgliedstaaten und den Beitrittsländern vereinbarten Übergangsregelungen

Übergangsmaßnahmen betreffend die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten nach den EU-Erweiterungen am 1.5.2004, 1.1.2007 und 1.7.2013. bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind Bestandteil der jeweiligen Beitrittsverträge mit den ost- und südosteuropäischen Beitrittsstaaten geworden. Diese Übergangsregelungen sind vergleichbar mit jenen, die anlässlich des Beitritts Spaniens und Portugals zur damaligen EG vereinbart worden waren. Für einen Zeitraum von maximal sieben Jahren ab Beitritt am 1.5.2004, am 1.1.2007Beitritt von Bulgarien und Rumänien. bzw. am 1.7.2013Beitritt von Kroatien. konnten bzw. können die älteren Mitgliedstaaten die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten beschränken. Diese müssen z.B. vor Arbeitsaufnahme eine Arbeitserlaubnis beantragen. Einige Mitgliedstaaten haben Zugangsquoten oder Melde- und Überwachungssysteme eingeführt. Rumänien und Bulgarien haben ihre Arbeitsmärkte seit ihrem Beitritt nicht für die Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten beschränkt. Für Arbeitnehmer aus Kroatien, für die noch die beschriebenen Übergangsregelungen gelten, ist immerhin ein Vorrang vor Arbeitnehmern aus Drittstaaten eingeräumt worden. Sobald ein Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Übergangsregelungen Arbeit gefunden hat, gilt für ihn in diesem Aufnahmestaat die volle Freizügigkeit. Die Übergangsregelungen galten bzw. gelten nicht für Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten, die am Tag des Beitritts oder nach dem Beitritt rechtmäßig in einem der alten Mitgliedstaaten beschäftigt waren und auf dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaates während eines ununterbrochenen Zeitraums von zwölf Monaten oder länger zugelassen waren.

3. Die Berechtigung von Staatsangehörigen aus Drittstaaten

a) Die Berechtigung aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen

298

Aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen können Drittstaater den Unionsbürgern gleichgestellt sein. Beispielhaft – aber nicht abschließend – werden im Folgenden einige dieser völkerrechtlichen Vereinbarungen dargestellt.

aa) Die Berechtigung aufgrund des EWR-Abkommens

299

Die Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Gemeinschaften und die EFTA-Staaten

Zu den EFTA-Staaten gehören heute noch Island, Norwegen und Liechtenstein. haben am 3.1.1994 das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)ABl. Nr. L 001/3. abgeschlossen.

Art. 1 Abs. 1 des EWR-Abkommens

Ziel dieses Assoziierungsabkommen ist es, eine beständige und ausgewogene Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter gleichen Wettbewerbsbedingungen und die Einhaltung gleicher Regeln zu fördern, um einen homogenen Europäischen Wirtschaftsraum, nachstehend EWR genannt, zu schaffen.

Zur Verwirklichung der Ziele des EWR umfasst die Assoziation auch die vier Grundfreiheiten. Ausdrücklich ist eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten.

bb) Die Berechtigung aufgrund des Abkommens zwischen der EU und der Schweiz über die Freizügigkeit

300

In dem Abkommen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit

ABl. Nr. L 114 vom 30.4.2002. räumen die Vertragsparteien zugunsten der Staatsangehörigen der jeweils anderen Seite das Recht auf Einreise, Aufenthalt, Niederlassung als Selbständiger, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Erbringung von Dienstleistungen ein. Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Staatsangehörigen der anderen Vertragspartei nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit zu diskriminieren.

cc) Die Berechtigung aufgrund von Europa-Abkommen

301

Eine entsprechende Berechtigung für Drittstaater konnte sich aus den Europa-Abkommen über die Assoziation mit den Ländern Mittel- und Osteuropas (MOE – Staaten) ergeben. Diese Abkommen sollten die Ost-Erweiterung der damaligen EG vorbereiten durch die Schaffung eines Rahmens für den Beitritt der MOE-Staaten zur damaligen EG. Sie enthielten deshalb Regelungen über die Grundfreiheiten.

Beispiel

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Barkoci und Malik

EuGH Rs.-C-257/99.

Die beiden Kläger Barkoci und Malik sind tschechische Staatsangehörige, die den Sinti und Roma angehören. Sie hatten im Jahr 1997 in Großbritannien erfolglos politisches Asyl beantragt. Ein Jahr später beantragten sie auf der Grundlage der Art. 45 und 59 des Europa-Abkommens

Beschluss 94/910/EG, EGKS, Euratom des Rates und der Kommission vom 19.12.1994. zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tschechischen Republik andererseits in Großbritannien die Gewährung der Niederlassungsfreiheit. Herr Barkoci wollte als selbständiger Gärtner, Herr Malik als selbständiger Reinigungsunternehmer arbeiten. Obwohl die Kläger bereits in Großbritannien lebten, wurden ihre Anträge von der britischen Zuwanderungsbehörde als Anträge auf erstmalige Einreise behandelt. Die Behörde lehnte die Anträge ab, da sie es für unwahrscheinlich hielt, dass die Antragssteller mit den beabsichtigten Tätigkeiten Einnahmen würden erzielen können und dass diese Tätigkeiten tatsächlich selbständig ausgeübt würden. Der High Court of Justice ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung der einschlägigen Normen der Europa-Abkommens. Der EuGH erinnerte an den Zweck des Europa-Abkommen, nämlich der Förderung von Handel und harmonischen Wirtschaftsbeziehungen zur Erleichterung des späteren Beitritts. Die Mitgliedstaaten könnten weiter in den Grenzen der Europa-Abkommen ihr nationales Zuwanderungs-, Aufenthalts- und Niederlassungsrecht anwenden. Dabei sei das Verbot der Diskriminierung von Staatsangehörigen der MOE-Staaten, die in den Mitgliedstaaten selbständige Erwerbstätigkeiten ausüben oder Unternehmen gründen oder leiten wollten, die sie tatsächlich kontrollieren, jedoch unmittelbar anwendbar. Die Regelungen zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit seien hinreichend genau formuliert, sodass sich die Antragsteller auf diese unmittelbar berufen könnten. Daher räumten die Europa-Abkommen den Staatsangehörigen der MOE-Staaten ein Niederlassungsrecht zur Ausübung von gewerblichen, kaufmännischen, freiberuflichen und handwerklichen Tätigkeiten als selbständig Erwerbstätige ein. Voraussetzung zur Wahrnehmung dieses Niederlassungsrechts sei das Einreise- und Aufenthaltsrecht. Das Recht auf Einreise und Aufenthalt sei den Staatsangehörigen der MOE-Staaten aber nicht schrankenlos gewährleistet, da es durch das Zuwanderungsrecht der Mitgliedstaaten beschränkt werden könne. Allerdings dürften dadurch die durch das Europa-Abkommen vermittelten Rechtspositionen des Einzelnen nicht verringert werden. Der EuGH hat die folgenden Grundsätze zur Vereinbarkeit eines nationalen Zuwanderungsrechts mit den Europa-Abkommen entwickelt:

1. Ein Mitgliedstaat darf einem Angehörigen eines MOE-Staates die Einreise zum Zwecke der Niederlassung weder aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seines Wohnsitzlandes noch wegen einer allgemeinen Begrenzung der Einwanderung noch deshalb versagen, weil die Arbeitsmarktsituation entgegensteht.

2. Ein Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Tätigkeit vor Einreisebewilligung danach bewerten, ob mit ihr hinreichende finanzielle Mittel eingeworben werden können und ob vernünftige Erfolgschancen bestehen.

3. Staatsangehörige aus MOE-Staaten, die falsche Angaben machen und einschlägige Kontrollen dadurch unterlaufen, dass sie behaupten, sich in dem jeweiligen Mitgliedstaat als Tourist zu begeben, obwohl sie tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, fallen nicht in den Schutzbereich der Europa-Abkommen. Ihre Anträge können daher abgelehnt werden.

4. Das Vorgehen der nationalen Behörden darf den Wesensgehalt des Einreise-, des Aufenthalts- und des Niederlassungsrechts der Staatsangehörigen aus den MOE-Staaten nicht beeinträchtigen.

b) Die Berechtigung von Familienangehörigen von Unionsbürgern

302

Expertentipp

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Lesen Sie an dieser Stelle die Ausführungen zum Unionsbürger und seinen Familienangehörigen in Rn. 25–27 nach.

Als Familienangehörige von Unionsbürgern werden Drittstaater durch die Grundfreiheiten mittelbar berechtigt, da sie ihnen das Recht auf Einreise und den Aufenthalt in dem Mitgliedstaat ermöglichen, in dem der Unionsbürger lebt.

Dieses Recht auf Einreise und Aufenthalt soll sich zumindest für die Familienangehörigen aus Drittstaaten aus der Personen- und der Dienstleistungsfreiheit des Unionsbürgers ableiten lassen können. Beide Grundfreiheiten werden vom EuGH im Licht des europäischen Grundrechts auf Achtung des Familienlebens gem. Art. 8 EMRK erweiternd ausgelegt. Hieraus ergebe sich, dass für Familienangehörige eines dienstleistungserbringenden Unionsbürgers gegenüber dessen Herkunfts- und Aufenthaltsstaat in der Europäischen Union ein abgeleitetes Einreise- und Aufenthaltsrecht bestehe. Soweit das Einwanderungsrecht noch nicht durch das Schengener Übereinkommen vergemeinschaftet worden ist, muss der einwanderungsinteressierte Familienangehörige die nationalen Einwanderungsbestimmungen beachten.

Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht S. 147.

4. Die Berechtigung von juristischen Personen

a) Die gesetzlich normierte Berechtigung bzgl. der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit

303

Juristische Personen sind gem. Art. 54 Abs. 1 AEUV Berechtigte der Niederlassungsfreiheit und gem. Art. 62 AEUV der Dienstleistungsfreiheit.

Art. 54 Abs. 1 AEUV (Niederlassungsfreiheit)

Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.

Bei juristischen Personen kommt es danach nicht auf die Staatsangehörigkeit der Eigentümer oder Betreiber an.

b) Die entsprechende Berechtigung bzgl. der übrigen Grundfreiheiten

304

Es ist umstritten, ob juristische Personen auch Berechtigte der übrigen Grundfreiheiten sein können. In Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der EuGH eine partielle Berechtigung von juristischen Personen anerkannt. Da juristische Personen aber auch in den Bereichen der Waren- und der Kapitalverkehrsfreiheit auftreten können, befürworten einige

So z.B. Thiele Europarecht S. 200, Fn. 334. eine entsprechend umfassende Berechtigung der juristischen Personen bzgl. aller vier Grundfreiheiten. Dagegen spricht jedoch, dass eben nur in Bezug auf die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit der AEUV einer juristischen Person die Grundfreiheitsberechtigung zuspricht. Außerdem lassen sich weder der Waren- noch der Kapitalverkehrsfreiheit Hinweise auf ihren persönlichen Anwendungsbereich entnehmen.Sie finden eine Darstellung zur Berechtigung von Arbeitgebern in der Form juristischer Personen in Rn. 346–347.

II. Die Adressaten der Grundfreiheiten

1. Die Mitgliedstaaten und Unionsorgane als Adressaten

305

Expertentipp

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Sie sollten die Gelegenheit nutzen und jetzt in Rn. 76–81 den Anwendungsvorrang des unmittelbar anwendbaren Unionsrechts vor dem nationalen Recht nachlesen.

Sollten Sie bei sich Erinnerungslücken bzgl. des Primär- und Sekundärrechts und ihres Verhältnisses zueinander feststellen, tauchen Sie noch einmal in die Ausführungen in Rn. 84–112.

Alle Träger von Staatsgewalt in den Mitgliedstaaten haben die Grundfreiheiten zu beachten. Soweit nationales Recht im konkreten Fall den Grundfreiheiten widerspricht, darf es nicht angewendet werden. Die Grundfreiheiten sind in dem AEUV geregelt und daher Teil des unionsrechtlichen Primärrechts. Die Unionsorgane müssen bei dem Erlass von sekundärrechtlichen Normen den Gewährleistungsumfang der Grundfreiheiten beachten, da aufgrund der Normenhierarchie das Primärrecht dem Sekundärrecht vorgeht.

2. Die Privatpersonen und nicht-staatlichen Einrichtungen als Adressaten

306

Es ist höchst umstritten, ob auch Privatpersonen und nicht-staatliche Einrichtungen unmittelbar durch die Grundfreiheiten gebunden werden können.

Thiele Europarecht S. 199. Man spricht hier auch von einer unmittelbaren Drittwirkung im Verhältnis von Privatpersonen zueinander bzw. in ihrem Verhältnis zu nicht-staatlichen Einrichtungen. Der Effektivitätsgrundsatz kann es in Ausnahmefällen gebieten, Privatpersonen und nicht-staatlichen Einrichtungen die unionsrechtlichen Ge- und Verbote aufzuerlegen, die sich nach dem Wortlaut der Vorschriften allein an die Mitgliedstaaten richten. Dies gilt besonders bezogen auf die Grundfreiheiten.Karpenstein Praxis des EG-Rechts Rn. 132.

307

Im Bereich der Personenverkehrsfreiheit

EuGH Rs. C-281/98, Angonese, Urteil vom 6.6.2000; EuGH Rs. 36/74, Walrave und Koch, Urteil vom 12.12.1974, Rn. 16/19. und bzgl. der Dienstleistungsfreiheit ist mittlerweile vom EuGH bezogen auf ungerechtfertigte Beschränkungen und diskriminierende Behandlungen durch private Dritte und nicht-staatliche Einrichtungen anerkannt worden, dass diese Adressaten der genannten Grundfreiheiten sein können.Karpenstein Praxis des EG-Rechts Rn. 133. Der EuGH hat diese Feststellung damit begründet, dass ein wesentliches Ziel der Union, nämlich die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr, gefährdet wäre, wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihrer Wirkung wieder aufgehoben würde, dass privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten.EuGH Rs. 36/74, Walrave und Koch, Urteil vom 12.12.1974, Rn. 16/19. Es ist umstritten,Karpenstein Praxis des EG-Rechts Rn. 133. ob es sich um privatrechtliche Vereinbarungen wie Sportverbände oder Tarifvertragsparteien handeln muss, die durch Kollektivvereinbarungen Hindernisse aufbauen. In der Bosman–Entscheidung werden vom EuGH privatrechtlich organisierter Sportverbände als Adressaten, in der Angonese-Entscheidung auch eine privatrechtlich organisierte Bank als Adressat der Arbeitnehmerfreizügigkeit anerkannt.

Beispiel

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Bosman

EuGH Rs. C-415/93, Bosman, Urteil vom 15.12.1995, Slg. 1995, I-4921; Arndt/Fischer/Fetzer Fälle zum Europarecht S. 7 f, 67–75. Pechstein Entscheidungen des EuGH Rn. 175.

Jean-Marc Bosman ist belgischer Staatsbürger und Profifußballer. Er verlangte von seinem ehemaligen Arbeitgeber Royal Club Ligeois (RCL), einem Fußballclub der ersten belgischen Liga, dem belgischen Fußballverband sowie vom Europäischen Fußballverband UEFA Ersatz des Vermögensschadens, der ihm dadurch entstanden sei, dass sein Transfer vom belgischen RCL zu einem französischen Club schuldhaft von den Beklagten hintertrieben worden sei.

Das angerufene belgische Gericht legte dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung zwei Vorlagefragen hierzu vor. Die Zulässigkeit der von den Fußballverbänden aufgestellten Transferregelungen und die Begrenzung der Zahl ausländischer Spieler bei Meisterschaftsspielen sollte vom EuGH geklärt werden. Der EuGH hat sich u.a. mit der Frage beschäftigt, ob ein Sportverband als wirtschaftlicher Verein gesehen werden kann, auf den die Grundfreiheiten des AEUV Anwendung finden. Hierzu hat er erkannt, dass die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten gefährdet wäre, wenn die Abschaffung staatlicher Schranken dadurch unterlaufen würde, dass Schranken der Freizügigkeitsrechte durch Vereinigungen und Einrichtungen des Privatrechts zulässigerweise errichtet werden könnten. Ferner hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten teilweise durch Gesetze oder Verordnungen und teilweise durch privatrechtliche Verträge festgelegt würden. Dies gelte besonders für die hier streitgegenständliche Transferregelung. Würde die Arbeitnehmerfreizügigkeit nur vor behördlichen Maßnahmen schützen, so könnten sich daraus Ungleichbehandlungen innerhalb der Union bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ergeben. Der EuGH hat daher festgestellt, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch gegenüber privatrechtlich organisierten Sportverbänden gilt, wenn sie die Voraussetzungen für die Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit durch einen Berufssportler festlegen.

EuGH Rs. C-415/93, Bosman, Rn. 83–87.

Beispiel

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Angonese

EuGH Rs. C-281/98, Angonese, Urteil vom 6.6.2000; Pechstein Entscheidungen des EuGH Rn. 173.

Der Kläger, ein in der Provinz Bozen wohnender italienischer Staatsangehöriger deutscher Muttersprache, begab sich zwischen 1993 und 1997 nach Österreich, um dort sein Studium fortzusetzen. Im August 1997 bewarb er sich auf eine in der italienischen Tageszeitung Dolomiten am 9.7.1997 veröffentlichte Anzeige für die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für eine Stelle in einer privaten Bankgesellschaft in Bozen, der Cassa di Risparmio. Zu den Bedingungen für die Zulassung zum Auswahlverfahren gehörte der Besitz einer Bescheinigung über die Zweisprachigkeit (Italienisch/Deutsch) des Typs „B“, die in der Provinz Bozen für den Zugang zu der früheren Laufbahn des höheren Angestellten im öffentlichen Dienst vorgeschrieben war. Diese Bescheinigung setzte eine an verschiedenen Tagen erfolgreich zu absolvierende schriftliche und mündliche Prüfung in einer Bozener Behörde voraus. Da es dem Kläger nicht möglich war, innerhalb der kurzen Bewerbungsfrist die verlangte Bescheinigung der Bozener Behörde zu erlangen, wurde seine Bewerbung abgelehnt. Er klagte beim zuständigen italienischen Gericht gegen die Cassa di Risparmio auf Schadensersatz.

Die Pretura Bozen hat mit Beschluss vom 8.7.1998 eine Vorlagefrage nach der Auslegung des Art. 39 EGV

Jetzt Art. 45 AEUV. dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass das in dieser Norm ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, das allgemein formuliert ist und sich nicht speziell an die Mitgliedstaaten richtet, auch für von Privatpersonen festgelegten Bewerbungs- und Arbeitsbedingungen gilt. Da es für Bewerber außerhalb von Bozen außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen sein müsse, diese einzig zulässige Bescheinigung zu erlangen, sei das Diskriminierungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit verletzt.

308

Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit lehnt der EuGH

EuGH Rs. C-311/85, Vlaamse Reisbureaus, Urteil vom 1.10.1987, Rn. 30. eine Drittwirkung gegenüber Privatpersonen und nicht-staatlichen Einrichtungen ab, da sie keinerlei Wirkung im Verkehr zwischen Privatpersonen und Unternehmen hat.Musil/Burchard Klausurenkurs im Europarecht Rn. 79. In diesem Bereich gelten die Wettbewerbsregeln des Art. 101 ff. AEUV.

Eine Drittwirkung im Bereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit ist aus den gleichen Erwägungen wie bezüglich der Warenverkehrsfreiheit abzulehnen.

Thiele Europarecht S. 199 f.

III. Der Charakter der Grundfreiheiten

 

1. Das Diskriminierungsverbot

309

Die Grundfreiheiten begründen ein Verbot der diskriminierenden Anwendung der vier Grundfreiheitsrechte nach Staatsangehörigkeit der Berechtigten. Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV wird durch jede Grundfreiheit bereichsspezifisch konkretisiert. Das Diskriminierungsverbot erfasst das Verbot der unmittelbaren und der mittelbaren Diskriminierung.

EuGH Slg. 1989, 195; Streinz Europarecht Rn. 823 ff.

Eine unmittelbare Diskriminierung erfolgt durch eine nationale Norm, wenn in dieser unmittelbar eine schlechtere Behandlung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten enthalten ist. Die Staatsangehörigkeit dient dann unzulässigerweise als Differenzierungskriterium.

Eine mittelbare Diskriminierung erfolgt z.B. durch eine Differenzierung nach Wohnsitz oder dem regelmäßigen Aufenthaltsort. Die nicht in dem Staat ansässigen Personen sind dann stärker von dieser Differenzierung betroffen als die Einheimischen.

a) Die Inländerdiskriminierung

310

Inländerdiskriminierungen sollen durch die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten nicht verhindert werden. Der räumliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten setzt voraus, dass ein räumlicher Bezug zum Gebiet der Union besteht also ein grenzüberschreitendes Element vorhanden ist. Interne Maßnahmen eines Mitgliedstaates, die keinen Bezug zur Union haben, erfüllen diese Voraussetzung nicht.

Streinz Europarecht Rn. 844–847. Der diskriminierte Inländer kann vor dem jeweiligen nationalen Verfassungsgericht ggf. wegen Verletzung des nationalen Gleichheitssatzes oder der Berufsfreiheit klagen.Karpenstein Praxis des EG-Rechts Rn. 159.

Beispiel

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Reinheitsgebot für Bier

EuGH Rs. 178/84, Deutsches Reinheitsgebot für Bier, Urteil vom 12.3.1987, Rn. 25, 37; Arndt/Fischer/Fetzer Fälle zum Europarecht S. 5 f., 53–60.(1)

Der französische Bierexporteur (F) stellte sein Bier nicht entsprechend dem deutschen Reinheitsgebot her. Die deutschen Behörden versagten daher F den Verkauf seines Getränkes als Bier. F rief den EuGH an, da er durch die deutsche Haltung in seiner Warenverkehrsfreiheit beschränkt werde. Der EuGH teilte diese Ansicht, sodass F sein Getränk als Bier in Deutschland absetzen durfte. Der in Deutschland arbeitende deutsche Bierhersteller (D) rief ebenfalls den EuGH an, da er ebenfalls durch das Reinheitsgebot in seiner Warenverkehrsfreiheit beschränkt werde.

Im Falle des D fehlt es am grenzüberschreitenden Element, da er als Deutscher in Deutschland sein Bier produziert und absetzt. Er kann sich daher nicht auf die Grundfreiheit der Warenverkehrsfreiheit berufen.

b) Die Rückkehrfälle

311

Ein Staatsangehöriger, der sich vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, soll sich nach seiner Rückkehr in sein Herkunftsland auf die Grundfreiheiten berufen können, die für alle ausländischen Unionsbürger gelten. So kann die in Art. 49 AEUV enthaltene Bezugnahme auf „Staatsangehörige eines Mitgliedstaates“, die sich „im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates“ niederlassen wollen, nicht dahin ausgelegt werden, dass die eigenen Staatsangehörigen eines bestimmten Mitgliedstaates bei Rückkehr in ihr Herkunftsland von der Anwendung des Unionsrechts ausgeschlossen wären, wenn sie sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hatten. Die Rückkehrer befinden sich gegenüber ihrem Herkunftsland in einer Lage, die mit derjenigen aller anderen ausländischen Unionsbürger in seinem Herkunftsland vergleichbar ist.

EuGH Rs. 115/78, Knoors, Urteil vom 7.2.1979, Rn. 24, 26.

Beispiel

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Kraus

Der EuGH hat in der Kraus-Entscheidung

EuGH Rs. C-19/92, Kraus, Urteil vom 31.3.1993, Rn. 32. Pechstein Entscheidungen des EuGH Rn. 195. vom 31.3.1993 entschieden, dass ein deutscher Staatsbürger, der in einem anderen Mitgliedstaat einen akademischen Grad erworben hatte, diesen in seinem Heimatland unter den gleichen Bedingungen führen dürfe wie sie auch für ausländische Unionsbürger in seinem Heimatland bestünden. Die Art. 39 und 43Jetzt Art. 45 und Art. 49 AEUV. EGV stünden dabei jeder nationalen Regelung über die Voraussetzungen für die Führung von ausländischen Hochschulgraden entgegen, die geeignet seien, die Ausübung der Grundfreiheiten weniger attraktiv zu machen.

2. Das Beschränkungsverbot

312

Schrittweise hat der EuGH die zunächst als Diskriminierungsverbote aufgefassten Grundfreiheiten zu generellen Beschränkungsverboten weiterentwickelt.

Thiele Europarecht S. 202; Streinz Europarecht Rn. 829; EuGH Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Urteil vom 20.2.1979; EuGH Rs. 107/83, Klopp, Urteil vom 12.7.1984, Rn. 12. Danach sollen die Grundfreiheiten nationale Maßnahmen verbieten, die die Ausübung der Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können.EuGH Slg. 1995, I-4169. Es ist bei diesem Verständnis der Grundfreiheiten nicht relevant, ob die nationalen Maßnahmen eine unzulässige Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit beinhaltet.Thiele Europarecht S. 202; Streinz Europarecht Rn. 829 f.

Beispiel

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Cassis de Dijon

EuGH Rs. 120/78; Herrmann Examens-Repetitorium Europarecht Rn. 158. Pechstein Entscheidungen des EuGH Rn. 161.

Die REWE-AG mit Sitz in Köln beantragte bei der zuständigen deutschen Behörde die Genehmigung, aus Frankreich den Likör Cassis de Dijon einzuführen, der in Frankreich mit einem Alkoholgehalt von 15–20 % im Verkehr ist. Dies wurde von der deutschen Behörde abgelehnt, da der Likör wegen seines zu geringen Weingeistgehaltes in Deutschland nicht verkehrsfähig sei. Das deutsche Gesetz für Fruchtliköre schreibe einen Alkoholgehalt von 25 % vor. Das Vorabentscheidungsverfahren wurde vom zuständigen deutschen Gericht eingeleitet. Der EuGH sah die nationale Festsetzung des Alkoholgehalts als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit an, obwohl diese unterschiedslos für In- und Ausländer galt. Da er damit die Warenverkehrsfreiheit auf ein Beschränkungsverbot erweiterte, führte er zur Rechtfertigung dieses innerstaatlichen Handelshemmnisses aus, dass diese dann hinzunehmen seien, wenn diese notwendig seien, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.

313

Nachdem der EuGH zunächst nur die Warenverkehrsfreiheit als allgemeines Beschränkungsverbot interpretierte, hat er später auch die Personenverkehrsfreiheit

Streinz Europarecht S. 829-831; EuGH Rs. C-415/93, Bosman, Urteil vom 15.12.1995, Rn. 103, 104. und die DienstleistungsfreiheitEuGH Rs. 33/74, van Binsbergen, Urteil vom 3.12.1974, Rn. 10, 12; Pechstein Entscheidungen des EuGH Rn. 213. entsprechend interpretiert. Die Kapitalverkehrsfreiheit wurde durch den Vertrag von Maastricht in Art. 63 AEUV ausdrücklich zu einem Beschränkungsverbot ausgestaltet.

a) Die Beweislastumkehr

314

Sofern eine staatliche Maßnahme eine Grundfreiheit beschränkt, hat der Staat hierfür seine Rechtsfertigungsgründe vorzubringen. Es gilt die Umkehr der Beweislast.

b) Die Einschränkung der Interpretation als Beschränkungsverbot

315

Der EuGH hat die Interpretation der Grundfreiheiten als Beschränkungsverbote zumindest in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit in seiner Keck-Rechtsprechung

EuGH Verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck, Urteil vom 24.11.1993. korrigiert. Danach sollen nur noch produktbezogene Regelungen unter das Verbot des Art. 34 AEUV fallen, wenn die Hersteller dadurch in einem anderen Mitgliedstaat zu höheren Produktionskosten gezwungen werden oder sich die produktbezogene Regelung sonst diskriminierend auswirkt. Nichtdiskriminierende Verkaufsmodalitäten wie z.B. die Ladenschlussgesetze fallen nicht mehr unter das Verbot des Art. 34 AEUV.Arndt/Fischer/Fetzer Fälle zum Europarecht S. 3 f, 45–53; Herrmann Examens-Repetitorium Europarecht Rn. 167–171 f.

Beispiel

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Keck

EuGH Verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck, Urteil vom 24.11.1993. S. auch Fallbearbeitung Musil/Burchard Klausurenkurs im Europarecht Rn. 87–100.

Nach französischem Recht ist im Einzelhandel der Verkauf unter Einstandspreis verboten. Zwei Einzelhändler aus dem Elsass wurden wegen Verstoßes gegen dieses Verbot vor dem Tribunal des Grande Instance in Straßburg angeklagt. Zu ihrer Verteidigung machten sie geltend, ein generelles Verbot der genannten Art sei mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs nicht vereinbar. Die Möglichkeit, Waren unter Einstandspreis zu verkaufen, sei im Einzelfall geeignet, den Warenumsatz zu erhöhen. Dieser erhöhte Warenumsatz wiederum führe zu einer Ausweitung des Warenhandels zwischen den Mitgliedstaaten. Das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis sei daher geeignet, den freien Warenverkehr zumindest indirekt und potentiell zu beeinträchtigen.

Der EuGH stellte zunächst fest, dass nationale Rechtsvorschriften, die den Weiterverkauf zum Verlustpreis allgemein verbieten, keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezweckten. Nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränkten oder verböten, seien nur dann geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern sie für inländische Wirtschaftsteilnehmer anders als für ausländische Wirtschaftsteilnehmer gelten würden. Das streitgegenständliche Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis wurde als Verkaufsmodalität bewertet, die von allen Wirtschaftsteilnehmern zu beachten ist und daher zu keiner Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten führt.

EuGH Verb. Rs. C-267 u. C-268/91, Keck, Urteil vom 24.11.1993, Rn. 16.

c) Die Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die übrigen Grundfreiheiten

316

Der EuGH hat seine Keck-Rechtsprechung zur Einschränkung der Interpretation der Warenverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen.

Streinz Europarecht Rn. 833; EuGH Verb. Rs. C-544/03 und C-545/03, Mobistar und Belgacom Mobile, Slg. 2005, I-7723, Rn. 31 ff. Auch hat der EuGH die weite Interpretation der Personenverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot dahin eingeschränkt,EuGH Rs. C-190/98, Graf, Slg 2000, I-493, Rn. 24 f. dass nationale Regelungen, die an zu ungewisse und zu indirekt wirkende Ereignisse anknüpfen, die Personenverkehrsfreiheit nicht verletzen, wenn diese nationalen Regelungen eindeutig nicht geeignet sind, den Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, um eine Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben. Darüber hinaus hat der EuGH den Verkaufsmodalitäten vergleichbare Modalitäten in Beschäftigungsverhältnissen herausgearbeitet, bei deren Vorliegen entsprechend der Keck-Rechtsprechung die Personenverkehrsfreiheit nicht betroffen sein soll,Thiele Europarecht S. 202 f., 226. wenn diese Modalitäten unterschiedslos für In- wie Ausländer gelten.

3. Die unmittelbare Anwendbarkeit

317

Expertentipp

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An dieser Stelle empfiehlt sich eine Wiederholung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechts in Rn. 73–75.

Die Berechtigten dürfen sich unmittelbar auf die Grundfreiheiten gegenüber allen Trägern von Staatsgewalt in den Mitgliedstaaten berufen. Eine unmittelbar anwendbare Norm vermittelt dem Einzelnen gegenüber einem Mitgliedstaat ein eigenes, subjektives Recht und wirkt wie ein innerstaatliches Gesetz.

IV. Die Rechtfertigung von Grundfreiheitsbeschränkungen

318

Die Beschränkungen von Grundfreiheiten bedürfen eines Rechtfertigungsgrundes. Zunächst ist das Vorliegen eines einschlägigen geschriebenen Rechtfertigungsgrundes zu prüfen. Liegt dieser nicht vor, ist die Beschränkung aufgrund eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes zu untersuchen. Alle Rechtfertigungsgründe sind eng auszulegen. Die in ihnen verwendeten Begriffe wie z.B. der Schutz der öffentlichen Ordnung sind nach dem Unionsrecht und nicht nach dem nationalen Recht auszulegen.

Streinz Europarecht Rn. 870 ff.

1. Die geschriebenen Rechtfertigungsgründe

319

Alle vier Grundfreiheiten enthalten geschriebene Rechtfertigungsgründe als Schranken der Grundfreiheiten, z.B. Art. 36 und 45 Abs. 3, Art. 52 Abs. 1 Art. 62, 64 und 65 Abs. 1 und 2 AEUV. In diesen Normen werden Schutzgüter genannt, die die Beschränkung der jeweiligen Grundfreiheit rechtfertigen können sollen.

320

Bei der Beschränkung der Grundfreiheiten durch die jeweils geschriebenen Rechtfertigungsgründe (Schranken-Schranke) ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten.

Hinweis

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Beschränkungen von Grundfreiheiten aufgrund der geschriebenen Rechtfertigungsgründe müssen stets verhältnismäßig sein.

2. Die Bereichsausnahmen

321

Durch Bereichsausnahmen wird ein unionsrechtlich bestimmter Bereich aus dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten herausgenommen. So ist z.B. die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung von vornherein in Art. 45 Abs. 4 AEUV aus dem Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit

Ein Teilbereich der Personenverkehrsfreiheit. herausgenommen worden. Gleichfalls findet die NiederlassungsfreiheitDer andere Teilbereich der Personenverkehrsfreiheit. gem. Art. 51 Abs. 1 AEUV in einem Mitgliedstaat keine Anwendung auf Tätigkeiten, die in diesem Staat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind.Streinz Europarecht Rn. 861.

3. Die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe

322

Aufgrund der weiten Auslegung der Grundfreiheiten als allgemeine Beschränkungsverbote und den dadurch entstehenden größeren Schutzbereichen der einzelnen Grundfreiheiten hielt es der EuGH für notwendig, neben den geschriebenen und stets eng auszulegenden geschriebenen Rechtfertigungsgründen ungeschriebene Rechtfertigungsgründe zu entwickeln.

Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht S.  126 f. Die ungeschriebenen Einschränkungen der Grundfreiheiten werden auch als immanente Schranken bezeichnet.

 

a) Die zwingenden Erfordernisse

323

Der EuGH hat in der Cassis de Dijon-Entscheidung

EuGH Rs. 120/78, Cassis de Dijon, Urteil vom 20.2.1979. den ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund der zwingenden Erfordernisse für eine gerechtfertigte Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit entwickelt. Danach müssen Hemmnisse für den Binnenhandel der Union, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.

324

Mittlerweile hat der EuGH die Beschränkung aller Grundfreiheiten aufgrund zwingender Erfordernisse anerkannt,

EuGH Slg. 1995, I-4165. zum Schutz

des Verbrauchers,

wirksamer steuerlicher Kontrollen,

der öffentlichen Gesundheit,

der Lauterkeit des Handelsverkehrs,

zwingender Gründe des Allgemeininteresses,

EuGH Rs. 33/74, van Binsbergen, Urteil vom 3.12.1974, Rn. 10, 12.

der Umwelt

Thiele Europarecht S. 206 f. und

der Grundrechte Dritter.

EuGH Slg. 2003, I-5659.

b) Die Voraussetzungen für die Beschränkung durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe

325

Die Subsidiarität der ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe.

Hinweis

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Die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe sind überhaupt nur zu prüfen, wenn nicht bereits ein geschriebener Rechtfertigungsgrund die Grundfreiheitsbeschränkung rechtfertigt.

Das zwingende Erfordernis der Beschränkung.

Die Beschränkung aufgrund eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes ist nur bei zwingenden, nicht wirtschaftlich orientierten Erfordernissen zulässig.

Die diskriminierungsfreie Beschränkung

Expertentipp

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Nutzen Sie die Gelegenheit und beschäftigen Sie sich noch einmal mit dem Diskriminierungsverbot in Rn. 309–311.

Die Beschränkung, die möglicherweise durch einen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund gerechtfertigt werden kann, muss das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot beachten. Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit können daher nur durch geschriebene Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt werden. Denn Beschränkungen der Grundfreiheiten aufgrund von Diskriminierungen sollten nur aufgrund von vertraglich vorgesehenen Rechtfertigungsgründen zulässig sein. Bei mittelbaren Diskriminierungen wird von einigen

Thiele Europarecht S. 207. die Rechtfertigung durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe mittlerweile für möglich gehalten.

Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

Eignung: Die Beschränkung muss zur Erreichung des mit ihr angestrebten Ziels geeignet sein.

Erforderlichkeit: Die Beschränkung muss zur Erreichung des mit ihr angestrebten Ziels erforderlich sein.

Expertentipp

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Die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe von Beschränkungen der Grundfreiheiten sind immer nur zu prüfen, wenn nicht bereits ein geschriebener Rechtfertigungsgrund die Beschränkung rechtfertigt.

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