Inhaltsverzeichnis
IV. Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit
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Prüfungsschema
Wie prüft man: Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit
I. | Schutzbereich |
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| 1. | Persönlicher Schutzbereich |
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| 2. | Sachlicher Schutzbereich |
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| a) | Begriff des Kapitalverkehrs |
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| b) | Begriff des Zahlungsverkehrs |
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| c) | Abgrenzung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit von den übrigen Freiheiten nach dem jeweiligen Schutzbereich |
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| „Golden Share“-Verfahren | Rn. 390 |
| 3. | Räumlicher Schutzbereich: grenzüberschreitendes Element |
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| 4. | Vorliegen einer Bereichsausnahme: nein |
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II. | Eingriff in den Schutzbereich |
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| 1. | Schutz vor staatlichen Beschränkungen |
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| a) | Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit als Gleichbehandlungsgebot |
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| b) | Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot |
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| c) | Einschränkung des Beschränkungsverbotes nach der Keck-Rechtsprechung: z.B. diskriminierungsfreie Bankenöffnungszeiten |
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| 2. | Schutz vor Beschränkungen durch Privatpersonen und nicht-staatliche Einrichtungen: nein |
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| Schutz vor Beschränkungen durch Private | Rn. 306–308 | |
III. | Rechtfertigungsgründe |
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| 1. | Geschriebene Rechtfertigungsgründe |
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| a) | geschriebene Rechtfertigungsgründe gem. Art. 64 AEUV |
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| b) | geschriebene Rechtfertigungsgründe gem. Art. 65 AEUV |
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| c) | geschriebene Rechtfertigungsgründe gem. Art. 66 AEUV |
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| d) | Schranken-Schranke. Verhältnismäßigkeitsprinzip |
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| 2. | Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe |
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| a) | Subsidiarität zu den geschriebenen Rechtfertigungsgründen |
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| b) | zwingendes Erfordernis |
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| c) | diskriminierungsfreie Beschränkung |
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| keine Rechtfertigung diskriminierender Beschränkungen | Rn. 325 |
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| d) | Gebot der Verhältnismäßigkeit |
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Alle Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern sind gem. Art. 63 AEUV verboten.
Hinweis
In der Praxis wird die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit immer bedeutsamer.
1. Der Schutzbereich
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Der AEUV sieht keinen persönlichen Schutzbereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit vor.
Thiele Europarecht S. 245.Der EuGH
EuGH Rs. C-222/97, Trummer und Mayer, Urteil vom 16.3.1999, Rn. 21. bezieht sich zur Definition des Kapitalverkehrs auf die Nomenklatur zur RL 88/361.RL 88/361/EWG des Rates vom 24.6.1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages, ABl. Nr. L 178.Definition
Definition: Kapitalverkehrs
Alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte wie den Abschluss und die Ausführung der Transaktion und die damit zusammenhängenden Transferzahlungen gehören zum Kapitalverkehr. Die Transaktion erfolgt im Allgemeinen zwischen Gebietsansässigen verschiedener Mitgliedstaaten. Es kann jedoch auch vorkommen, dass bestimmte Kapitalbewegungen von einer einzigen Person für eigene Rechnung getätigt werden (beispielsweise Vermögenstransfers von Auswanderern).
Zahlungsverkehr ist die Transferierung von Gegenleistungen in Geldmitteln für die Erbringung von Leistungen im Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehr und von Renditen aus Geschäften, die im Rahmen des Kapitalverkehrs abgewickelt wurden.
Streinz Europarecht Rn. 956.Die nationalen Regelungen sind anhand der ggf. betroffenen Grundfreiheiten nach dem jeweiligen Schutzbereich und der Rechtfertigung eines Eingriffs in diesen Schutzbereich zu beurteilen. Gleiches gilt für sekundärrechtliche Regelungen des Unionsrechts. Der EuGH hat allerdings den Erwerb unternehmerischen Einflusses durch den Anteilserwerb in den „Golden Share“-Verfahren nur der Kapitalverkehrsfreiheit zugeordnet, obwohl ein mit der Beteiligung verbundener Erwerb unternehmerischen Einflusses der Niederlassungsfreiheit unterfallen soll. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung fallen in den sachlichen Geltungsbereich der Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit nationale Vorschriften, die anzuwenden sind, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.
EuGH Rs. C-524/04, Test claimants in the thin cap group litigation, Urteil vom 13.3.2007, Rn. 27.Definition
Definition: „Golden Share“
Als „Golden Share“ werden mit Sonderrechten ausgestattete Aktien bezeichnet, durch die der Staat oftmals zuvor privatisierte Unternehmen weiterhin kontrolliert.
Streinz Europarecht Rn. 958. Diese Sonderrechte beschränken die Kapitalverkehrsfreiheit.Der räumliche Schutzbereich ist betroffen, wenn das grenzüberschreitende Element vorliegt. Auf interne Maßnahmen eines Mitgliedstaates ohne Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat ist die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit nicht anwendbar.
Das grenzüberschreitende Element wird in Rn. 310 erklärt.Für die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit besteht in den Art. 63 ff. AEUV keine Bereichsausnahme.
Die Bedeutung einer Bereichsausnahme wird in Rn. 321 beschrieben.2. Der Eingriff in den Schutzbereich
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Art. 63 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer Gewährleistung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten ohne Beschränkungen.
Der EuGH hat die Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten weiterentwickelt.
Hinweis
Beachten Sie die Charakterisierung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit durch den EuGH nicht mehr nur als Diskriminierungsverbot, sondern als Beschränkungsverbot.
Expertentipp
Wiederholen Sie die Darstellung der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung zum Charakter der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbot hin zum Beschränkungsverbot in Rn. 309–316.
Zur Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit formuliert der EuGH folgendes Beschränkungsverbot:
Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Nationale Maßnahmen sind dann entsprechende Beschränkungen, wenn sie geeignet sind, den Erwerb von Aktien bestimmter Unternehmen zu verhindern oder zu beschränken oder aber Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuhalten, in das Kapital dieser Unternehmen zu investieren.
EuGH Rs. C-112/05, VW-Gesetz, Urteil vom 23.10.2007, Rn. 17, 19.392
In dem Keck-Urteil hatte der EuGH das weite Beschränkungsverbot zur Warenverkehrsfreiheit auf produktbezogene nationale Regelungen beschränkt, sodass die unterschiedslos geltenden Verkaufsmodalitäten nicht mehr den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit berühren. Diese Rechtsprechung gilt entsprechend im Bereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit für reine Ausgestaltungsregelungen wie z.B. Öffnungszeiten von Banken, die nicht danach differenzieren, wer die Grundfreiheit in Anspruch nehmen möchte.
Thiele Europarecht S. 250; Arndt/Fischer/Fetzer Europarecht S. 165.Im Bereich der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit sind Privatpersonen und nicht-staatliche Einrichtungen nicht als Adressaten anerkannt.
3. Die Rechtfertigungsgründe
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Die geschriebenen Rechtfertigungsgründe sind stets eng auszulegen. Art. 64 Abs. 1 AEUV lässt Beschränkungen gegenüber dritten Ländern zu, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher oder unionsrechtlicher Vorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestanden. Gem. Art. 64 Abs. 2 AEUV kann die Kommission dem Rat Maßnahmen für den Kapitalverkehr mit Drittstaaten bzgl. der Beschränkungen vorschlagen.
Das Gesetz sieht
Streinz Europarecht Rn. 959. eine Rechtfertigung der Beschränkung der Zahlungs- und Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 65 AEUV aus folgenden Gründen vor:• | Zur unterschiedlichen Behandlung der Steuerpflichtigen mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort nach dem jeweils nationalen Steuerrecht, |
• | zur Rechtsbruchsverhinderung, zur Einrichtung eines Meldeverfahrens für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information und zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit. |
Art. 58 AEUV räumt den Mitgliedstaaten kein Recht ein, aufgrund der Staatsangehörigkeit die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit zu beschränken. Der EuGH
EuGH Rs. C-35/98, Staatssecretaris van Financien, Urteil vom 6.6.2000, Rn. 44. hat ausdrücklich festgestellt, dass in Art. 65 AEUV klargestellt ist, dass die nationalen Vorschriften, auf die sich Buchstabe a bezieht, weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs darstellen dürfen. Dies ergibt sich auch aus Art. 65 Abs. 3 AEUV.Falls Kapitalbewegungen nach oder aus dritten Ländern unter außergewöhnlichen Umständen das Funktionieren der WWU schwerwiegend stören oder zu stören drohen, kann der Rat gegenüber dritten Ländern Schutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Monaten treffen, wenn dies unbedingt erforderlich ist.
Bei der Beschränkung der Grundfreiheiten durch die jeweils geschriebenen Rechtfertigungsgründe ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten.
Hinweis
Beschränkungen von Grundfreiheiten aufgrund der geschriebenen Rechtfertigungsgründe müssen stets verhältnismäßig sein.
Expertentipp
Lesen Sie zu den ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen noch einmal die Erläuterungen in Rn. 322–325.
Eine Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs durch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe kann auch gerechtfertigt sein.
Hinweis
Denken Sie daran, dass eine Beschränkung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit auch durch einen ungeschriebenen Rechtsfertigungsgrund gerechtfertigt sein kann.