Zivilprozessordnung

Rechtsbehelfe und Rechtsmittel - Berufung

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II. Berufung

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Mit der Berufung wird der vom Gericht der ersten Instanz entschiedene Fall nochmals neu aufgerollt. Das Berufungsgericht ist sowohl Tatsachen- als auch Rechtsinstanz. Mit der ZPO-Reform 2002 wurden zahlreiche Änderungen zur Entlastung der Berufungsgerichte sowie zur Stärkung der ersten Instanz eingeführt.

 

1. Zulässigkeit der Berufung

a) Statthaftigkeit

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Expertentipp

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Lesen Sie die zitierten Vorschriften zur Berufung. Sie enthalten alle wichtigen Informationen.

Die Berufung ist in den §§ 511 ff. ZPO geregelt. Sie ist gegen erstinstanzliche Entscheidungen des AG oder des LG statthaft (§ 511 Abs. 1 ZPO) sowie gegen Zwischenurteile, unechte Versäumnisurteile und das zweite Versäumnisurteil (§§ 345 mit 514 Abs. 2 ZPO).

b) Form, Frist

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Die Berufung wird durch Einreichung einer Berufungsschrift beim Berufungsgericht (= iudex ad quem) eingelegt (§ 519 Abs. 1 ZPO). Das ist der erste Schritt für den Berufungskläger. Die Berufungsschrift muss das Urteil benennen, gegen das die Berufung eingelegt werden soll, und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt wird (§ 519 Abs. 2 ZPO). Zudem muss ersichtlich sein, für und gegen wen Berufung eingelegt werden soll.

BGH NJW 2002, 831, 832; NJW 2011, 2056. Die Berufungsschrift muss von einem Anwalt unterschrieben sein (§ 78 Abs. 1 ZPO = Postulationsfähigkeit).Vgl. BGH NJW 2011, 1294, 1295 (elektronische Signatur § 130a ZPO durch Anwalt). Die Frist für die Berufung beträgt einen Monat ab Zustellung des Urteils an die jeweilige Partei, längstens aber fünf Monate nach Verkündung (§ 517 ZPO).

c) Streitwert- und Zulassungsberufung

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Nicht jedes Urteil ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers für eine Überprüfung durch die zweite Instanz geeignet. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Berufungssummen darunter sind „Peanuts“ und rechtfertigen nicht die Einschaltung des Staatsapparats. Das erstinstanzliche Gericht kann und muss aber auch für Werte unter 600 € die Berufung in seinem Urteil zulassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Diese Pflicht besteht unter den Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO (grundsätzliche Bedeutung, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Fortbildung des Rechts; siehe Rn. 422). Schweigt das Gericht zur Frage der Zulassung, ist von der Nichtzulassung auszugehen.

BGH NJW 2011, 926, 927; s. auch BGH NJW 2013, 2124.

Beispiel

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Mona ist mit ihrer Klage auf Ersatz der Austauschkosten vor dem AG Köln mehr oder weniger gescheitert. Sie hat lediglich einen Minderungsbetrag von 273 € zugesprochen bekommen. Am 9.5.2022 wird das Urteil verkündet. Es wird Mona am 23.5.2022 zugestellt. Mona hat nun bis 23.6.2022 Zeit, Berufung gegen das Urteil durch einen postulationsfähigen Anwalt einzulegen (§ 517 ZPO mit §§ 187, 188 BGB). Mona ist auch formell beschwert, vergleicht man ihren Sachantrag mit dem Urteilstenor. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist unproblematisch erreicht, wenn Mona in der Berufungsinstanz die restlichen 1377 € verlangt (1650 € minus der zugesprochenen 273 € = 1377 €). Auf eine Zulassung kommt es gar nicht an.

d) Form und Frist der Berufungsbegründung

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Die nächste Hürde ist nun die Berufungsbegründung. Dies ist der zweite Schritt für den Berufungskläger. Der Kläger hat ab Zustellung des angefochtenen Urteils zwei Monate Zeit (§ 520 Abs. 2 ZPO), einen Schriftsatz zu formulieren, der einen konkreten Berufungsantrag enthält (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO). Darin muss angegeben werden, inwieweit das Urteil angefochten und welche Abänderung begehrt wird. Ein bestimmter Antrag i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nicht nötig, solange nur Ziel und Umfang erkennbar sind.

BGH NJW-RR 2017, 1341; NJW 2017, 3777, 3778. Zusätzlich muss der Berufungskläger „Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils“ erwecken. Entweder muss er in seiner Begründung relevante Rechtsfehler rügen (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO) oder die fehlende Richtigkeit der Tatsachenfeststellung behaupten (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO) oder neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel benennen (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO). Da dies ein gründliches Studium des erstinstanzlichen Urteils abverlangt, wird die Begründungsfrist in der Praxis häufig auf Antrag des Rechtsmittelklägers verlängert (vgl. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO). Der Anwalt darf erwarten, dass eine erstmals beantragte Verlängerung bewilligt wird.BGH NJW 2010, 1610, 1611.

e) Anschlussberufung

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Kläger oder Beklagter können selbstständig Berufung einlegen, sofern sie beschwert sind (z.B. bei teilweiser Stattgabe der Klage). Sie müssen es aber nicht. Die Anschlussberufung (§ 524 Abs. 1 ZPO) erlaubt es den Parteien, das Verhalten des Gegners in Ruhe abzuwarten. Legt beispielsweise der Kläger am letzten Tag der Berufungsfrist Berufung ein, kann der Beklagte mit der Anschlussberufung reagieren. Denn das Gericht muss dem Berufungsbeklagten nun eine Frist zur Erwiderung auf die Berufung des Berufungsklägers setzen. Innerhalb dieser Frist kann der Berufungsbeklagte dann Anschlussberufung einlegen (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO). Diese ist kein Rechtsmittel und setzt daher keine Beschwer voraus.

Vgl. Musielak/Voit/Ball ZPO § 524 Rn. 10; kritisch Zöller/Heßler ZPO § 524 Rn. 31. Der Nachteil der Anschlussberufung ist, dass sie vom Hauptrechtsmittel abhängig ist. Wird dieses zurückgenommen, verliert sie automatisch ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO).

2. Begründetheit der Berufung

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Ist die Berufung zulässig, muss das Gericht prüfen, ob sie auch begründet ist. Im Rahmen der Begründetheit der Berufung werden die Zulässigkeit und die Begründetheit der erstinstanzlich erhobenen Klage geprüft. Das Gericht ist allerdings an den Umfang der Berufungsanträge gebunden (§ 528 ZPO). Eine wichtige Neuerung enthält § 529 ZPO. Danach ist das Gericht grundsätzlich auch an die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz gebunden. Mit der Vorschrift des § 529 ZPO sollte die erste Instanz als Tatsacheninstanz gestärkt und die Berufungsinstanz als „Fehlerkontrollinstanz“ implementiert werden. Die Barriere des § 529 ZPO kann allerdings durchbrochen werden. Das Berufungsgericht kann die in erster Instanz festgestellten Tatsachen neu bewerten, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die Tatsachen durch das Erstgericht nicht richtig oder vollständig festgestellt wurden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Dies kann etwa bei einer falschen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) der Fall sein. Der BGH befürwortet eine großzügige Vorgehensweise. Schon bei „leisen Zweifeln“ muss das Berufungsgericht von sich aus eine erneute Tatsachenfeststellung vornehmen. Eine konkrete Rüge des Rechtsmittelklägers ist nicht erforderlich; es genügt Gerichtskundigkeit.

BGH NJW 2005, 1583, 1584; ferner BVerfG 2005, 657, 658 f. Neue streitige Tatsachen oder Beweisanträge kann der Berufungskläger in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO einführen. Neue unstreitige Tatsachen können immer eingeführt werden.BGH NJW 2005, 291, 292; NJW 2010, 2270, 2272. An rechtliche Beurteilungen des Erstgerichts ist das Berufungsgericht nie gebunden. Bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzungen sind von der Nachprüfung ausgenommen (Rechtswegzuständigkeit, örtliche und sachliche Zuständigkeit, nicht aber die internationale Zuständigkeit).BGH NJW 2003, 426 f.; Adolphsen Zivilprozessrecht § 30 Rn. 35.

3. Entscheidung des Berufungsgerichts

a) Berufung unzulässig

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Ist die Berufung unzulässig (z.B. Berufungsfrist versäumt, Beschwer unter 600 € und keine Zulassung), wird die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen. Hiergegen ist die Rechtsbeschwerde statthaft (§§ 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

b) Berufung unbegründet

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Durch die Reform 2002 wurde das Berufungsrecht erheblich eingeschränkt. In einer Vielzahl von Fällen kam es gar nicht mehr zur mündlichen Verhandlung. Die Berufung wurde durch einstimmigen Beschluss einfach „abgeschmettert“ und dagegen gab es keinen Rechtsbehelf! Dies wurde in der Anwaltschaft heftig kritisiert und daher im Jahr 2011 korrigiert. Nach der neu gefassten Vorschrift des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO soll das Berufungsgericht eine Berufung nur dann durch Beschluss als unbegründet zurückweisen, wenn es einstimmig überzeugt davon ist, dass a) die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, b) die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat, c) die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und d) eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Vor Erlass des Zurückweisungsbeschlusses muss das Gericht dem Berufungsführer Gelegenheit geben, dazu Stellung zu nehmen (§ 522 Abs. 2 S. 2 ZPO). Bis 2011 war der einstimmige Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts unanfechtbar.

Die Verfassungskonformität bejaht BVerfG NJW 2003, 281; NJW 2005, 1931, 1932. Nunmehr ist der Beschluss mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar (§ 522 Abs. 3 ZPO – „wie eine Entscheidung durch Urteil“).Zöller/Heßler ZPO § 522 Rn. 44.

Beispiel

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Mona wird alles tun, damit sie das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Bedeutung ihres Falls überzeugt, um einer Abweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO zu entgehen. Mona wird möglichst umfangreich den Meinungsstreit zum Einbau und Ausbau aufbereiten und damit die grundsätzliche Bedeutung ihres Falles herausstreichen. Nach der Rechtsprechung hat eine Sache u.a. dann grundsätzliche Bedeutung, wenn zu einem rechtlichen Problem verschiedene Meinungen vertreten werden, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sind.

Vgl. nur BGH NJW 2003, 65, 67 f.

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In den übrigen Fällen wird über die Berufung nach mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden. Ist die Berufung unbegründet, wird sie zurückgewiesen.

c) Berufung begründet

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Ist die Berufung begründet, wird das erstinstanzliche Urteil in dem Umfang aufgehoben, soweit es unrichtig ist (= kassatorische Wirkung). Das Berufungsgericht weist nicht an die untere Instanz zurück, sondern entscheidet grundsätzlich selbst (§ 538 Abs. 1 ZPO). In Ausnahmefällen, wie etwa bei schweren Verfahrensmängeln, ist eine Zurückverweisung erlaubt (§ 538 Abs. 2 ZPO).

Beispiel

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Das Berufungsgericht (LG Köln) ändert auf die Berufung von Mona hin das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass die V-GmbH zur Neulieferung der 30 Fliesen Typ XY und zum Einbau und Ausbau verurteilt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Mona ist mit diesem Urteil ziemlich zufrieden, da das LG ihre Rechtsauffassung weitgehend bestätigt hat. Selbst Thomas ist mittlerweile stolz auf das juristische Talent seiner Freundin. Nur die V-GmbH ist wenig erbaut über das Urteil. Der Geschäftsführer überlegt daher, ob er gegen das Urteil des LG Köln das Rechtsmittel der Revision einlegen kann.

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