Kinder besitzen in Deutschland zwar alle Grundrechte - auch wenn sie diese meist nicht prozessual geltend machen und oft auch faktisch nicht ausüben können. Kinder sind aber gleichzeitig besonders schutzbedürftig. Aus dem Grundgesetz geht dies bislang nicht hervor. Um explizit zu regeln, welch hohe Bedeutung Kindern und ihren Rechten in unserer Gesellschaft zukommt, sollen diese Rechte nun ausdrücklich im Grundgesetz verankert und dadurch besser sichtbar gemacht werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Kabinett Ende Januar 2021 beschlossen. Vorausgegangen war dem Gesetzentwurf ein breit angelegter Diskussionsprozess: Bund und Länder berieten in einer Arbeitsgruppe intensiv, wie ein solches Kindergrundrecht formuliert werden könnte und legten dazu im Oktober 2019 einen Abschlussbericht vor, auf dessen Grundlage nun der Gesetzentwurf der Koalition entstand.
Bereits seit der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen durch Deutschland im Jahr 1992 wird auch die Aufnahme spezifischer Kindergrundrechte ins Grundgesetz diskutiert. Mit der Ratifizierung hat sich Deutschland dazu verpflichtet, die Rechte von Kindern zu achten, zu schützen und zu fördern. Dabei gelten in Deutschland alle Menschen bis 18 Jahre als Kind. Das Kindeswohl muss laut der Konvention bei allen staatlichen Entscheidungen, die Kinder betreffen, als „vorrangiger Gesichtspunkt“ berücksichtigt werden. Dahinter bleibt der Vorstoß nun zurück, was zu Kritik führte.
Ein Kernanliegen dieser geplanten Grundgesetzänderung ist es, das Elternrecht und die Elternverantwortung nicht zu beschränken. Diese Rechte werden inhaltlich unverändert weiterhin garantiert. Das bestehende Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat soll durch die Änderung bewusst nicht angetastet werden. D.h. die Grundrechte des Kindes werden im Verhältnis zu anderen Grundrechtsträgern nicht ausgeweitet. Im Verhältnis zum Staat weist das GG die Erstverantwortung für die Entwicklung ihrer Kinder weiterhin den Eltern zu. Es bleibt also dabei, dass der Staat nur dann eingreift, wenn die Eltern das Wohl des Kindes gefährden. Weder an der Erstverantwortung der Eltern noch am staatlichen Wächteramt bei Gefährdungen des Kindeswohls – die beide in Art. 6 GG geregelt sind – ändert sich also etwas.
Der Entwurf stellt aber klar, dass Kinder Träger von Grundrechten sind, die zu achten und zu schützen sind. Dies umfasst insbesondere das Recht der Kinder, sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln. Das Kindeswohl ist angemessen zu berücksichtigen. Damit wird das Kindeswohlprinzip auf Verfassungsebene verankert. Durch die Formulierung „angemessen“ soll aber sichergestellt werden, dass auch die Interessen anderer Grundrechtsträger (d.h. insbesondere der Erziehungsberechtigten) berücksichtigt werden, indem nötigenfalls widerstreitende Interessen mit dem Kindeswohl in einen verhältnismäßigen Einklang zu bringen sind. Für den Begriff „angemessen“ gaben verfassungsdogmatische und rechtsprachliche Gründe den Ausschlag. Der Begriff füge sich, so die Begründung, besser in die Sprache des Grundgesetzes ein als das völkerrechtliche Vorbild (Art. 3 Abs. 1der UN-Kinderrechtskonvention: „das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist“) und lasse den gebotenen Raum für verfassungsrechtliche Abwägungen. Im Übrigen mache die Neuregelung deutlich, dass immer das Wohl des Kindes zu beachten sei.
Zudem wird der Anspruch auf rechtliches Gehör bekräftigt. Hintergrund ist, dass das Kindeswohl nur dann angemessen berücksichtigt werden kann, wenn vorher amtlicherseits ermittelt wurde, wie die konkreten Interessen des betroffenen Kindes aussehen.
Ergänzt werden soll Art. 6 Absatz 2 GG um den Zusatz: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“