Inhaltsverzeichnis
A. Die Baugenehmigung
I. Rechtsnatur der Baugenehmigung
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Die Baugenehmigung ergeht aufgrund einer rechtlich gebundenen Entscheidung nach Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BayBO. Dieser rechtlich gebundene Anspruch stellt den Ausfluss der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG dar, der auch eine grundsätzliche Baufreiheit umfasst, weil der Schutz des Eigentums es einschließt, dass man sein Grundstück beliebig nutzen und damit auch bebauen darf. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.
Vgl. auch Brenner Öffentliches Baurecht S. 226 Rn. 748.Hinweis
Von einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt spricht man dann, wenn ein Vorhaben grundsätzlich erlaubt und gewünscht ist, zu dessen Durchführung aber ein entsprechendes Verfahren (hier das Baugenehmigungsverfahren) durchzuführen ist; dieses Verfahren dient dann lediglich der Feststellung, ob das Vorhaben mit den einzuhaltenden öffentlich-rechtlichen Anforderungen im Einklang steht oder nicht.
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Die Baugenehmigung als zentraler Verwaltungsakt im Bauordnungsrecht stellt aufgrund des Erfordernisses eines Antrags (vgl. Art. 64 BayBO) zunächst einen so genannten mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt dar. Weil er auch die Interessen und Rechte Dritter berührt (insbesondere der Grundstücksnachbarn), stellt er zudem einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung i.S.d. § 80a VwGO dar. Letztlich handelt es sich um einen dinglichen bzw. sachbezogenen Verwaltungsakt (vgl. Art. 54 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 BayBO), da eine Baugenehmigung auch für und gegen den Rechtsnachfolger gilt.Vgl. auch Brenner Öffentliches Baurecht S. 228 Rn. 752. Mittlerweile gilt dies auch für Personen, die nach der Erteilung einer Genehmigung, eines Vorbescheids oder einer bauaufsichtlichen Maßnahme ein Besitzrecht erlangt haben (Art. 54 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 BayBO).
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Mit der BayBO-Novelle 2020 wurde mit Wirkung vom 1.2.2021 in Art. 68 Abs. 2 BayBO eine Genehmigungsfiktion eingeführt. Diese umfasst im Wesentlichen zwei Varianten: Zum einen die Errichtung und Änderung eines Gebäudes, das ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dient (mehr als die Hälfte der Hauptnutzfläche des Gebäudes muss Wohnnutzung aufweisen) und zum anderen eine Nutzungsänderung, durch die Wohnraum geschaffen werden soll. Die Genehmigungsfiktion setzt zudem in beiden Varianten voraus, dass das Bauvorhaben im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 S. 1 BayBO geprüft wird. Weiter verlangt wird ein hinreichend bestimmter Bauantrag, der objektiv vollständig ist. Letzteres ist dann der Fall, wenn der Bauantrag anhand der eingereichten Unterlagen materiell-rechtlich entscheidungsreif ist. Daneben tritt die Fiktionswirkung dann nicht ein, wenn der Bauherr vor Ablauf der dreimonatigen Entscheidungsfrist (Art. 42a Abs. 2 S. 1 BayVwVfG) in Textform (§ 126b BGB) auf den Eintritt der Fiktionswirkung verzichtet hat.
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Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, so gilt Art. 42a BayVwVfG. Gemäß Art. 42a Abs. 1 S. 1 BayVwVfG gilt eine beantragte Genehmigung mit Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion). Nach Art. 42a Abs. 2 S. 1 BayVwVfG beträgt diese Frist drei Monate, soweit durch Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt ist. Da Art. 68 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayBO keine abweichende Regelung trifft, gilt die 3-Monats-Frist. Diese beginnt grundsätzlich nach Art. 42a Abs. 2 S. 2 BayVwVfG mit Eingang der vollständigen Unterlagen. An dieser Stelle erfolgt eine Modifikation durch Art. 68 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayBO. Danach beginnt die Frist drei Wochen nach Zugang des Bauantrages (Buchst. a) bzw. drei Wochen nach Zugang der verlangten Unterlagen, wenn die Baugenehmigungsbehörde vor Fristbeginn eine Aufforderung nach Art. 65 Abs. 2 BayBO versandt hat (Buchst. b). Bei dieser Prüffrist handelt es sich um eine Ereignisfrist nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.Decker in Busse/Kraus BayBO, Art. 68 Rn. 411. Mit Ablauf der Prüffrist beginnt die Fiktionsfrist zu laufen. Gemäß Art. 42a Abs. 2 S. 3 BayVwVfG kann die Frist, nach deren Ablauf die Fiktion eintritt einmalig angemessen verlängert werden, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Angelegenheit gerechtfertigt ist.
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Ist die Entscheidungsfrist aus Art. 42a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 BayVwVfG i.V.m. Art. 68 Abs. 2 S. 1 BayBO abgelaufen, ohne dass über den Bauantrag von Seiten der Genehmigungsbehörde entschieden worden ist, so gilt die Baugenehmigung kraft Gesetzes als erteilt. Die fingierte Genehmigung hat die gleichen Wirkungen wie die ausdrücklich erteilte Genehmigung.Lang, BayVBl. 2021, 833 ff.; Laser in Schwarzer/König BayBO, Art. 68 Rn. 51; Decker in Busse/Kraus BayBO, Art. 68 Rn. 424. Sie steht der ausdrücklich erteilten Baugenehmigung in jeder Hinsicht gleich.Decker in Busse/Kraus BayBO Art. 68 Rn. 424. Sie bescheinigt damit die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den in Art. 59 S. 1 BayBO genannten Anforderungen (Feststellungswirkung), gewährt eventuell beantragte Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 BayBO. Strittig ist dabei die Frage, ob die fingierte Genehmigung auch ein von der Gemeinde nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB erforderliches, aber verweigertes Einvernehmen mit fingiert. Vorzugswürdig scheint hier die Ansicht, dass ein gerichtlich durchsetzbarer Schutzanspruch der Gemeinde besteht, da ansonsten das in Art. 67 BayBO vorgesehene Ersetzungsverfahren komplett umgangen wird und § 36 BauGB eine Ersetzung nur unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt. Bundesrecht geht insoweit der landesrechtlichen Regelung in Art. 68 Abs. 2 BayBO vor.Zu dieser Problematik Lang, BayVBl. 2021, 833 ff. (839).
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Die fingierte Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt kraft gesetzlicher Fiktion, dessen Bekanntgabe (Art. 41, 43 BayVwVfG) durch die in Art. 68 Abs. 2 BayBO vorgesehene Fiktionsbescheinigung an den Bauherrn, die Gemeinde und die Nachbarn, die dem Bauvorhaben nicht zugestimmt haben, erfolgt. Der Inhalt dieser Bescheinigung ergibt sich aus Art. 68 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BayBO bzw. Art. 42a Abs. 3 BayVwVfG. Strittig ist, ob es sich bei der Fiktionsbescheinigung um einen feststellenden Veraltungsakt handeltSo Laser in Schwarzer/König BayBO, Art. 68 49; Grothmann/Ansorge/Kranz, ZfIR 2021, 405 ff (414). oder ob sie, da die Wirkung der Genehmigungsfiktion kraft Gesetzes erfolgt, rein deklaratorischer Natur ist.So Decker in Busse/Kraus BayBO, Art. 68 Rn. 426; Lang, BayVBl. 2021. 833 (836). Beide Ansichten erscheinen hier durchaus vertretbar.
II. Wirkungen der Baugenehmigung
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Eine erteilte Baugenehmigung entfaltet zunächst Gestattungswirkung nach Art. 68 Abs. 6 BayBO; sie stellt die entscheidende Voraussetzung für den Beginn mit der Ausführung des baulichen Vorhabens dar. Daneben entfaltet diese eine so genannte Feststellungswirkung für die von der Baugenehmigungsbehörde in der Baugenehmigung behandelten Fragen; mit anderen Worten enthält sie die Aussage, dass das bauliche Vorhaben im Hinblick auf die in ihr behandelten Fragen mit den öffentlichen-rechtlichen Anforderungen vereinbar ist.
Expertentipp
Bedeutung erlangt diese Feststellungswirkung vor allem beim Rechtsschutz des Nachbarn gegen die Baugenehmigung. Dieser kann sich beim Vorgehen gegen die Baugenehmigung nur auf solche Vorschriften stützen, welche von der Bauaufsichtsbehörde vor Erteilung der Baugenehmigung zu prüfen sind und demnach auch Inhalt der Baugenehmigung sind.
Die erteilte Baugenehmigung erlischt nach Art. 69 Abs. 1 BayBO, wenn nicht innerhalb von vier Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens begonnen wird oder die Bauausführung vier Jahre unterbrochen wird; Hemmung tritt durch Rechtsbehelfe bis zur Unanfechtbarkeit der Genehmigung ein.
Vgl. zu allem auch Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1279 ff. Eine Möglichkeit zur Verlängerung schafft Art. 69 Abs. 2 BayBO.