Inhaltsverzeichnis
- D. Tötung auf Verlangen, § 216
- I. Überblick
- II. Objektiver Tatbestand
- 1. Die Voraussetzungen des § 212
- 3. Zur Tötung bestimmt
- 2. Ernstliches und ausdrückliches Verlangen
- III. Subjektiver Tatbestand
- IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
- V. Konkurrenzen
- VI. Exkurs: andere Formen der Teilnahme an der Selbsttötung
- 1. Fremdtötung in mittelbarer Täterschaft
- 2. Fremdtötung auf Verlangen durch Unterlassen der erforderlichen Rettungsmaßnahmen
- 3. Der einseitig fehlgeschlagene Doppelselbstmord
- 4. Die fahrlässige Ermöglichung der Selbsttötung
D. Tötung auf Verlangen, § 216
I. Überblick
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Wie wir bereits wissen, steht das Leben zur Disposition des Rechtsgutsträgers, sofern dieser sich eigenverantwortlich selbst tötet. Nehmen Dritte an dieser Selbsttötung teil, dann machen sie sich nicht gem. §§ 26 oder 27 strafbar. Etwas anderes gilt aber dann, wenn Dritte nicht bloß Teilnehmer an einer eigenverantwortlich begangenen Selbsttötung sind, sondern als Täter agieren. Auch wenn sie aufgrund eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens und damit im Einvernehmen mit dem Rechtsgutträger handeln, machen sie sich grundsätzlich gem. § 216 strafbar.
Hinweis
Eine rechtfertigende Einwilligung in die eigene Tötung durch einen Dritten führt damit grundsätzlich nicht zur Straffreiheit des Täters. Etwas anderes gilt nur bei gar nicht erst eingeleiteten oder abgebrochenen medizinischen Behandlungen. Hier sind die §§ 1827 ff BGB (PatientenverfügungDie Patientenverfügung war früher in den §§ 1901a ff. BGB geregelt. Seit dem 01.01.2023 finden Sie die relevanten Vorschriften in den §§ 1827 ff. BGB.) zu beachten, näheres dazu unter Rn. 101.
§ 216 bringt damit den hohen Stellenwert des menschlichen Lebens zum Ausdruck. Gleichzeitig privilegiert die Norm den Täter, der aufgrund eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten zur Tötung bestimmt wurde. Diese Privilegierung ist zum einen begründet mit dem aufgrund des Verlangens geminderten Unrechtsgehaltes der Tat und zum anderen mit der Konfliktsituation, in welcher sich der Täter, dem gegenüber das Begehren geäußert wurde, befindet.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 106
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§ 216 ist nach Auffassung der Literatur eine Privilegierung zum Grundtatbestand des § 212. Die Rechtsprechung sieht ihn als eigenständigen Tatbestand an. Beide Auffassungen sind jedoch darin einig, dass § 216 eine „Sperrwirkung“ entfaltet, d.h. dass eine Strafbarkeit des Täters gem. §§ 212, 211 nicht mehr in Betracht kommt, wenn § 216 verwirklicht ist.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 106
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Der Aufbau des § 216 sieht dementsprechend wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Tötung auf Verlangen, § 216
I. | Objektiver Tatbestand |
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| 1. | Tötungshandlung |
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| 2. | Tötungserfolg |
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| 3. | Kausalität |
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| 4. | Objektive Zurechnung |
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| eigenverantwortliche Selbstgefährdung | Rn. 92 |
| 5. | Ernstliches Verlangen |
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| 6. | Zur Tötung bestimmt |
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II. | Subjektiver Tatbestand |
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| Vorsatz |
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III. | Rechtswidrigkeit |
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a) indirekte Sterbehilfe | Rn. 100 | |||
b) Patientenverfügung §§ 1827 ff BGB | Rn. 101 | |||
IV. | Schuld |
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II. Objektiver Tatbestand
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Im objektiven Tatbestand sind zunächst die Voraussetzungen des § 212 zu prüfen. Darüber hinaus sind das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen des Getöteten, welches an den Täter adressiert sein und von diesem zur Kenntnis genommen werden muss sowie die Bestimmung des Täters durch dieses Verlangen zu prüfen.
Expertentipp
Achten Sie darauf, dass das Verlangen auch tatsächlich an den Täter adressiert war, dessen Strafbarkeit Sie nach § 216 prüfen. Bei § 216 handelt es sich um eine höchstpersönliche Privilegierung.
Die Prüfung des objektiven Tatbestandes erfolgt somit in drei Schritten:
Schritt 1 | Schritt 2 | Schritt 3 | |||
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Voraussetzungen des § 212 | ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen | zur Tötung bestimmt | |||
Tathandlung | Taterfolg | Kausalität | objektive Zurechnung |
1. Die Voraussetzungen des § 212
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Zunächst muss wie bei § 212 auch der Täter durch irgendeine Handlung kausal und objektiv zurechenbar einen Erfolg herbeiführen.
Expertentipp
Ein wesentlicher und problematischer Prüfungspunkt, dem Sie in der Klausur Ihre volle Aufmerksamkeit schenken sollen, ist die objektive Zurechnung. An dieser Stelle klären Sie die Frage, ob die Handlung des Täters eine täterschaftliche Handlung und damit grundsätzlich strafbar gem. § 216 oder aber nur eine straflose Unterstützungshandlung eines Teilnehmers an einem Suizid ist, der keine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat darstellt. Grundsätzlich gilt: ist der Tod das Ergebnis einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Rechtsgutsträgers, dann ist das Handeln des Täters eine straflose Unterstützung.
So einfach es sich anhört, so kompliziert kann es im Einzelfall werden. Dazu folgendes Beispiel:
Beispiel
O leidet schon seit Jahren unter erheblichen körperlichen Einschränkungen, u.a. auch Diabetes und ist seit 2019 bettlägerig. Aufgrund der zunehmenden, schweren Schmerzen denkt er seit Monaten über einen Suizid nach. Seine Ehefrau E, eine ehemalige Krankenschwester, versorgt ihn und verabreicht ihm auch das Insulin, was A selbst aufgrund seiner zittrigen Hände nicht kann. Als der Zustand schließlich unerträglich wird, beschließt er am 07. August 2019, dass er nun sterben wolle. Gegen 23.00 Uhr bittet er E, ihm alle im Haus vorrätigen Tabletten zu geben. Diese nimmt er zusammen mit einem Glas Wasser alsdann ein. Zudem bittet er E, ihm sämtliche Insulinspritzen zu verabreichen, damit er auch sicher den Tod findet. Dieser Bitte kommt E nach und verabreicht ihm insgesamt 6 Spritzen. Nach Setzen der Spritze ist A noch für einige Minuten bei Bewusstsein, bevor er einschläft. Gegen 3.30 Uhr stellt E den Tod fest. O verstirbt an der Überdosis Insulin, wäre aber auch an den Tabletten verstorben.
Hier könnte sich E gem. § 216 strafbar gemacht haben, indem sie O die Spritzen setzte. Die Handlung hat kausal zum Tod geführt. Unerheblich ist, dass der Tod auch infolge der Einnahme der Tabletten eingetreten wäre, denn es kommt nur auf den Erfolg „in seiner konkreten Gestalt“ an. Fraglich ist ober, ob E der Erfolg zugerechnet werden kann. Das wäre dann nicht der Fall, wenn es sich um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des O handeln würde. Der Umstand, dass E die Spritzen gesetzt hat, weil O es nicht mehr konnte, scheint gegen eine Selbstgefährdung zu sprechen. Gleichwohl hat der BGHBGH NJW 2022, 3021 aufgrund einer normativen Betrachtung (dazu später mehr) diese Handlung der E nur zu einer teilnehmenden Handlung an einem eigenverantwortlichen Suizid umgedeutet und darauf hingewiesen, dass § 216 im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG verfassungskonform auszulegen sei:
„Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf § 217 Abs. 1 StGB entwickelten Grundsätze auf § 216 Abs. 1 StGB übertragbar sind, weil diese Vorschrift in vergleichbarer Weise in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben eingreift…..Er hält es für naheliegend, dass § 216 Abs. 1 StGB einer verfassungskonformen Auslegung bedarf, wonach jedenfalls diejenigen Fälle vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden, in denen es einer sterbewilligen Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung selbst umzusetzen, aus dem Leben zu scheiden, sie vielmehr darauf angewiesen ist, dass eine andere Person die unmittelbar zum Tod führende Handlung ausführt..“
Bitte beachten Sie, dass der BGH bei Vorsatzdelikten nicht mit der „objektiven Zurechnung“ arbeitet, sondern die Probleme an anderen Stellen darstellt. Im obigen Beispielsfall hat er die Abgrenzung „eigenverantwortliche Selbsttötung oder einverständliche und damit grundsätzlich strafbare Fremdtötung“ bei der Tathandlung diskutiert, indem er nach der Täterqualität der Handlung gefragt hat. Beim Unterlassen von Rettungsmaßnahmen, mit denen wir uns unter Rn. 109. befassen werden, hat er danach gefragt, ob aus der Garantenstellung eine Garantenpflicht erwächst und bei der mittelbaren Täterschaft diskutiert er die Frage bei der Tatherrschaft. In allen Fällen dreht es sich aber um den zentralen Aspekt der „eigenverantwortlichen Selbstgefährdung“.
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Schauen wir uns nun an, was eine zur Straflosigkeit eines Beteiligten führende, eigenverantwortliche Selbstgefährdung voraussetzt. Dies ist wie so oft streitig.
Die teilweise in der Literatur vertretene „Schuldlösung“Dölling Maiwald-FS S. 119; Roxin 140 Jahre GA-FS S. 177 begreift den Rechtsgutträger als „Täter gegen sich selbst“ und zieht die § 3 JGG, §§ 19, 20, 35 StGB analog heran und verweist darauf, dass aus den Exkulpationsregeln hervorgehe, bis zu welcher Grenze jeder für sein Verhalten einzustehen habe. Es liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, wenn das Opfer, hätte es einen Dritten getötet, strafbar gewesen wäre. An der Eigenverantwortlichkeit fehlt es mithin, wenn das Opfer ein unmündiger Jugendlicher, geistig Kranker, seelisch Gestörter oder ein Lebensmüder ist, der sich in einer Notstandslage befindet.
Die von der herrschenden Meinung vertretene „Einwilligungslösung“Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 117; Lackner/Kühl Vor § 211 rn.13a; BGH NJW 2022, 3021 begreift den Rechtsgutträger als „Opfer seiner selbst“ und orientiert sich an den Regeln der rechtfertigenden Einwilligung. Danach sollen die Anforderungen, die an eine Verfügung über das eigene Leben zu stellen sind, nicht geringer sein als bei einer Verfügung beispielsweise über die körperliche Integrität. Besondere Beachtung findet hier im Gegensatz zur Schuldlösung auch die Frage, inwieweit der Wille des Sterbenden unter Willensmängel leidet. Voraussetzung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist mithin,
- dass das Opfer verantwortungsfähig ist, was der Fall ist, wenn es aufgrund seiner geistigen und sittlichen Reife in der Lage ist, die Tragweite seines Handelns zu erkennen und entsprechend zu handeln, und
- dass die Entscheidung keine wesentlichen Willensmängel aufweist, was zu bejahen ist, wenn sie weder durch Täuschung noch durch Drohung oder Zwang zustande gekommen ist. Umstritten ist, ob ein Irrtum, der nicht rechtsgutsbezogen ist, Auswirkungen hat auf die Eigenverantwortlichkeit (dazu ausführlich „Strafrecht AT I“ Rn. 211).
Hinweis
Die Einwilligungslösung schützt den Rechtsgutträger anders als die Schuldlösung auch vor täuschungsbedingten Manipulationen. Erklärt ein Täter dem Opfer wahrheitswidrig, es sei unheilbar krank und werde schmerzvoll sterben um es zu einer Selbsttötung zu motivieren, dann war die Entscheidung des Opfers nicht „frei von Täuschung“, und seine Entscheidung mithin nicht „eigenverantwortlich“.
Neben der in dieser Weise zu prüfenden Eigenverantwortlichkeit muss darüber hinaus auch eine nach den Regeln der Tatherrschaft zu bestimmende „Selbstgefährdung“ vorliegen. BGH und h. Lit. fragen danach, wer den unmittelbar lebensbeendenden Akt beherrscht.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 121 ff; nach anderer Auflassung ist auch schon derjenige Täter, der bei einer wertenden Gesamtbetrachtung als Mittäter angesehen werden kann: Herzberg NStZ 2004, 1 Beherrscht der Rechtsgutträger die letzte zum Tode führende Bedingung, dann handelt es sich um eine Selbstgefährdung. Im obigen Beispiel hätte das bedeutet, dass E die Tatherrschaft inne hatte, da O nicht in der Lage war, sich die Spritzen zu setzen. Mithin hätte eine Selbstgefährdung abgelehnt und eine Fremdgefährdung bejaht werden müssen. Der BGHBGH NJW 2022, 3021 hat das Geschehen aber normativ umgedeutet und folgendes ausgeführt:
„Danach beherrschte nicht die Angeklagte das zum Tode führende Geschehen, sondern ihr Ehemann. Dem steht nicht entgegen, dass die Angeklagte ihm das todesursächliche Insulin durch aktives Tun verabreichte. Eine isolierte Bewertung dieses Verhaltens trägt dem auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Danach wollte sich … (das Opfer) in erster Linie durch die Einnahme sämtlicher im Haus vorrätigen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel das Leben nehmen, während die zusätzliche Injektion des Insulins vor allem der Sicherstellung des Todeseintritts diente; er wollte keinesfalls „als Zombie zurückkehren“. Bei wertender Betrachtung bildeten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan einen einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein … (das Opfer) bestimmte. Die Medikamente nahm er eigenständig ein, während die Angeklagte ihm der jahrelangen Übung entsprechend die Insulin-spritzen setzte, weil ihm dies aufgrund seiner krankheitsbedingten Beeinträchtigungen schwerfiel. Nach dem Gesamtplan war es letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten. In Anbetracht dessen wird die Annahme des Landgerichts, dass … (das Opfer) sich in die Hand der Angeklagten begeben und den Tod duldend von ihr entgegengenommen habe, den Besonderheiten des Falles nicht gerecht. Dies gilt umso mehr, als … (das Opfer) das zu seinem Tod führende Geschehen auch noch beherrschte, nachdem die Angeklagte ihm das Insulin injiziert und ihren aktiven Beitrag damit abgeschlossen hatte. Er blieb anschließend noch eine gewisse Zeit lang bei Bewusstsein und sah eigenverantwortlich davon ab, Gegenmaßnahmen einzuleiten, etwa die Angeklagte aufzufordern, den Rettungsdienst zu alarmieren. Er ließ sich im Gegenteil von ihr versichern, dass sie ihm „alle vorrätigen Spritzen“ gesetzt hatte."
Wesentlich für die Bejahung der Selbstgefährdung ist für den BGH mithin auch der Umstand, dass das Opfer nach Vornahme der Tathandlung durch den Beteiligten noch die Möglichkeit der Einflussnahme hatte. Fraglich ist, wie die Entscheidung des BGH ausgefallen wäre, wäre die Bewusstlosigkeit unmittelbar nach dem Setzen der Spritze eingetreten.
Beispiel
Der an einer aufsteigenden Muskellähmung erkrankte O möchte seinem Leben ein Ende setzen. A ist einwilligungsfähig und hat seine Entscheidung frei von Willensmängeln getroffen. Er ist aber nicht in der Lage, die Handlung auszuführen, weswegen A die in wenigen Sekunden wirkende, tödliche Spitze setzt.
Bislang wäre das eine gem. § 216 verbotene, aktive Sterbehilfe gewesen. Da der BGH aber die bereits erwähnte verfassungskonforme Auslegung des § 216 in den Fällen anmahnt, in denen der Sterbewillige sich nicht selbst helfen kann, könnte es unter diesen Voraussetzungen auch insoweit zu einer Straflosigkeit kommen.
Auch in der Literatur wird die Straflosigkeit einer aktiven Sterbehilfe in Ausnahmefällen diskutiert. Sie Straflosigkeit soll wie bei der indirekten Sterbehilfe (dazu mehr unter Rn. 96) entweder über eine teleologische Restriktion des Tatbestands oder aber über § 34 analog erreicht werden.Zum Meinungsstand seihe Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 143
3. Zur Tötung bestimmt
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Beispiel
Der Täter muss aufgrund dieses Verlangens zur Tötung bestimmt worden sein. Dies setzt voraus, dass der Täter das Verlangen kannte und dass dieses Verlangen das bestimmende Motiv war, auch wenn es nicht erforderlich ist, dass es das einzige Motiv des Handelns war. Ein Motivbündel schadet nicht, solange das ernstliche Verlangen des Getöteten die dominante Rolle einnimmt. Ein Täter, der bereits zur Tötung entschlossen war, kann durch ein dann geäußertes ernstliches Verlangen jedoch nicht mehr zur Tötung bestimmt werden.Fischer § 216 Rn. 10.
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Im sog. „Kannibalenfall“BGH NJW 2005, 1876. (Rn. 69) hat der BGH die Bestimmung verneint, da der Täter aus eigenem Antrieb ein zum Sterben bereites Opfer gesucht hat, um ein anderes Ziel, nämlich die sexuelle Befriedigung zu erreichen. Der Täter hat hier zwar nicht gegen den Willen des Opfers gehandelt, der Wille des Opfers, sterben zu wollen, war aber andererseits auch nicht das dominante Motiv zur Tötung.
2. Ernstliches und ausdrückliches Verlangen
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Die Tötung muss aufgrund eines ernstlichen und ausdrücklichen Verlangens erfolgt sein.
Ein Verlangen setzt dabei zunächst einmal mehr als ein bloßes Einverstandensein oder Dulden voraus. Wie schon dem Wortlaut zu entnehmen ist, ist vielmehr ein aktives Einwirken auf den Täter erforderlich.
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Das Verlangen ist nach dem sog. EinwilligungsmaßstabBGHSt 19, 135. ausdrücklich und ernstlich, wenn
• | es auf einem frei verantwortlichen Willensentschluss und einer fehlerfreien Willensbildung beruht. Täuschung, Zwang, Irrtum sowie andere wesentliche Willensmängel schließen ein ernstliches Verlangen aus; Jäger Strafrecht BT Rn. 62 |
• | der Getötete in der Lage gewesen ist, die Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen und sich dementsprechend zu verhalten. Ist die Einsicht und Urteilsfähigkeit beeinträchtigt, so kann nicht von einem ernstlichen Verlangen gesprochen werden; |
• | dieses Verlangen unmissverständlich zum Ausdruck gekommen ist, sei es durch Worte oder Gesten; |
• | es im Augenblick der Tathandlung fortbestand; |
• | an den Täter oder einem bestimmbaren Personenkreis adressiert ist, zu welchem der Täter gehört. Tötet ein anderer als der adressierte Täter, kommt eine Privilegierung gem. § 216 nicht in Betracht. |
III. Subjektiver Tatbestand
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In subjektiver Hinsicht muss der Täter mit Wissen und Wollen gehandelt haben, wobei dolus eventualis ausreicht. Der Vorsatz muss sich auch auf das ernstliche und ausdrückliche Verlangen beziehen. In diesem Zusammenhang sind folgende Irrtümer möglich:
• | Sofern das Verlangen tatsächlich vorliegt, der Täter es aber nicht kennt, wird es schon im objektiven Tatbestand am „Bestimmen“ fehlen. |
• | Liegt das Verlangen objektiv nicht vor, der Täter geht aber irrig davon aus, es läge vor und ist auch aufgrund des angenommenen Verlangens zur Tat bestimmt worden, so scheidet zunächst eine Strafbarkeit gem. § 216 aus. In der Klausur ist dann § 212 zu prüfen, der objektiv und subjektiv verwirklicht ist. Allerdings ist der Handlungsunwert aufgrund der Vorstellung des Täters gemindert. Diesen Fall hat § 16 Abs. 2 geregelt, wonach der Täter nur nach § 216 zu bestrafen ist, auch wenn er § 212 voll verwirklicht hat. Zu diskutieren ist § 16 Abs. 2 im Vorsatz, nachdem der Irrtum des Täters dargestellt wurde. |
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
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Sofern der Tatbestand erfüllt ist, Sie also festgestellt haben, dass der Täter tatbestandlich Sterbehilfe geleistet hat, müssen Sie sich nun auf der Ebene der Rechtswidrigkeit damit befassen, ob er nicht ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann. Eine allgemeine Einwilligung kommt als Rechtfertigungsgrund nicht in Betracht, wohl aber eine solche unter den Voraussetzungen der §§ 1827 ff BGB, sofern sich das Handeln des Täters als Abbruch einer medizinischen Behandlung darstellt. Daneben gibt es die Fälle der indirekten Sterbehilfe, die nach überwiegender Auffassung nicht strafbar sein soll, wobei jedoch der Weg zur Straflosigkeit umstritten ist.
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Beginnen wir mit der indirekten Sterbehilfe. Von indirekter Sterbehilfe spricht man, wenn die Verabreichung schmerzlindernder bzw. bewusstseinsdämpfender Mittel, welche in erster Linie erfolgt, um dem Patienten die Schmerzen zu nehmen, als vorhersehbare und unvermeidbare, aber nicht beabsichtigte Nebenfolge den Tod nach sich zieht.BGHSt 46, 279. Man spricht hier auch von „Hilfe beim Sterben“.
Beispiel
Der an HIV erkrankte A leidet im Endstadium seiner Krankheit unter erheblichen Schmerzen. Nach entsprechender Aufklärung verabreicht der behandelnde Arzt Z dem A Morphium in einer sehr hohen Dosierung. Diese Dosierung hat zur Folge, dass A nach drei Tagen verstirbt. Ohne das Morphium hätte er noch einige Wochen zu leben gehabt.
Nach h.M. soll diese indirekte Sterbehilfe zulässig und damit nicht strafbar sein.
Streitig ist jedoch, wie dieses Ergebnis rechtlich zu begründen ist.Vgl. hierzu die Darstellung bei Jäger Strafrecht BT Rn. 72 ff.
Nach einer Ansicht liegt bereits kein tatbestandliches Handeln vor, da eine schmerzlindernde Behandlung sozial adäquat und damit dem sozialen Sinngehalt nach schon etwas ganz anderes sei als eine Tötungshandlung im Sinne der §§ 212, 216, da sie sich nicht gegen das Leben richte, sondern dem Arzt die einzige Möglichkeit biete, dem Leben noch zu dienen (teleologische Restriktion).Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 144 ff.; Fischer vor § 211 Rn. 18; Jäger Strafrecht BT Rn. 73.
Die vorherrschende Gegenansicht, zu der auch der BGHBGHSt 42, 301; 46, 279 gehört, bejaht den Tatbestand des § 212, lässt die Tat jedoch über § 34 (analog) gerechtfertigt sein, sofern das Handeln des Arztes dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.Otto Strafrecht BT Rn. 42; Lackner/Kühl vor § 211 Rn. 7; BGHSt 46, 279. Das geschützte Rechtsgut ist in diesem Zusammenhang der sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Anspruch auf einen Tod in Würde und ohne Schmerzen. Dieser überwiegt das Leben in der Sterbephase, so dass die Sterbehilfe verhältnismäßig ist.
Expertentipp
Sofern Sie sich der h.M. anschließen und eine Rechtfertigung über § 34 analog bejahen möchten, sollten Sie das Problem entsprechend bei der Rechtfertigung diskutieren.
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Neben der indirekten Sterbehilfe war früher die passive Sterbehilfe von großer Bedeutung, da auch hier nach überwiegender Auffassung der Täter straflos sein sollte. Passive Sterbehilfe setzte aber ein Unterlassen von Behandlungsmaßnahmen voraus. Problematisch wurde es, wenn bereits eingeleitete Behandlungsmaßnahmen nachträglich abgebrochen wurden, der Täter also eigentlich aktiv handelte. Um zu einer Straflosigkeit zu kommen, wurde überwiegend dieses aktive Handeln in ein passives Unterlassen weiterer Behandlungen umgedeutet.Zum Meinungsstand vgl. Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 147 Seit Einführung der §§ 1827 ff BGB und einer Entscheidung des BGHBGH NJW 2010, 2963 aus 2010 ist die Lösung nun aber unabhängig davon, ob Behandlungsmaßnahmen gar nicht erst eingeleitet oder aber abgebrochen werden auf Rechtfertigungsebene zu suchen. Unter den Voraussetzungen der §§ 1827 ff BGB (Patientenverfügung) liegt eine ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung vor, die den Täter rechtfertigt.
Expertentipp
Bitte lesen Sie sich die Vorschriften aufmerksam durch!
Der zentrale Begriff ist der „medizinische Behandlungsabbruch“.
Demnach hat gem. § 1827 Abs. 1 BGB ein Betreuer oder ein Bevollmächtigter dem in einer tatsächlich vorliegenden Patientenverfügung zum Ausdruck kommenden Willen Geltung zu verschaffen, indem er noch durchzuführende medizinische Behandlungen untersagt und bereits eingeleitete medizinische Behandlungen unterbricht.
Liegt keine Patientenverfügung vor oder passt die vorliegende Verfügung nicht auf die aktuelle gesundheitliche Situation oder aber ist die Verfügung veraltet, dann muss der Betreuer oder dessen Vertreter gem. § 1827 Abs. 2 BGB den mutmaßlichen Willen ermitteln. Dabei sind frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen genauso heranzuziehen wie z.B. religiöse Überzeugungen. § 1827 Abs. 3 BGB macht schließlich deutlich, dass diese Pflicht unabhängig vom Stadium der Erkrankung existiert, also nicht nur eine unmittelbar zum Tode führende Erkrankung, sondern z.B. auch ein Zustand des Wachkomas erfasst wird.Dazu auch Jäger Strafrecht BT Rn. 76.
Beispiel
Der auf dem Fachgebiet für Medizinrecht spezialisierte Rechtsanwalt R empfiehlt seiner Mandantin A, die als Betreuerin für die im Wachkoma liegende Mutter M bestellt ist, den Schlauch zu durchtrennen, mit dem M über eine PEG-Sonde künstlich ernährt wird. Damit will A dem Wunsch der Mutter nach einem Sterben in Würde nachkommen. Eine zuvor mit der Heimleitung getroffene Übereinkunft, wonach die Ernährung eingestellt werden soll, wurde, nachdem man bereits damit begonnen hatte, von dem Vorgesetzten der Heimleitung aufgekündigt. A wurde ein Hausverbot angedroht für den Fall, dass sie diese Entscheidung nicht respektieren würde. Entsprechend der Empfehlung des R trennt A zusammen mit ihrem Bruder den Schlauch durch und hofft dabei, dass ein Krankenhaus in Anbetracht des eindeutigen Willens der Mutter keinen neuen Schlauch legen wird, was jedoch entgegen den Erwartungen der Beteiligten geschieht. Die Mutter stirbt allerdings einige Wochen später aufgrund ihrer Erkrankungen.
Das LG Fulda hatte A wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (R hatte erklärt, dieses Handeln sei nicht strafbar) freigesprochen, R jedoch wegen mittäterschaftlich begangenen, versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der BGHBGH Urteil vom 25.6.2010 Az 2 StR 454/09 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. hat dieses Urteil aufgehoben und R freigesprochen.
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Der BGH hat ausgeführt, dass eine Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) aufgrund einer Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist, wenn dies seinem tatsächlichen (es liegt eine schriftliche Patientenverfügung vor oder aber der Patient kann sich noch klar äußern) oder mutmaßlichen Willen (der vom Betreuer ermittelt werden muss) entspricht (§ 1827 BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Patient sich bereits in einem Sterbeprozess befindet oder aber wie im vorliegenden Fall in einem, Wachkoma, in welchem der Sterbeprozess erst durch den Abbruch der Behandlung eingeläutet wird.
Hervorgehoben hat er schließlich noch, dass gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht mit einem medizinischen Behandlungsabbruch in Zusammenhang stehen, einer rechtfertigenden Einwilligung nicht zugänglich sind.
Diese Rechtfertigung greift zum einen für den behandelnden Arzt, aber auch für den Betreuer des Patienten und dessen Bevollmächtigten sowie für hinzugezogene Hilfspersonen, z.B. das Pflegepersonal.BGH Urteil vom 25.6.2010 Az 2 StR 454/09 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de; Jäger Strafrecht BT Rn. 76.
Expertentipp
In der Klausur sollten Sie das Problem auf Rechtswidrigkeitsebene diskutieren. Ob Sie eine Unterlassenstat oder eine Begehungstat prüfen, hängt davon ab, was der Täter gemacht hat. Im obigen Beispielsfall würde man für Rechtsanwalt R mit §§ 212, 22, 23 anfangen. In der Rechtswidrigkeit kann dann deutlich gemacht werden, dass es für die Straflosigkeit des Behandlungsabbruchs nicht auf ein Unterlassen ankommt. Die oben bei der indirekten Sterbehilfe dargestellten und auch hier diskutierten, abweichenden Lösungswege (teleologische Restriktion bzw. § 34 analog) können Sie an dieser Stelle aufzeigen, wahrscheinlich werden alle zum selben Ergebnis gelangen, so dass ein Streitentscheid nicht erforderlich ist.
V. Konkurrenzen
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Der vollendete § 216 entfaltet gegenüber den §§ 212, 211 eine Sperrwirkung. Die §§ 223 ff. werden von § 216 verdrängt.
Fraglich ist, ob zwischen § 216 und den Körperverletzungsdelikten Tateinheit angenommen werden kann, wenn die Tötung auf Verlangen im Versuch stecken geblieben ist, die Körperverletzung aber eingetreten ist. Tateinheit ist jedenfalls möglich mit der einfachen Körperverletzung. Nach h.M. entfaltet § 216 aber jedenfalls gegenüber der schweren Körperverletzung gem. § 226Jäger JuS 2000, 31; Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben § 212 Rn. 25. und teilweise auch gegenüber der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224Krey/Heinrich Strafrecht BT I Rn. 244. eine Sperrwirkung. Dies wird mit den unterschiedlichen Strafrahmen begründet. Wäre die Tötung auf Verlangen verwirklicht worden, so läge der Strafrahmen bei 6 Monaten bis zu 5 Jahren. Die Körperverletzungsdelikte würden bei Vollendung nicht mehr geprüft. Ist § 216 nur versucht, erfolgt grundsätzlich keine Verdrängung. Sofern eine schwere Folge eingetreten ist, läge der anzuwendende Strafrahmen dann bei mindestens 1 Jahr bis zu 10 Jahren. Damit wäre aber der Strafrahmen höher als bei Vollendung von § 216.
VI. Exkurs: andere Formen der Teilnahme an der Selbsttötung
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Das Problem der Abgrenzung der strafbaren Täterschaft von der straflosen Teilnahme an einem Suizid haben wir bereits unter der Rn. 92 kennen gelernt. Das zentrale Abgrenzungskriterium ist die eigenverantwortliche Selbstgefährdung. Kann eine solche unter den oben genannten Voraussetzungen bejaht werden, dann ist der unterstützende Täter straflos.
Sofern Sie sich mit der Strafbarkeit eines aktiv handelnden Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstäters befassen, diskutieren Sie – wie gesehen – das Problem bei der objektiven Zurechnung im Rahmen des Tatbestands der §§ 211, 212, 216 oder 222.
105
Sofern eine Strafbarkeit des Täters in mittelbarer Täterschaft in Betracht kommt, wird die Eigenverantwortlichkeit diskutiert bei der Frage, ob der Täter die Tat und damit auch das Opfer kraft überlegenen Wissens oder Wollen beherrscht. Handelt das Opfer nicht eigenverantwortlich, so kann in der Regel eine Tatherrschaft und damit eine Tötung in mittelbarer Täterschaft bejaht werden.
106
Bei einer Tötung durch Unterlassen wird die Eigenverantwortlichkeit entweder bei der objektiven Zurechnung oder aber alternativ bei der Garantenstellung und der sich daraus ergebenden Pflicht diskutiert. Wird die Verantwortlichkeit dem Täter zugeschrieben, so hat der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen, welche sich dann in dem Erfolg realisiert hat. Liegt hingegen die Verantwortlichkeit beim Opfer, so hat sich nicht die vom Täter geschaffene Gefahr, sondern die vom Opfer selbst geschaffene Gefahr realisiert, so dass der „Täter“ straflos ist.
Hinweis
Das Abgrenzungskriterium der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sollten Sie bei den nachfolgenden Fallkonstellationen beachten. Unabhängig davon, ob Sie ein aktives Handeln des Alleintäters oder mittelbaren Täters, des Unterlassungstäters oder des fahrlässigen Täters prüfen, die Frage immer dieselbe ist. Dieses Verständnis erleichtert die Lösung Ihres Klausurfalles erheblich.
1. Fremdtötung in mittelbarer Täterschaft
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Eine mittelbare Täterschaft setzt eine Tatherrschaft des planvoll Lenkenden über den unmittelbar Handelnden kraft überlegenen Wissens oder Wollens voraus. Eine Fremdtötung in mittelbarer Täterschaft liegt dementsprechend vor, wenn der sich selbst Tötende u.a. aufgrund von Zwang, Täuschung oder Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses keine freiverantwortliche Entscheidung trifft, sondern von dem Hintermann in den Tod „gelenkt“ wird.
Beispiel
A spiegelt einer jungen, von ihm anhängigen Frau (F) vor, sie könne ihren Körper wechseln und so später auf dem Stern Sirius weiterleben. Nach genauer Instruktion des A versucht die Frau, die zuvor auf Anweisung des A hin eine auf ihn lautende Lebensversicherung abgeschlossen hat, sich alsdann zu töten, indem sie einen eingeschalteten Fön in die mit Wasser gefüllte Badewanne wirft, wobei ihr der Umstand der Selbsttötung verschleiert bleibt. Sie geht davon aus, dass sie lediglich ihre körperliche Hülle wechsele und ansonsten unverändert weiterlebe. (Sirius Fall).BGHSt 32, 38.
Hier hat der BGH den versuchten Habgiermord (die Frau hat überlebt) in mittelbarer Täterschaft bejaht, da der Rechtsgutträgerin der Umstand nicht bekannt war, dass sie eine Ursache für ihren eigenen Tod setzte. Sie unterlag mithin einer zielgerichteten Täuschung des A, der die genauen Umstände kannte. Der A war hier Täter eines Tötungsdeliktes kraft überlegenden Wissens. Durch dieses Wissen lenkte er das Opfer und machte sie zum Werkzeug gegen sich selbst.
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In der Klausur müssten Sie überprüfen, ob der Tatentschluss des A auf eine Tötung in mittelbarer Täterschaft gerichtet war. Voraussetzung dafür ist, dass die von F vorgenommene Handlung dem A gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 zugerechnet werden kann. Das ist der Fall, wenn A gegenüber F die Tatherrschaft besaß. Tatherrschaft besitzt, wer die Tat kraft überlegenen Wissens oder Wollens beherrscht und damit steuert. Fraglich ist, ob A nach seiner Vorstellung von der Tat diese Tatherrschaft besessen hat. Dies wäre zu bejahen, wenn die F sich nicht eigenverantwortlich selbst gefährdet hätte, als sie den Fön in Badewanne warf. Bei der Frage nach der Selbstgefährdung und der Eigenverantwortlichkeit derselben müssten Sie nun die bereits dargestellten Lösungsansätze aufzeigen. Nach der Einwilligungslösung wäre der Entschluss nicht frei von Täuschung gewesen und damit nicht eigenverantwortlich. Nach der Schuldlösung hingegen müsste die Eigenverantwortlichkeit bejaht werden, da kein Defizit nach den §§ 19, 20 oder 35 angenommen werden kann.
Beispiel
In der bereits bei § 211 dargestellten „Stromschlag“ – Entscheidung (Rn. 62) des LG MünchenLG München JuS 2020, 987 wurde ebenfalls ein versuchter Mord in mittelbarer Täterschaft angenommen, da der Täter den Opfern verschleierte, dass das Durchleiten des Stroms potenziell lebensgefährlich war und sie seiner vermeintlichen Expertise als Medizinier vertrauten, mithin erneut ihre Entscheidungen nicht frei von Täuschung und damit nach der Einwilligungslösung nicht eigenverantwortlich waren.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die „umgekehrten Sirius – Fälle“. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass nicht das Opfer, sondern der Täter die Tathandlung ausführt, dieser aber nunmehr vom Opfer über die Gefährlichkeit seiner Handlung getäuscht und damit wie ein Werkzeug gegen des Opfer eingesetzt und von diesem instrumentalisiert wird.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 136
Beispiel
Der sterbewillige O bittet seine gutgläubige Ehefrau E, ihm eine Schusswaffe an die Stirn zu halten und abzudrücken, wobei er wahrheitswidrig versichert, die Waffe sei nicht geladen. E, die sich mit Waffen nicht auskennt, drückt ab und erschießt O. Hier kommt eine fahrlässige Tötung in Betracht. Die Handlung hat kausal zum Tod des O geführt. Die Fahrlässigkeit kann mit der unterlassenen Überprüfung der Waffe begründet werden. Fraglich ist aber, ob der Tod nicht als eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung angesehen werden kann.
Die Rechtsprechung hat bislangOLG Nürnberg NJW 2003, 454; BGH NJW 2003, 2326 – lesen Sie dazu auch den Übungsfall „Der Todesengel“ die eigenverantwortliche Selbstgefährdung mit Hinweis auf die Tatherrschaft des die Handlung Ausführenden verneint. Dies ist in der LiteraturWessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 136; Hecker/Witteck Jura 2005, 397 auf Kritik gestoßen. Die mittelbare Herrschaft des Sterbewilligen über den manipulierten Mitwirkenden soll eine Fahrlässigkeitshaftung ausschließen. Bei normativer Betrachtung liege demnach eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor.
2. Fremdtötung auf Verlangen durch Unterlassen der erforderlichen Rettungsmaßnahmen
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Umstritten sind weiter die Fälle der Unterlassungstäterschaft, bei welchen ein Garant sich der Tötung bzw. Tötung auf Verlangen durch Unterlassen strafbar gemacht haben kann, wenn er erforderliche und vorhandene Rettungsmöglichkeiten nicht ergreift.
Zu unterscheiden sind hier - jedenfalls nach Auffassung des BGH - die Fälle, bei denen der Garant die Rettung eines Menschen unterlässt, der sterben will, von jenen, bei denen sich das Opfer nur bewusst gefährdet, dabei aber nicht sterben will. Schauen wir uns dazu die beiden nachfolgenden Beispiele an:
Beispiel
D leidet seit Jahren an einer schweren, nicht behandelbaren Krankheit, weswegen sie sich mehrfach und ernsthaft mit einem Suizid beschäftigt hat. Im Februar 2013 wendet sie sich deswegen an den behandelnden Hausarzt A mit der Bitte, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. A, der überzeugt ist, D in einer solchen Situation nicht im Stich lassen zu können, übergibt D das Medikament „Luminal“. Am 16. Februar 2013 nimmt D gegen 14.00 Uhr bei klarem Verstand und in vollem Bewusstsein dessen, was sie tut, die Medikamente ein. Danach informiert sie A, der sich wenig später in ihre Wohnung begibt. Er findet sie komatös mit normalen Vitalwerten auf dem Bett liegend vor. Bis zum Tod der D um 04.30 Uhr am 19. Februar 2013 besucht A sie mehrfach. Ob D durch notärztliche Sofortmaßnahmen hätte gerettet werden können nach Eintritt der Bewusstlosigkeit, kann nicht festgestellt werden.BGH NJW 2019, 3089
Beispiel
A trifft sich mit Kumpels regelmäßig zum Konsumieren von Alkohol und anderen Drogen. Als alle am Tattag bei A in der Wohnung eintreffen, steht dort ein Fläschchen mit GBL. Nachdem A eine kleine Menge GBL mit Wasser eingenommen hat, bietet er das GBL auch den anderen an, macht aber darauf aufmerksam, dass es keinesfalls unverdünnt getrunken werden dürfe, da es dann lebensgefährlich sei. B nimmt trotz der Warnung eine größere Menge GBL unverdünnt zu sich. A, der es für möglich hält, dass B eine tödliche Menge eingenommen hat, versucht zunächst erfolglos, B zum Erbrechen zu bewegen, bringt ihn danach in eine stabile Seitenlage und kontrolliert die Atemfrequenz, wobei er billigend in Kauf nahm, dass B sterben könnte. Hätte A jetzt den Notarzt gerufen, hätte B überlebt. Als A dann später den Notarzt alarmiert, kann dieser nur noch den Tod feststellen.(„GBL – Fall 1“)BGH NJW 2016, 176
In beiden Fällen müsste zunächst die Strafbarkeit durch aktives Tun geprüft werden. Im ersten Beispiel könnte sich A gem. §§ 212, 216 strafbar gemacht haben, indem er D das Medikament übergibt. Im 2. Beispiel müsste eine Strafbarkeit des A gem. § 222 geprüft werden, indem er das GBL anbot. Da in beiden Fällen die Opfer die Mittel in Kenntnis der Gefährlichkeit und ohne Willensmängel einnahmen, dazu noch einsichtig- und steuerungsfähig waren, muss eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung angenommen werden mit der Folge, dass das aktive Handeln der Täter straflos ist. Nunmehr müssten sie prüfen, ob sich die Täter nicht wegen Unterlassen des Einleitens von Rettungsmaßnahmen gem. §§ 212, 216, 13 (im Versuch, wenn die Kausalität zwischen Unterlassen von Rettungsmaßnahmen und Tod nicht sicher festgestellt werden kann) strafbar gemacht hat. Die Garantenstellung des Arztes ergibt auch aus dem Behandlungsvertrag, beim „GBL-Kumpel“ hat der BGH sie aus dem In-Verkehr-Bringen gefahrträchtiger Produkte angenommen. Auch hier müssten Sie sich nun mit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung befassen. Dies können Sie, wie schon ausgeführt, bei der objektiven Zurechnung machen oder mit dem BGH bei der Frage, ob aus einer Garantenstellung auch eine Garantenpflicht erwächst.
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Der BGH ist in dem „GBL – Fall 1“ (2. Beispiel) bei seiner bisherigen Rechtsprechung geblieben und spaltet das Tatgeschehen nach wie vor auf:
Sobald das Opfer das Mittel eingenommen hat, soll der anwesende oder hinzukommende Garant die Tatherrschaft in dem Augenblick haben, in welchem das Opfer bewusstlos und damit handlungsunfähig geworden ist, da es nunmehr allein von seinem Willen abhängt, ob das Opfer weiter lebt oder stirbt. Die Tatherrschaft springt mithin vom Opfer auf den Täter über, so dass keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung mehr angenommen werden kann.BGH NJW 2016, 176. Wesentlich ist, dass das Opfer zwar um die tödliche Gefahr einer Überdosierung weiß, dessen Realisierung aber nicht will
Im „GBL – Fall 1“ hat der BGH die Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen mithin bestätigt. Anders hingegen hat er im „Suizid – Fall“ (1. Beispiel) entschieden: auch hier weiß das Opfer um die tödliche Gefahr, im Unterschied zum „GBL – Fall“ will das Opfer aber dessen Realisierung und damit den Tod. Der BGHBGH NJW 2019, 3089 hat eine sich aus der Garantenstellung erwachsende Garantenpflicht verneint und das vor allem mit dem sich aus dem Grundgesetz ergebenden und den §§ 1827 ff BGB zugrunde liegenden Selbstbestimmungsrecht begründet. Die Würde des Menschen gebiete es, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage sei. Ein Überspringen der Tatherrschaft gibt es mithin in diesen Fällen nicht. Wesentlich ist aber wie immer, dass der Entschluss des Opfers keine Willensmängel aufweist, das Opfer einwilligungsfähig ist und damit eigenverantwortlich handelt. Der BGHBGH NJW 2019, 3089 hat dazu folgendes festgestellt: „Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage ... Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht ... Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist“
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In der Literatur ist das Aufspalten der Tatherrschaft des BGH schon immer, so auch im „GBL – Fall 1“ auf Ablehnung gestoßenJäger JA 2016, 392; Eisele JuS 2016, 276. Es wird überwiegend vertreten, dass, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, die unterlassene Verhinderung einer Selbsttötung oder Selbstgefährdung ebenso wenig strafbar sei wie die aktive Teilnahme, sofern das Opfer eine frei verantwortliche Willensentscheidung getroffen habe. Diese freiverantwortliche Willensentscheidung wirke fort, auch wenn das Opfer aufgrund der Bewusstlosigkeit keinen Willen mehr bilden könne. Sofern sich also das bewusst eingegangene Risiko im weiteren Verlauf realisiere, sei eine Bestrafung über eine Unterlassungstat eine Umgehung der Straflosigkeit einer Teilnahme an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung.Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben vor § 211 Rn. 42 f. m.w.N.
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In Fällen der vorliegenden Art ist, sofern man die Tötung durch Unterlassen verneint, in der Klausur im Anschluss zu prüfen, ob das Geschehen nicht eventuell nach § 323c strafbar ist. Der BGH hat im „Suizid – Fall“BGH NJW 2019, 3089 eine Strafbarkeit gem. § 323c erstmal verneint, diese aber im „GBL – Fall“BGH NJW 2016, 176 insoweit konsequent bejaht, sich aber damit nicht mehr auseinandergesetzt, da dieser hinter der Tötung durch Unterlassen in Gesetzeskonkurrenz zurücktritt.
Die Prüfung des § 323c sieht wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Unterlassene Hilfeleistung, § 323c
I. | Objektiver Tatbestand | ||
| 1. | Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not | |
| 2. | Unterlassen der | |
|
| a) | erforderlichen und |
|
| b) | zumutbaren Hilfeleistung |
II. | Subjektiver Tatbestand | ||
|
| Vorsatz, dolus eventualis reicht | |
III. | Rechtswidrigkeit | ||
IV. | Schuld |
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Nach verbreiteter Auffassung auch in der Literatur stellt die Selbsttötung einen „Unglücksfall“ im Sinne der Vorschrift dar, jedenfalls ab Eintritt der Hilfsbedürftigkeit (Bewusstlosigkeit) des Suizidenten. Begründet wird dies damit, dass ein Hinzukommender bei einem Selbsttötungsversuch meist nicht zu erkennen vermag, ob der Suizident frei verantwortlich gehandelt hat, zumal zu bedenken ist, dass bei einer Vielzahl von Selbstmordversuchen der Suizident auf Rettung hofft und den Selbstmord als letzten Hilferuf verstanden wissen will. Um den Hinzukommenden die Abwägung im Einzelfall zu ersparen, soll ihm grundsätzlich die Pflicht auferlegt werden, Hilfe zu leisten.BGHSt 6, 147 ff.; 13, 169; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 70.
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Im Einzelfall bedarf jedoch die Frage der Zumutbarkeit des Eingreifens einer sorgfältigen Prüfung. Jedenfalls nach Ansicht der Literatur und neuerdings auch der des BGH bei eigenverantwortlichen Suiziden ist diese Zumutbarkeit dann zu verneinen, wenn der Suizident eine eigenverantwortliche Entscheidung getroffen hat, keine Rettung wünscht und sich aller Voraussicht nach zur Wiederholung der Tat veranlasst sehen wird.Jäger Strafrecht BT 1 Rn. 70; BGH NJW 2019, 3089
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Sofern der Suizident noch Herr des Geschehens und zu einer Entscheidung und auch zu einer Kommunikation fähig ist, besteht eine Verpflichtung des Hinzukommenden nach übereinstimmender Ansicht nicht, da dieser den kommunizierten ausdrücklichen Willen des Sterbenden nicht eigenmächtig übergehen kann.
3. Der einseitig fehlgeschlagene Doppelselbstmord
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Fraglich ist, ob auch in diesen Fällen eine Strafbarkeit des Überlebenden gemäß § 216 in Betracht kommt.
Beispiel
A und B wollen gemeinsam aus dem Leben scheiden. Zu diesem Zweck verschließt A die Tür und öffnet sämtliche Gashähne. Er verstopft auch die Tür und Fensterritzen mit feuchten Tüchern, damit kein Gas nach außen dringen kann. Beide warten alsdann auf dem Sofa liegend auf den Tod. Während B verstirbt, überlebt A jedoch aufgrund einer durch einen Nachbarn eingeleiteten Rettung das Geschehen.
Hier ist fraglich, ob sich A nicht durch Öffnen der Gashähne der vorsätzlichen Tötung auf Verlangen strafbar gemacht haben kann. Problematisch ist erneut die objektive Zurechnung.
Rechtsprechung und Literatur ziehen überwiegend die Grundsätze der Tatherrschaft heran und stellen darauf ab, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat.Jäger Strafrecht BT 1 Rn. 71; Schönke/Schröder-Eser/Sternberg-Lieben § 216 Rn. 11 Nach der Rechtsprechung liegt allerdings Täterschaft vor, wenn der Getötete sich in die Hand des anderen begibt, weil er duldend den Tod von ihm entgegennehmen will. Im sog. „Giselafall“,BGHSt 19, 135, 137 ff. bei welchem der Täter Auspuffabgase ins Wageninnere leitet und das Gaspedal herunter trat, hat der BGH seinerzeit gemäß § 216 verurteilt, da die Getötete sich dem insoweit dominant handelnden Partner untergeordnet habe und den Tod durch ihn veranlasst entgegennehmen wollte. Dem ist seitens der Literatur entgegen gehalten worden, dass es dem Opfer bis zuletzt frei stand, den Ort des Geschehens zu verlassen und es insoweit selbst die Handlungsherrschaft besaß, so dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorlag.Jäger Strafrecht BT Rn. 71; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 125.
4. Die fahrlässige Ermöglichung der Selbsttötung
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Auch hier hängt es von der Eigenverantwortlichkeit des Opfers ab, ob ein Dritter, der die Tötung fahrlässig ermöglicht, strafbar ist oder nicht. In diesem Zusammenhang werden häufig die sog. „Junkie-Fälle“ diskutiert.
Beispiel
Die Junkies A und B beschließen bei einem zufälligen Aufeinandertreffen, dass sie sich gemeinsam Heroin drücken wollen, welches der B bei sich führt. Nachdem A die Spritzen besorgt hat, verabreichen sich beide einen Schuss, den B jedoch nicht überlebt.BGHSt 32, 262.; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 134.
Hier könnte sich A wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben, indem er die Spritzen besorgte. Das Besorgen der Spritzen stellt eine Handlung dar, die unproblematisch kausal den Erfolg herbeigeführt hat. Fraglich ist, ob der Erfolg dem A auch objektiv zugerechnet werden kann, da B sich die Spitze selbst gesetzt hat.
Der BGH hat eine Strafbarkeit verneint, da B in Kenntnis des Risikos die Gefährdung eingegangen sei und durch das eigene Setzen der Spritze das Geschehen beherrscht habe.
Beispiel
Anders wurde in einem Fall entschieden, in welchem der Täter dem Opfer das Heroin injiziert hat, weil diesem die Hände zu sehr zitterten.BGH NStZ 2004, 204.
Fraglich war, ob der Täter sich der Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 strafbar gemacht haben könnte, indem er das Heroin injizierte. Im objektiven Tatbestand ist erneut problematisch, ob eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers vorliegt. Da der Täter die Handlung vorgenommen hat und dabei auch grundsätzlich die Gefahren einer Heroininjektion kannte, hat der BGH eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung verneint und den objektiven Tatbestand bejaht. In der Klausur müssten Sie nun auf der Ebene der Rechtswidrigkeit danach fragen, ob die Injektion nicht durch eine rechtfertigende Einwilligung gerechtfertigt sein kann (einverständliche Fremdgefährdung). Zu berücksichtigen ist allerdings § 228, wonach die Einwilligung unwirksam ist, wenn die Tat gegen die guten Sitten verstößt. Unter dem Gesichtspunkt, dass das Weitergeben und Verabreichen von Betäubungsmitteln schon nach dem BtMG strafbar ist, wird man davon ausgehen können, dass es aufgrund dessen auch gem. § 228 sittenwidrig ist, so dass eine Einwilligung nicht in Betracht kommt. Eine Strafbarkeit gem. § 227 ist daher zu bejahen.
Klausurrelevant sind auch die Fälle der für die Beifahrer oder Kontrahenten tödlich verlaufenden, illegalen Autorennen. Auch hier hängt die Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung (zu prüfen im objektiven Tatbestand) und einverständlicher Fremdgefährdung (zu prüfen in der Rechtswidrigkeit bei der rechtfertigenden Einwilligung) von der Herrschaft über den Geschehensablauf ab.BGH Urteil vom 20.11.2008, 4 StR 328/08 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. Mit diesen Fällen befassen wir uns ausführlich im Skript Strafrecht BT III.