Inhaltsverzeichnis
A. Einführung
I. Das Problem des Kaninchens vor der Schlange
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Klausuren, in denen es um Ansprüche aus den §§ 812 ff. BGB geht, gelten gemeinhin als schwierig.Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 53 Rn. 2 spricht sogar von einer der schwierigsten Materien des gesamten BGB. Nicht selten scheitern Bearbeiter deshalb, weil sie aus Angst, das Dickicht der Anspruchsgrundlagen nicht richtig durchschaut zu haben, unsystematisch vorgehen. Zugegeben, die Anspruchsgrundlagen sind etwas verworren, die Dogmatik umstritten und die Rechtsmeinungen in Literatur und Rechtsprechung driften zum Teil extrem ab. Deshalb sei an dieser Stelle das allgemeine Prüfungsschema in Erinnerung gerufen. Sie haben bekanntlich bei jedem Anspruch zu prüfen:
1. | Ist der Anspruch entstanden? |
2. | Ist der Anspruch erloschen? |
3. | Ist der Anspruch durchsetzbar? |
Dieses Grundschema, das Ihnen seit den Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre vertraut ist,Vgl. Bönninghaus, „BGB AT I”, Rn. 24. gilt grundsätzlich auch im Bereicherungsrecht. Es wird nur ergänzt um den Punkt „In welcher Höhe besteht der Anspruch?“, da diese Frage im Bereicherungsrecht häufig besonders problematisch ist.
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Das Bereicherungsrecht dient dazu, ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen, für deren Ausgleich sonst keine Anspruchsgrundlage ersichtlich ist, zu korrigieren. Der Gesetzgeber hat verschiedene Ansprüche einzelfallbezogen (kasuistisch) in die §§ 812 ff. BGB eingearbeitet.Vgl. Palandt/Sprau, Einf. v. BGB § 812 Rn. 1 f. Die bereicherungsrechtlichen Ansprüche sind daher weniger abstrakt und weniger systematisch, als es das BGB normalerweise ist. Dennoch und gerade deswegen ist die methodisch exakte Bearbeitung von Fällen aus dem Bereicherungsrecht die Hauptbedingung für Ihren Klausurerfolg.
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Verwirrend ist anfangs auch die Verwendung des Begriffs „Kondiktion“. Wenn Sie sich als Merkhilfe einfach einprägen, dass das Wort Kondiktion nichts anderes bedeutet als „Anspruch im Bereicherungsrecht“Vgl. Palandt/Sprau, Einf. v. BGB § 812 Rn. 5 („Verhältnis der Bereicherungsansprüche zu anderen (sic!) Ansprüchen“., hat dieser Begriff schon viel von seinem Schrecken verloren.
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Schließlich sollten Sie sich davor hüten, im Rahmen einer Klausur tief in die vielfältigen dogmatischen Streitigkeiten, die in der Wissenschaft rund um das Bereicherungsrecht ausgefochten wurden und werden, einzusteigen.Kritisch hierzu auch Looschelders, Schuldrecht BT, § 53 Rn. 2. Man erwartet dort von Ihnen keinen wissenschaftlichen Aufsatz, sondern die Lösung eines Sachverhaltes mit vertretbarem und gut begründetem Ergebnis. Die Fälle, in denen Sie sich mit einem dogmatischen Streit auseinandersetzen können oder sollten, habe ich ausdrücklich als solche gekennzeichnet.
II. Die Leistungskondiktion und die Kondiktion „aus sonstigen Gründen“
1. Die Leistung als zentraler Begriff im Bereicherungsrecht
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Wie oben Rn. 129 bereits ausgeführt, werden die Ansprüche, die in den §§ 812 ff. BGB niedergelegt sind, wegen ihres römisch-rechtlichen Ursprungs als Kondiktionen bezeichnet. Zu allem Überfluss haben einige Kondiktionen auch noch lateinische Bezeichnungen. Leider bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als diese Begriffe, die wir im Einzelnen kennenlernen werden, wie Vokabeln zu lernen. Der Aufwand lohnt sich!
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Die grundlegende Unterscheidung zwischen „Leistungskondiktion“ und „Nichtleistungskondiktion“ ergibt sich bereits aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB Dort heißt es: „Wer durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise . . .“ Damit haben Sie schon die beiden wichtigsten Oberbegriffe gelernt: Es gibt also einerseits Ansprüche, die wir als Leistungskondiktion bezeichnen, und andererseits solche, die nicht auf der Leistung einer Person beruhen, eben Nichtleistungskondiktionen.
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Zentraler Begriff des gesamten Bereicherungsrechts ist damit die „Leistung“. Liegt nämlich eine solche vor, kommen nur die Tatbestände der Leistungskondiktion in Betracht. Die Nichtleistungskondiktionen sind subsidiär.Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 727. Deshalb müssen Sie sich die Definition der Leistung im Sinne der §§ 812 ff. unbedingt einprägen:
Definition
Definition: Leistung
Leistung ist die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.Vgl. Emmerich, Schuldrecht BT, § 16 Rn. 13; Buck-Heeb, Besonderes Schuldrecht/2, Rn. 347; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 666; Palandt/Sprau, BGB § 812 Rn. 3. Für Interessierte: MüKo BGB/Schwab, BGB § 812 Rn. 52 f. zur Kritik am Leistungsbegriff mit umfangreichen Nachweisen und Fundstellen zum Streitstand.
2. Die Funktion des Leistungsbegriffs
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Wozu dient nun diese Unterscheidung? Der Leistungsbegriff hat zwei entscheidende Aufgaben: Er grenzt erstens die Leistungskonditionen von der subsidiären Nichtleistungskondiktion ab und dient zweitens der Bestimmung von Schuldner und Gläubiger in bereicherungsrechtlichen Fällen, in denen mehr als zwei Personen beteiligt sind.
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Wichtig ist, dass Sie sich folgendes merken: Für den Leistungsbegriff reicht es nicht aus, dass eine Handlung des Verfügenden objektiv zu einer Vermögensmehrung beim Bereicherten geführt hat. Hinzukommen muss vielmehr die bewusste und zweckgerichtete Handlung des Verfügenden. Sollte es daran fehlen, liegt eine Leistungskondiktion im Verhältnis zwischen diesen Personen nicht vor.
Wir beginnen bei der Prüfung also stets mit der Leistungskondiktion (in einer ihrer Ausprägungen). Erst wenn wir diese verneint haben, dürfen wir mit der Prüfung der Nichtleistungskondiktionen starten.