Inhaltsverzeichnis
- E. Die anderen Leistungskondiktionen
- I. Der Spezialfall § 813 BGB
- II. Der § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB (condictio ob causam finitam)
- III. Die Kondiktion wegen Zweckverfehlung (condictio ob rem)
- 1. Leistung ohne Verpflichtung, aber mit bestimmter Absicht
- 2. Der vorausgesetzte Erfolg kann nicht vertraglich vereinbart werden
- 3. Leistung auf einen bekannt nichtigen Vertrag
- 4. Mehrleistung trotz wirksamen Vertrages
- a) Verfehlung des „höheren Ziels“
- b) Enttäuschte Vergütungserwartung
E. Die anderen Leistungskondiktionen
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Nachdem wir nun die allgemeine Leistungskondiktion detailliert besprochen haben, müssen wir nur noch die drei Sonderfälle beachten. Einmal ist dies der § 813 BGB als Sonderfall des Fehlens eines rechtlichen Grundes. Dann erörtern wir den § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB (späterer Wegfall des rechtlichen Grundes) sowie den § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB (Kondiktion wegen Zweckverfehlung, sogenannte condictio ob rem).
I. Der Spezialfall § 813 BGB
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Der Anwendungsbereich des § 813 BGB ist kleiner, als man zunächst vermuten könnte. Rechtstechnisch erweitert er das Merkmal „fehlender rechtlicher Grund“ der condictio indebiti auf die Fälle, in denen der Schuldner leistet, obwohl der Leistung eine dauernde Einrede (peremptorische Einrede) entgegenstand.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 813 Rn. 1.
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Im nächsten Satz aber schränkt § 813 BGB sein Anwendungsbereich wieder erheblich ein, in dem er die wichtigste dauernde Einrede, die Einrede der Verjährung, aus seinem Anwendungsbereich wieder herausnimmt.
Übrig bleiben damit neben der Einrede nach § 853 BGB (lesen!) nur Fälle, die so speziell sind, dass wir sie im Rahmen der Vorbereitung auf das Examen hier nicht weiter vertiefen wollen.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 813 Rn. 3 f.
II. Der § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB (condictio ob causam finitam)
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Das Komplizierteste an dieser Kondiktion ist ihr Name. Die „condictio ob causam finitam“ besagt im Grunde nur, dass eine Leistungskondiktion auch dann möglich ist, wenn zwar zum Zeitpunkt der Leistung ein rechtlicher Grund gegeben war, dieser dann aber später weggefallen ist.
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Die Vorschrift hätte einen breiten Anwendungsbereich, wenn nicht § 142 BGB der Anfechtung eine Wirkung ex-tunc, also eine Vernichtung des rechtlichen Grundes mit Rückwirkung beimessen würde. So aber sind Leistungen, die aufgrund eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts getätigt werden, nach der Anfechtung mit der „normalen“ Leistungskondiktion (condictio indebiti) rückforderbar. § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB ist daher nicht anwendbar.So die ganz herrschende Meinung: Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 54 Rn. 25; Palandt/Sprau, BGB § 812 Rn. 26; BeckOK BGB/Wendehorst, BGB § 812 Rn. 64.
Übrig bleiben daher hauptsächlich die Fallgruppen, in denen der rechtliche Grund nur mit Wirkung für die Zukunft wegfällt, wie z.B. bei einer auflösenden Bedingung.
III. Die Kondiktion wegen Zweckverfehlung (condictio ob rem)
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Bei der Kondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB handelt es sich zunächst einmal um eine Leistungskondiktion. Das bedeutet, dass der Leistende „etwas“ (siehe Rn. 151) bewusst und zweckgerichtet in das Vermögen des Leistungsempfängers transferiert hat.
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Im Fall der condictio ob rem, oder „condictio causa data, causa non secuta“, wie sie auch genannt wird, soll der Leistende aber das „etwas“ zurückverlangen können, weil der mit der Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eingetreten ist. Das bedeutet aber wiederum nicht, dass die (enttäuschten) Motive, auch wenn sie beiden Seiten bekannt sind, zu einer solchen Kondiktion führen.
Beispiel
Die Braut geht in ein Fachgeschäft für Brautmoden und ersteht ein Hochzeitskleid. Beiden Seiten ist bekannt, dass der „Zweck“ eines solchen Kaufes die Eingehung der Ehe ist. Kommt diese nicht zustande, kann die Braut natürlich nicht den Kaufpreis nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB kondizieren.
Erforderlich für die Annahme eines Ausbleibens eines Erfolges ist vielmehr, dass die Beteiligten einen besonderen zukünftigen Erfolg rechtlicher oder tatsächlicher Natur über den mit jeder Leistung notwendig verfolgten Zweck vorausgesetzt haben, dieser Erfolg aber nicht eingetreten ist.
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Diese BeschreibungZu finden beispielsweise bei Palandt/Sprau, BGB § 812 Rn. 30 f.; Jauernig BGB/Stadler, BGB § 812 Rn. 15 ff. hilft zugegebenermaßen kaum weiter. Dennoch müssen Sie sie beherrschen, um einen Einstieg in den Fall zu finden. Welche Fälle zu den mit der „condictio ob rem“ zu lösenden Sachverhalte gehört, ist – ausnahmsweise – für die Klausur nur fallbezogen (kasuistisch) zu lernen. In Anlehnung an MedicusVgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 691 ff.; vgl. auch bei BeckOK BGB/Wendehorst, BGB § 812 Rn. 88 ff. sind dies vier Fallgruppen:
1. Leistung ohne Verpflichtung, aber mit bestimmter Absicht
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Es kommt vor, dass jemand leistet, damit er eine Gegenleistung erhält, auf die er rechtlich keinen Anspruch hat.
Beispiel
Neffe N pflegt aufopferungsvoll seine Großtante G, die ihm immer wieder versichert, dass er dafür eines Tages „alles erben“ würde. Als G verstirbt, muss N zu seinem Entsetzen erfahren, dass G im letzten Augenblick ihr Testament geändert und ihr Vermögen dem Tierschutzverein vermacht hatte.
In einem solchen Fall hat N an G „etwas“ (Dienstleistungen) erbracht in der beiden Parteien bekannten und vorausgesetzten Absicht, Erbe der G zu werden. Der Nichteintritt dieses Erfolges rechtfertigt die Annahme einer condictio ob rem.Diese Fallgruppe wird auch „Erwartungsfälle“ genannt vgl. BeckOK BGB/Wendehorst, BGB § 812 Rn. 89-91.
2. Der vorausgesetzte Erfolg kann nicht vertraglich vereinbart werden
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Zweitens kommt es vor, dass ein Erfolg von beiden Parteien vorausgesetzt wurde, obwohl er gar nicht Gegenstand eines verpflichtenden Vertrages sein kann.
Beispiel
Drastisches Beispiel hierfür ist der Fall, dass der unsterblich in die Prostituierte verliebte Freier dieser Geld dafür gibt, dass sie von ihrem Beruf ablassen und sich von ihrem Zuhälter freikaufen kann. Sie nimmt das Geld und entscheidet sich danach, weiter in ihrem „Beruf“ für Z tätig zu bleiben.
Der Freier hätte mit der P gar nicht wirksam einen verpflichtenden Vertrag schließen können, nachdem sie sich freikaufen sollte, um dann mit ihm zusammenleben zu können. Wohl aber haben beide Parteien einen Zweck mit der Leistung des Freiers vereinbart. Sie sollte von ihrem Zuhälter loskommen und den Beruf aufgeben. Dieser Zweck ist verfehlt worden. Sie muss das Erhaltene gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB herausgeben.
3. Leistung auf einen bekannt nichtigen Vertrag
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Drittens schließlich kommt die condictio ob rem praktisch häufig in folgender Konstellation vor: Um Grunderwerbssteuer zu sparen, vereinbaren die Parteien eines Grundstückskaufvertrages Folgendes: Vor dem Notar wird eine niedrigerer als der vereinbarte Kaufpreis angegeben. Dieser Vertrag kommt nach §§ 117 Abs. 1 BGB nicht wirksam zustande.Vgl. Bönninghaus, „BGB AT I”, Rn. 224 ff. Die Parteien erklärten vor dem Notar nur zum Schein, dass sie einen Grundstückskaufvertrag zu dem niedrigen Preis abschließen. Das eigentlich Gewollte (Verkauf zum höheren Preis) ist aber nach §§ 117 Abs. 2, 311b Abs. 1 S. 1, 125 BGB nichtig.
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Nunmehr leistet der Käufer die Differenz zwischen dem beurkundeten Betrag und dem eigentlich vereinbarten Preis in bar an den Verkäufer. Dies tut er in der Absicht, dass der Verkäufer die Auflassung erklärt und schließlich durch die Eintragung des Eigentumsüberganges in das Grundbuch der Formmangel gemäß § 311b Abs. 1 S. 2 BGB geheilt wird.
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Scheitert dies aus welchen Gründen auch immer, könnte der Käufer vom Verkäufer versuchen, den geleisteten Betrag durch die condictio indebiti (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) zurückzufordern. Die Anspruchsgrundlage ist gegeben (Leistung ohne Rechtsgrund), jedoch scheitert diese Kondiktion an § 814 BGB. Der Käufer wusste, dass er auf eine Nichtschuld leistete.
Der Zweck seiner Leistung war vielmehr, den Verkäufer zu bewegen, die Willenserklärung „Auflassung“ abzugeben. Dieser Zweck ist nicht eingetreten, sodass der Käufer den Betrag über § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB zurückverlangen kann.
4. Mehrleistung trotz wirksamen Vertrages
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Viertens schließlich bietet die condictio ob rem eine Lösung für die Sachverhalte, in denen der Leistende sich auf einen „schlechten“ Vertrag einlässt, weil er damit einen weitergehenden Zweck verfolgt, den auch der Leistungsempfänger kennt und akzeptiert hat. Hier sind zwei Unterfallgruppen zu differenzieren.
a) Verfehlung des „höheren Ziels“
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Beispiel
Bauer B verkauft zu sehr günstigen Bedingungen Land an den örtlichen Sportverein, damit dieser auf dem Gelände ein Trainingszentrum für Jugendliche errichten soll. Wenig später verkauft der Verein das Gelände, damit dort ein Gewerbebetrieb errichtet werden kann.
Hier liegt ein wirksamer Kaufvertrag vor. Die Leistung des B an den Verein erfolgte mit Rechtsgrund. Doch die Parteien haben einen besonderen Erfolg vorausgesetzt, der über den mit jedem Vertrag notwendig verfolgten Zweck hinausgeht. Sie gingen davon aus, dass auf dem Gelände ein Trainingszentrum entsteht. Dieser „angestaffelte“ Zweck ist verfehlt worden. Deshalb kann B vom Verein das Gelände mit der condictio ob rem wieder herausverlangen.Restriktiv BGH, Urteil v. 14.5.1991 – X ZR 2/90 = NJW-RR 91, 1269; Palandt/Sprau, BGB § 812 Rn. 34; a.A. BeckOK BGB/Wendehorst, BGB § 812 Rn. 92; MüKo BGB/Schwab, BGB § 812 Rn. 474 ff. m.w.N.
b) Enttäuschte Vergütungserwartung
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Diese Fallgruppe ist mit der oben Rn. 243 besprochenen Leistung ohne Vertrag verwandt. Wenn z.B. die Haushaltshilfe sich auf einen „Hungerlohn“ einlässt mit der beiden Seiten bekannten Erwartung, eines Tages einmal zu erben, und dieser Fall tritt dann wider Erwarten nicht ein, hat diese einen Anspruch auf Ersatz der Differenz zwischen gezahltem Lohn und Mehrleistung nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB.
Expertentipp
Die condictio ob rem ist eine beliebte Spielwiese für Dogmatiker und Theoretiker jeder Couleur. Hüten Sie sich davor, in einer Klausur in große dogmatische Diskussionen abzugleiten. Es genügt, dass Sie bei Klausuren, die eine der oben erwähnten Fallgruppen betreffen, wie folgt vorgehen:
1. | Sie gehen von § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB als Anspruchsgrundlage aus. |
2. | Sie definieren die Zweckverfehlung, wie oben in Rn. 241 beschrieben. |
3. | Sie subsumieren den Sachverhalt unter einer der genannten Fallgruppen. |
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Damit haben wir die Tatbestände der Leistungskondiktion abgeschlossen. Was noch fehlt, ist die Behandlung der sogenannten „Mehrpersonenverhältnisse“. Dies erfolgt aber erst nach der Erörterung der Nichtleistungskondiktion, da es bei den Mehrpersonenverhältnissen genau um die Problematik der Abgrenzung der Leistungs- von der Nichtleistungskondiktion geht.