Sachverhalt
Nachdem der Whistleblower Edward Snowden zahlreiche Erkenntnisse über geheimdienstliche Tätigkeiten des US-Geheimdienstes NSA – u. a. auch die langjährige Abhörung des Mobiltelefons von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel – an die Öffentlichkeit preisgegeben hatte und nach längerem Spießrutenlauf in Moskau Asyl bewilligt bekam, wurde ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zur sog. NSA-Affäre eingesetzt. Die oppositionellen Fraktionen A und B forderten, Edward Snowden als Zeugen für eine Aussage in Berlin zu laden und im Untersuchungsausschuss zu vernehmen, um bestimmte, in einem Beweisbeschluss enthaltene, tatsächliche Fragen zu klären. Entsprechende Anträge auf Zeugenvernehmung Snowdens in Berlin wurden am 25.6.2014 und 21.7.2014 von der Regierungsmehrheit im Untersuchungsausschuss abgelehnt. A und B richteten sich auch an die Bundesregierung, um ihr Ziel, Edward Snowden als Zeuge zu laden, zu erreichen. Sie baten die Bundesregierung die diplomatischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Edward Snowden zu einer Zeugenvernehmung in die Bundesrepublik einreisen könne. In einem Schreiben vom 2.5.2014 äußerte sich die Bundesregierung, ohne dass es zu einem Amtshilfeersuchen des Untersuchungsausschusses gekommen war, zu verschiedenen Fragen der Fraktionen A und B, u. a. dazu, ob Edward Snowden im Besitz eines gültigen Reisepasses sei, ob ein Auslieferungsersuchen der USA zu erwarten sei oder ob die Russische Föderation eine Ausreise überhaupt bewilligen würde. Eine Zusage, die diplomatischen Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung von Edward Snowden schaffen zu wollen, gab die Bundesregierung ausdrücklich nicht.
A und B richten sich gegen die Ablehnung der Anträge auf Ladung von Edward Snowden als Zeuge durch den Untersuchungsausschuss (Ag. zu 1), sie halten ihre Rechte als Ausschussminderheit für verletzt. Außerdem halten sie das Verhalten der Bundesregierung (Ag. zu 2) für verfassungswidrig, da diese ihre Pflicht zur Unterstützung des Untersuchungsausschusses verletzt habe – sie richten sich insbesondere gegen das Schreiben vom 2.5.2014.
A und B beantragen die Durchführung eines Organstreitverfahrens vor dem BVerfG. Wie wird das das BVerfG entscheiden?
Lösung:
- Schreiben der Bundesregierung vom 2.5.2014
Das BVerfG verneint einen tauglichen Antragsgegenstand für ein Organstreitverfahren und leitet dieses Ergebnis folgendermaßen her:
„Nach § 64 I BVerfGG ist ein Antrag im Organstreitverfahren zulässig, wenn der Ast. geltend machen kann, dass er durch eine Maßnahme oder eine Unterlassung des Ag. [der Bundesregierung, Anm. d. Verf.] in seinen durch die Verfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Die zur Nachprüfung gestellte Maßnahme muss rechtserheblich sein oder sich zumindest zu einem die Rechtstellung des Ast. beeinträchtigenden, rechtserheblichen Verhalten verdichten können (…) Als rechtserhebliche Maßnahme kommt jedes Verhalten des Ag. in Betracht, das geeignet ist, die Rechtsstellung des Ast. zu beeinträchtigen (…) Erforderlich ist, dass der Ast. durch die angegriffene Maßnahme in seinem Rechtskreis konkret betroffen wird (…) Handlungen, die nur vorbereitenden oder bloß vollziehenden Charakter haben, scheiden als Angriffsgegenstand im Organstreit aus (…) Nach diesen Maßstäben bezieht sich der Antrag (…) nicht auf taugliche Angriffsgegenstände. (…) Die Einschätzungen der Ag. zu 1 in dem Schreiben vom 2.5.2014 sind nur vorläufiger Natur. Im Hinblick darauf, dass in diesem Zeitpunkt, in dem die Ag. zu 1 (…) Stellung nahm, wesentliche Erkenntnisse zum relevanten Sachverhalt noch nicht vorlagen oder jedenfalls nicht gesichert waren, ist das Schreiben vom 2.5.2014 erkennbar lediglich als erste, nur in allgemeiner Form abgefasste Äußerung ohne Festlegung auf eine bestimmte Bewertung des bisher bekannten Sachverhalts gemeint. (…) Die Vorläufigkeit der Einschätzung ergibt sich auch daraus, dass der Ag. zu 1 zu diesem Zeitpunkt kein konkretes Amtshilfeersuchen des Ag. zu 2 zur Beurteilung noch nicht vorlag. Standen die tatsächlichen Umstände eines solchen Ersuchens aber (noch) nicht fest, konnte eine abschließende Bewertung der Ag. zu 1 zur Reichweite einer sie möglicherweise treffenden verfassungsrechtlichen Unterstützungspflicht gegenüber dem Ag. zu 2 noch nicht vorgenommen werden. (…) Im Übrigen handelt es sich bei diesem Schreiben um eine lediglich unverbindliche Stellungnahme, die Entscheidungen zuständiger Behörden oder unabhängiger Gerichte über die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder über die Bewilligung einer Auslieferung nicht präjudizieren oder vorwegnehmen sollten oder konnte. Bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Behandlung eines Amtshilfeersuchens (…) entfaltet das Vorgehen der Ag. zu 1 keine rechtlich relevante Außenwirkung. (…) Aus dem rein informatorischen Charakter dieses Schreibens folgt auch, dass verfassungsrechtlich garantierte Rechte der Ast. nicht berührt werden. (…)
Soweit sich die Ast. generell gegen die Weigerung der Ag. zu 1 wenden, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung Snowdens in Deutschland zu schaffen, ist der Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Unterlassens ebenfalls mangels eines zulässigen Angriffsgegenstandes unzulässig.“
- Ablehnung der Anträge im Untersuchungsausschuss des Bundestags
Für die Anträge von A und B müsste das Bundesverfassungsgericht zuständig sein. Dem könnte § 36 I PUAG entgegenstehen.
„§ 36 I PUAG bestimmt bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit, dass zuständiges Gericht für Streitigkeiten nach dem Untersuchungsausschutzgesetz der BGH ist, soweit Art. 93 GG sowie § 13 BVerfGG und die Vorschriften des Untersuchungsausschussgesetzes nichts Abweichendes bestimmen. Aus dem Vorbehalt in § 36 I PUAG sowie aus der Vorlagepflicht an das BVerfG bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Einsetzungsbeschlusses nach § 36 II PUAG ergibt sich, dass dem BGH nach dem Untersuchungsausschussgesetz keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit zugewiesen ist, sondern allein die verfahrensrechtliche Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, bei der die – dem Ablauf eines Strafprozesses vergleichbare – Ordnung des Untersuchungsverfahrens im engeren Sinne in Rede steht, zum Beispiel bezüglich der Erhebung bestimmter Beweise, der Verlesung von Schriftstücken oder der Herausgabepflicht von Gegenständen. Das Organstreitverfahren gem. Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG zielt demgegenüber auf die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten von Verfassungsorganen (…). Die als verletzt geltend gemachte Rechtsposition muss in einem Verfassungsrechtsverhältnis stehen.“
Diese Abgrenzung der Zuständigkeit von BGH und BVerfG taucht in nahezu allen Klausuren zu Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vor.
Das BVerfG erklärt sich im Weiteren für unzuständig, da kein verfassungsrechtlicher Streit vorliege und sich auch keine abweichende Regelung im Untersuchungsausschutzgesetz (§§ 2 III 2, 18 III Hs. 1, 23 II Hs. 2 iVm 18 III Hs. 1 PUAG) finde.
„Die Ast. haben geltend gemacht, ihnen stehe ein Anspruch auf Bestimmung des Zeitpunktes und des Ortes der Zeugenvernehmung zu. Damit machen sie kein in Art. 44 I GG wurzelndes Recht der Ausschussminderheit gegenüber dem Untersuchungsausschuss geltend. Nicht im Streit steht nämlich das aus Art. 44 I GG abzuleitende Beweiserzwingungs- und Beweisdurchsetzungsrecht der qualifizierten Minderheit im Ausschuss (…) Die Bestimmung des Vernehmungsortes und des Zeitpunktes der Vernehmung betrifft vielmehr die Modalitäten des Vollzugs eines bereits ergangenen Beweisbeschlusses. Über derartige Verfahrensabläufe entscheidet grundsätzlich die jeweilige Ausschlussmehrheit nach Maßgabe der §§ 17 ff. PUAG und der sinngemäß anwendbaren Vorschriften der StPO (Art. 44 II 1 GG). Ihre Verfahrensherrschaft ist durch das Recht der qualifizierten Minderheit auf angemessene Beteiligung begrenzt (…) Nachdem dem Antrag (…) auf Zeugenvernehmung Edward Snowdens seitens des Ag. zu 2 durch Erlass des Beweisbeschlusses Z-1 entsprochen wurde, ist auch dieses Beteiligungsrecht der qualifizierten Minderheit nicht streitgegenständlich. Kern der Auseinandersetzung ist die Klärung der einfachrechtlichen Frage, ob und wie zur Erreichung des Aufklärungszwecks eine unmittelbare Einvernahme vor dem Untersuchungsausschuss vorzunehmen ist. Allein der Umstand, dass der Ag. zu 2 einfachrechtliche und völkerrechtliche Überlegungen der Ag. zu 1 in seine Entscheidungen einbezieht, begründet entgegen der Auffassung der Ast. keine verfassungsrechtliche Streitigkeit.“
Das BVerfG hält Zeit und Ort der Vernehmung für eine rein verfahrensrechtliche Frage, die der BGH und nicht das BVerfG zu entscheiden habe. Es unterscheidet zwischen der Verweigerung eines Beweisbeschlusses als solches und der konkreten Durchführung einer Zeugenaussage. Als Alternative zur persönlichen Einvernahme stand immer wieder eine Vernehmung in Moskau bzw. eine Videoübertragung im Raum – mit diesen Möglichkeiten erklärte sich Edward Snowden aber nicht einverstanden. Er wolle nur in Berlin vernommen werden und forderte hierfür freies Geleit, was die Regierung aber wegen einer Gefährdung der transatlantischen Beziehungen stets ablehnte. Es ist zu erwarten, dass diese Entscheidung des BVerfG noch nicht das letzte Wort zur Frage der Zeugenvernehmung von Snowden im NSA-Untersuchungsausschuss war. Wir halten Sie bei „BGH&Co.“ selbstverständlich auf dem Laufenden.
Vgl. zu typischen Fragen zum Parlamentarischen Untersuchungsausschuss auch die juracademy-Übungsklausur „Geschmierte Waffen“ aus dem Klausurenkurs Öffentliches Recht.