Weist der Verwaltungsakt einen besonders schwerwiegenden Fehler auf und ist dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch offensichtlich, so ist der Verwaltungsakt insoweit nichtig (§ 44 Abs. 1 VwVfG; vgl. auch § 125 Abs. 1 AO, § 40 Abs. 1 SGB X), d.h. unwirksam, siehe § 43 Abs. 3 VwVfG.
Er entfaltet also von Anfang an (ab initio und ex tunc) kraft Gesetzes (ipso iure) – d.h. nicht erst nach entsprechender behördlicher (§ 44 Abs. 5 VwVfG) und/oder gerichtlicher Feststellung (§ 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) – keinerlei Rechtswirkungen. Die Behörde darf ihn nicht durchsetzen, der Bürger muss ihn nicht befolgen. Die materielle Rechtmäßigkeit geht insoweit der Rechtssicherheit vor. Es kann kein öffentliches Interesse an der Wirksamkeit eines offensichtlich und schwerwiegend fehlerhaften Verwaltungsakts geben (Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG).
Bei den in § 44 Abs. 1 VwVfG für die Bejahung der Rechtsfolge „nichtig“ vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale des „besonders schwerwiegenden Fehlers“ und dessen „Offensichtlichkeit“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Anwendung problematisch sein kann. Darum hat der Gesetzgeber in § 44 Abs. 2 VwVfG eine abschließende Aufzählung absoluter Nichtigkeitsgründe normiert. Mit dessen Prüfung ist also zu beginnen (lex specialis). Danach ist ein VA ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig, wenn er:
1. | schriftlich oder elektronisch erlassen wurde, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt (Verstoß gegen § 37 Abs. 3 S. 1 VwVfG) |
2. | nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt (z.B. gem. § 10 Abs. 2 S. 1 BBG, § 8 Abs. 2 S. 1 BeamtStG) |
3. | durch eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG begründeten örtlichen Zuständigkeit bzgl. unbeweglichen oder eines ortsgebundenen Rechtsverhältnisses erlassen wurde, ohne dass diese dazu ermächtigt war (v.a. im Baurecht von Bedeutung) |
4. | aus tatsächlichen Gründen von niemandem ausgeführt werden kann (ultra posse nemo obligatur) also in Fällen der rein faktischen objektiven Unmöglichkeit (z.B. Verfügung, ein zwischenzeitlich bereits eingestürztes Haus abzureißen) |
5. | die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht (z.B. Anordnung, ein bewohntes Haus anzuzünden) |
6. | gegen die guten Sitten verstößt (z.B. Genehmigung des sog. „Zwergenweitwurfs“). |
Nach § 44 Abs. 3 VwVfG (Ausnahmetatbestand zu § 44 Abs. 1 VwVfG) ist ein Verwaltungsakt nicht schon deshalb nichtig, weil
1. | Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG vorliegt (s.o. Nr. 1) |
2. | eine nach § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 6 VwVfG wegen Befangenheit ausgeschlossene Person mitgewirkt hat (z.B. Mitwirkung der Schwester auf Seiten der Behörde in dem von deren Bruder angestrengten Baugenehmigungsverfahren) |
3. | ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss (vgl. § 88 VwVfG) den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war |
4. | die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde beim Erlass eines mehrstufigen Verwaltungsakts unterblieben ist (z.B. gem. § 9 Abs. 2 FStrG, § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB, § 45 Abs. 1b S. 2 StVO). |
Weist der betreffende Verwaltungsakt einen dieser in § 44 Abs. 3 VwVfG genannten Fehler auf, so ist er nicht allein schon deshalb nichtig. Ist der Verwaltungsakt in einem solchen Fall nicht noch aus anderen Gründen rechtswidrig, so ist er nicht nichtig. Liegen solche andere Rechtswidrigkeitsgründe hingegen vor, so müssen diese anderen Fehler – also ohne Berücksichtigung der gem. § 44 Abs. 3 VwVfG unbeachtlichen – entweder solche i.S.d. § 44 Abs. 2 VwVfG absoluten Nichtigkeitsgründe oder „besonders schwer“ und „offensichtlich“ i.S.d. § 44 Abs. 1 VwVfG sein, damit der Verwaltungsakt ihretwegen nichtig ist.
Die Generalklausel aus § 44 Abs. 1 VwVfG hat zwei kumulative Voraussetzungen: Weist der Verwaltungsakt einen besonders schwerwiegenden Fehler auf und ist dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch offensichtlich? „Besonders schwerwiegend“ i.S.v. § 44 Abs. 1 VwVfG „ist nur ein Mangel, der den Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lässt.“ (BVerwG NVwZ 2014, 1679 [1680]). Anhaltspunkte für die Wertung ergeben sich einmal aus den absoluten Nichtigkeitsgründen in § 44 Abs. 2 VwVfG und andererseits aus § 44 Abs. 3 VwVfG sowie ferner aus § 45 Abs. 1 VwVfG und § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG (jeweils keine Nichtigkeit). Allein ein Verstoß gegen EU-Recht begründet noch keinen Fehler i.S.v. § 44 Abs. 1 VwVfG, siehe BVerwG NVwZ 2000, 1039 (1040).
Die für die Qualifizierung eines Verwaltungsakts als „nichtig“ zusätzlich zum „besonders schwerwiegenden Fehler“ noch erforderliche „Offensichtlichkeit“ (Evidenz) des Fehlers liegt vor, wenn die besonders schwere Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten und verständigen Durchschnittsbetrachter (nicht: jeweils Betroffener; auch nicht: geschulter Jurist) ohne Weiteres ersichtlich ist, d.h. sich diesem geradezu aufdrängt. Die Fehlerhaftigkeit muss dem Verwaltungsakt „auf die Stirn geschrieben“ stehen (Kopp/Ramsauer VwVfG § 44 Rn. 12).
Als solch gravierende, nicht bereits von § 44 Abs. 2 VwVfG erfasste – andererseits aber auch nicht nach § 44 Abs. 3 VwVfG per se ausgeschlossene – und daher anhand von § 44 Abs. 1 VwVfG zu beurteilende Fehler verbleiben bspw. die absolute sachliche Unzuständigkeit (z.B. Erteilung einer Fahrerlaubnis durch Studierendenbüro einer Universität), der Erlass eines – wirksam bekannt gegebenen – Verwaltungsakts gegenüber einem nicht mehr existenten Adressaten (Bußgeldbescheid an Verstorbenen) sowie die absolute rechtliche Unmöglichkeit (z.B. Versetzung eines Nichtbeamten in den Ruhestand). Beim Fehlen der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage handelt es sich hingegen wohl um einen „besonders schwerwiegenden“ Fehler i.S.v. § 44 Abs. 1 VwVfG, dieser ist i.d.R. aber nicht „offensichtlich“ und führt damit meist nicht zur Nichtigkeit des betreffenden Verwaltungsakts.
Liegen die Nichtigkeitsvoraussetzungen des § 44 Abs. 1 VwVfG vor, so hat dies nicht die vollständige Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge, dieser ist vielmehr grundsätzlich nur „soweit“ nichtig, wie der „besonders schwere Fehler“ reicht und dieser zudem noch „offensichtlich“ ist. Doch auch wenn ein Verwaltungsakt teilbar ist, kann dessen Teilnichtigkeit unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 VwVfG zu seiner Gesamtnichtigkeit führen. Abweichend vom Grundsatz der Teilnichtigkeit ordnet § 44 Abs. 4 VwVfG nämlich die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts im Ganzen dann an, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.