Inhaltsverzeichnis
A. Systematik und Zweck des Handelsrechts
I. Handelsrecht als Sonderprivatrecht
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Handelsrecht ist das Sonderprivatrecht der Kaufleute.Canaris HandelsR § 1 S. 1 ff.; Hübner HandelsR § 1 A, S. 1 ff.; Brox/Henssler § 1 S. 1 ff. Dies bedeutet zweierlei: Es ist Teil des Privatrechts, obwohl es vereinzelt auch öffentlich-rechtliche Vorschriften, so zum Handelsregister in §§ 8 ff. HGB, enthält. Als Teil des Privatrechts ist es gleichzeitig Sonderprivatrecht, weil Normadressaten des Handelsrechts nur Kaufleute sind.
Als Sonderprivatrecht ist das Handelsrecht nicht vollständig eigenes Recht, sondern enthält spezielle Vorschriften im Hinblick auf diejenigen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Daher gilt das allgemeine bürgerliche Recht subsidiär, insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch dann, wenn das Handelsrecht keine eigenen Regeln getroffen hat.
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Das Sonderprivatrecht für Kaufleute ist notwendig, weil die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches den Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs nicht ausreichend Rechnung tragen. So dient das Handelsgesetzbuch
• | der Berücksichtigung von Handelsbräuchen, insbesondere aus vorkodifikatorischer Zeit (§ 346 HGB), |
• | der Flexibilität und Schnelligkeit bei Handelsgeschäften durch eine erweiterte Formfreiheit (§ 350 HGB) bis hin zur Bedeutung des Schweigens als Zustimmung,Schweigen gilt beim Kaufmann nach dem lateinischen Rechtssatz „Qui tacet consentire videtur“, der in § 362 HGB seinen Niederschlag gefunden hat, in bestimmten Fällen als Annahme des Vertragsangebots. kurze Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten (§ 377 HGB) und kurze Fristen bei der Verwertung (§ 368 HGB), |
Beispiel
Die Bürgschaft eines Kaufmanns ist nach § 350 HGB formlos möglich, während die private Bürgschaft nur in schriftlicher Form gültig ist (§ 766 S. 1 BGB).
• | der besonderen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, etwa durch den Schutz des guten Glaubens an die Verfügungsbefugnis (§ 366 HGB) Von einem Kaufmann kann eine diesem nicht gehörende bewegliche Sache auch der gutgläubig erwerben, der hinsichtlich der Verfügungsbefugnis des Kaufmanns i.S.v. § 185 BGB gutgläubig ist (§ 366 HGB); wohingegen die §§ 932 ff. BGB lediglich den guten Glauben bezüglich des Eigentums schützen. und durch strenge Rechtsfolgen beim Fixgeschäft (§ 376 HGB), |
• | der Betonung eigenverantwortlichen Handelns, etwa durch Regelungen zu erhöhten Sorgfaltspflichten nach § 347 HGB gegenüber denen einer Privatperson gemäß § 276 BGB, Vertragsstrafen ohne richterliche Korrektur der Höhe (§ 348 HGB statt § 343 BGB), dazu zählt auch, dass der Kaufmann nicht wie der private Bürge die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) hat, also die Befriedigung des Gläubigers nicht verweigern kann, solange dieser nicht erfolglos eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner versucht hat (§ 349 HGB), |
• | schließlich dem Prinzip der Entgeltlichkeit auch ohne ausdrückliche Vereinbarung (§ 354 HGB) einschließlich eines höheren Zinses (§ 352 HGB statt § 246 BGB) und Fälligkeitszinsen (§ 353 HGB). |
Diese Grundsätze prägen das gesamte Handels- und weitestgehend auch das Gesellschaftsrecht (vgl. dazu Teil 2 Rn 200 ff.).
II. Kodifikation
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Das Handelsrecht ist im Handelsgesetzbuch kodifiziert. Das HGB schafft ganz überwiegend kein neues Recht, sondern modifiziert lediglich die allgemeinen privatrechtlichen Regelungen.
Es ist wie das Bürgerliche Gesetzbuch in fünf Bücher mit folgenden Inhalten gegliedert:
• | das erste Buch (§§ 1–104a HGB) behandelt den Handelsstand und damit die Kaufmannseigenschaft, das Handelsregister, die Firma, die Prokura als Vollmacht des Kaufmanns, die Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge als Hilfspersonen der Kaufleute, den Handelsvertreter und den Handelsmakler; |
• | das zweite Buch (§§ 105–236 HGB) enthält mit den Regelungen zu den Handelsgesellschaften und der stillen Gesellschaft den Kernbereich des Gesellschaftsrechts. Kodifiziert sind als Personenhandelsgesellschaften die offene Handelsgesellschaft (§ 105 ff. HGB) und die Kommanditgesellschaft (§ 161 ff. HGB); |
• | das dritte Buch (§§ 238–342e HGB) regelt die Handelsbücher und enthält damit die Grundregeln der handelsrechtlichen Buchführung. Dieses Buch ist immer wieder geändert worden und hat mit den Regelungen zur Handelsbilanz unmittelbar Auswirkungen auf das Bilanzsteuerrecht; |
• | das vierte Buch (§§ 343–475h HGB) knüpft an die Systematik einer Aufteilung in einen allgemeinen und besonderen Teil an. Es stellt allgemeine Vorschriften zum Handelsgeschäft voran und regelt sodann u.a. den Handelskauf, das Kommissions-, Fracht-, Speditions- und das Lagergeschäft; |
• | das fünfte Buch (§§ 476–619 HGB) enthält die Regeln zum Seehandelsrecht. |
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III. Zur Geschichte des Handelsgesetzbuches
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Das Handelsrecht ist mindestens ebenso alt wie das allgemeine Privatrecht, da der Handels- und Geschäftsverkehr seit jeher die Ausgestaltung von Rechtsnormen prägt.
Vorläufer des heutigen HGB ist das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861.
In das ADHGB flossen Erfahrungen mit älteren Kodifikationen ein, vor allem die §§ 475 ff. des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794, der französische Code de Commerce von 1807, den Baden als Anhang zum Badischen Landrecht übernommen hatte und der darüber hinaus in weiten Teilen der bis 1815 französisch besetzten Gebiete fortgalt, und die Allgemeine Deutsche Wechselordnung von 1848, bei deren Ausarbeitung auch allgemeine handelsrechtliche Grundsätze berücksichtigt worden waren.Vgl. auch Goldschmidt Handbuch des Handelsrechts, Band 1, 2. Auflage 1875, S. 57 ff.; aus neuerer Zeit: U. Huber JZ 1978, 78 Zur Entwicklung des Handelsrechts hat zudem die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts wesentlich beigetragen, insbesondere der Rechtswissenschaftler Levin Goldschmidt (1829–1897).
Mit der länderübergreifenden Kodifikation in Deutschland ging die Schaffung einer handelsrechtlichen Gerichtsbarkeit einher.Zu Aufbau und Funktion nachstehend Rn. 6 ff.
Das heute gültige Handelsgesetzbuch wurde am 10.5.1897 verabschiedetRGBl. 1897, S. 219. und trat gemeinsam mit dem BGB am 1.1.1900 in Kraft. Die zeitliche Übereinstimmung ist nicht zufällig, sollte das HGB das ADHGB doch vor allem zur Anpassung des Handelsrechts an das Bürgerliche Gesetzbuch ersetzen.Nachweise bei Schubert/Schmiedel/Krampe Quellen zum Handelsgesetzbuch, 1986 ff. Im Jahr 1937 ist das vormals im HGB enthaltene Aktienrecht aus dem HGB in ein eigenes Gesetz entnommen wordenRGBl. 1937 I S. 107., das bis zum heutigen Tag Bestand hat.
IV. Die Handelsgerichtsbarkeit
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Die Besonderheiten des Handelsrechts spiegeln sich bis zum heutigen Tage im Bestehen einer besonderen Gerichtsbarkeit.
Dies hat, wie gesehen, zum einen historische Gründe. Zum anderen liegt es an den Besonderheiten des Handelsverkehrs.
Expertentipp
Lesen Sie zu den zivilprozessualen Besonderheiten §§ 96–100 GVG.
Rechtsstreitigkeiten zwischen Kaufleuten sind seither im Regelfall Handelssachen nach §§ 94, 95 GVG und werden von einer Kammer für Handelssachen am Landgericht in erster Instanz verhandelt. Die Kammern für Handelssachen sind als besondere Spruchkörper nach §§ 93 ff. GVG mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei Handelsrichtern – juristische Laien, die entweder im Handelsregister eingetragene Kaufleute oder Organe von Handelsgesellschaften sind, § 109 GVG – als Beisitzern besetzt. Entweder der Kläger richtet sein Begehren sogleich an eine Kammer für Handelssachen, § 96 GVG, oder der im Handelsregister eingetragene Beklagte beantragt Verweisung an die Kammer für Handelssachen, § 98 GVG.
Im Einzelfall kann zur Klärung von Streitigkeiten auf nichtstaatliche Schiedsgerichte ausgewichen werden, die allein durch die Abrede der Parteien, der Schiedsvertrag gemäß §§ 1025 ff. ZPO, nach Eintritt von Streitigkeiten zusammentreten.
Angelegenheiten des Handelsregisters sind solche der freiwilligen Gerichtsbarkeit und werden daher von den Amtsgerichten verhandelt, die auch das Handelsregister führen (§§ 1, 374 Nr. 1, 376 FamFG).