Inhaltsverzeichnis
- E. Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung
- I. Überblick
- II. Anspruchsgrundlage
- III. Formell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen
- 1. Ordnungsgemäßer Bauantrag
- 2. Zuständige Behörde
- a) Sachliche Zuständigkeit
- b) Örtliche Zuständigkeit
- 3. Verfahren
- IV. Materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen
- 1. Genehmigungspflichtigkeit des Vorhabens
- 2. Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens
- a) Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauplanungsrecht
- b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauordnungsrecht
- c) Vereinbarkeit des Vorhabens mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften
E. Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung
I. Überblick
368
Die Frage, ob ein Bauherr Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung hat, ist ein klassisches und typisches Klausurthema. Deshalb sollten Sie diesem Abschnitt besondere Aufmerksamkeit widmen! Meistens ist der Fall so gestaltet, dass die Bauaufsichtsbehörde den Antrag des Bauherrn auf Erteilung der Baugenehmigung zuvor abgelehnt hat und der Bauherr nun gegen diesen ablehnenden Bescheid rechtlich vorgehen will. Alternativ gängig sind Fallgestaltungen, dass die Bauaufsichtsbehörde die beantragte Baugenehmigung unterlässt oder dass ein Nachbar die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung wegen Verletzung (angeblich) drittschützender Vorschriften angreift. Mit den verfahrensrechtlichen Fragen und Fragen des nachbarschaftlichen Drittschutzes werden wir uns später (Rn. 413 ff. und 494 ff.) näher befassen.
369
Ob ein Bauherr Anspruch auf Erteilung einer (abgelehnten oder unterlassenen) Baugenehmigung hat, prüfen Sie wie folgt:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung
I. | Anspruchsgrundlage |
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II. | Formell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen |
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| 1. | Ordnungsgemäßer Bauantrag |
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| 2. | Zuständige Behörde |
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| 3. | Verfahren |
| |
III. | Materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen |
| ||
| 1. | Genehmigungspflichtigkeit des Vorhabens |
| |
| 2. | Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens |
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| Prüfungskompetenz bei mehreren Genehmigungen | Rn. 389 f. |
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| a) | Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauplanungsrecht |
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| b) | Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauordnungsrecht |
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| c) | Vereinbarkeit des Vorhabens mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften |
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Expertentipp
Auch hier gilt wie bei jedem Prüfungsschema: Es soll Ihnen für Ihre Prüfung lediglich eine Orientierungshilfe bieten. Arbeiten Sie das Schema daher in Gedanken durch und erörtern aber nur die wirklich problematischen Punkte näher.
370
Ihre Prüfung beginnen Sie mit einem möglichst präzise formulierten Obersatz, der hier wie folgt lauten könnte: „… (hier den Bauherrn nennen) hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn dem geplanten Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.“ Dieser Formulierungsvorschlag bezieht sich auf die hier dargestellte materiell-rechtliche Prüfung eines Anspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung. Berücksichtigen Sie für die Formulierung des Obersatzes bei Ihrer Fallbearbeitung die jeweilige Fallkonstellation. Ist Ihr Fall prozessual eingekleidet und z.B. so gelagert, dass die Bauaufsichtsbehörde den Antrag des Bauherrn abgelehnt hat, muss der Bauherr gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage erheben. Dann könnte der Obersatz wie folgt formuliert werden: „Die Ablehnung der beantragten Erteilung der Baugenehmigung könnte rechtswidrig sein und … (hier den Bauherrn nennen) in seinen Rechten verletzen (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dies ist der Fall, wenn … (hier den Bauherrn nennen) einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung hat. Ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung besteht, wenn die formell- und materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere das Vorhaben genehmigungspflichtig und -fähig ist.“
II. Anspruchsgrundlage
371
Ihre Untersuchung beginnen Sie mit der Benennung der Anspruchsgrundlage. Steht die Erteilung einer begehrten Baugenehmigung in Rede, ist einschlägige Anspruchsgrundlage § 74 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018.
III. Formell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen
372
Anschließend prüfen Sie das Vorliegen der formell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen in drei Schritten:
Expertentipp
Im Grunde handelt es sich um die typische Prüfung für den Fall, dass ein Antragsteller den Erlass eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes begehrt. Der Antragsteller muss einen ordnungsgemäßen Antrag bei der zuständigen Behörde stellen, die im richtigen Verfahren entscheiden muss.
1. Ordnungsgemäßer Bauantrag
373
Beim Baugenehmigungsverfahren handelt es sich um ein Antragsverfahren, weshalb die Erteilung der Baugenehmigung einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt darstellt (s.o. Rn. 355). Der Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung wird als sog. Bauantrag bezeichnet.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 836. Der Bauantrag legt den Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens fest. Wird z.B. die Errichtung eines Einfamilienhauses beantragt, ist deren baurechtliche Zulässigkeit Verfahrensgegenstand. Wird demgegenüber beantragt, eine Einzelgarage zu einer Doppelgarage zu erweitern, bildet die baurechtliche Zulässigkeit der Erweiterung der Einzel- zu einer Doppelgarage den Verfahrensgegenstand. Der Bauantrag muss inhaltlich so klargestellt sein, dass die Bauaufsichtsbehörde den Gegenstand und den Umfang ihrer behördlichen Prüfungspflichten erkennen und einen dementsprechend inhaltlich bestimmten, das Baugenehmigungsverfahren abschließenden Verwaltungsakt erlassen kann.
Hinweis
Ein fehlender Bauantrag ist unbeachtlich i.S.d. § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW, wenn er rechtzeitig i.S.d. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW nachträglich gestellt wird. Unterbleibt der Bauantrag gänzlich und wird die Baugenehmigung dennoch erteilt, ist sie demgegenüber rechtswidrig.
374
Im ersten Schritt untersuchen Sie nun, ob ein ordnungsgemäßer Bauantrag gestellt wurde.
Der Bauantrag ist in § 70 BauO NRW 2018 geregelt. Gemäß § 70 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BauO NRW 2018 ist der Bauantrag schriftlich mit den Bauvorlagen, d.h. allen für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen, bei der unteren Bauaufsichtsbehörde einzureichen, soweit nicht in der Landesbauordnung 2018 oder in der Verordnung zur elektronischen Durchführung von Verfahren nach der Landesbauordnung 2018 auf dem Bauportal.NRW (VO Bauportal.NRW) vom 31.8.2020GV.NRW. S. 820. anderes bestimmt ist. Die Bauaufsichtsbehörde hat innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Eingang den Bauantrag und die Bauvorlagen auf Vollständigkeit zu prüfen (vgl. § 71 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018). Ist der Bauantrag unvollständig oder weist er sonstige erhebliche Mängel auf, fordert die Bauaufsichtsbehörde die Bauherrschaft unverzüglich unter Nennung der Gründe zur Behebung der Mängel innerhalb einer angemessenen Frist auf (vgl. § 71 Abs. 1 S. 2 BauO NRW 2018). Werden die Mängel innerhalb der Frist nicht behoben, gilt der Antrag als zurückgenommen (§ 71 Abs. 1 S. 3 BauO NRW 2018).
Hinweis
Neben der BauO NRW 2018 und der auf Grund des § 87 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BauO NRW 2018 erlassenen VO Bauportal.NRW enthält die auf der Grundlage des § 87 Abs. 3 BauO NRW 2018 erlassene Verordnung über bautechnische PrüfungenBauPrüfVO. nähere Anforderungen an den Bauantrag.
375
Gemäß § 70 Abs. 3 S. 1 BauO NRW 2018 müssen der Bauherr und der Entwurfsverfasser den Bauantrag und der Entwurfsverfasser die Bauvorlagen unterschreiben.
Beispiel
G wohnt zur Miete in einem den Eheleuten T gehörenden Dreifamilienhaus. Eines Tages beschließt er, sein neues Auto künftig sicher in einer Garage abstellen zu wollen. Da das Dreifamilienhaus bisher über keine Garage verfügt, beantragt G bei der Behörde die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Einzelgarage. – Fraglich ist, ob G als Mieter einen Bauantrag stellen kann. Diese Frage ist zu bejahen: Der Bauherr muss nicht zwingend der Eigentümer des Grundstücks sein. Allerdings muss der Bauherr für seinen Bauantrag ein Sachbescheidungsinteresse haben. Ein solches liegt vor, wenn der Bauherr ein vernünftiges, meist wirtschaftliches Interesse an der Bearbeitung und Verbescheidung des Bauantrags geltend machen kann.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 836.
Hinweis
§§ 52 ff. BauO NRW 2018 enthalten nähere Regelungen über die am Bau Beteiligten (s. auch Rn. 478).
2. Zuständige Behörde
376
Im zweiten Schritt untersuchen Sie, ob der Bauherr den Bauantrag bei der sachlich und örtlich zuständigen Behörde gestellt hat:
a) Sachliche Zuständigkeit
377
Gemäß § 57 Abs. 1 S. 2 BauO NRW 2018 ist für den Vollzug der BauO NRW 2018 und anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften für die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und die Beseitigung sowie die Nutzung und die Instandhaltung von Anlagen grundsätzlichAusnahme: § 57 Abs. 1 S. 3BauO NRW 2018. Beispiel für eine abweichende Regelung: § 66 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018. die untere Bauaufsichtsbehörde sachlich zuständig. Demzufolge liegt die sachliche Zuständigkeit für einen Bauantrag grundsätzlich bei der unteren Bauaufsichtsbehörde i.S.d. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauO NRW 2018 als Sonderordnungsbehörde i.S.d. §§ 12, 5 Abs. 1 und Abs. 2, 3 Abs. 1 OBG. Untere Bauaufsichtsbehörden sind die kreisfreien Städte, die Großen kreisangehörigen Städte und die Mittleren kreisangehörigen Städte als untere Bauaufsichtsbehörden sowie die Kreise für die übrigen kreisangehörigen Gemeinden.
Beispiel
Familie W hat in einem Neubaugebiet ein Grundstück erworben und will dort ein Einfamilienhaus errichten. Das Grundstück liegt in der kreisangehörigen Gemeinde L. Wo muss die Familie W den Bauantrag stellen? – Den Bauantrag muss die Familie W bei der sachlich zuständigen Behörde stellen. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich hier aus § 57 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 Nr. 3 lit. b) BauO NRW 2018, so dass der Bauantrag beim Landrat des Kreises L zu stellen ist (vgl. § 42 lit. e KrO NRW). Der Landrat handelt hier als untere staatliche Verwaltungsbehörde i.S.d. §§ 58, 59 KrO NRW.
Expertentipp
Die konkret zuständige Behörde finden Sie in der Fallbearbeitung anhand der GO NRW bzw. der KrO NRW. Denken Sie in diesem Zusammenhang insbesondere an die mögliche Doppelfunktion des Landrates.
b) Örtliche Zuständigkeit
378
Im Gegensatz zur sachlichen Zuständigkeit ist die örtliche Zuständigkeit der Behörde nicht in der BauO NRW 2018 geregelt.
Die örtliche Zuständigkeit folgt aus §§ 12 Abs. 2, 4 Abs. 1 OBG. In der Praxis wird allerdings gelegentlich auch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW herangezogen, nach dem in Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, die Behörde örtlich zuständig ist, in deren Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt. Entscheidend ist dann die Belegenheit des betreffenden Grundstücks.Vgl. zum Ganzen Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 260 m.N.
Hinweis
Eine Baugenehmigung, die von der örtlich unzuständigen Behörde erlassen wird, ohne dazu ermächtigt zu sein, ist gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG NRW nichtig.
3. Verfahren
379
Im dritten Schritt prüfen Sie, ob das Baugenehmigungsverfahren in verfahrensrechtlicher Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Besondere Bedeutung hat im Baugenehmigungsverfahren die Beteiligung bestimmter Behörden und der Nachbarn (Angrenzer). Hervorzuheben sind insoweit z.B. die in § 36 BauGB oder in § 72 BauO NRW 2018 normierten Beteiligungsrechte.
Expertentipp
Anhand der Angaben im Sachverhalt werden Sie merken, ob dieser Punkt in Ihrer Fallbearbeitung problematisch ist. Abgesehen von den eben genannten typischen Beteiligungsrechten gibt es weitere Beteiligungsrechte. Insoweit wird der Sachverhalt Sie in die richtige Richtung führen, damit Sie die dann einschlägigen Bestimmungen finden können.
IV. Materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen
380
Das Vorliegen der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen prüfen Sie in zwei Schritten:
Expertentipp
Im Grunde handelt sich insoweit um die typische Prüfung, die Sie durchführen, wenn eine behördliche Genehmigung begehrt wird. Im ersten Schritt gehen Sie der Frage nach, ob eine Genehmigung überhaupt erforderlich ist. Ist dies der Fall, untersuchen Sie im zweiten Schritt, ob das zur Genehmigung gestellte Anliegen genehmigungsfähig ist.
1. Genehmigungspflichtigkeit des Vorhabens
381
Im ersten Schritt prüfen Sie, ob das Vorhaben genehmigungspflichtig ist, d.h. Sie gehen der Frage nach, ob der Bauherr für sein Vorhaben überhaupt eine Baugenehmigung benötigt. Eine Baugenehmigung wird nur für genehmigungspflichtige Vorhaben erteilt; ihre Einholung ist demnach auch nur bei den genehmigungspflichtigen Vorhaben notwendig.
382
Da das Bauen zu den Lebensbereichen gehört, die grundsätzlich einer präventiven staatlichen Kontrolle unterliegen, normiert § 60 Abs. 1 BauO NRW 2018 den Grundsatz der Genehmigungspflichtigkeit. Hiernach bedürfen die Errichtung, die Änderung und die Nutzungsänderung von Anlagen einer Baugenehmigung, soweit in §§ 61–63, 78 und 79 BauO NRW 2018 nichts anderes bestimmt ist (dazu unten Rn. 386 ff.).
383
Der Grundsatz der Genehmigungspflichtigkeit gilt für Anlagen, die in § 2 Abs. 1 S. 4 BauO NRW 2018 wie folgt definiert werden:
Definition
Definition: Anlagen
Anlagen sind bauliche Anlagen und sonstige Anlagen und Einrichtungen i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW 2018.
Der Begriff der baulichen Anlage wird in § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 wie folgt definiert:
Definition
Definition: Bauliche Anlagen
Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen.
Als bauliche Anlagen i.d.S. werden auch z.B. Häuser, die schwimmen und pfahlgestützt sind, und unter bestimmten Umständen HausbooteVgl. OVG Bln-Bbg NVwZ-RR 2018, 842 (Leitsatz der Redaktion). angesehen.
Hinweis
Der Begriff der baulichen Anlage hat grundlegende Bedeutung im Bauordnungsrecht. Denken Sie unbedingt daran, dass die Begriffe der baulichen Anlage im Bauordnungsrecht und im Bauplanungsrecht nicht identisch sind (vgl. Rn. 233).
384
Definition
Definition: Errichtungen
Errichtung meint die erstmalige Herstellung oder den Wiederaufbau einer Anlage.
Definition
Definition: Änderung
Änderung bedeutet jede Veränderung der vorhandenen Bausubstanz einer Anlage.
Definition
Definition: Nutzungsänderung
Nutzungsänderung ist eine Änderung der bisherigen Zweckbestimmung einer Anlage.
Beispiel
Eine bisher als Wohnhaus genutzte Anlage soll zukünftig gewerblich genutzt werden. Eine bisher als Landarbeiterstelle mit Wohnung und Stallungen genutzte Anlage soll zukünftig einer reinen Wohnnutzung unterliegen.Vgl. OVG NRW BauR 2021, 212.
Eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung i.d.S. liegt bereits dann vor, wenn die neue Zweckbestimmung einer Anlage nach den einschlägigen Bauvorschriften möglicherweise anders zu beurteilen ist.Vgl. OVG NRW Beschluss vom 27.2.2018 – 10 A 2288/16 (juris).
385
Expertentipp
Lesen Sie § 64 BauO NRW 2018!
An der prinzipiellen Genehmigungspflichtigkeit eines Vorhabens ändert sich nichts, wenn § 64 BauO NRW 2018 für bestimmte Vorhaben ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren vorsieht. Die Durchführung vereinfachter Baugenehmigungsverfahren hat lediglich Auswirkungen auf den materiell-rechtlichen Prüfungsumfang der Behörde im Genehmigungsverfahren.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1291.
386
Zwecks Beschleunigung der Umsetzung baulicher Vorhaben und verfahrensökonomischer Entschlackung von Baugenehmigungsverfahren sind jedoch bestimmte Vorhaben nicht genehmigungspflichtig.Vgl. Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 829.
Hinweis
Lesen Sie §§ 62 f., 78 f. BauO NRW 2018!
Um welche Vorhaben es sich hierbei konkret handelt, ist abschließend in §§ 61–63 und 78 f. BauO NRW 2018 normiert:
§ 61 BauO NRW 2018 sieht vor, dass bestimmte Gestattungen, die in § 61 Abs. 1 BauO NRW 2018 genannt sind, u.a. eine Baugenehmigung nach § 60 BauO NRW 2018 einschließen, so dass diese als selbständige Genehmigung entfällt.Vgl. Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 265.
§ 62 BauO NRW 2018 regelt verfahrensfreie Bauvorhaben.Vgl. zu dem im Jahr 2021 neu eingeführten Begriff der Verfahrensfreiheit LT-Drs. 17/12033, S. 111.
§ 63 BauO NRW 2018 bezieht sich auf von der Genehmigung freigestellte Bauvorhaben.
§ 78 BauO NRW 2018 regelt die fliegenden Bauten (z.B. Bierzelte, Tribünen, Achterbahnen), die vor ihrer erstmaligen Aufstellung und Ingebrauchnahme lediglich einer Ausführungsgenehmigung bedürfen (vgl. § 78 Abs. 2 S. 1 BauO NRW 2018).
§ 79 BauO NRW 2018 enthält Regelungen für Vorhaben öffentlicher Bauherrn, die ggf. einer Zustimmung bedürfen.
387
Dass diese Vorhaben von der Genehmigungspflicht befreit sind, bedeutet indes keine Freistellung von den Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an das Vorhaben gestellt werden (vgl. § 60 Abs. 2 BauO NRW 2018). Auch von der Pflicht, nach anderen Vorschriften erforderliche Genehmigungen einzuholen, befreit die Genehmigungsfreiheit damit nicht (s. zur Frage, ob bei mehreren notwendigen Genehmigungen das sog. „Konzentrations-“ oder das sog. „Separationsmodell“ oder die sog. „Schlusspunkttheorie“ gilt, unten Rn. 389 f.). Bei einem genehmigungsfrei gestellten Vorhaben sieht die Bauaufsichtsbehörde lediglich davon ab, das Vorhaben präventiv auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen; es bleibt ihr jedoch unbenommen, gegen den Bauherrn repressiv einzuschreiten, wenn das Vorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (vgl. § 60 Abs. 2 BauO NRW 2018).
2. Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens
388
Ergibt Ihre Prüfung oben, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben nicht genehmigungspflichtig ist, ist Ihre Prüfung beendet. Der Bauherr hat bei einem genehmigungsfreien Vorhaben keinen Anspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung. Er hat im Übrigen auch keinen Anspruch auf Erteilung eines sog. Negativzeugnisses.Vgl. VGH Bayern NVwZ 1988, 944. – Ergibt Ihre Prüfung dagegen, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben genehmigungspflichtig ist, untersuchen Sie nun, ob dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen. In welchem Umfang die Bauaufsichtsbehörde die Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu prüfen hat, bestimmt grundsätzlich jedes Land für sich selbst.Vgl. BVerwGE 99, 351. In NRW ist anerkannt, dass § 74 Abs. 1 BauO NRW 2018 grundsätzlich umfassend zu verstehen ist mit der Folge, dass die Bauaufsichtsbehörde die Zulässigkeit des Vorhabens nach Maßgabe aller öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu prüfen hat.Vgl. OVG NRW DÖV 2004, 302.
Etwas anderes gilt gemäß § 65 BauO NRW 2018 für Baugenehmigungsverfahren bei großen Sonderbauten i.S.d. § 50 Abs. 2 BauO NRW 2018 und gemäß § 64 BauO NRW 2018 für vereinfachte Baugenehmigungsverfahren, bei denen keine Sonderbauten im o.g. Sinne in Rede stehen. Hier gilt jeweils ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Erweist sich das Vorhaben in einem solchen Genehmigungsverfahren aus einem Gesichtspunkt als unzulässig, der nicht zum Prüfungsmaßstab gehört, darf die Bauaufsichtsbehörde das Vorhaben nicht ablehnen. Sollte die Unzulässigkeit des Vorhabens wegen dieses an sich prüfungsfremden Gesichtspunktes jedoch offensichtlich unzulässig sein, kann die Behörde den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses ablehnen (s. auch Rn. 9).Vgl. OVG Rh.-Pf. BRS 73 Nr. 147.
389
Die Annahme einer grundsätzlich umfassenden Prüfungskompetenz der Bauaufsichtsbehörde im Baugenehmigungsverfahren erweist sich in den Fällen als problematisch, in denen andere öffentlich-rechtliche Gesetze eigenständige Genehmigungsverfahren vorsehen. Eine einheitliche Lösung zur Bewältigung dieses Problems gibt es nicht.Vgl. hierzu und zum folgenden Text (ausgenommen Beispiel) allgemein Hellermann in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 271.
Beispiel
L hat ein unbebautes Grundstück in einem Gewerbegebiet der Gemeinde M erworben. Auf dem Grundstück will L eine Gaststätte eröffnen. – Um seine Pläne zu realisieren, benötigt L eine behördliche Baugenehmigung nach der BauO NRW 2018 für die Errichtung der Gaststätte und eine behördliche Gaststättenerlaubnis nach dem GastG.
390
Mit dem geltenden Recht nicht vereinbar wäre die Annahme, dass die Bauaufsichtsbehörde neben der baurechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens des L auch die Zulässigkeit der Gaststättenerlaubnis für L prüfen kann (sog. „Konzentrationsmodell“).
Denn dieser Annahme steht § 74 Abs. 3 S. 2 BauO NRW 2018 entgegen, nach dem die Baugenehmigung anderweitig begründete Genehmigungen unberührt lässt.
Als mit § 74 Abs. 3 S. 2 BauO NRW 2018 vereinbar kommen demnach zwei Lösungsmöglichkeiten in Betracht: zum einen die Möglichkeit, dass die Bauaufsichtsbehörde dem L die Baugenehmigung im Falle der baurechtlichen Zulässigkeit seines Vorhabens ohne Rücksicht auf die Gaststättenerlaubnis erteilt (sog. „Separationsmodell“); zum anderen die Möglichkeit, dass die Bauaufsichtsbehörde dem L die Baugenehmigung erst als „Schlusspunkt“ der für ein genehmigungspflichtiges Vorhaben durchzuführenden Prüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften erteilen darf (sog. „Schlusspunkttheorie“), hier also erst nach Erteilung der Gaststättenerlaubnis. Nachdem der 7. Senat des OVG NRW im Jahre 2001 das Separationsmodell befürwortet hatte,Vgl. OVG NRW NVwZ-RR 2002, 564. So auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Länder: VGH Bayern NVwZ 1994, 304; VGH BW NVwZ-RR 1997, 156. ist der 10. Senat des OVG NRW dieser Auffassung im Jahre 2004 entgegengetreten und hat sich für ein sog. „Koordinationsmodell“ i.S. eines „Sternverfahrens“ ausgesprochen. Danach ist die Baugenehmigung als „Schlusspunkt“ der für ein genehmigungspflichtiges Vorhaben durchzuführenden Prüfung, ob das zur Genehmigung gestellte Vorhaben mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist, zu erteilen. Zur Begründung beruft sich der 10. Senat u.a. auf § 71 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauO NRW 2018, der das verfahrens- und materiell-rechtliche Prüfungsprogramm umschreibt und das Separationsmodell ausschließt. Auf der Grundlage dieser Ansicht darf die Bauaufsichtsbehörde dem L die Baugenehmigung erst erteilen, wenn die Gaststättenbehörde ihm die Gaststättenerlaubnis erteilt hat. Solange dies nicht der Fall ist, steht das Erfordernis der Einholung einer Gaststättengenehmigung als öffentlich-rechtliche Vorschrift dem Bauvorhaben des L entgegen.
Expertentipp
Den Meinungsstreit müssen Sie kennen und auf Ihren Fall bezogen erörtern. Welcher Ansicht Sie sich letztlich anschließen, ist dabei weniger wichtig. Gegen das Konzentrationsmodell spricht jedenfalls auch, dass mit der Gaststättenbehörde die sachnähere und damit kompetentere Behörde über die Erteilung der Gaststättenerlaubnis entscheidet. Dieser Gedanke dürfte wohl hinter der Regelung des § 74 Abs. 3 S. 2 BauO NRW 2018 stehen.
391
Bei der Prüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehen Sie üblicherweise in drei Schritten vor:
Hinweis
Privatrechtliche Vorschriften sind grundsätzlich irrelevant (vgl. § 74 Abs. 4 BauO NRW 2018). Wenn das Vorhaben aus privatrechtlichen Gründen offensichtlich nicht realisiert werden kann, kann dem Bauherrn jedoch das Sachentscheidungsinteresse für die Erteilung einer Baugenehmigung fehlen (s.o. Rn. 9).
a) Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauplanungsrecht
392
Im ersten Schritt gehen Sie der Frage nach, ob das Vorhaben nach dem Bauplanungsrecht zulässig ist. Wie die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens zu prüfen ist, haben wir bereits oben (Rn. 228 ff.) ausführlich behandelt. Daher kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauordnungsrecht
393
Im zweiten Schritt prüfen Sie, ob das Vorhaben bauordnungsrechtlich zulässig ist. Wie oben (Rn. 346) bereits erwähnt, dient das materielle Bauordnungsrecht in erster Linie der Gefahrenabwehr. Die materiell-rechtlichen Anforderungen an Anlagen i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 4 BauO NRW 2018 sind in §§ 3 ff. BauO NRW 2018 geregelt.
§ 3 BauO NRW 2018 enthält die bauordnungsrechtliche Generalklausel des materiellen Bauordnungsrechts.Vgl. Schubert in: Erbguth/Mann/Schubert Besonderes Verwaltungsrecht Rn. 1315. Danach sind Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere das Leben, die Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018). Dies gilt auch für die Beseitigung von Anlagen und bei der Änderung ihrer Nutzung (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NRW 2018). Anlagen müssen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung die allgemeinen Anforderungen des § 3 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 ihrem Zweck entsprechend dauerhaft erfüllen und ohne Missstände benutzbar sein (vgl. § 3 Abs. 1 S. 3 BauO NRW 2018).
Hinweis
Die Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung haben dieselbe Bedeutung wie im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht (s. dazu Skript „Polizei- und Ordnungsrecht NRW“ Rn. 245 ff.).
Viele der Vorschriften in §§ 3 ff. BauO NRW 2018 besitzen in der Praxis eine große Bedeutung.
Prüfungsrelevant sind demgegenüber vor allem §§ 6, 9, 10, 14, 48, 89 BauO NRW 2018.
Expertentipp
In der Fallbearbeitung finden Sie die für Sie möglicherweise einschlägigen Vorschriften des materiellen Baurechts relativ einfach, wenn Sie das Inhaltsverzeichnis der BauO NRW 2018 (Teil 3) durchlesen! Detailwissen wird hier ohnehin regelmäßig nicht verlangt.
394
Ähnlich wie bei § 31 BauGB kann die Bauaufsichtsbehörde gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen. Ob die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen zulässt, steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde (vgl. § 69 Abs. 1 BauO NRW 2018). Bei Abweichungen von örtlichen Bauvorschriften i.S.d. § 89 BauO NRW 2018 ist § 69 Abs. 3 BauO NRW 2018 zu beachten.
c) Vereinbarkeit des Vorhabens mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften
395
Im dritten Schritt untersuchen Sie schließlich, ob das zur Genehmigung gestellte Vorhaben mit den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Dazu gehören vor allem wasserrechtliche Vorschriften, weil jede Nutzung eines Grundstücks eine ordnungsgemäße Wasserbeseitigung erfordert. Daneben kommen Vorschriften z.B. des Straßenrechts, des Gaststättenrechts, des Naturschutzrechts, des Immissionsschutzrechts oder auch des Denkmalschutzrechts in Betracht
Expertentipp
Sollten Sie in einer Fallbearbeitung die Vereinbarkeit des Vorhabens mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausführlicher zu prüfen haben, werden Sie hinreichende Anhaltspunkte im Sachverhalt vorfinden. Ansonsten genügt im Rahmen Ihrer gutachterlichen Prüfung, dass Sie diesen Prüfungspunkt erwähnen und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Sachverhalt als erfüllt ansehen.
396
Exkurs:
Sollten entsprechende Anhaltspunkte im Sachverhalt enthalten sein, kann es abschließend notwendig sein zu untersuchen, ob das Vorhaben möglicherweise unzulässig ist, weil die Bauaufsichtsbehörde aufgrund z.B. einer früher abgegebenen Zusicherung i.S.d. § 38 VwVfG NRW oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrages i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG NRW verpflichtet ist, die Baugenehmigung zu erteilen. Der Zulässigkeit eines Vorhabens können auch Bauverbote z.B. nach § 172 Abs. 3 S. 2 BauGB entgegenstehen. Es kommen auch Genehmigungssperren in Betracht (vgl. §§ 14, 15 Abs. 1 S. 1 BauGB).
397
Eine – möglicherweise zunächst rechtswidrige – Baugenehmigung kann durch die nachträgliche Erteilung einer Befreiung (s.o. Rn. 264 ff.) geändert werden. In einem solchen Fall muss die Rechtmäßigkeit der Befreiung zusammen mit der Baugenehmigung geprüft werden.Vgl. BVerwG NJW 1971, 1147; VGH BW NVwZ-RR 2014, 548.
Exkurs Ende.
Expertentipp
Auch hier gilt, dass Sie entsprechende Anhaltspunkte im Sachverhalt vorfinden werden, wenn Sie hier erwähnte Punkte näher prüfen sollen.