Inhaltsverzeichnis
F. Mögliche Entscheidungen der Bauaufsichtsbehörde; Nebenbestimmungen; Baulasten
I. Ablehnende Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde
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Lautet Ihr Prüfungsergebnis, dass dem beantragten Bauvorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, hat der Bauherr keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. In diesem Falle darf die Baugenehmigungsbehörde keine Baugenehmigung erteilen. Der Bauherr ist angesichts der ablehnenden Entscheidung, die einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW darstellt, allerdings nicht daran gehindert, einen neuen Bauantrag zu stellen. Die ablehnende Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde enthält in ihrem verfügenden Teil nur die Regelung, dass die Baugenehmigung nicht erteilt wird. Nur diese Regelung wächst ggf. in Bestandskraft. Die diese Regelung stützende Begründung, nämlich die Unzulässigkeit des Vorhabens, erläutert dagegen nur die Regelung und ist nicht bestandskraftfähig.Vgl. grundlegend BVerwGE 48, 271.
II. Erteilung der Baugenehmigung
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Lautet Ihr Prüfungsergebnis demgegenüber, dass dem beantragten Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, hat der Bauherr einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. In diesem Falle muss die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung erteilen.Vgl. BVerfGE 104, 1. Die Baugenehmigung ist schriftlich (vgl. § 74 Abs. 2 S. 1 BauO NRW 2018) durch Bekanntgabe gegenüber dem Bauherrn zu erteilen.Vgl. näher Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 18 Rn. 26. Aus dem Schriftformerfordernis der Baugenehmigung folgt, dass Inhalt der Baugenehmigung nur dasjenige sein kann, was schriftlicher Inhalt der Genehmigungsurkunde einschließlich Genehmigungsvermerk geworden ist.Vgl. VGH Hessen Urteil vom 25.6.2014 – 3 A 1024/13 (juris). Zur Auslegung einer Baugenehmigung können daneben aber auch andere Umstände herangezogen werden; dies gilt jedenfalls, soweit in den Bauvorlagen auf diese Umstände Bezug genommen wird.Vgl. OVG Nds. BauR 2014, 1131.
Die Baugenehmigung gilt auch für und gegen Rechtsnachfolger des Bauherrn (vgl. § 58 Abs. 3 BauO NRW 2018).
III. Erteilung der Baugenehmigung unter Beifügung von Nebenbestimmungen
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Denkbar ist, dass Sie bei Ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass der Bauherr im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung noch nicht alle Voraussetzungen für die Genehmigungserteilung erfüllt. In diesem Falle kann die Baugenehmigungsbehörde die Erteilung der Baugenehmigung ablehnen. Sie hat aber alternativ die Möglichkeit, die Baugenehmigung zu erteilen und die Erfüllung der noch ausstehenden Voraussetzungen dadurch sicherzustellen, dass sie der Baugenehmigung Nebenbestimmungen beifügt.Vgl. näher Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 18 Rn. 37 ff. Diese Vorgehensweise stellt im Vergleich zur ablehnenden Entscheidung das mildere Mittel dar und ist daher nicht nur zulässig, sondern im Hinblick auf die Wahrung des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch geboten.
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Expertentipp
Nutzen Sie ggf. die Gelegenheit und wiederholen Sie die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen im Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“!
Ob die Beifügung von Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung zulässig ist, richtet sich nach § 36 Abs. 1 VwVfG NRW.Vgl. Hellerman in: Dietlein/Hellermann Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen § 4 Rn. 273. Praktisch relevante Nebenbestimmungen sind die Bedingung i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW und die Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW.
Beispiel
Um einen Missbrauch der Begünstigungsregelung des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB zu verhindern, kann die Bauaufsichtsbehörde einer Baugenehmigung für ein Ersatzgebäude im Außenbereich nach § 35 Abs. 5 S. 4 BauGB eine Auflage beifügen, nach der das neu errichtete Wohngebäude ausschließlich für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt werden darf. Die Auflage steht unter dem Vorbehalt einer Überprüfung bei einer unvorhergesehenen wesentlichen Änderung der tatsächlichen Umstände.Vgl. OVG NRW BRS 73 Nr. 110.
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Sofern die Bauaufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Erteilung der Baugenehmigung ausnahmsweise Ermessen besitzt (s.o. Rn. 354), richtet sich die Zulässigkeit einer Nebenbestimmung nach § 36 Abs. 2 VwVfG NRW.
Expertentipp
Merken Sie sich: Bei einer Nebenbestimmung sagt die Behörde „ja, aber außerdem noch. . .“. Mit der Nebenbestimmung bürdet die Behörde dem Bauherrn eine Belastung auf.
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Keine Nebenbestimmung i.S.d. § 36 VwVfG NRW stellt jedoch die sog. modifizierende Auflage dar. Sie liegt vor, wenn eine beantragte Baugenehmigung qualitativ anders erteilt wird, als sie beantragt wurde. Deshalb wird die modifizierende Auflage auch sog. modifizierende Genehmigung genannt.
Beispiel
A beantragt die Errichtung eines Geschäftshauses mit sechs Vollgeschossen. Die Bauaufsichtsbehörde erteilt ihm die Baugenehmigung, dass er ein Geschäftshaus mit vier Vollgeschossen errichten darf. – Die Behörde hat den Bauantrag des A auf Errichtung eines sechsgeschossigen Geschäftshauses abgelehnt. Stattdessen hat sie ihm eine Baugenehmigung für die Errichtung eines viergeschossigen Geschäftshauses erteilt. Zwischen beantragtem und genehmigtem Vorhaben besteht ein qualitativer Unterscheid: Das genehmigte Vorhaben stellt im Vergleich zum beantragten Vorhaben ein Minus dar.
Expertentipp
Merken Sie sich: Bei einer modifizierenden Genehmigung beantwortet die Behörde den Bauantrag mit „nein, aber statt dessen . . .“. Die Behörde genehmigt ein qualitativ anderes Vorhaben, sei es ein Minus (wie in unserem Beispiel) oder ein Aliud (z.B. ein Flachdach anstelle eines beantragten Satteldachs).
IV. Erteilung einer Baugenehmigung und Baulast
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In der Praxis kommt es häufig vor, dass ein Bauherr die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Baugenehmigung nur erfüllen kann, wenn er ein Nachbargrundstück einbezieht.
Beispiel
D will auf seinem Grundstück ein Zweifamilienhaus errichten. Da er auf seinem Grundstück aus Platzgründen keine Stellplätze einrichten kann, erklärt sich der Eigentümer des Nachbargrundstücks gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich bereit, gegen Entgelt zwei Stellplätze für das Haus des D zur Verfügung zu stellen.
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Wegen der sich aus § 48 BauO NRW 2018 ergebenden Stellplatzpflicht für bauliche Anlagen muss D eine angemessene Anzahl an Stellplätzen für sein geplantes Zweifamilienhaus einrichten. Betrachtet man seine Grundstückssituation, ist die Einrichtung von Stellplätzen aus Platzgründen jedoch nicht möglich. So betrachtet, ist das Vorhaben des D bauordnungsrechtlich unzulässig.
Expertentipp
Lesen Sie § 85 BauO NRW 2018!
Um fehlende tatsächliche Voraussetzungen für die Genehmigungserteilung zu schaffen, gibt es aber das Institut der Baulast, das in § 85 Abs. 1 S. 1 BauO NRW 2018 definiert ist. Danach kann ein Grundstückseigentümer durch Erklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu einem sein Grundstück betreffenden Handeln, Dulden oder Unterlassen übernehmen, die sich nicht schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben.Vgl. näher Stollmann/Beaucamp Öffentliches Baurecht § 18 Rn. 45 ff. Bei der Baulast handelt es sich um eine freiwillige einseitige öffentlich-rechtliche Erklärung des Grundstückseigentümers gegenüber der Bauaufsichtsbehörde. Die schriftlich abzugebende Erklärung wird mit der Eintragung in das Baulastenverzeichnis wirksam (vgl. § 85 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BauO NRW 2018). In unserem Beispiel wird durch die Erklärung des Grundstücksnachbarn, zwei Stellplätze für das Vorhaben des D zur Verfügung zu stellen, der Platzmangel für die beiden Stellplätze kompensiert. Sobald die Erklärung des Nachbarn in das Baulastenverzeichnis eingetragen worden ist, wird sie wirksam und muss von der Bauaufsichtsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung berücksichtigt werden. Die durch die Baulast gesicherte Verpflichtung, die Stellplätze zur Verfügung zu stellen, wird jedoch nur dann erfüllt, wenn die Stellplätze den Eigentümern des begünstigten Nachbargrundstücks tatsächlich dauerhaft zur Verfügung stehen.Vgl. allgemein OVG Rh.-Pf. NVwZ 2010, 137.