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Verwaltungsprozessrecht - XII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

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Verwaltungsprozessrecht

XII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

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Gem. § 43 Abs. 1 VwGO ist Zulässigkeitsvoraussetzung der allgemeinen Feststellungs- sowie der Nichtigkeitsfeststellungsklage, dass der Kläger ein „berechtigtes Interesse“ an der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses bzw. der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts hat.

Zum gesamten Folgenden siehe BVerwG NVwZ 1990, 360; 2013, 1550; Asylmagazin 2018, 369; BeckRS 2018, 19734; Decker JA 2016, 241 (244 f.); Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 21 Rn. 182 ff., § 24 Rn. 35 ff., § 25 Rn. 41 ff., § 26 Rn. 50 ff.; Gersdorf Verwaltungsprozessrecht Rn. 49, 94 f., 106 f., 124 ff.; Hufen Verwaltungsprozessrecht § 16 Rn. 15 ff., § 18 Rn. 12 ff., 32 ff., 47 ff., § 23 Rn. 9 ff.; Kopp/Schenke VwGO § 43 Rn. 24, § 74 Rn. 21 ff.; Mann/Wahrendorf Verwaltungsprozessrecht § 13, § 19 Rn. 11, 13 f., § 20 Rn. 19; Ogorek JA 2002, 222 ff.; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 356 ff., 557 ff.; Schmitt Glaeser/Horn Verwaltungsprozessrecht Rn. 117 ff., 341 ff., 364; Würtenberger/Heckmann Verwaltungsprozessrecht Rn. 253 ff., 419 ff., 489 ff., 652 ff. Entsprechendes gilt gem. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO im Hinblick auf die Fortsetzungsfeststellungsklage. Auch diese ist nur dann zulässig, wenn der Kläger ein „berechtigtes Interesse“ an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Diese beiden Regelungen sind Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wonach nur derjenige einen Anspruch auf gerichtliche Sachentscheidung hat, der mit dem von ihm angestrengten Gerichtsverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt. Folglich besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass auch außerhalb des Anwendungsbereichs von §§ 43 Abs. 1, 113 Abs. 1 S. 4 VwGO als spezielle Ausprägungen des Rechtsschutzbedürfnisses (synonym: Rechtsschutzinteresse) dieses ganz allgemein ebenfalls für alle übrigen Verfahrensarten (Klagen und Anträge nach §§ 80 Abs. 5 S. 1, 80a Abs. 3, 123 Abs. 1 VwGO) Zulässigkeitsvoraussetzung ist – und zwar zusätzlich zur Klagebefugnis (Rn. 248 ff.). „Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns.“BVerfG NJW 2005, 1855 (1856).

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Definition

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Definition: ‚Rechtsschutzbedürfnis‘

‚Rechtsschutzbedürfnis‘ ist das Interesse eines Rechtsschutzsuchenden […], zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Gericht in Anspruch nehmen zu dürfen.“

Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 21 Rn. 185.

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Expertentipp

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Da „die Rechtsordnung immer dann, wenn sie ein materielles Recht gewährt, in aller Regel auch das Interesse dessen, der sich als der Inhaber dieses Rechtes sieht, am gerichtlichen Schutze dieses Rechtes anerkennt“

BVerwGE 81, 164 (165 f.). (vgl. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG), ist das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis bei Erfüllung aller übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen regelmäßig indiziert – auch bei einem nur geringen Streitwert von z.B. 0,02 € ergibt sich nichts Abweichendes (kein „Bagatellunrecht“) – und braucht daher nur bei Vorliegen besonderer Umstände näher geprüft zu werden, die das Interesse des Klägers an der Durchführung des betreffenden Rechtsstreits ggf. entfallen lassen.BVerwG NVwZ 2011, 41; Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 21 Rn. 185; Gersdorf Verwaltungsprozessrecht Rn. 49; Mann/Wahrendorf Verwaltungsprozessrecht § 13 Rn. 164, 169; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 561, 587; Schmitt Glaeser/Horn Verwaltungsprozessrecht Rn. 118, 131; Würtenberger/Heckmann Verwaltungsprozessrecht Rn. 306. A.A. VG Neustadt a.d. Weinstraße BeckRS 2018, 7716.

Zu den Fällen, in denen das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ausnahmsweise fehlt, gehören insbesondere diejenigen, in denen

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der Rechtsschutzsuchende sein Ziel entweder in einem anderen gerichtlichen Verfahren (z.B. Verpflichtungsklage auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts anstatt isolierte Anfechtungsklage gegen dessen Ablehnung; Rn. 147) oder aber überhaupt ohne Anrufung des Gerichts (z.B. indem die Behörde selbst einen Verwaltungsakt gegenüber dem Bürger erlässt anstelle ihren Zahlungsanspruch vor Gericht im Wege der Leistungsklage geltend zu machen; str.

Ausnahme: Der Betroffene macht deutlich, er werde den Verwaltungsakt nicht akzeptieren, so dass es ohnehin zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren käme. Zum Streitstand siehe Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 21 Rn. 189 m.w.N.) – in gleichwertiger Weise – einfacher, umfassender, schneller oder billiger erreichen kann bzw. bereits erreicht hat, d.h. der begehrte gerichtliche Rechtsschutz ineffektiv ist. Demgegenüber ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, wenn der Kläger sein Rechtsschutzziel (z.B. Unterbindung von Nachbarlärm) statt auf dem von ihm gewählten (z.B. Verwaltungs-)Rechtsweg ebenso gut auch auf einem anderen (z.B. Zivilrechts-)Rechtsweg erreichen könnte (vgl. Rn. 55);

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sich die Rechtsstellung des Klägers selbst im Fall des Erfolgs seines Rechtsbehelfs nicht verbessern würde, d.h. der begehrte Rechtsschutz nutzlos ist (z.B. Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung, obwohl dem Bauvorhaben nicht ausräumbare zivilrechtliche Hindernisse entgegenstehen; siehe auch Übungsfall Nr. 4);

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der Kläger zu einem zu frühen Zeitpunkt seine Rechte gerichtlich geltend macht (z.B. Erhebung einer Leistungsklage durch den Bürger, ohne zuvor einen entsprechenden ordnungsgemäßen Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt zu haben; str.

Zum Streitstand siehe Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 21 Rn. 190; Schaks/Friedrich JuS 2018, 860 (866), jeweils m.w.N. A.A. BVerwG NVwZ 2011, 41 (43). Dazu siehe auch Übungsfall Nr. 5.). Da die VwGO grundsätzlich nur nachträglichen (repressiven) Rechtsschutz gegen bereits ergangene hoheitliche Maßnahmen gewährt und der Bürger hierdurch in der Regel ausreichend geschützt ist, sind solche Klagen, mit denen er vorbeugenden (präventiven) Rechtsschutz gegen den erst in der Zukunft drohenden Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts begehrt, nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn hierfür ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis besteht (Rn. 198). Die Zulässigkeit einer i.d.S. vorbeugenden Unterlassungsklage setzt daher voraus, dass effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) auf „normalem“ Wege – Widerspruch bzw. Anfechtungsklage mit gem. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO i.d.R. aufschiebender Wirkung nach Erlass des Verwaltungsakts – nicht erlangt werden kann, m.a.W. also ein Abwarten der Regelung und die Verweisung auf den nachträglichen (ggf. vorläufigen) Rechtsschutz hiergegen (Rn. 487 ff.) für den Betroffenen unzumutbar wäre. Dies wiederum ist dann der Fall, wenn

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ein später erlassener Verwaltungsakt aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr aufgehoben werden könnte (so z.B. regelmäßig die unter Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG erfolgte Ernennung eines Konkurrenten zum Beamten wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität; Rn. 182);

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durch den – sich typischerweise kurzfristig erledigenden – Verwaltungsakt und seine Vollziehung sonst vollendete Tatsachen geschaffen würden (z.B. Versammlungsverbot unter Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) oder irreparable Schäden entstünden (z.B. Sperrung des Stromanschlusses eines Unternehmens);

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der Erlass eines mit Strafe oder Bußgeld bewehrten Verwaltungsakts droht. Denn in einem solchen Fall ist es dem Bürger nicht zumutbar, zunächst die Strafe bzw. das Bußgeld in Kauf zu nehmen und erst danach – „auf der Anklagebank“ – gegen diesen gerichtlich vorzugehen. Insbesondere lässt nach der Rechtsprechung des BGH

BGHSt 23, 86 (91). Vgl. allerdings BVerfGE 87, 399. die nachträgliche Aufhebung eines strafbewehrten Verwaltungsakts die Strafbarkeit einer vorher begangenen Zuwiderhandlung gegen diesen unberührt;

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der Bürger sonst eine Vielzahl von Verwaltungsakten (z.B. Baugenehmigungen) angreifen müsste;

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die Verwaltung den Erlass eines Verwaltungsakts ankündigt, ihn aber anschließend – ohne von ihrer Absicht zur Vornahme abzurücken – verzögert und damit eine unsichere Rechtslage schafft.

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Hinweis

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In Fällen der Eilbedürftigkeit ist auch ein vorläufiger vorbeugender Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO (Rn. 591 ff.), gerichtet auf eine einstweilige Anordnung gegen den Erlass eines Verwaltungsakts, möglich.

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der Kläger zu einem zu späten Zeitpunkt sein Recht gerichtlich geltend macht. Dies ist namentlich bei einer Verwirkung des Klagerechts der Fall (vgl. Rn. 348 f.). Darüber hinaus fehlt es am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls dann, wenn der Kläger durch Erklärung gegenüber dem Gericht (diese ist grundsätzlich unanfechtbar und unwiderruflich) oder dem Prozessgegner – sei es auch gegen eine finanzielle Leistung – auf sein Klagerecht wirksam, d.h. insbesondere eindeutig und freiwillig, verzichtet hat;

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die Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes rechtmissbräuchlich ist (z.B. Schikaneverbot; Anfechtung eines Verwaltungsakts, dessen Erlass der Kläger selbst zugestimmt hat – treuwidriges venire contra factum proprium).

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Keines Eingehens auf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis bedarf es in den Fällen der (allgemeinen sowie Nichtigkeits-)Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO sowie der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO, weil sich Ersteres mit dem in diesen Fällen gesetzlich jeweils gesondert geforderten „berechtigten Interesse“ deckt. Da im Fall der Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings typischerweise bereits ein für das „berechtigte Interesse“ relevanter prozessualer Aufwand entfaltet wurde, dessen „Früchte“ es möglichst zu erhalten gilt, stellt die Rechtsprechung

BVerwGE 81, 226 (228); BVerwG NJW 1997, 3257 (3258). für die Bejahung des „berechtigten Interesses“ im Rahmen von § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO geringere Anforderungen als im Zusammenhang mit der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO. Danach ist entgegen dem SchrifttumSiehe etwa Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 571, 579 m.w.N., das sich nicht zuletzt unter Hinweis auf den insoweit identischen Wortlaut beider Vorschriften für eine gleichlaufende Auslegung des Begriffs des Feststellungsinteresses in § 43 Abs. 1 und § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ausspricht, wie nachfolgend dargestellt zu differenzieren:

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