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Definition
Kraftfahrzeugrennen
Ein Kraftfahrzeugrennen ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen.BGH NStZ 2022, 292.
Bei § 315c geht die Gefährdung des Straßenverkehrs von dem Führen eines Fahrzeugs aus, wozu auch Fahrräder oder Kutschen gehören. Im Gegensatz dazu muss bei § 315d Abs. 1 der Wettbewerb zwischen Kraftfahrzeugen stattfinden, so dass ein Rennen zwischen einem Auto und z.B. einem Fahrrad nicht darunterfällt. Auch ein e-Bike, also ein Fahrrad mit einem elektrischen Hilfsantrieb, der sich bei Erreichen einer Geschwindigkeit von 25 km/h abschaltet, ist nicht als Kraftfahrzeug anzusehen.OLG Hamm Beschluss vom 28.2.2013 – 4 RBs 47/13 – BeckRS 2013, 18137 – anders OLG Hamburg – BeckRS 2016, 111 447 – wonach jedenfalls Segways zu den Kraftfahrzeugen gehören sollen.
Definition
Kraftfahrzeuge
Kraftfahrzeuge sind Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.
Schönke/Schröder-Hecker StGB § 315d Rn. 3.Das Rennen kann spontan ausgetragen werden oder aber im Vorfeld verabredet sein. Die Startmodalitäten sind nicht relevant, so dass auch ein zeitversetztes Starten möglich ist. Von daher kann auch jemand Täter sein, der erst später in einen bereits stattfindenden Wettbewerb einsteigt.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn.1009.
Es macht ferner keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten.BGH NStZ 2022, 292.
Da für Fahrer hochmotorisierter Fahrzeuge gerade die Ermittlung und der Abgleich von Beschleunigungspotentialen wichtig ist, erfordert ein Rennen auch keine langen Wegstrecken, weshalb auch eine mit 50 Meter recht kurze Renndistanz ausreichend sein kann.BGH NStZ 2023, 44.
Beispiel
A und B trafen die Abrede, die „Beschleunigungspotentiale ihrer hoch motorisierten Fahrzeuge“ zu messen. Nebeneinanderstehend beschleunigten sie nach dem Einspringen grünen Ampellichts „zeitgleich unter starken Motorengeräuschen und mit quietschenden Reifen“ ihre Fahrzeuge derart, dass A bereits nach kurzer Fahrstrecke (50 m) eine Geschwindigkeit von zumindest 58 km/h erreichte. Hiernach wollte B noch weiter beschleunigen, A brach das Kräftemessen „angesichts der mit Blaulicht und Martinshorn nachfolgenden Funkwagen“ jedoch ab.
Der BGHBGH NStZ 2023, 44. hat dazu folgendes ausgeführt:
„Auch die mit 50 Meter recht kurze Renndistanz steht einer Würdigung des Geschehens als Kraftfahrzeugrennen nicht entgegen. Aus dem Wortlaut der Norm lässt sich nichts anderes ableiten. Nichts spricht dagegen, dass auch sehr kurze Fahrzeugrennen vereinbart und durchgeführt werden können. Gerade die Ermittlung und der Abgleich der für Fahrer hochmotorisierter Fahrzeuge zumeist wichtigen Beschleunigungspotentiale erfordern keine langen Wegstrecken; gemessen am konkreten Rennzweck wären diese sogar kontraproduktiv. Auch nach Sinn und Zweck des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB kann eine, wie hier, kurze Rennstrecke den Tatbestand erfüllen. Die Vorschrift ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet, weil illegale Kraftfahrzeugrennen mit der Gefahr des Kontrollverlusts erhebliche Risiken für andere Verkehrsteilnehmer bergen (BT-Drs. 18/10145, 7). Die Gefahr des Kontrollverlusts, namentlich durch Ausbrechen, besteht aber auch und gerade bei der massiven Beschleunigung von hochmotorisierten Fahrzeugen aus dem Stand. Erhöht wird die abstrakte Gefahr beim Rennen dadurch, dass die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht allein auf den Straßenverkehr gerichtet ist, sondern zusätzlich auf den Konkurrenten … Anschaulich und nachvollziehbar formuliert die GenStA im Übrigen in ihrer dem Revisionsführer bekannten Zuschrift, das Merkmal der „nicht unerheblichen Wegstrecke“ beschreibe „Idee und Ziel des Kraftfahrzeugrennens, das das Verhalten der Rennteilnehmer bestimmt“. Davon sei die tatsächlich gefahrene Strecke zu unterscheiden. Diese sei ausweislich der Feststellungen hier nur deshalb so kurz gewesen, weil der Angekl. das Rennen abgebrochen habe, nachdem er auf die ihm nacheilende Polizei aufmerksam geworden sei.“
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Nach dem Willen des GesetzgebersBT-Drucks. 18/12964, 5. und der derzeit h.M.Joecks/Jäger StGB § 315d Rn. 4; Schönke/Schröder-Hecker StGB § 315d Rn. 3; offen gelassen BGH NStZ 2023, 44. soll es ferner unerheblich sein, ob Straßenverkehrsvorschriften verletzt werden oder nicht.
Beispiel
A und B verabreden, dass der derjenige, der zuerst am Kirchturm von Kleinkleckersdorf angekommen ist, ein Abendessen auf Kosten des jeweils anderen spendiert bekommt. Dabei ist es ihnen wichtig, dass keine Straßenverkehrsvorschriften verletzt werden, insbesondere die erlaubte Geschwindigkeit eingehalten wird.
Dafür spricht, dass sich die Gefährlichkeit eines Rennens nicht nur aus der (allerdings regelmäßig) überhöhten Geschwindigkeit, sondern auch aus dem dynamischen Prozess und der damit einhergehenden Bereitschaft, größere Risiken einzugehen und sich ablenken zu lassen, ergibt.A.A. Quarch in: Haus/Krumm/Quarch Gesamtes Verkehrsrecht, § 315d StGB Rn. 4; Schulz-Merkel NZV 2020, 397, die den Tatbestand teleologisch reduzieren möchten und zusätzlich einen Verkehrsverstoß verlangen.
Das Rennen muss im öffentlichen Straßenverkehr (zur Definition s. Rn. 30) stattfinden – findet es auf privatem Gelände statt, dann greift § 315d nicht.
Eine weitere Voraussetzung ist, dass es sich um ein „nicht erlaubtes“ (negatives Tatbestandsmerkmal) Kraftfahrzeugrennen handelt.
Definition
Nicht erlaubt
Nicht erlaubt ist ein Kraftfahrzeugrennen, wenn keine behördliche Genehmigung nach § 46 Abs. 2 S. 1, 3 StVO (negatives Tatbestandsmerkmal) vorliegt.
Schönke/Schröder-Hecker StGB § 315d Rn. 4.106
Entscheidend ist dabei aber nicht die materielle Rechtmäßigkeit, sondern die Wirksamkeit der Genehmigung. Auch eine rechtswidrige Genehmigung ist wirksam. Etwas anderes ergibt sich nur bei Nichtigkeit der Genehmigung. Subjektiv muss sich der Vorsatz auf die erforderliche und zugleich fehlende Erlaubnis beziehen.
Beispiel
A beantragt bei der zuständigen Behörde die Genehmigung zur Durchführung eines karitativen Zwecken dienenden Rennens. Die Behörde erteilt die Genehmigung, diese ist aber aufgrund eines Fehlers nichtig, was A allerdings nicht weiß. Zusammen mit anderen richtet er dann das Rennen aus und nimmt auch selber teil, wobei ein Zuschauer zu Tode kommt.
In einem solchen Fall wäre das Rennen objektiv „nicht erlaubt“, der objektive Tatbestand des § 315d Abs. 1 damit verwirklicht. Es fehlt aber am entsprechenden Vorsatz des A. Damit kommt auch eine Strafbarkeit gem. den Abs. 2 und 5 nicht mehr in Betracht.
Wäre die Genehmigung nur rechtswidrig, aber gleichwohl wirksam erteilt worden, dann wäre schon der objektive Tatbestand nicht verwirklicht, das Rennen wäre objektiv erlaubt. Ginge nun A aber irrig davon aus, die Genehmigung sei nichtig und damit unwirksam, dann könnte er sich, jedenfalls was das Ausrichten betrifft, wegen eines untauglichen Versuchs strafbar gemacht haben (Abs. 3), wobei hier der untaugliche Versuch vom Wahndelikt abgegrenzt werden müsste, da die fehlende Erlaubnis nicht nur ein negatives, sondern auch ein normatives Tatbestandsmerkmal ist (ein Problem, welches wir im Skript „Strafrecht AT II“ dargestellt haben).