Inhaltsverzeichnis
- G. Erpressung und räuberische Erpressung, §§ 253 und 255
- I. Überblick
- II. Objektiver Tatbestand
- 1. Bekannte Voraussetzungen
- 2. Vermögensverfügung
- a) Der Täter nimmt eine eigene Sache unter Anwendung von Nötigungsmitteln weg
- b) Der Täter nimmt eine fremde Sache ohne Zueignungsabsicht weg
- c) Der Täter nimmt mit Zueignungsabsicht eine fremde bewegliche Sache weg
- III. Subjektiver Tatbestand
- IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
- V. Konkurrenzen
G. Erpressung und räuberische Erpressung, §§ 253 und 255
I. Überblick
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Bei der Erpressung gem. § 253 wird durch eine Nötigung ein Vermögensschaden bei dem Opfer herbeigeführt. Geschütztes Rechtsgut ist dementsprechend zum einen, wie bei § 263 auch, das Vermögen, zum anderen aber, wie bei § 240, die persönliche Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung.Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT/2 Rn. 766.
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Die räuberische Erpressung gem. § 255 ist eine Qualifikation zur einfachen Erpressung gem. § 253. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter qualifizierte Nötigungsmittel verwendet. Reicht bei § 253 auch die Gewalt gegen Sachen aus, so setzt die räuberische Erpressung gem. § 255 die Gewalt gegen eine Person voraus. Auch hinsichtlich des angedrohten Übels bestehen Unterschiede: Bei § 253 reicht es aus, dass das angedrohte Übel z.B. einen Vermögensnachteil darstellt. § 255 hingegen setzt voraus, dass der Täter mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht.
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Aus der Formulierung „. . . so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen“ ergibt sich, dass auf § 255 die §§ 250 und 251 anwendbar sind. Hinsichtlich deren Voraussetzungen wird auf die Ausführungen unter den Rn. 297 ff. verwiesen.
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Bei der einfachen Erpressung ist, wie bei § 240 auch, im Rahmen der Rechtswidrigkeit nicht nur die Prüfung von Rechtfertigungsgründen erforderlich. Es muss darüber hinaus auch positiv festgestellt werden, ob die Tat rechtswidrig ist. Dies ist der Fall, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zur Erreichung des angestrebten Zwecks als verwerflich anzusehen ist. Diese positive Feststellung der Rechtswidrigkeit erübrigt sich bei der räuberischen Erpressung, da der Täter die Nötigungsmittel des Raubes einsetzt, wodurch die Rechtswidrigkeit indiziert wird.
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§ 253 Abs. 4 enthält eine Strafzumessungsnorm für besonders schwere Fälle. In der Klausur ist der besonders schwere Fall – wie immer – nach der Schuld zu prüfen. Ein solcher liegt bei der räuberischen Erpressung vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. Diese Voraussetzungen sind identisch mit § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und § 244 Abs. 1 Nr. 2, so dass auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen wird.
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Der Aufbau der einfachen und der räuberischen Erpressung sieht wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Erpressung, § 253 und Räuberische Erpressung, § 255
I. | Objektiver Tatbestand |
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| 1. | Nötigungshandlung |
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| a) | Gem. § 253: Gewalt (auch gegen Sachen) oder Drohung mit einem empfindlichen Übel |
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| b) | Gem. § 255: Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben |
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| 2. | Nötigungserfolg 1: Duldung, Handlung oder Unterlassung des Genötigten |
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| Vermögensverfügung | Rn. 675 |
| 3. | Nötigungserfolg 2: Vermögensschaden |
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II. | Subjektiver Tatbestand |
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| 1. | Vorsatz |
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| 2. | Rechtswidrige und stoffgleiche Bereicherungsabsicht |
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| 3. | Vorsatz bezgl. der Rechtswidrigkeit |
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III. | Rechtswidrigkeit |
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| 1. | Allgemeine Rechtfertigungsgründe |
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| 2. | Verwerflichkeit der Erpressung nach Abs. 2 (nur zu prüfen bei einer einfachen Erpressung, § 253) |
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IV. | Schuld |
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V. | Besonders schwerer Fall gem. § 253 Abs. 4 |
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II. Objektiver Tatbestand
1. Bekannte Voraussetzungen
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Der objektive Tatbestand besteht darin, dass der Täter durch Einsatz eines Nötigungsmittels das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch einen Vermögensschaden herbeiführt.
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Sämtliche Elemente der räuberischen Erpressung sind Ihnen bereits vom Raub und Betrug bekannt. Die Nötigungsmittel des Raubes entsprechen jenen der räuberischen Erpressung.
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Expertentipp
Nutzen Sie die Gelegenheit und beschäftigen Sie sich hinsichtlich der genannten Voraussetzungen erneut mit § 240, dargestellt im Skript „Strafrecht BT I“, sowie §§ 249 und 263.
Hinsichtlich der einfachen Erpressung sind die Nötigungsmittel identisch mit jenen des § 240.
Der Nötigungserfolg ist ebenfalls identisch mit jenem des § 240.
Der Vermögensnachteil ist wiederum deckungsgleich mit dem Vermögensschaden bei § 263.
Auch bei der Erpressung ist es denkbar, dass der Genötigte und der Geschädigte auseinanderfallen. In den Fällen dieser „Dreieckserpressung“ muss aber selbst nach Auffassung des BGH, der keine Vermögensverfügung verlangt, eine Nähebeziehung zwischen dem Nötigungsopfer und dem Vermögensinhaber bestehen. Daraus folgt, dass nur eine Nötigung in Betracht kommt, wenn der Dritte den Vermögensinteressen des Geschädigten gleichgültig gegenüber steht.BGH NStZ 1995, 498 mit Anmerkung Mitsch.
Beispiel
A lauert mit einem Messer in der Hand B und dessen Lebensgefährtin L abends vor der Garage auf, um von B Geld zu bekommen. Nachdem B dem A erklärt hat, dass ihn das Messer des A nicht beeindrucke, sticht A mit großer Erregung B in den Bauch und fordert nunmehr L auf, dem am Boden liegenden B die Uhr und das Portemonnaie abzunehmen und ihm zu übergeben.
Hier hat der BGH die Nähebeziehung zwischen B und L bejaht. Er hat ausgeführt, dass L auch ohne die stillschweigende Drohung mit dem weiteren Einsatz des Messers zum Schutze der persönlichen Habe ihres Lebensgefährten bereit gewesen wäre.BGH NStZ 1995, 498.
2. Vermögensverfügung
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Der Klausurklassiker bei der räuberischen Erpressung ist die Abgrenzung der räuberischen Erpressung vom Raub. Auch hiermit haben wir uns bereits ausführlich auseinander gesetzt unter Rn. 258.
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Sofern Sie in der Klausur mit der Prüfung des § 249 beginnen, ist der Abgrenzungsstreit bei der Wegnahme darzustellen.
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Beginnen Sie hingegen mit der räuberischen Erpressung, so stellt sich im objektiven Tatbestand die Frage, ob das abgenötigte Opferverhalten über die Handlung, Duldung oder Unterlassung hinaus eine Vermögensverfügung darstellen muss. Nochmals zur Erinnerung:
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Nach Auffassung der Literatur ist die räuberische Erpressung wesensgleich mit dem Betrug, stellt mithin also ein Selbstschädigungsdelikt dar. Sie ist insofern abzugrenzen vom Raub, der ein Fremdschädigungsdelikt ist. Diese Abgrenzung erfolgt, wie beim Diebstahl und Betrug auch, anhand der inneren Willensrichtung des Opfers: Glaubt das Opfer, den Gewahrsamsverlust nicht verhindern zu können, so erfolgt die Wegnahme gegen oder ohne den Willen des Opfers. Meint das Opfer hingegen, es habe eine durchhaltbare Verhaltensalternative oder aber seine eigene Mitwirkungshandlung sei erforderlich für den Gewahrsamsverlust und entschließt es sich, diese Mitwirkungshandlung vorzunehmen, so liegt ein Gewahrsamsverlust mit dem Willen des Opfers, mithin also kein Raub, sondern eine räuberische Erpressung vor. Das Opfer hat in diesem Augenblick eine Vermögensverfügung getätigt.Schönke/Schröder-Bosch § 253 Rn. 8 f.; MüKo-Sander § 253 Rn. 16.
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Der BGH hingegen fordert bei der räuberischen Erpressung keine Vermögensverfügung. Seiner Auffassung nach ähnelt die räuberische Erpressung der Nötigung und befindet sich, da auch der Raub Nötigungselemente enthält, nicht in einem Alternativverhältnis zum Raub. Vielmehr ist der Raub lex specialis zur räuberischen Erpressung. Bei der räuberischen Erpressung reicht dem BGH auch die Duldung der Wegnahme aus.BGHSt 14, 386; 25, 224. Die räuberische Erpressung ist damit sowohl ein Selbst- als auch ein Fremdschädigungsdelikt.
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Aus dem Erfordernis einer Vermögensverfügung folgt für die räuberische Erpressung, dass diese von der Literatur niemals angenommen werden kann, wenn der Täter vis absoluta anwendet. Bei vis compulsiva kommt es darauf an, ob das Opfer glaubt, der Täter benötige seine Mitwirkungshandlung, um an den Gewahrsam zu gelangen. Geht das Opfer davon aus, der Täter bekomme die Sache „so oder so“, dann liegt erneut keine freiwillige Vermögensverfügung vor. Nach Auffassung der Literatur hat das Opfer sich nicht selbst geschädigt. Es ist vielmehr der objektive Tatbestand des Raubes verwirklicht.
Hinweis
Die Abgrenzungsproblematik kann Ihnen auch bei § 239a begegnen. Hier muss der Täter in der Absicht handeln, eine räuberische Erpressung zu begehen. Nach Auffassung des BGH reicht auch die Absicht, einen Raub zu begehen, da dieser ja zugleich eine räuberische Erpressung beinhaltet.
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Folgende Fallgestaltungen können für Sie in der Klausur relevant werden:
a) Der Täter nimmt eine eigene Sache unter Anwendung von Nötigungsmitteln weg
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Beispiel
A hat sein Auto zur Reparatur beim Werkunternehmer W gegeben. Da ihm die Rechnung des W überhöht erscheint, begibt er sich abends auf das Firmengelände, schlägt W mit einem Baseballschläger bewusstlos und verlässt unter Benutzung seines Zweitschlüssels mit seinem Fahrzeug den Hof.
In der Klausur würden Sie in einem solchen Fall mit § 249 beginnen, diesen aber im objektiven Tatbestand ablehnen, weil es sich bei der weggenommenen Sache nicht um eine täterfremde Sache handelt.
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Sie würden danach mit den §§ 253, 255 weitermachen. Im objektiven Tatbestand müssten Sie zunächst danach fragen, ob der Täter Gewalt gegen eine Person eingesetzt hat. Im obigen Beispiel liegt dies in Form von vis absoluta vor. Danach müssten Sie fragen, ob das Opfer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt wurde. In Betracht kommt hier allenfalls die Duldung (durch das bewusstlose Opfer) der eigenmächtigen Wegnahme des Täters. Nunmehr müssten Sie in der Klausur die Frage aufwerfen, ob dies für §§ 253, 255 ausreichend ist. Da der Täter im obigen Beispiel vis absoluta angewendet hat, würde die Lit. die §§ 253, 255 verneinen, da eine Vermögensverfügung des Opfers nicht vorliegt. Der BGH verlangt eine solche Verfügung nicht und würde die Duldung der Wegnahme als ausreichend ansehen. Der Streit müsste in der Klausur von Ihnen entschieden werden.
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Anders stellt sich die Sache hingegen dar, wenn der Täter lediglich vis compulsiva anwendet.
Beispiel
A schlägt dieses Mal Werkunternehmer W nicht bewusstlos, sondern bedroht ihn mit einem Messer. Das Fahrzeug ist in einer separat gesicherten Halle des W untergestellt, die A mit seinem Fahrzeug nur verlassen kann, wenn er einen fünfstelligen Sicherheitscode eingibt, der das Öffnen der Türe bewirkt. W, der weiß, das A diesen Code benötigt, um mit dem Fahrzeug davonzufahren, teilt A diesen Code mit, weil er andernfalls befürchtet, von A niedergestochen zu werden.
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Wendet der Täter nur vis compulsiva an, so muss, selbstverständlich nach zuvoriger Darstellung des Streits, im Wege der Subsumtion in der Klausur überprüft werden, ob nicht nach Auffassung der Literatur eine Vermögensverfügung vorliegt. Kann dies bejaht werden, so ist eine Streitentscheidung entbehrlich. Im obigen Beispiel kann eine solche Vermögensverfügung bejaht werden, da aus Sicht des W eine Mitwirkungshandlung erforderlich ist, mithin eine Entscheidungsalternative besteht. Das Herausgeben des Sicherheitscodes stellt eine freiwillige Vermögensverfügung dar.Teilweise wird in Fällen der beschriebenen Art die Preisgabe des Verstecks bzw. einer Zahlenkombination deswegen nicht als Vermögensverfügung angesehen, weil ihr der unmittelbare vermögensschädigende Charakter fehle. Die Vermögensschädigung trete erst durch ein eigenmächtiges Verhalten des Täters ein (vgl. Rengier, Strafrecht BT I § 11 Rn. 37; Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT/2 Rn. 774). Damit wird jedoch verkannt, dass das Opfer durch die Preisgabe des Verstecks bereits eine schadensgleiche Vermögensgefährdung tätigt, da es nur noch vom Zufall abhängt, ob der Täter entsprechend der Informationen die Sache an sich nimmt (vgl. dazu Hecker JA 98, 305; Küper Festschrift für Theodor Lenckner 1998, S. 506).
b) Der Täter nimmt eine fremde Sache ohne Zueignungsabsicht weg
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Beispiel
Dieses Mal schlägt A den Taxifahrer T mit einem Baseballschläger nieder, setzt sich in sein Taxi und macht damit eine zweitägige Spritztour. Danach stellt er, wie von Anfang an beabsichtigt, das Taxi wieder vor die Haustüre des T.
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In der Klausur würden Sie in diesem Fall mit § 249 beginnen und den Streit ggfs. im Rahmen der Wegnahme diskutieren. Der BGH würde nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzen: Nimmt der Täter sich die Sache weg, so liegt ein Raub gem. § 249 vor. Die Literatur hingegen würde danach fragen, ob die Wegnahme gegen oder ohne den Willen des Opfers erfolgte. Wendet der Täter erneut vis absoluta an, kann kein tatbestandausschließendes Einverständnis vorliegen, so dass immer eine Wegnahme gegeben ist. Wendet der Täter hingegen vis compulsiva an, kommt es, wie schon oben beschrieben, auf die innere Willensrichtung des Opfers an.
Gelangen beide Auffassungen zum selben Ergebnis, erübrigt sich eine Streitentscheidung, es sei denn, Sie wollen der Literatur folgen, die nämlich §§ 253, 255 nicht mehr anprüfen würde, da objektiv eine Wegnahme vorliegt.
Ansonsten steigen Sie in der Klausur in der Zueignungsabsicht aus und prüfen ggfs. die §§ 253, 255.
c) Der Täter nimmt mit Zueignungsabsicht eine fremde bewegliche Sache weg
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Beispiel
Im obigen Beispielsfall möchte A das Taxi nicht nur für eine Spritztour benutzen, sondern an den Hehler H verkaufen und mit dem Erlös seine Rechnung beim Werkunternehmer W bezahlen.
Expertentipp
Gliedern Sie die oben dargestellten Beispiele durch, um Übung zu bekommen für den Ernstfall.
Sie beginnen in der Klausur mit § 249 und stellen erneut bei der Wegnahme den Streit zwischen Rechtsprechung und Literatur dar. Wendet der Täter vis absoluta an, so gelangen beide Auffassungen zum selben Ergebnis, da der Täter in diesen Fällen die Sache immer an sich nehmen wird. Eine Streitentscheidung kommt aus den o.g. Gründen in Betracht. Liegt hingegen vis compulsiva vor, so bedarf es jedenfalls der Streitentscheidung, auch wenn die Literatur in diesem Fall eventuell gem. den §§ 253, 255 und der BGH gem. § 249 verurteilen würde, beide mithin dasselbe Strafmaß zugrundelegen würden.
III. Subjektiver Tatbestand
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Der subjektive Tatbestand entspricht dem Tatbestand des § 263. Insofern wird auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen.
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
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Bei der Rechtswidrigkeit sind zunächst die Rechtfertigungsgründe zu prüfen.
Liegen diese nicht vor, so ist danach zu fragen, ob das Mittel, der Zweck oder die Mittel-Zweck-Relation verwerflich ist. Diese Prüfung entspricht der Prüfung bei § 240 Abs. 2 und ist nur bei der einfachen Erpressung erforderlich.
Bei der Prüfung der Schuld bestehen keine Besonderheiten.
V. Konkurrenzen
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