Inhaltsverzeichnis
- I. Der Anspruch aus § 831 BGB
- 1. Die Prüfungsschritte im Einzelnen
- a) Der Verrichtungsgehilfe
- b) Tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen
- c) In Ausübung der Verrichtung
- d) Rechtswidrigkeit
- e) Keine Exkulpation durch den Geschäftsherrn
- f) Schaden/Art und Umfang des Schadensersatzes
- 2. Weitere Prüfung
I. Der Anspruch aus § 831 BGB
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Prüfungsschema
Wie prüft man: Der Anspruch aus § 831 BGB
I. | Anspruchsentstehung | |
| 1. | Verrichtungsgehilfe |
| 2. | Tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen |
| 3. | In Ausübung der Verrichtung |
| 4. | Rechtswidrigkeit |
| 5. | Keine Exkulpation durch Geschäftsherrn |
| 6. | Ersatzfähiger Schaden |
| 7. | Art und Umfang des Schadensersatzes, §§ 249 ff. BGB |
II. | Rechtsvernichtende Einwendungen | |
III. | Durchsetzbarkeit |
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Der § 831 BGB gehört zu den wichtigsten Haftungstatbeständen, nach denen der Schuldner aus vermutetem Verschulden haftet. Ferner ist diese Norm die zentrale Vorschrift, nach denen ein Dritter (Geschäftsherr) für von einem anderen (Verrichtungsgehilfe) begangenes Unrecht haftet. Dabei ist wichtig zu erkennen, dass § 831 BGB nicht das Verschulden des anderen dem Schuldner zurechnet (im Gegenteil: der Verrichtungsgehilfe muss nicht einmal schuldhaft gehandelt haben).Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 831 Rn. 1. Der Vorwurf gegen den Geschäftsherrn lautet vielmehr, dass er seinen Verrichtungsgehilfen nicht ordnungsgemäß ausgewählt und/oder überwacht hat. Das ist das Verschulden, das vermutet wird und wovon sich der Geschäftsherr erst exkulpieren muss.
1. Die Prüfungsschritte im Einzelnen
a) Der Verrichtungsgehilfe
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Ein Schadenersatzanspruch gegen den Geschäftsherrn kommt nur in Betracht, wenn die Handlung, die zum Schaden geführt hat, von einem Verrichtungsgehilfen des Geschäftsherrn ausgeführt wurde.
Definition
Definition: Zu einer Verrichtung bestellt
Zu einer Verrichtung bestellt ist jemand, wenn er von einem anderen eine Tätigkeit übertragen bekommen hat, unter dessen Einfluss er allgemein oder im konkreten Fall handelt und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht.Palandt-Sprau § 831 Rn. 5; ähnlich: Buck-Heeb Besonderes Schuldrecht Rn. 318.
Das „Paradebeispiel“ des Verrichtungsgehilfen ist damit der Arbeitnehmer des Geschäftsherrn. Selbstständig handelnde Subunternehmer, wie z.B. der Handelsvertreter sind damit keine Verrichtungsgehilfen, da es an der Abhängigkeit mangelt.
Hinweis
Auch hierin unterscheidet sich der Begriff des Erfüllungsgehilfen von dem des Verrichtungsgehilfen. Erfüllungsgehilfe ist, wessen sich der Vertragspartner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient. Das sind also diejenigen Personen, die nach den tatsächlichen Verhältnissen mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesen treffenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird.Vgl. Bönninghaus, „Schuldrecht AT II“, Rn. 57. Auf die Frage einer Abhängigkeit kommt es beim § 278 BGB nicht an.
Auch dogmatisch sind § 278 BGB und § 831 BGB völlig konträr. § 278 BGB rechnet dem Schuldner das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen zu. § 831 BGB lässt den Geschäftsherrn haften, weil der Verrichtungsgehilfe einen Schaden rechtswidrig (aber nicht zwingend schuldhaft) verursacht hat und der Geschäftsherr bei der Auswahl und/oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen schuldhaft gehandelt hat.
b) Tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen
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Die zweite Voraussetzung des § 831 BGB ist, dass der Verrichtungsgehilfe tatbestandsmäßig und rechtswidrig eine unerlaubte Handlung begangen hat. In aller Regel dürfte es sich um eine unerlaubte Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB handeln. § 831 BGB gilt aber für alle unerlaubten Handlungen gemäß der §§ 823 bis 826 BGB und den Tatbeständen der §§ 832 ff. BGB.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 831 Rn. 8.
Wie erwähnt, ist nicht erforderlich, dass der Verrichtungsgehilfe schuldhaft gehandelt hat. Der Geschäftsherr haftet also z.B. auch dann, wenn der Verrichtungsgehilfe nach § 827 BGB schuldunfähig war.
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Zwei Probleme können sich aber bei der Frage des Verschuldens stellen:
Manche Haftungsnormen sind schon auf der Ebene des Tatbestandes durch subjektive Elemente geprägt. Dies gilt vor allem für den eben besprochenen § 826 BGB oder die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, das zu seiner Verwirklichung beispielsweise Vorsatz verlangt. In diesen Fällen ist anerkannt, dass auch die Haftung des Geschäftsherrn nur dann greifen kann, wenn der Verrichtungsgehilfe seinerseits die unerlaubte Handlung schuldhaft begangen hat.
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Viel diskutiert wird auch der Fall, in dem der Verrichtungsgehilfe plakativ formuliert „alles richtig“ gemacht hat und trotzdem ein Schaden entsteht.
Beispiel
Busfahrer B muss, um einen schweren Unfall zu vermeiden, bremsen. Dabei kommt Fahrgast G zu Fall und verletzt sich. G nimmt den Arbeitgeber des B aus § 831 BGB in Anspruch und argumentiert, dass ein Verschulden schließlich nicht erforderlich sei.
Diese und ähnlich Fälle können auf zwei Wegen gelöst werden. Entweder akzeptiert man einen Rechtsfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens.Siehe dazu oben Rn. 548. Dann liegt keine rechtswidrige unerlaubte Handlung vor und § 831 BGB greift nicht.
Die zweite Möglichkeit ist eine teleologische Reduktion der Haftung nach § 831 BGB mit dem Argument des Schutzzwecks der Norm vorzunehmen. Wenn der Verrichtungsgehilfe deswegen nicht haftet, weil er sich objektiv richtig und vernünftig verhalten hat, muss die Anwendung des § 831 BGB ausscheiden, weil diese Norm nicht eine Erweiterung der Haftung des Geschäftsherrn auf solche Fälle bezweckt.So z.B. Looschelders, Schuldrecht BT, § 67 Rn. 7.
c) In Ausübung der Verrichtung
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Die Schädigung durch den Verrichtungsgehilfen muss in Ausübung der Verrichtung, nicht nur bei Gelegenheit derselben erfolgt sein.
Definition
Definition: in Ausübung der Verrichtung
Der Verrichtungsgehilfe handelt in Ausübung der Verrichtung und nicht nur bei Gelegenheit, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen aufgetragener Verrichtung und Schadenszufügung besteht.Vgl. Buck-Heeb, Besonderes Schuldrecht/2, Rn. 320.
Die Abgrenzungsfrage stellt sich immer dann, wenn der Verrichtungsgehilfe seinen Aufgabenbereich dazu nutzt, Dritte zu schädigen, obwohl es mit seiner eigentlichen Aufgabe nichts oder wenig zu tun hat.
Beispiel
Geselle G des Malermeisters M stiehlt während der Ausführung eines Auftrages die herumliegende Armbanduhr des Bestellers B.
Kurierfahrer K weicht weisungswidrig von seiner Fahrroute ab, um private Dinge zu erledigen. Dabei verursacht er einen Verkehrsunfall, bei dem B geschädigt wird.
Allein die Tatsache, dass der Verrichtungsgehilfe von Weisungen des Geschäftsherrn abweicht, macht sein Handeln noch nicht zu einem „bei Gelegenheit der Ausführung“. Der Diebstahl der Uhr aber steht nur noch in einem äußeren Zusammenhang mit der Verrichtung, nicht aber mehr im von der herrschenden Meinung geforderten inneren Zusammenhang.A.A. Looschelders, Schuldrecht BT, § 67 Rn. 9 m.w.N. Noch deutlicher wird es in dem zweiten Beispiel: Hier handelt K „rein privat“. Es ist nicht einmal ein äußerer Zusammenhang mit seiner eigentlichen Aufgabe erkennbar.
d) Rechtswidrigkeit
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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die Haftung nach § 831 BGB nur greift, wenn sich auch der Geschäftsherr nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann. Allerdings dürften Fälle, in denen zwar der Verrichtungsgehilfe rechtswidrig gehandelt hat (sonst würde der Anspruch schon unter 2. scheitern), der Geschäftsherr sich aber erfolgreich auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann, kaum denkbar sein.Vgl. Buck-Heeb, Besonderes Schuldrecht/2, Rn. 321.
e) Keine Exkulpation durch den Geschäftsherrn
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Seinen Charakter als Haftungsnorm aus vermutetem Verschulden bezieht § 831 BGB durch den S. 2 des Absatzes 1. Danach tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Geschäftsherr nachweist, dass er den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausgewählt und überwacht hat oder der Schaden auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt entstanden sein würde (Exkulpationsbeweis).
Normalerweise hat der Anspruchssteller in einem Zivilprozess alle Umstände darzulegen und zu beweisen, die seinen Anspruch stützen. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB ist eine Umkehr von dieser Beweislast.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 831 Rn. 18. Der Geschäftsherr muss beweisen, dass er die erforderliche Sorgfalt bei Auswahl und/oder Überwachung des Verrichtungsgehilfen hat walten lassen.
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Die Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen an diesen Entlastungsbeweis.Vgl. Looschelders, Schuldrecht BT, § 67 Rn. 11. Natürlich kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an, welche Anforderungen an den Geschäftsherrn zu stellen sind. Als Leitlinie sollten sie sich folgende Definition merken:
Der Geschäftsherr hat durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass er für die Verrichtungen nur geeignete Personen auswählt. Er muss ferner diese Personen bei der Ausübung ihrer Verrichtungen regelmäßig überwachen. Maß und Umfang dieser Pflichten richten sich nach der Verkehrsanschauung, der Art der Verrichtung und den Besonderheiten des Einzelfalles.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 831 Rn. 10.
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Da insbesondere bei Großbetrieben der Geschäftsherr nicht jeden einzelnen seiner Verrichtungsgehilfen persönlich selbst auswählen und überwachen kann, räumt die Rechtsprechung die Möglichkeit des dezentralisierten Entlastungsbeweises ein.Vgl. Palandt/Sprau, BGB § 831 Rn. 11; Looschelders, Schuldrecht BT, § 67 Rn. 13. Der Geschäftsherr kann also sich damit exkulpieren, dass er einen Personalleiter sorgfältig ausgewählt und überwacht hat. Dass dieser Personalleiter dann denjenigen, der den Schaden tatsächlich verursacht hat, nicht sorgfältig ausgewählt und überwacht hat, schadet dann nicht mehr.
Hier scheint es eine Privilegierung von Großbetrieben zu geben. Allerdings wird diese „Wohltat“ durch die Rechtsfigur der Haftung aus Organisationsverschulden sogleich wieder eingeschränkt.
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Sie erinnern sich an die Haftung wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten? Einer der dort behandelten Haftungstatbestände war die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Organisationsverschulden (siehe oben Rn. 504).Vgl. hierzu auch Buck-Heeb, Besonderes Schuldrecht/2, Rn. 325 ff.
Zur Wiederholung: Der Geschäftsherr hat die Pflicht, seinen Betrieb so zu organisieren, dass für Dritte keine vermeidbaren Gefahren entstehen. Verletzt er diese VSP, haftet er aus § 823 Abs. 1 BGB (alle weiteren Merkmale unterstellt) und nicht nur nach § 831 BGB. Der Vorteil für den Geschädigten: Bei der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB kann sich der Geschäftsherr nicht exkulpieren. Nachteil: Die Beweislast liegt wieder grundsätzlich bei ihm.
Liegt also die Verletzung von VSP im Sinne eines Organisationsverschuldens vor, haftet der Geschäftsherr selbst nach § 823 Abs. 1 BGB.
f) Schaden/Art und Umfang des Schadensersatzes
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Hier gelten keine Besonderheiten. Auf die Ausführungen oben unter Rn. 616 ff. wird Bezug genommen.
2. Weitere Prüfung
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Das Erlöschen des Anspruchs und die Durchsetzbarkeit richten sich nach den allgemeinen Regeln.