Nach h.M. kommt es bei der Beurteilung auf den Rücktrittshorizont an, also den Zeitpunkt nach Vornahme der letzten Ausführungshandlung. Glaubt der Täter nun, die Tat nicht mehr vollenden zu können, dann liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor.
Bei einem mehraktigen Geschehen ist es nun wichtig, ob man die einzelnen Akte als ein einheitliches Geschehen betrachtet, wie es die h.M. mit der „Gesamtbetrachtungslehre“ macht, oder ob man sich nur die jeweiligen einzelnen Akte ansieht. Für die Gesamtbetrachtungslehre spricht der Opferschutz und der Umstand, dass man ansonsten von vorneherein mehraktig planende Täter privilegieren würde (dazu ausführlich: https://www.juracademy.de/strafrecht-at2/ruecktritt-versuch.html).
Wesentlich ist aber nach h.M., dass „die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen“ bilden (BGH NStZ 2020, 82). Dazu folgender Sachverhalt
Der Angekl. schlug im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Tretroller in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten. Dabei hielt er für möglich, dass er diesen am Kopf treffen und ihn töten könnte, und nahm dies „zumindest“ billigend in Kauf. Er traf den Geschädigten an der linken Schulter; dieser erlitt hierdurch ein großflächiges und schmerzhaftes Hämatom. Anschließend führte der Angekl. „weitere Schläge in der vorbeschriebenen Art und Weise“ aus. Dabei traf der erste der insgesamt neun weiteren Schläge die Wand des Flures, in dem sich der Angekl. und der Geschädigte befanden; anschließend floh der Geschädigte in ein Zimmer und schloss die Türe; die weiteren Schläge „schlugen daher in die verschlossene Zimmertür ein“. Hierdurch entstanden mehrere tiefe Kerben; die Beschädigung der Türe nahm der Angekl. billigend in Kauf. Der Angekl. holte nunmehr zu einer weiteren Schlagbewegung aus; bevor er den Schlag ausführen konnte, griff ein Zeuge in das Geschehen ein und nahm dem Angekl. den Tretroller ab (BGH NStZ 2020, 82).
Sofern der Täter hier bis zum letzten Schlag Tötungsvorsatz hatte, kann ein fehlgeschlagener Versuch angenommen werden, da das Opfer sich in seinem Zimmer verbarrikadiert hatte und die Schläge nur noch gegen die Türe erfolgen konnten. Der BGH hat aber darauf aufmerksam gemacht, dass ein Vorsatzwechsel nach dem ersten Schlag in Betracht kommen könnte mit der Folge, dass der Täter anschließend nur noch Sachbeschädigungen begehen wollte, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. Dann wäre das Vorstellungsbild des Täters zu dem Zeitpunkt wichtig, zu dem das Opfer sich noch nicht verbarrikadiert hatte. Glaubte er nun den Erfolg noch herbeiführen zu können und schlug er gleichwohl nur gegen die Wand, dann läge ein unbeendeter, noch rücktrittsfähiger Versuch vor, von dem der Täter, indem er nur noch gegen die Wand und nicht gegen das Opfer schlug, zurückgetreten sein könnte.
Expertentipp
Beachten Sie also die genauen Angaben im Sachverhalt. Wie immer gilt, dass alles, was im Sachverhalt der Klausur erwähnt wird, grundsätzlich für die Lösung wichtig ist. Nach der Gesamtbetrachtungslehre kann nur dann auf den letzten Zeitpunkt abgestellt werden, wenn der Täter durchgängig den Vorsatz hatte, die jeweilige Norm zu vollenden. Ändert er seinen Vorsatz, dann stellt diese Änderung eine Zäsur dar.