Mit dieser Frage mussten sich in 2019/2020 zwei unterschiedliche Senate des BGH auseinandersetzen.
In einem Fall hebelte der Täter ein Küchenfenster eines Einfamilienhauses auf, um stehlenswerte Gegenstände mitzunehmen. Unmittelbar nach dem Aufhebeln, wurde er von einer Nachbarin entdeckt, weswegen er das Weite suchte (BGH JuS 2020, 796).
In dem anderen Fall wollte der Täter einen Zigarettenautomaten aufbrechen, um Geld und Zigaretten zu entwenden. Er verhüllte den Automaten mit einer Plane, um Geräusche zu dämpfen. Mitgebracht hatte verschiedene Werkzeuge, u.a. einen Schraubenzieher und einen Kuhfuß aber auch einen Trennschleifer, für den er Strom benötigte. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich in der Nähe keine Steckdose befand, bemerkte, er, dass er entdeckt worden war und floh vom Tatort (BGH JuS 2020, 798).
In beiden Fällen würden Sie in der Klausur direkt mit der Prüfung des versuchten Diebstahls beginnen, da es offensichtlich ist, dass es nicht zu einer Wegnahme gekommen ist. Diesen Umstand führen Sie dann in der Vorprüfung aus.
Im 1. Fall kommt ein qualifizierter Wohnungseinbruchdiebstahl gem. §§ 242 I, 244 IV StGB in Betracht. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Einfamilienhaus um eine dauerhaft genutzte Privatwohnung handelt (bei einem Ferienhaus: I Nr. 3). Der Tatentschluss des Täters muss sich also auf das Einbrechen und/oder Einsteigen in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung sowie auf die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mit rechtswidriger Zueignungsabsicht richten.
Im 2. Fall kommt ein versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall in Betracht. Hier prüfen Sie beim Tatentschluss nur, ob der Täter mit rechtswidriger Zueignungsabsicht eine fremde bewegliche Sache wegnehmen wollte. Die Voraussetzungen des § 243 I 2 Nr. 2 StGB werden nach der Schuld geprüft, da es sich um eine Strafzumessungsnorm handelt.
Problematisch ist das unmittelbare Ansetzen zu den Taten. Nach der gängigen Definition liegt ein unmittelbares Ansetzen vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat mit seiner Handlung / seinem Unterlassen die Schwelle zum „jetzt geht`s los“ überschritten hat, nach seiner Vorstellung keine wesentlichen Zwischenschritte zur Vollendung mehr erforderlich sind und nach seiner Vorstellung das Rechtsgut bereits konkret gefährdet ist.
Der Umstand, dass der Täter zur Verwirklichung der Qualifikation bzw. des Regelbeispiels angesetzt hat, bedeutet für sich genommen noch gar nichts. Wesentlich für die Versuchsstrafbarkeit ist ausschließlich, dass der Täter zur Verwirklichung des Grunddelikts unmittelbar ansetzt. Dieses unmittelbare Ansetzen kann in den oben genannten Fällen in dem unmittelbaren Ansetzen zum Einsteigen bzw. Aufbrechen liegen, muss aber nicht. Gleiches gilt für die Fälle, in denen das Ein- bzw. Aufbrechen bereits gelungen ist (im 1. Fall hat der Täter bereits das Fenster aufgehebelt und ist damit bereits eingebrochen). Damit hat der Täter zwar eine oder die erste Wegnahmesicherung überwunden. Ob er aber unmittelbar angesetzt hat, hängt nun z.B. davon ab, was er mitnehmen möchte. Muss er im Haus zunächst noch einen Tresor finden und aufbrechen, dann stellt ein Einsteigen oder Einbrechen womöglich noch kein unmittelbares Ansetzen dar. Hat er hingegen das nötige Werkzeug und die nötige Fachkenntnis und vielleicht noch das ganze Wochenende Zeit, da die Eigentümer verreist sind, dann kann ein unmittelbares Ansetzen bejaht werden.
Expertentipp
Im Ergebnis ist mit entsprechender Argumentation unter Ausschöpfung der Anhaltspunkte im Sachverhalt und bei lebensnaher Betrachtung vieles vertretbar, da es sich um eine Wertungseben handelt. Sollten Sie sich in einer Klausur nicht sicher sein, "schielen" Sie immer auch auf das Ende der Prüfung.
Der BGH hat in beiden Fällen das unmittelbare Ansetzen bejaht. Im ersten Fall ist es ohne weiteres nachvollziehbar. Der Täter hatte das Fenster bereits aufgehebelt und hätte nun ungehindert einsteigen können, wäre es nicht überrascht worden. Er musste im Haus nach seiner Vorstellung auch nichts weiteres Aufbrechen oder gar suchen, da sein Vorsatz auf „alles Stehlenswerte“ gerichtet war.
Im 2. Fall ist die Lage nicht so eindeutig. Dem Täter kam es wohl vornehmlich darauf an, den Automaten mit einem Trennschleifer zu öffnen, wofür er Strom brauchte, den er aber nicht fand. Zwar hatte er auch andere Werkzeuge dabei, mit denen er sich behelfen konnte, gleichwohl war noch nicht viel mehr passiert, als dass der Täter den Automaten verhüllt hatte. Der BGH hat das unmittelbare Ansetzen bejaht, indem er darauf hingewiesen hat, der Automat sei durch die Plane dem Blick anderer entzogen worden und dadurch in besonderer Weise dem Zugriff des Angeklagten ausgesetzt gewesen.
Dies kann man mit guten Argumenten anders beurteilen. Dann würde man sich aber den Weg versperren, den „Klausurklassiker – Versuch und Regelbeispiel“ zu diskutieren. Bejaht man das unmittelbare Ansetzen muss man sich nachfolgend damit auseinandersetzen, ob auch das Regelbeispiel verwirklicht ist. Verneint man das unmittelbare Ansetzen hingegen, kommt man nicht mehr zu dieser Diskussion, da diese nach der Schuld zu führen ist.