Die Berlinerinnen und Berliner haben sich am 26. September für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen. Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen – Spekulation bekämpfen“ wollte durch einen Volksentscheid ein Vergesellschaftungsgesetz auf den Weg bringen, das gewinnorientierte Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung überführen soll – mit Erfolg: 56,4 Prozent der Berliner Abstimmungsberechtigten stimmten dafür, 39,0 Prozent lehnten das Vorhaben ab. Gleichzeitig wurde das nötige Mindestquorum für die Zustimmung von einem Viertel der Wahlberechtigten erreicht. Damit ist der Berliner Senat laut Beschlusstext nun aufgefordert, „alle Maßnahmen einzuleiten“, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten. Im Visier des Entscheids stehen ein Dutzend Immobilienunternehmen die etwa 240.000 Wohnungen in Berlin verwalten.
Jedoch: das Votum ist für die Politik rechtlich nicht bindend. Abgestimmt wurde nämlich nicht über einen konkreten Gesetzentwurf, der durch einen erfolgreichen Volksentscheid direkt beschlossen hätte werden können. Der neue Senat und das neu gewählte Abgeordnetenhaus werden sich aber mit dem Votum auseinandersetzen müssen und haben auch schon signalisiert dies zu tun. Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey steht dem Vorhaben skeptisch gegenüber und sagte hierzu im rbb: „Es muss jetzt auch die Erarbeitung eines solchen Gesetzentwurfes erfolgen. Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden.“ Der künftige Senat müsse überlegen, was verfassungsrechtlich möglich sei. Berlin dürfe sich kein weiteres negatives Urteil beim Bundesverfassungsgericht holen, warnte Giffey. Das höchste deutsche Gericht hatte zuletzt den Berliner Mietendeckel gekippt (BVerfG, Beschl. v. 15.04.2021, Az: 2BvF 1/20, 2BvL 4/20 und 2 BvL 5/20 - s. auch unseren Beitrag hierzu). Die Berliner Linkspartei sieht in dem positiven Votum einen klaren Auftrag für die Politik. „Daran kann man nicht vorbeigehen“, so die Landesvorsitzende Katina Schubert zur dpa. „Da muss man jetzt die allerbesten Juristinnen und Juristen dransetzen, um ein Gesetz zu erarbeiten, welches rechtssicher funktioniert. Das ist der Auftrag für den neuen Senat.“ Ähnlich sieht es die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch: „Das gehört in Koalitionsverhandlungen“. Die Politik müsse das Ergebnis „ernstnehmen“ und nun prüfen, ob eine Umsetzung machbar sei. Es gäbe „für ein solches Gesetz aber noch viele rechtliche und praktische Fragen zu klären“ so Jarasch ebenfalls zur dpa. Sie warb dort als Alternative für ihr Konzept eines „Mietenschutzschirms“, also eines freiwilligen Pakts zwischen Politik, Vermietern und anderen Beteiligten für Neubau und faire Mieten.
Der Staatsrechtler Prof. Christian Pestalozza von der FU Berlin hatte ein umfangreiches Gutachten erstellt (https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/weitere-informationen/artikel.568776.php) und sagte zum rbb: „Wozu das Abgeordnetenhaus den Senat nicht zwingen kann das kann auch nicht per Volksentscheid erzwungen werden.“ Der größte deutsche Immobilienkonzern Vonovia warnte vor einer jahrelangen Hängepartie: „Enteignungen lösen nicht die vielfältigen Herausforderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt“. Das Wohnungsunternehmen Vonovia hat mittlerweile die Aktienmehrheit am Konkurrenten Deutsche Wohnen erreicht, laut dpa habe sich Vonovia 50,49 Prozent des Grundkapitals und der Stimmrechte der Deutsche Wohnen gesichert. Die Deutsche Wohnen hält vor allem Wohnungen in Berlin, Vonovia besitzt jeweils Zehntausende Wohnungen im Ruhrgebiet, in Dresden und im Rhein-Main-Gebiet. Käme das Vorhaben erfolgreich zum Abschluss, entstünde Europas größter Immobilienkonzern mit fast 600.000 Wohnungen.
Wohnraum wird immer knapper und teuer – vor allem im Herz von Großstädten. Die bisher hiergegen ergriffenen Rechtsinstrumente – Mietpreisbremse, Milieuschutzverordnungen, etc. – sind stark umstritten und begegnen teils heftigen rechtlichen Bedenken (s. dazu unseren Beitrag). Vor allem aber: alle Maßnahmen haben sich als kaum effektiv gegen immer weiter steigende Mieten erwiesen. Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen – Spekulation bekämpfen“ stützt ihr Anliegen auf Art. 15 GG und beruft sich zudem auf Art. 28 Abs. 1 der Berliner Landesverfassung, der jedem Menschen ein Recht auf angemessenen Wohnraum garantiert und dem Land dafür eine besondere Verantwortung zuspricht. Die Verfassung eröffnet hier eine Eigentums- und Wirtschaftsordnung jenseits des (freien) Marktes. Grund und Boden, damit auch Eigentum an Wohnungen, kann diesem Spiel der Kräfte entzogen werden, um dieses in andere, bestenfalls sozialere, Eigentumsformen zu überführen. Damit bietet das Grundgesetz veritable Handlungsalternativen für eine soziale Wohnpolitik.
Lange gibt es ihn schon – zur Anwendung kam er nie: Art. 15 GG ermächtigt die demokratische Gesetzgebung dazu, Grund und Boden zu sozialisieren, d. h. in privates Eigentum zugunsten der Sozialisierung einzugreifen. Eine solche Überführung von Privateigentum in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft darf lediglich zum Zweck der Sozialisierung erfolgen, also einer wirtschaftlichen Handlungsform, die nicht der privaten Gewinnerzielung, sondern der Bedürfnisbefriedigung der Allgemeinheit dient. Um dieses Ziel zu verwirklichen schlägt die Berliner Initiative eine Überführung der privaten Wohnungsbestände größerer privater Anleger in eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit einem demokratisch gewählten Verwaltungsrat vor. Hierdurch soll eine gemeinwirtschaftliche Bedarfsdeckung sichergestellt werden. Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen – Spekulation bekämpfen“ hatte dafür zunächst knapp 350.000 Unterschriften gesammelt um einen Volksentscheid nach Art. 59 Abs. 2, Artt. 61-63 LVerf Berlin herbeizuführen und damit die notwendige Zahl an Unterschriften weit überschritten.
Die Regelung in Art. 15 GG ist Ausdruck des wirtschaftspolitischen Kompromisses des Grundgesetzes. Dieses ist, wie es das Bundesverfassungsgericht mehrfach formuliert hat, wirtschaftspolitisch neutral, schreibt also keine konkrete Wirtschaftsordnung vor. Dies bedeutet eine private Eigentumsgarantie, die aber beschränkt ist. So existiert nach Art. 14 Abs. 1 GG kein „natürliches“ Eigentum, vielmehr werden Inhalt und Grenzen des Eigentums durch die Gesetzgebung definiert. Darüber hinaus sieht Art. 14 GG in Abs. 2 die Sozialpflichtigkeit des Eigentums vor und regelt in Abs. 3 lediglich eine „angemessene“ Entschädigung, d. h. keine zwingende Entschädigung zum Verkehrswert. Dabei eröffnet Art. 15 GG die Möglichkeit bisher privates in demokratisch verwaltetes Eigentum zu transformieren und damit eine andere, nicht notwendig kapitalistisch, organisierte Wirtschaftsordnung zu etablieren. Kurzum: die konkrete Eigentums- und Wirtschaftspolitik liegt in den Händen der demokratische legitimierten Legislative. Hierbei geht es nicht um eine grundsätzliche „Systemfrage“, jedoch demonstriert Art. 15 GG, dass Handlungsmöglichkeiten jenseits einer bloßen Regulierung des privaten Wohnungsmarktes existieren.
Die Entschädigung ist nach Art. 15 S. 2 GG i.V.m. Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Während die Initiative hier Ausgleichszahlungen von 7,3 bis 13,7 Milliarden € veranschlagt, die komplett durch Mieteinnahmen zu decken wären, geht der Senat von 28,8 bis 36 Milliarden aus die als Entschädigung zu zahlen wären. Ob die Enteignung auch Genossenschaften mitumfassen würde ist umstritten. Das wird auch die Frage nach der Gleichbehandlung auf: Strittig ist, ob und inwieweit eine Ungleichbehandlung von privaten und öffentlichen/genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen dadurch gerechtfertigt werden kann, dass eine soziale Miethöhe bei landeseigenen Wohnungen durch öffentliche Regulierung gewährleistet werden kann bzw. Genossenschaften durch einen - von den Mitgliedern demokratisch legitimierten - Vorstand geleitet werden und gem. § 1 GenG diesen verpflichtet sind und eben nicht gewinnorientiert handeln. Auch der Schwellenwerte von 3.000 Wohnungen wird als taugliches Kriterium gesehen, bringt die Menge doch eine gewisse Marktmacht und wirtschaftliche Bedeutung der Unternehmen zum Ausdruck.
Vorbilder in Europa gibt es bereits: In Wien etwa verwaltet, saniert und bewirtschaftet die Stadt rund 220.000 Wohnungen; 31 % der Wiener leben im Gemeindebau (rund 500.000 Menschen), wodurch die Stadt Wien der größte Immobilienbesitzer Europas ist.