Grundsätzlich gilt, dass der Selbstmord straflos ist. Dies ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der §§ 211, 212 StGB, kann aber aus dem Wortlaut des § 216 I StGB entnommen werden, da hier der Täter aufgrund des Verlangens des Getöteten, also einer anderen Person, zur Tötung bestimmt wurde. Außerdem ergibt sich die Straflosigkeit aus dem, der Menschenwürde entspringenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I i.V.m. 1 I GG. Danach gibt es ein Recht auf Leben aber keine Pflicht zum Leben.
Aus der Straflosigkeit der Selbsttötung folgt, dass grundsätzlich Teilnehmerhandlungen straflos sind, da die §§ 26 und 27 StGB eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraussetzen. Ein Dritter kann also nur dann bestraft werden, wenn er täterschaftlich die Tötung eines anderen bewirkt. Dies ist z.B. möglich durch das sorgfaltspflichtwidrige Liegenlassen einer geladenen Schusswaffe, mit der spätere Opfer sich dann erschießt (§ 222 StGB), durch eine Täuschung oder Drohung, die dazu führt, dass das Opfer sich selber tötet (§§ 212, (211), 25 I 2. Alt StGB – „Siriusfall“ - https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/der-sirius-fall-ein-klassiker-den-sie-kennen-sollten) oder in gewissen Konstellationen durch das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen (§§ 216, 13 – „GBL-Fall - https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/ueberwachergarant-eigenverantwortliche-selbstgefaehrdung).
Um zu klären, ob eine straflose Teilnahme an einer Selbsttötung oder aber eine täterschaftliche Tötung eines anderen vorliegt, kommt es maßgeblich darauf an, ob eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers = freiverantwortlicher Suizid vorliegt oder nicht. Sofern eine solche Selbstgefährdung bejaht wird, ist das Handeln oder Unterlassen eines Dritten nach dem StGB grundsätzlich straflos. Kennen sollten Sie die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2019, mit welcher dieser sich von der Strafbarkeit eines anwesenden Garanten bei einem Suizid gem. §§ 216, 13 StGB verabschiedet hat (https://www.youtube.com/watch?v=tfU1IKg5yHE&t=58s).
Mit § 217 StGB hatte der Gesetzgeber aber nun eine eigentlich straflose Teilnehmerhandlung unter Strafe gestellt und damit einem Sterbewilligen faktisch die Möglichkeit genommen, sich in menschenwürdiger Weise selbst zu töten. Durch das weit gefasste Tatbestandsmerkmal der „Geschäftsmäßigkeit“ wurden nicht nur Tätigkeiten von Mitarbeitern von Sterbehilfevereinen erfasst, sondern auch solche von z.B. Hausärzten, die aufgrund einer Gewissensentscheidung Sterbewilligen Medikamente überließen. Diese Norm hat das BVerfG nun für nichtig erklärt. Die Leitsätze der Entscheidung (BVerfG, Urteil v. 26.02.2020 – 2 BvR 2347/15) lauten wie folgt:
- a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.
- b) Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.
- c) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.
- Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Das in § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung macht es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.
- a) Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist am Maßstab strikter Verhältnismäßigkeit zu messen.
- b) Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist zu berücksichtigen, dass die Regelung der assistierten Selbsttötung sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutzaspekte bewegt. Die Achtung vor dem grundlegenden, auch das eigene Lebensende umfassenden Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sich in eigener Verantwortung dazu entscheidet, sein Leben selbst zu beenden, und hierfür Unterstützung sucht, tritt in Kollision zu der Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber auch das hohe Rechtsgut Leben zu schützen.
- Der hohe Rang, den die Verfassung der Autonomie und dem Leben beimisst, ist grundsätzlich geeignet, deren effektiven präventiven Schutz auch mit Mitteln des Strafrechts zu rechtfertigen. Wenn die Rechtsordnung bestimmte, für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stellt, muss sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt.
- Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB verengt die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt.
- Niemand kann verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.
Zu beachten ist, dass eine Strafbarkeit unter den Voraussetzungen des § 29 BtMG – abhängig von der Dosierung und dem Medikament, was überlassen / verschreiben wird – nach wie vor möglich ist. Kennen sollten Sie hier aber die Entscheidung des BVerwG vom 02.03.2017 (Az. 3 C 19.15), mit welcher das Gericht folgendes festgestellt hat:
- Der Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung ist grundsätzlich nicht erlaubnisfähig.
- Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.
- Im Hinblick auf dieses Grundrecht ist § 5Abs. 1 Nr. 6 BtMG dahin auszulegen, dass der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung mit dem Zweck des Gesetzes ausnahmsweise vereinbar ist, wenn sich der suizidwillige Erwerber wegen einer schweren und unheilbaren Erkrankung in einer extremen Notlage befindet.
- Eine extreme Notlage ist gegeben, wenn - erstens - die schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden, insbesondere starken Schmerzen verbunden ist, die bei dem Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen und nicht ausreichend gelindert werden können, - zweitens - der Betroffene entscheidungsfähig ist und sich frei und ernsthaft entschieden hat, sein Leben beenden zu wollen und ihm - drittens - eine andere zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht zur Verfügung steht.
Hinweis
Des Weiteren sehen in 10 Bundesländern die jeweiligen Berufsordnungen der Ärzte noch ein Verbot der Überlassung von Medikamenten zum Zweck der Selbsttötung vor. Bei einem Verstoß kann dem jeweiligen Arzt der Verlust seiner Approbation drohen. Ob diese Regelungen vor dem Hintergrund der heutigen Entscheidung noch verfassungskonform sind, darf bezweifelt werden.