Folgender, etwas absurd anmutender Sachverhalt stand zur Beurteilung:
Der Angeklagte A spiegelte der jungen, von ihm abhängigen Frau F vor, er sei ein Abgesandter des Planeten Sirius, der auf der Erde sei, um einige wertvolle Menschen auf seinen Planeten zu bringen. Voraussetzung für diese Reise - nach dem völligen Zerfall von Körper und Seele - sei jedoch eine geistige und philosophische Weiterentwicklung. Um diese zu erlangen zahlte F zunächst hohe Geldbeträge, damit ein Mönch in ihrem Sinne für sie meditiere und sie transformiere. Nachdem das nach Aussage des A aufgrund innerer Widerstände der F jedoch nicht geklappt habe, spiegelte ihr vor, in einem roten Raum am Genfer See stehe für sie ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als Künstlerin wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne. Auch in ihrem neuen Leben benötige, sie jedoch Geld. Es lasse sich dadurch beschaffen, daß sie eine Lebensversicherung über 250000 DM (bei Unfalltod 500000 DM) abschließe, ihn unwiderruflich als Bezugsberechtigten bestimme und durch einen vorgetäuschten Unfall aus ihrem “jetzigen Leben" scheide. Nach Auszahlung werde er ihr die Versicherungssumme überbringen. Nach genauer Instruktion des A versuchte die Frau sich alsdann zu töten, indem sie einen eingeschalteten Fön in die mit Wasser gefüllte Badewanne warf, wobei ihr der Umstand der Selbsttötung verschleiert bleibt. Sie ging davon aus, dass sie lediglich ihre körperliche Hülle wechsele und ansonsten unverändert weiter lebe.
Hier hat der BHG die versuchte Tötung (die Frau hat überlebt) in mittelbarer Täterschaft bejaht, da der Suizidentin der Umstand nicht bekannt war, dass sie eine Ursache für ihren eigenen Tod setzte. Sie unterlag mithin einer zielgerichteten Täuschung des A, der die genauen Umstände kannte. Der A war hier Täter eines Tötungsdeliktes kraft überlegenden Wissens. Durch dieses Wissen lenkte er die Suizidentin und machte sie zum Werkzeug gegen sich selbst.
In der Klausur müssten Sie überprüfen, ob der Tatentschluss des A auf eine Tötung in mittelbarer Täterschaft gerichtet war. Voraussetzung dafür ist, dass die von F vorgenommene Handlung dem A gem. § 25 Abs. 1 2. Alt. zugerechnet werden kann. Das ist der Fall, wenn A gegenüber F die Tatherrschaft besaß. Tatherrschaft besitzt, wer die Tat kraft überlegenen Wissens oder Wollens beherrscht und damit steuert. Fraglich ist, ob A nach seiner Vorstellung von der Tat diese Tatherrschaft besessen hat. Dies wäre zu bejahen, wenn die F sich nicht eigenverantwortlich selbst gefährdet hätte, als sie den Fön in Badewanne warf.
In Rechtsprechung und Literatur ist in Fallkonstellationen dieser Art umstritten, unter welchen Voraussetzungen die Eigenverantwortlichkeit abzulehnen und die mittelbare Täterschaft anzunehmen ist.
Die sog. Schuldlösung zieht die §§ 3 JGG, 16, 19, 20, 35 StGB analog heran und verweist darauf, dass aus den Exkulpationsregeln hervorgehe, bis zu welcher Grenze jeder für sein Verhalten einzustehen habe. Es liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, wenn das Opfer, hätte es einen Dritten getötet, strafbar gewesen wäre.
Nach der überwiegend vertretenen Einwilligungslösung ist eine Orientierung an dem Rechtsgedanken der rechtfertigenden Einwilligung geboten. Danach sollen die Anforderungen, die an eine Verfügung über das eigene Leben zu stellen sind nicht geringer sein, als bei einer Verfügung beispielsweise über die körperliche Integrität. Voraussetzung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist mithin,
– dass das Opfer verantwortungsfähig ist, was der Fall ist, wenn es aufgrund seiner geistigen und sittlichen Reife in der Lage ist, die Tragweite seines Handelns zu erkennen und entsprechend zu handeln und
– wenn die Entscheidung keine wesentlichen Willensmängel aufweist, was zu bejahen ist, wenn sie weder durch Täuschung noch durch Drohung oder Zwang zustande gekommen ist. Umstritten ist, ob ein Irrtum, der nicht rechtsgutbezogen ist, Auswirkungen hat auf die Eigenverantwortlichkeit. Dieser Streit wird ausführlich dargestellt bei der rechtfertigenden Einwilligung (siehe Rn. 214).
Beispiel
Im Siriusfall war dem Opfer nicht bewusst, dass es sich durch die Handlung töten werde. Es ging vielmehr davon aus, dass es lediglich seine körperliche Hülle wechseln werde. Aus diesem Grund hat es nach der Schuldlösung nicht vorsätzlich und nach der Einwilligungslösung nicht frei von Täuschung gehandelt. Es konnte somit keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung angenommen werden. A hat sich wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht.
Weitere Ausführungen dazu finden Sie in unseren GuKO`s SR I und II sowie in unseren ExO`S.