Der BGH (Urteil vom 5.8.2015 – 1 StR 328/15) musste sich mit folgendem Sachverhalt beschäftigen: A traf sich am mit mehreren Bekannten am Nachmittag, um gemeinsam Alkohol und verschiedene Betäubungsmittel, u.a. Cannabis zu konsumieren. Später begab sich die Gruppe in die Wohnung des A, um weiter zu konsumieren. Im Verlauf des Abends stellte A Gammabutyrolacton (GBL, eine frei erhältliche Chemikalie, die u.a. in Lösungsmitteln verwendet wird) zur Verfügung. Der Stoff befand sich unverdünnt in einer Glasflasche. Nachdem A GBL mit einem halben Liter Wasser zu sich genommen hatte, wies er die anderen darauf hin, dass GBL nur verdünnt konsumiert werden dürfe. Einige Zeit später trank B eine nicht mehr feststellbare Menge dieses GBL unverdünnt. A, der davon ausging, B habe eine tödliche Dosis zu sich genommen, versuchte, B zum Erbrechen zu bringen, was allerdings misslang. Nachdem B das Bewusstsein verloren hatte, brachte A diesen in eine stabile Seitenlage und kontrollierte die Atemfrequenz. Er nahm wahr, dass sich diese bedenklich verlangsamte, rief aber keinen Notarzt. Hätte er zu diesem Zeitpunkt Rettungsmaßnahmen veranlasst, hätte B aller Wahrscheinlichkeit nach noch gerettet werden können. Als A erhebliche Zeit später dann doch noch den Notarzt verständigte, war es zu spät. Die Wiederbelebungsversuche scheiterten, B verstarb.
Bevor Sie eine Strafbarkeit durch Unterlassen prüfen, sollten Sie zunächst immer an eine Strafbarkeit durch aktives Tun denken, hier § 222 StGB durch das Bereitstellen des GBL.
Die Handlung hat kausal zum Erfolg geführt. Problematisch ist allerdings schon, ob das Bereitstellen sorgfaltspflichtwidrig war, da es sich bei GBL nicht um eine Droge, deren Besitz oder Weitergabe nach dem BtMG strafbar ist, handelt, sondern um ein frei zugängliches Reinigungsmittel. Jedenfalls aber ist der Zurechnungszusammenhang zu verneinen, da die Einnahme des GBL eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des B darstellte. B beherrschte die zum Erfolg führende Bedingung, weswegen von einer Selbstgefährdung ausgegangen werden kann. Zudem lagen keine Willensmängel vor und B war darüber hinaus auch in der Lage, die Tragweite seines Tuns zu erkennen, weswegen die Selbstgefährdung auch eigenverantwortlich war (Einwilligungsmaßstab).
Da A aber nicht unmittelbar nach dem Zusammenbruch des B den Notarzt verständigte, könnte eine Strafbarkeit gem. §§ 212, 13 StGB in Betracht kommen.
Das Herbeirufen des Notarztes war die erforderliche und dem A auch physisch real mögliche Handlung. Diese Handlung hätte auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den tatbestandlichen Erfolg, nämlich den Tod vermieden, so dass auch die Quasi Kausalität zu bejahen ist.
Fraglich ist jedoch, ob A als Garant verpflichtet war, die Handlung vorzunehmen.
Eine Beschützergarantenstellung scheidet aus, da es zwischen A und B keine besondere, enge Beziehung gab, die zur Begründung einer solchen Stellung führen könnte.
In Betracht kommt dann eventuell eine Garantenstellung aus Ingerenz. Dafür müsste aber das Bereitstellen des GBL pflichtwidrig gewesen sein. Da es sich bei GBL aber um eine frei zugängliche Chemikalie handelt, ist weder deren Erwerb noch deren Besitz pflichtwidrig. Etwas anderes könnte sich daraus ergeben, dass das GBL als Rauschmittel zur Verfügung gestellt wurde. Allerdings bezieht sich § 29 I BtMG nur auf bestimmte Drogen, nicht aber auf frei zugängliche Chemikalien.
Schließlich könnte sich eine Garantenstellung aber aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle ergeben. Anders als bei der Ingerenz ist hier eine Pflichtwidrigkeit nicht erforderlich.
Der BGH führt dazu aus:
„In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat … Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind …
An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später Verstorbenen … gewesen, nicht zu beanstanden. Die dem Konsum des unverdünnten GBL …. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde … Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht …“
Damit kann eine Garantenstellung bejaht werden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob aus dieser Stellung auch die Pflicht zum Handeln erwächst oder ob nicht immer noch von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ausgegangen werden kann, die jedenfalls den Zurechnungszusammenhang unterbrechen würde.
Sie können das Problem entweder in Zusammenhang mit der Garantenstellung thematisieren (so der BGH) oder aber bei der objektiven Zurechnung.
Zwar ist auch nach der Ansicht des BGH die fahrlässige oder vorsätzliche Ermöglichung, Veranlassung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung straflos. Die Selbstgefährdung selber erfüllt weder den Tatbestand der §§ 223 ff StGB noch der der §§ 212 ff StGB, so dass eine Teilnahme hieran ausscheidet.
Streitig zwischen BGH und Lit. war aber schon immer, ob eine nachfolgende Unterlassens-Strafbarkeit in Betracht kommt, wenn sich das mit der Selbstgefährdung eingegangene Risiko verwirklicht.
Der BGH bleibt sich im vorliegenden Fall treu und bejaht eine Handlungspflicht. Er unterscheidet aber zwischen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mit oder ohne Tötungsvorsatz. Im vorliegenden Fall gab es keine Anhaltspunkte für einen eigenverantwortlich gewollten und herbeigeführten Suizid. Dem Opfer schien es in erster Linie um den Rausch zu gehen, wobei ihm das Risiko des Todes zwar bewusst gewesen sein muss, er dieses aber gleichwohl verdrängt haben könnte. Der BGH führt folgendes dazu aus:
„Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen… schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur
Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotenzial für das Leben .. zu realisieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte … An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn … das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik … ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang … einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (Anm. der Redaktion: „Gewusst aber nicht gewollt“)…
Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt … bedarf keiner Entscheidung.“
Wie nicht anders zu erwarten, ist dieses Ergebnis in der Lit. auf Widerspruch gestoßen. In der Verurteilung aus einem Unterlassen wird ein Widerspruch zur Straffreiheit aus einem aktiven Tun gesehen. So weist u.a. Jäger (JA 2016, 392) darauf hin, dass…“ dem Täter als Unterlassungstat etwas vorgeworfen wird, was ihm durch fahrlässige Aktivtat herbeigeführt nicht angelastet werden könnte. Nur wenn dem Unterlassenden bereits aufgrund der Eröffnung der Gefahr die sich aus ihr entwickelnde Rechtsgutsverletzung objektiv als fahrlässig bewirkt zugerechnet werden könnte, hat er aufgrund dieser Vorhandlung auch als Garant nach § 13 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass die von ihm geschaffene Gefahr sich nicht in einem tatbestandsmäßigen Unrechtserfolg realisiert. Dies gilt gleichermaßen für die Garantenstellung aus Ingerenz wie für die Garantenstellung aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle, da der Gesichtspunkt der Selbstgefährdung die Verantwortung und damit auch die Überwachergarantenstellung ausschließen muss.
Prüfungstipp
Wollte man vorliegende dem BGH folgen, dann müsste man sich im objektiven Tatbestand noch mit der Gleichstellungsklausel beschäftigen, die aber unproblematisch bejaht werden kann.
Aufgrund des Umstands, dass A davon ausging, B habe eine tödliche Menge GBL zu sich genommen, kann auch der Tötungsvorsatz bejaht werden. A hätte sich mithin gem. §§ 212, 13 StGB strafbar gemacht. Auch eine Strafbarkeit gem. §§ 221 I 2. Alt, III StGB sowie aus § 323c wäre dann zu bejahen. Beide Delikte träten jedoch in Gesetzeskonkurrenz zurück. Folgte man der Literatur dann bleibe nur § 323c StGB übrig.