Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern

Materielle Rechtmäßigkeit der sicherheitsrechtlichen Einzelmaßnahme

III. Materielle Rechtmäßigkeit der sicherheitsrechtlichen Einzelmaßnahme

1. Befugnisse bei sicherheitsrechtlichem Handeln

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Wie im Polizeirecht bedürfen die Sicherheitsbehörden für den Erlass von den Bürger belastenden Maßnahmen einer Befugnis zum Handeln. Hier existieren wiederum drei Arten von Befugnissen.

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Arten der sicherheitsrechtlichen Befugnisse samt Prüfungsreihenfolge:

I.

Spezialbefugnisse nach speziellen sicherheitsrechtlichen Gesetzen oder sicherheitsrechtlicher Verordnung

 

BayBO

 

BayVersG

 

BayImSchG

 

GewO

 

BBodSchG

II.

Spezielle Befugnisse für den Erlass von Einzelmaßnahmen (!) nach den Art. 16 ff. LStVG

III.

beschränkte Generalklausel nach Art. 7 Abs. 2 LStVG

a) Spezialbefugnisse nach speziellen sicherheitsrechtlichen Gesetzen oder nach einer sicherheitsrechtlichen Verordnung

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Spezielle sicherheitsrechtliche Gesetze wie z.B. die BayBO mit den baupolizeilichen Maßnahmen, das BayVersG (vgl. dazu unten den ausführlichen Anhang) enthalten einzelne Befugnisse und gehen den Regelungen des LStVG nach den oben dargestellten Derogationsregeln (insbesondere bei Bundesrecht und bei Spezialmaterien) vor. Dabei ist auch immer zu beachten, ob eventuell auch die Zuständigkeit in dem speziellen Gesetz mitgeregelt ist.

Denkbare Grundlage für den Erlass einer sicherheitsrechtlichen Einzelmaßnahme ist auch eine zuvor erlassene sicherheitsrechtliche Verordnung, in der eine Sicherheitsbehörde zum Erlass von Einzelmaßnahmen berechtigt wird.

Expertentipp

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Diese Konstellation bringt nichts Ungewöhnliches, ist aber deshalb in der Klausur so beliebt, weil unter dem Prüfungspunkt der Befugnis zum Erlass der Einzelmaßnahme die sicherheitsrechtliche Verordnung auftaucht und bei entsprechenden Anhaltspunkten diese inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann. So lassen sich die Probleme beim Verordnungserlass und beim Erlass von Einzelmaßnahmen in der Klausur miteinander verknüpfen.

b) Spezielle Befugnisse nach den Art. 16 ff. LStVG

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Expertentipp

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Vgl. zur Kampfhundeproblematik auch den Übungsfall 3 im Skript „Kommunalrecht Bayern“.

Wie im Polizeirecht auch existieren spezielle sicherheitsrechtliche Befugnisse, die Befugnisse für bestimmte Lebenssachverhalte speziell regeln. Dabei müssen die Normen der Art. 16 ff. LStVG genau untersucht werden, ob diese zum Erlass einer Verordnung oder einer Einzelmaßnahme berechtigen.

Beispielsweise berechtigt Art. 18 Abs. 2 LStVG zum Schutz der in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter zum Treffen von Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung (!) von Hunden. Art. 37 LStVG stellt dagegen nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Erlaubnispflichtigkeit für das Halten eines gefährlichen Tiers einer wildlebenden Art oder eines Kampfhundes auf – bei einer Haltung ohne Erlaubnis kann dann eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 Abs. 4 LStVG vorliegen, was die Sicherheitsbehörden wiederum zum Einschreiten nach Art. 7 Abs. 2 LStVG berechtigt.

Hinweis

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Mit dem Begriff der Haltung wird dabei vorausgesetzt, dass der Hundehalter den Hund weiterhin behalten darf. Eine Verpflichtung zur Abgabe oder Tötung eines Hundes kann dabei nicht auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt werden; da Art. 18 Abs. 2 LStVG somit den Lebenssachverhalt der Abgabe oder Tötung von Hunden nicht regelt, kann auf die beschränkte Generalklausel nach Art. 7 Abs. 2 LStVG zurückgegriffen werden, wonach eine solche Anordnung im Einzelfall gerechtfertigt sein kann.

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Hinzuweisen ist zudem auf Art. 23 LStVG, der eine Verordnungsermächtigung und eine Einzelfallanordnungsbefugnis bei Menschenansammlungen erhält. Wichtig ist, dass Art. 23 LStVG davon ausgeht, dass die Teilnahme an der Menschenansammlung, also das „Ob“ der Teilnahme nicht beschränkt wird, sondern nur das „Wie“ der Teilnahme. Auf die Nichtanwendbarkeit von Art. 23 LStVG auf Versammlungen nach dem BayVersG wird hingewiesen (Art. 23 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 LStVG).

Beispiel

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Im Rahmen des Oktoberfests kann die Stadt München als Sicherheitsbehörde anordnen, dass keine Rucksäcke mit auf das Gelände des Festes mitgeführt werden dürfen.

Für ein Fußballspiel in der Allianz-Arena könnte die Stadt München anordnen, dass kein Alkohol konsumiert werden darf.

Dagegen ermöglicht Art. 23 LStVG nicht den Erlass von Aufenthalts- oder Betretungsverboten für entsprechende Veranstaltungen, weshalb solche nur auf Grundlage des Art. 7 Abs. 2 LStVG denkbar sind.

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Bekannt sein sollte zudem Art. 26 LStVG, der in Absatz 1 eine Verordnungsermächtigung und in Absatz 2 eine Einzelfallanordnungsbefugnis zum Verbot des Betretens und Befahrens bewohnter oder unbewohnter Grundstücke oder bestimmter Gebiete enthält.

Beispiel

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Aufgrund der Entschärfung einer bei Bauarbeiten aufgefundenen Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg ordnet die Stadt Augsburg für einen Tag die Evakuierung eines bestimmten Bereiches um den Fundort der Fliegerbombe herum an.

Dabei geht Art. 26 LStVG davon aus, dass sich die Gefahrenlage auf dem Grundstück befindet, welches nicht betreten oder befahren werden darf. Demnach ermächtigt Art. 26 LStVG nicht zu Aufenthalts- oder Betretungsverboten für Drogendealer oder andere Straftäter, da in diesem Fall die Gefahrenlagen von den entsprechenden Personen ausgehen, weshalb solche nur auf Grundlage des Art. 7 Abs. 2 LStVG denkbar sind.

c) Beschränkte sicherheitsrechtliche Generalklausel

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Expertentipp

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Hierbei handelt es sich um einen sehr wichtigen Unterschied zum Polizeirecht!

Anders als im Polizeirecht besteht im Sicherheitsrecht nur eine beschränkte Generalklausel dergestalt, dass ein Einschreiten auf deren Grundlage nur dann in Betracht kommt, wenn eine der in Art. 7 Abs. 2 LStVG aufgeführten Nummern 1–3 erfüllt ist.Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Teil 3 Rn. 491. Der Begriff der verfassungsfeindlichen Handlung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG wird dabei in Art. 7 Abs. 5 LStVG definiert.

Wichtig ist dabei die Beachtung der Grenze des Art. 7 Abs. 4 LStVG, wonach die Freiheit der Person und die Unverletztlichkeit der Wohnung durch Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 2 LStVG nicht eingeschränkt werden dürfen. Dabei ist zu beachten, dass aufgrund des Schutzzweckes (Schutz der Privatsphäre) nur die vom Maßnahmebetroffenen selbst bewohnte Wohnung von Art. 7 Abs. 4 LStVG erfasst ist. Möglich ist dagegen demnach eine Anordnung gegen den Vermieter einer Wohnung.   

Hinweis

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Sofern sich danach keine Befugnis der Sicherheitsbehörden ergibt, können diese die Polizei nach Art. 10 S. 2 LStVG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 POG zum Erlass der entsprechenden Maßnahmen anweisen.

Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Teil 3 Rn. 491.

2. Verantwortlichkeit nach Art. 9 LStVG

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Bezüglich der Verantwortlichkeit nach Art. 9 LStVG kann auf die polizeirechtlichen Ausführungen verwiesen werden. Zu beachten ist, dass im LStVG keine dem Art. 7 Abs. 4 PAG entsprechende Vorschrift existiert.

Hinweis

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Anders als das PAG regelt das LStVG nicht den Fall der Dereliktion. Nach allgemeiner Ansicht gilt der Rechtsgedanke des Art. 8 Abs. 3 PAG aber auch im Bereich des Art. 9 LStVG, wonach sich der Zustandsverantwortliche durch die Eigentumsaufgabe seiner Zustandsverantwortlichkeit nicht entziehen kann.Lindner in: BeckOK PSR Art. 9 LStVG Rn. 34.4; Schmidbauer/Holzner Rn. 1517; Gallwas/Lindner/Wolff Rn. 456, a.A. Becker/Heckmann/Kempen/Manssen Teil 3 Rn. 492.

3. „Tatmaßnahme“ nach Art. 7 Abs. 3 LStVG

Prüfungsschema

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Wie prüft man: Prüfungsaufbau bei der Tatmaßnahme

I.

Rechtmäßigkeit einer hypothetischen sicherheitsrechtlichen Anordnung

 

 

in Bezug auf eine vertretbare Handlung gegen einen Verantwortlichen nach Art. 9 LStVG

II.

Spezielle Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 LStVG

 

 

Anordnungen nach Art. 7 Abs. 2 LStVG sind nicht möglich, nicht zulässig oder versprechen keinen Erfolg

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Ähnlich wie im Falle der unmittelbaren Ausführung einer Maßnahme im Polizeirecht besteht auch im allgemeinen Sicherheitsrecht die Möglichkeit des Erlasses einer adressatenlosen Maßnahme.

Wichtig ist, dass die Tatmaßnahme dabei – ähnlich wie bei der unmittelbaren Ausführung im Polizeirecht – einen einstufigen Charakter hat. Es wird zeitlich vorhergehend keine sicherheitsrechtliche Einzelmaßnahme erlassen, sondern die Gefahr wird direkt durch die Sicherheitsbehörden (bzw. durch die Polizei als Fall der Vollzugshilfe nach Art. 2 Abs. 3, 67 PAG) abgewehrt bzw. die Störung beseitigt.

Beispiel

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Vor einer Hauseinfahrt, die sich an der Kurve einer öffentlichen Straße befindet, lagert ein Haufen von Baumaterialien. Aufgrund eines geplanten Festtagsumzugs durch die anliegende Straße wird diese voraussichtlich deutlich stärker frequentiert, weshalb die Sicherheitsbehörde der Meinung ist, die Baumaterialien müssten zur Sicherheit der Straßennutzer entfernt werden. Der Eigentümer des entsprechenden Hauses befindet sich nach den Ermittlungen der Sicherheitsbehörde für mehrere Wochen im Urlaub und ist nicht erreichbar. Um Gefahren zu vermeiden, lässt die Sicherheitsbehörde die Baumaterialien beseitigen.

In dieser Konstellation fehlt es an einer zeitlich vorhergehenden Anordnung der Sicherheitsbehörde gegenüber dem Hauseigentümer als Zustandsstörer. Die Sicherheitsbehörde handelt sofort anstelle des Hauseigentümers, anstatt zuerst eine Anordnung an diesen zu erlassen. Letzteres wäre aufgrund der Nichterreichbarkeit des Hauseigentümers auch gar nicht möglich.

Expertentipp

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Teilweise wird der Klausurersteller in einer solchen Situation versuchen, Sie auf die falsche Fährte zu locken, in dem im Sachverhalt auf Art. 32 VwZVG oder Art. 35 VwZVG als Grundlage der Maßnahme verwiesen wird. Bei beiden handelt es sich um Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, die aber nur dann in Betracht kommen, wenn zuvor eine Anordnung der Sicherheitsbehörde als vollziehbarer Verwaltungsakt (vgl. die allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung nach Art. 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 VwZVG) erlassen wurde. Dies ist bei der oben beschriebenen Konstellation aber gerade nicht der Fall, weshalb es sich nicht um eine Vollstreckungshandlung handeln kann.

Fraglich ist, ob die Tatmaßnahme einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 1 BayVwVfG darstellt. Problematisch ist dabei die fehlende Bekanntgabe nach Art. 41, 43 BayVwVfG. Insoweit kann aber die Regelung des Art. 9 Abs. 1 S. 2 PAG entsprechend herangezogen werden, wonach die nachträgliche Unterrichtung des Betroffenen die vorherige Bekanntgabe ersetzt. Damit ist im Ergebnis vom Vorliegen eines Verwaltungsakts auszugehen.

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