Inhaltsverzeichnis
- VIII. Rechtmäßigkeit einer Satzung
- 1. Ermächtigungsgrundlage (Satzungsbefugnis)
- 2. Formelle Rechtmäßigkeit
- a) Zuständigkeit
- aa) Verbandskompetenz
- bb) Organkompetenz
- b) Verfahren
- c) Form
- 3. Materielle Rechtmäßigkeit
- a) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
- b) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht
- c) Ordnungsgemäße Ausübung des Satzungsermessens
- 4. Rechtsfolge bei Rechtsverstößen
VIII. Rechtmäßigkeit einer Satzung
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Im Einzelnen folgt die Rechtmäßigkeitsprüfung einer Satzung in folgenden Schritten.
1. Ermächtigungsgrundlage (Satzungsbefugnis)
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Trotz der bereits in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich ausdrücklich eingeräumten Rechtsetzungshoheit der Kommunen bedürfen kommunale Satzungen aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen (auch) einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Der unmittelbar demokratisch legitimierte staatliche Gesetzgeber kann damit für die einzelnen inhaltlichen Themen einer Satzung den näheren Umfang und das Verfahren der Satzungsgebung bestimmen. Dabei darf er die verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsetzungshoheit der Kommunen nicht in unverhältnismäßiger Weise einschränken.
Die Rechtmäßigkeitsprüfung einer Satzung beginnt deshalb mit der Suche nach einer bzw. mehreren einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage(n) für die verschiedenen Satzungsregelungen. Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Satzung kann sich aus speziellen Rechtsnormen der Gemeindeordnung bzw. aus Spezialgesetzen oder aus der allgemeinen Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO ergeben. Dies hängt vom Inhalt der Satzung ab.
Beispiel
Wird ein Bebauungsplan erlassen, so ist § 10 Abs. 1 BauGB für alle seine Bestimmungen die Ermächtigungsgrundlage. Im Falle einer Gebührensatzung ist § 2 Abs. 1 KAG NRW die entsprechende spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Die Haushaltssatzung ist auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 GO zu erlassen.
Enthält eine Entwässerungssatzung in ihrem § 1 einen Anschlusszwang für Grundstücke an die öffentliche Abwasseranlage und in § 2 ein Verbot von Direkteinleitungen bestimmter (gefährlicher) Stoffe in die öffentliche Abwasseranlage, welches nach § 3 bei Verstoß mittels eines Bußgeldes sanktioniert werden kann, so ist für
• | § 1 der Satzung die Regelung des § 9 S. 1 GO, |
• | § 2 der Satzung die Regelung des § 7 Abs. 1 GO und |
• | § 3 der Satzung die Regelung des § 7 Abs. 2 S. 1 GO die maßgebliche Ermächtigungsgrundlage. |
Sofern in einer Satzungsregelung eine Bußgeldandrohung für schuldhafte Verstöße gegen satzungsrechtliche Gebote oder Verbote vorgesehen ist, bedarf es einer nach der Wesentlichkeitstheorie des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) erforderlichen gesonderten Ermächtigungsgrundlage. Die Wesentlichkeitstheorie verlangt, dass hoheitliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Die Verhängung eines Bußgeldes ist ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsfreiheit) und des Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit). Es ist deshalb erforderlich, dass die Möglichkeit zur repressiven Ahndung schuldhafter Satzungsverstöße in einer speziellen Ermächtigungsgrundlage geregelt wird; die allgemeine Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO ist für einen solchen Eingriff zu unbestimmt. Eine hinreichend spezielle Ermächtigungsgrundlage für satzungsrechtliche Bußgeldregelungen findet sich in § 7 Abs. 2 S. 1 GO.
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Expertentipp
Satzungen bestehen aus mehreren Regelungen, die Sie differenziert von § zu § eigenständig untersuchen sollten.
Besteht keine spezielle Ermächtigungsgrundlage, kommt die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO in Betracht. Diese ist anwendbar für alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit Gesetze nichts anderes bestimmen.
Sofern allerdings eine Satzung in Grundrechte eingreift, ist auch hier nach dem Demokratieprinzip und den Schranken des Grundrechts der Gesetzesvorbehalt zu beachten. Die allgemeine Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO ist für Grundrechtseingriffe allein keine geeignete Ermächtigungsgrundlage,Vgl. dazu Hellermann in Dietlein/Hellerman, § 2 Rn. 229. da sie zu allgemein und hierfür zu unbestimmt formuliert ist. Für grundrechtsrelevante Eingriffe auf Grundlage von Satzungen bedarf es daher – auch außerhalb von Bußgeldandrohungen – einer gesonderten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie sind deshalb für grundrechtsintensive Bereiche, wie bei der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwanges (Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1 und ggf. in Art. 12 Abs. 1 GG) oder bei der Erhebung von Steuern (Eingriff in Art. 2 Abs. 1 und ggf. in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) spezielle Ermächtigungsgrundlagen (§ 9 S. 1 GO für den Anschluss- und Benutzungszwang bzw. § 3 KAG NRW für die Erhebung von Steuern) erforderlich.
Beispiel
Nach einer gemeindlichen Friedhofssatzung dürfen nur Grabmale aufgestellt werden, die nachweislich „ohne ausbeuterische Kinderarbeit“ hergestellt worden sind. Hierin liegt ein Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze. Die den Kommunen eingeräumte allgemeine Satzungsbefugnis sowie die Befugnis, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln, stellen allein keine ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen dar, um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze zu rechtfertigen. Deshalb hat der Landesgesetzgeber mit dem § 4a BestG NRW eine ausdrückliche parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage hierfür vorgesehen.BVerwG Urteil vom 16.10.2013 – 8 CN 1.12 –, juris.
Die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO kann daher im Wesentlichen nur für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen herangezogen werden. In solchen Fällen schafft die Gemeinde eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 8 Abs. 1 GO und regelt ihre Benutzung mittels einer Satzung. Durch die Benutzungssatzung erfolgt gleichzeitig eine Widmung (Zweckbestimmung) der öffentlichen Einrichtung, in dem bestimmte Nutzungsformen erlaubt werden und andere Formen (unerwünschte Nutzungen, Störungen etc.) ausgeschlossen werden. Wenn nunmehr die Benutzungssatzung im Falle des Verstoßes gegen ein Benutzungsverbot eine Sanktion unterhalb der Bußgeldschwelle vorsieht (z.B. Ausschluss, Betretungsverbot etc.), so stellt sich die Frage, ob die Wesentlichkeitstheorie – wie für die Bußgeldanordnung (§ 7 Abs. 2 GO) – auch hierfür eine gesonderte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage verlangt? Dies ist im Rahmen einer erforderlichen Gesamtbetrachtung zu verneinen, da der Ausschluss bzw. das Betretungsverbot nicht allein aufgrund der Satzung legitimiert wird, sondern sich bereits aus der gesetzlichen Vorschrift des § 8 Abs. 2 GO ergibt, wonach die Benutzung einer kommunalen Einrichtung von vornherein nur im Rahmen des geltenden Rechts zulässig ist. Die Ausschlussregelung bzw. das Betretungsverbot ist mithin kein selbstständiger Grundrechtseingriff, sondern gestaltet die bereits gesetzlich an Grenzen geknüpfte Berechtigung zur Benutzung – im Rahmen des geltenden Rechts – nur aus. Es handelt sich mithin um eine modifizierte Leistung, für die die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage ausreicht.
Beispiel
Die Benutzungssatzung für das Schwimmbad der Stadt Wasserburg besagt in § 3, dass Personen, die „mehrfach schwerwiegend die Ordnung gestört haben, für begrenzte Zeit oder auf Dauer von der Benutzung ausgeschlossen werden können“.
Ermächtigungsgrundlage für die Benutzungssatzung inklusive des § 3 ist die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO. Der in der Benutzungssatzung ermöglichte Ausschluss von der Nutzung ist kein selbstständiger Grundrechtseingriff, so dass eine gesonderte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hierfür nicht erforderlich ist. Sofern die Benutzungsordnung hingegen eine Bußgeldanordnung für schuldhafte Zuwiderhandlungen enthalten würde, wäre hierfür § 7 Abs. 2 S. 1 GO als spezielle Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen.
Expertentipp
In Klausuren stehen verschiedene Regelungen einer Satzung zur Überprüfung an. Dabei kann es sachgerecht sein, die jeweilige Ermächtigungsgrundlage differenziert von Regelung zu Regelung getrennt zu bestimmen und zu prüfen. Die jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen können unterschiedliche Voraussetzungen haben und sind daher differenziert zu bestimmen und zu prüfen.
2. Formelle Rechtmäßigkeit
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Eine Satzung ist rechtmäßig, wenn sie formell und materiell rechtmäßig ist. Das heißt, dass alle Satzungsbestimmungen mit höherrangigem Recht übereinstimmen müssen. Es müssen die Vorschriften über das ordnungsgemäße Zustandekommen (Zuständigkeit, Verfahren, Form), also die formelle Rechtmäßigkeit, ebenso wie die inhaltliche Übereinstimmung mit höherrangigem Recht (materielle Rechtmäßigkeit) gegeben sein.
a) Zuständigkeit
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Eine Gemeinde kann eine Satzung nur dann formell rechtmäßig erlassen, wenn sie hierfür als Körperschaft überhaupt zuständig ist (Verbandskompetenz) und – wenn ja – das zuständige Gemeindeorgan die Satzung beschließt (Organkompetenz).
aa) Verbandskompetenz
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Die Gemeinde ist nur für ihre eigenen Angelegenheiten zuständig. Sofern spezielle gesetzliche Bestimmungen für die Gemeinden eine entsprechende Satzungsbefugnis vorsehen (z.B. für den Erlass von Bebauungsplänen etc.) und die Gemeinde diese Befugnis ausfüllt, ergibt sich die Verbandskompetenz bereits aus diesem Spezialgesetz (z.B. § 10 Abs. 1 BauGB). Sofern die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO einschlägig ist, muss geprüft werden, ob es sich um eine eigene Angelegenheit der Gemeinde handelt. Dies ist insbesondere zu verneinen bei staatlichen Angelegenheiten bzw. bei Angelegenheiten, die in die Kompetenz anderer Kommunen fallen.
Beispiel
So ist es der kreisfreien Stadt K verwehrt, eine Satzung zu erlassen, in der die Anzahl der Polizeidienststellen in K festgesetzt werden soll, da dies in die Kompetenz des (staatlichen) Polizeipräsidenten fällt. Mangels gebietsbezogener Verbandskompetenz wäre auch eine Satzungsregelung rechtswidrig, mit der die Gemeinde A mittels Bauleitplanung Teile des Gebietes der Gemeinde B regeln würde.
bb) Organkompetenz
102
Innerhalb der Gemeinde ist der Rat der Gemeinde das einzige zuständige Organ, welches eine Satzung beschließen kann. Diese ausschließliche Zuständigkeit folgt aus § 41 Abs. 1 S. 2 GO. Aus Buchstabe f der Norm folgt die allgemeine Kompetenz für den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von Satzungen. Spezielle Kompetenznormen bestehen insbesondere für den Erlass von Bebauungsplänen (Buchstabe g) und den Erlass der Haushaltssatzung (Buchstabe h).
Aufgrund seiner ausschließlichen Zuständigkeit kann der Rat die Entscheidung über den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung einer Satzung nicht auf einen Ausschuss oder den Bürgermeister übertragen (vgl. in § 41 Abs. 2 S. 1 GO die Formulierung „Im Übrigen“).
Beispiel
Wenn der Rat die Änderung der Friedhofssatzung auf den Friedhofsausschuss delegiert und dieser eine solche Änderung beschließen sollte, so wäre die Änderungssatzung mangels Organkompetenz des Ausschusses nichtig. Der Ausschuss kann allenfalls vorbereitende und empfehlende Beschlüsse fassen. Diese haben aber keine rechtsverbindliche Wirkung, da nur der Rat eine Satzung ändern kann.
Falls eine Einberufung des Rates nicht mehr rechtzeitig möglich ist und die Entscheidung nicht aufgeschoben werden kann bis zu einer ggf. anzuberaumenden Sondersitzung des Rates („Dringliche Entscheidung“), entscheidet der Hauptausschuss nach § 60 Abs. 1 S. 1 GO. Ist auch dies aufgrund der besonderen Dringlichkeit nicht mehr rechtzeitig möglich, kann der Bürgermeister mit einem Ratsmitglied entscheiden.OVG NRW Urteil vom 17.12.2020 – 2 B 1249/20 –, juris Die Entscheidung ist dem Rat in der nächsten Sitzung zur Genehmigung vorzulegen.
Beispiel
Aufgrund einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung wird Ende eines Monats ein städtischer Gebührenbescheid aufgehoben, der auf einer – nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – rechtswidrigen Gebührensatzung beruht. Die Gemeinde will den Fehler schnellstmöglich beheben, um ab dem 1. des Folgemonats auf rechtmäßiger Satzungsgrundlage Gebühren erheben zu können. Da selbst bei verkürzter Einladungsfrist eine Einladung des Rates zu einer Sondersitzung nicht mehr möglich ist, erfolgt eine Dringlichkeitsentscheidung nach § 60 GO.
b) Verfahren
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Die Satzung muss auf einem rechtmäßigen Ratsbeschluss basieren. Damit diese Voraussetzung gegeben ist, muss der Ratsbeschluss zunächst formell rechtmäßig sein.Vgl. dazu Rn. 260. In materieller Hinsicht besteht der Ratsbeschluss aus der Satzung selbst, so dass erst dort deren inhaltliche Rechtmäßigkeit zu prüfen ist.
Expertentipp
Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit eines Ratsbeschlusses sind alle gesetzlichen Anforderungen bei der Vorbereitung und Durchführung zu prüfen, bei denen der Sachverhalt Anlass zu Zweifeln gibt.
Häufig werden in der Klausur mehrere Probleme bei der Vorbereitung und Durchführung eines Ratsbeschlusses eingebaut. Hierbei empfiehlt es sich in gedanklicher Hinsicht chronologisch vorzugehen. Ausgangspunkt ist damit die Rechtmäßigkeitsprüfung der vorbereitenden Anforderungen wie etwa die richtige Einberufung des Rates, die ordnungsgemäße Festsetzung und rechtzeitige vorherige öffentliche Bekanntmachung der Tagesordnung etc. bis hin zur Prüfung der ordnungsgemäßen Durchführung der Sitzung, also Beschlussfähigkeit, ordnungsgemäße Abstimmung, erforderliche Mehrheiten, keine Mitwirkung Befangener etc.(Vgl. hierzu im Einzelnen Rn. 260).
c) Form
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Die Satzung ist nach § 7 Abs. 4 S. 1 GO öffentlich bekanntzumachen. Hierbei sind die Verfahrens- und Formvorschriften der auf Grundlage des § 7 Abs. 5 GO ergangenen Bekanntmachungsverordnung NRW einzuhalten. Zu differenzieren ist zwischen der Einhaltung der Vorgaben vor der Bekanntmachung nach § 2 BekanntmVO NRW und dem ordnungsgemäßen Vollzug der Bekanntmachung nach § 7 i.V.m. § 4 BekanntmVO NRW durch die Verkündung (siehe hierzu im Einzelnen unter Rn. 87).
Hinweis
Falls die öffentliche Bekanntmachung fehlt oder an erheblichen Fehlern leidet, so ist die Satzung unwirksam. Sofern sich die Fehlerhaftigkeit einer öffentlichen Bekanntmachung später herausstellt, z.B. im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, so entbehren zwischenzeitlich ergangene Verwaltungsakte (z.B. Gebührenbescheide) einer Ermächtigungsgrundlage (Gebührensatzung ist von Anfang an nichtig!). In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob diese Bescheide noch „zu retten“ oder unheilbar rechtswidrig sind. Denkbar wäre eine erneute, diesmal ordnungsgemäße, öffentliche Bekanntmachung mit rückwirkender Inkraftsetzung. Ob die Voraussetzungen einer zulässigen Rückwirkung von Rechtsnomen vorliegen, muss im Einzelfall geprüft werden. (vgl. hierzu auch Rn. 88).
3. Materielle Rechtmäßigkeit
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Die Satzung ist materiell rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen, auch im Übrigen kein Verstoß gegen höherrangiges Recht gegeben und das Satzungsermessen ordnungsgemäß ausgeübt worden ist.
a) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
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Die Satzung ist nachfolgend in inhaltlich-materieller Hinsicht zu prüfen. Zunächst müssten die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen.
Beispiel
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 KAG NRW muss eine Abgabensatzung den Kreis der Abgabenschuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab und den Satz der Abgabe sowie den Zeitpunkt ihrer Fälligkeit angeben.
Eine Satzung, die einen Anschluss- und Benutzungszwang anordnet (z.B. bezogen auf die gemeindliche Kanalisation) ist gemäß § 9 S. 1 GO nur rechtmäßig, wenn insbesondere ein „öffentliches Bedürfnis“ vorliegt.
b) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht
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Da die kommunale Satzung in der Hierarchie der Rechtsnormen ganz unten steht und der Satzungsgeber an das höherrangige Recht und insbesondere an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist, muss die Satzung nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllen, sondern darf auch im Übrigen mit keiner Satzungsregelung gegen höherrangiges Recht verstoßen.
Als höherrangiges Recht kommt zunächst jegliches einfaches Landes- und Bundesrecht in Betracht.
Beispiel
Eine Gemeinde kann durch Hauptsatzung keine andere Bekanntmachungsform für ihre öffentlichen Bekanntmachungen vorsehen, als die in § 4 Abs. 1 BekanntmachungsVO NRW (= Rechtsverordnung des Landes NRW) vorgesehenen.
Ein Bebauungsplan der Gemeinde darf nicht gegen die Baunutzungsverordnung (= Rechtsverordnung des Bundes) verstoßen.
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Von besonderer Bedeutung für etwaige Verstöße gegen höherrangiges Recht sind Vorgaben des Verfassungsrechts. Insbesondere das Rechtsstaatsprinzip verlangt, dass Satzungsbestimmungen verhältnismäßig und bestimmt sind. Zudem dürfen sie nicht gegen Grundrechte verstoßen.
Beispiel
Zulassungsbeschränkungen für Bestattungsunternehmer in einer gemeindlichen Friedhofssatzung müssen deren Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 S. 1, 3 und 2 Abs. 1 GG beachten und insbesondere verhältnismäßig sein.
Der Kreis der kommunalen Betretungs- und Besichtigungsbefugnisse für Geschäfts- und Betriebsräume (z.B. in Entwässerungssatzungen zur Überprüfung von Anlageteilen) muss unter Berücksichtigung der Grundrechte des Geschäftsinhabers namentlich des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) und des Art. 13 Abs. 1 GG (auch Arbeits-, Geschäfts- und Betriebsräume sind vom Wohnungsbegriff umfasstBVerfG Beschluss vom 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92 –, BVerfGE 96, 44, 51.) im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit abgegrenzt werden.
Bußgeldbewehrte Zuwiderhandlungen müssen in den Satzungen hinreichend bestimmt beschrieben werden. Die Höhe der Bußgelder muss verhältnismäßig sein.
Bei rückwirkenden Satzungsregelungen müssen die sich aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip ergebenden Grenzen beachtet werden.
Besondere verfassungsrechtliche Fragen wirft auch der Auswärtigenzuschlag bei kommunalen Abgabensatzungen auf. Es verstößt nach Auffassung des BundesverwaltungsgerichtsBVerwG Beschluss vom 30.1.1997 – 8 NB 2/96 –, DVBl. 1997, 1062. nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn in einer kommunalen Satzung für den Besuch einer – nicht kostendeckend betriebenen – Musikschule von Einheimischen eine um einen Zuschuss der Gemeinde abgesenkte Gebühr erhoben wird, während auswärtige Benutzer die nichtbezuschusste Gebühr bezahlen müssen („Auswärtigenzuschlag“). Art. 28 Abs. 2 GG gestattet jedenfalls bei Einrichtungen ohne Benutzungszwang die Gewährung eines auf die Einwohner der Gemeinde beschränkten Zuschusses zu den – einheitlich festgesetzten und kalkulierten – Benutzungsgebühren, wenn dadurch für die auswärtigen Besucher das (landesrechtliche) Kostenüberschreitungsverbot und der Äquivalenzgrundsatz nicht verletzt werden. Verfolgt eine Gemeinde durch die Privilegierung Einheimischer das Ziel, knappe Ressourcen auf den eigenen Aufgabenbereich (Art. 28 Abs. 2 GG) zu beschränken, Gemeindeangehörigen einen Ausgleich für besondere Belastungen zu gewähren oder Auswärtige für einen erhöhten Aufwand in Anspruch zu nehmen, oder sollen die kulturellen und sozialen Belange der örtlichen Gemeinschaft dadurch gefördert und der kommunale Zusammenhalt dadurch gestärkt werden, dass Einheimischen besondere Vorteile gewährt werden, kann dies auch nach der Rechtsprechung des BundesverfassungsgerichtsBVerfG Beschluss vom 19.7.2016 – 2 BvR 470/08 –, NJW 2016, 3153. mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sein. Dies ist aber nicht mehr der Fall und führt zur Rechtswidrigkeit des Auswärtigenzuschlages, wenn das Vermarktungskonzept der gemeindlichen Einrichtung gerade darauf angelegt ist, auswärtige Besucher anzuziehen. In einer solchen Konstellation bezweckt die Gemeinde in der Hauptsache gerade nicht, das kulturelle und soziale Wohl der Einwohner zu fördern, die örtliche Gemeinschaft zu stärken, den Nutzerkreis zu beschränken oder durch Verhaltenssteuerung die Auslastung der Einrichtung zu gewährleisten. Die im höheren Eintrittsentgelt liegende Ungleichbehandlung Auswärtiger ist dann nicht mehr durch Sachgründe gerechtfertigt, sondern knüpft ausschließlich an den Wohnsitz an. Der Wohnsitz allein darf aber kein zur Benachteiligung legitimierender Grund sein. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 GG (Diskriminierungsverbot wegen der Herkunft) und bei grenzüberschreitenden Bezug auch aus Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit).c) Ordnungsgemäße Ausübung des Satzungsermessens
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Sofern die formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen vorliegen, ist der Gemeinde ein Ermessen eröffnet, ob und mit welchem Inhalt sie eine Satzung erlässt. Aufgrund der Funktion der Satzung als wichtiges kommunales Gestaltungsmittel des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dieses Ermessen nur eingeschränkt überprüfbar, sofern die übrigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen vorliegen.BVerwG Beschluss vom 26.9.2007 – 9 B 12/07 –, NVwZ 2008, S. 89. Anders als bei der gerichtlichen Kontrolle ermessensgeleiteter Verwaltungsakte, wird die Entscheidung des Satzungsgebers insbesondere grundsätzlich nicht daraufhin überprüft, ob hinreichende Tatsachenermittlungen angestellt worden sind, die die Entscheidung tragen können.OVG NRW Urteil vom 5.9.2018 – 12 A 181/17 –, juris. Das Satzungsermessen wird vielmehr erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung „schlechterdings unvertretbar und unverhältnismäßig ist“.BVerwG Beschluss vom 10.1.2007 – 6 BN 3/06 –, juris, Rn. 4.
4. Rechtsfolge bei Rechtsverstößen
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Bei Rechtsverstößen ist die Satzung, wie dies bei allen Rechtsnormen der Fall ist, nicht nur rechtswidrig, sondern grundsätzlich von Anfang an nichtig. Sie kann insbesondere für belastende Verwaltungsakte der Kommunalverwaltung keine wirksame Ermächtigungsgrundlage sein. Bei Nichtigkeit einzelner Satzungsbestandteile können die übrigen Teile weiterhin Wirksamkeit entfalten, wenn sie für sich allein existenzfähig sind und eine – aus Sicht des Satzungsgebers – sinnvolle Regelung ergeben. Dieser Gedanke der Teilnichtigkeit kann als allgemeiner Rechtsgrundsatz aus der analogen Anwendung des § 139 BGB entnommen werden.Hofmann/Theisen/Bätge Anm. 2.4.3.
Beispiel
In der Hauptsatzung einer Stadt sind drei Veröffentlichungsformen für öffentliche Bekanntmachungen vorgesehen. Hiervon ist eine rechtlich ungeeignet und damit unwirksam. Der verbleibende Teil mit den beiden rechtmäßigen Veröffentlichungsformen bleibt eine existenzfähige und in sich sinnvolle Regelung.
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Expertentipp
Die wichtige Vorschrift § 7 Abs. 6 S. 1 GO wird in Klausuren nicht selten übersehen. Insbesondere wenn im Sachverhalt Daten genannt werden, sollte man eine mögliche Fristrelevanz erwägen.
Gemäß § 7 Abs. 6 S. 1 Hs. 1 GO kann die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften der Gemeindeordnung nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist seit Verkündung (= ordnungsgemäße öffentliche Bekanntmachung) der Satzung nicht mehr geltend gemacht werden. In jedem Fall beachtlich bleiben trotz Ablaufs der Ausschlussfrist hingegen die in § 7 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 GO enumerativ aufgeführten Rechtsverstöße.
Beispiel
Der Gemeinderat beschließt mit den Stimmen zweier befangener Ratsmitglieder am 1.3. mit einer Stimme Mehrheit durch Änderung der Unternehmenssatzung einen geänderten Zweck für die Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 114a GO). Der Beschluss leidet noch an anderen Mängeln, z.B. hat der Bürgermeister versehentlich die Einladung zur Ratssitzung nicht unterschrieben und weder Zeit, Ort noch die Tagesordnung wurden vorher öffentlich bekannt gemacht. Zudem ist die nach § 115 GO erforderliche Anzeige über die Änderung des Zweckes an die Aufsichtsbehörde nie erfolgt. Am 15.3. wird die geänderte Unternehmenssatzung öffentlich bekannt gemacht. Am 17.3. des Folgejahres will die Aufsichtsbehörde gegen den Ratsbeschluss vorgehen.
In diesem Fall sind die Verstöße der fehlerhaften Einberufung (§ 47 Abs. 1 GO), der nicht erfolgten öffentlichen Bekanntmachung von Zeit, Ort und Tagesordnung (§ 48 Abs. 1 S. 4 GO), der erheblichen Mitwirkung Befangener (§ 43 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 GO) gemäß § 7 Abs. 6 S. 1 Hs. 1 GO unbeachtlich, weil seit der Verkündung ein Jahr vergangen ist, ohne dass dies gegenüber der Gemeinde gerügt worden ist. Aufgrund des Verstoßes gegen das nach § 115 GO vorgeschriebene Anzeigeverfahren kann allerdings die Aufsichtsbehörde weiterhin gegen den Satzungsbeschluss aufsichtsrechtlich einschreiten (§ 7 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 Buchstabe a GO).
Expertentipp
Bitte lesen Sie die im Überschneidungsbereich der Prüfungsfächer Kommunalrecht und Baurecht wichtige Vorschrift des § 214 BauGB.
Infolge spezialgesetzlicher Grundlagen können bestimmte weitere Rechtsverstöße ausnahmsweise unbeachtlich sein (vgl. die in der Praxis wichtige Ausnahme des § 214 BauGB).
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Vertiefung
Bitte lösen Sie folgenden Übungsfall:
Frieden auf dem Friedhof