Inhaltsverzeichnis
- A. Aufrechterhaltung eines wirksamen Teils, § 139
- I. Subsidiarität des § 139
- 1. Verdrängende Spezialnorm
- 2. Verdrängende Auslegung einer anderen Norm
- 3. Verdrängende Vereinbarung
- II. Teilnichtigkeit eines einheitlichen Rechtsgeschäfts
- 1. Nichtigkeit
- 2. Betroffenheit eines Teils eines ganzen Rechtsgeschäfts
- III. Folgen
A. Aufrechterhaltung eines wirksamen Teils, § 139
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§ 139 beschäftigt sich mit dem Fall, dass nur ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig ist. In § 139 stellt der Gesetzgeber eine Vermutungsregel auf, wonach ein Rechtsgeschäft im Zweifel insgesamt nichtig ist, wenn eines seiner Teile unwirksam ist. Die Vermutung ist aber widerleglich. Denn § 139 weist am Ende sogleich darauf hin, dass das restliche Rechtsgeschäft wirksam bleibt, wenn anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre.
I. Subsidiarität des § 139
1. Verdrängende Spezialnorm
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Eine Anwendbarkeit des § 139 scheidet aus, wenn das Problem der im Einzelfall bestehenden teilweisen Unwirksamkeit bereits anderweitig durch eine speziellere Norm geregelt ist.
Beispiel
Eine dem § 139 vorgehende Sonderregel stellt § 306 Abs. 1 bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf: Ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam. Der Vertrag ist also gerade nicht „im Zweifel unwirksam“, wie es bei Anwendung des § 139 anzunehmen wäre. Nur unter den Voraussetzungen des § 306 Abs. 3 kommt eine Gesamtnichtigkeit in Betracht. Um die durch Wegfall der Allgemeinen Geschäftsbedingung entstandene Lücke zu schließen, kommen nach § 306 Abs. 2 jetzt die für das Rechtsgeschäft bereitstehenden (dispositiven) gesetzlichen Vorschriften zum Zuge.
Weitere Spezialnormen sind § 494 (bei Fehlen der in § 494 Abs. 1 Var. 2 genannten Angaben), § 2085 (Unwirksamkeit einzelner testamentarischer Verfügungen), § 2195 (Unwirksamkeit einer Auflage), § 2298 (Unwirksamkeit einer vertragsmäßigen Verfügung im Erbvertrag).
2. Verdrängende Auslegung einer anderen Norm
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Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 18.
Derartige Verbotsnormen haben die Aufgabe, eine der Parteien eines Vertrages vor bestimmten nachteiligen Klauseln zu schützen und ihr das Vertragsverhältnis ohne diese Nachteile zu erhalten.Siehe dazu auch im Skript „Schuldrecht AT II“ R.. 73 ff.
In einem Wohnraummietvertrag werden das Minderungsrecht des Mieters entgegen § 536 Abs. 4 und das Sonderkündigungsrecht bei Mieterhöhung trotz § 561 Abs. 2 ausgeschlossen. Die genannten Verbotsnormen wollen einen Schutz des Wohnraummieters erreichen und dessen Position im Mietverhältnis verbessern. Diesen Zweck kann man nur dadurch erreichen, dass lediglich die betreffende Ausschlussklausel unwirksam ist, aber nicht der ganze Vertrag – § 139 findet keine Anwendung. Käme man nämlich über § 139 zur Gesamtnichtigkeit des Mietvertrages, wäre der Mieter völlig schutzlos. Er hätte kein Recht zum Besitz und müsste die Wohnung sofort verlassen.
Siehe dazu im Skript „Schuldrecht BT II R.. 31 ff, dort auch zu anderen Mietverhältnissen.
Entsprechendes gilt bei Arbeitsverhältnissen mit wucherischen „Hungerlöhnen“.Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 18.
3. Verdrängende Vereinbarung
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Grüneberg-Ellenberger R. 17.
Dies geschieht in der Praxis durch sog. „salvatorische Klauseln“,Vom Lateinischen „salvator“ = der Retter, der Heiler.
bei denen in der Regel eine sog. „Erhaltungsklausel“ mit einer sog. „Ersetzungsklausel“ kombiniert wird. Mit der Erhaltungsklausel wird die Vermutung des § 139 in ihr Gegenteil verkehrt.Beispiel
„Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrags ganz oder teilweise unwirksam sind, berührt dies die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht.“
Urteil des BGH vom 15.3.2010 (Az: II ZR 84/09) = NJW 2010, 1660 f.
Die Darlegungs- und Beweislast trifft nun denjenigen, der entgegen der getroffenen Vereinbarung den Vertrag als Ganzen für unwirksam hält.Urteil des BGH vom 4.2.2010 (Az: IX ZR 18/09) = NJW 2010, 1364 ff.
Beispiel
Markeninhaber M gewährt dem L eine gebührenpflichtige Lizenz zur Nutzung seiner Marke unter vielfältigen „Beschränkungen und Auflagen“. Die Beschränkungen und Auflagen erweisen sich mehrheitlich wegen Knebelungseffekten als sittenwidrig. Auch bei Vereinbarung einer salvatorischen Erhaltungsklausel ist eine Gesamtnichtigkeit des Vertrages nach § 138 Abs. 1 anzunehmen, da eine Teilnichtigkeit nur der Beschränkungen und Auflagen zu einer völlig unbeschränkten Lizenz führen würde. Dazu war L aber unter gar keinen Umständen bereit. Im Ergebnis kann L keine Lizenzgebühren verlangen und M darf die Marke nicht nutzen.
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Mit einer Ersetzungsklausel wollen die Parteien noch die Folgen einer Teilnichtigkeit regeln und eine möglichst günstige Ersatzregelung erreichen.
Beispiel
„Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages ganz oder teilweise unwirksam sein, ist diese Bestimmung durch eine solche zu ersetzen, die dem wirtschaftlich mit der unwirksamen Klausel Gewollten in zulässiger Weise am Nächsten kommt.“
II. Teilnichtigkeit eines einheitlichen Rechtsgeschäfts
1. Nichtigkeit
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BGH in BGHZ 53, 315, 318; Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 2.
2. Betroffenheit eines Teils eines ganzen Rechtsgeschäfts
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Die Bestimmung setzt die Nichtigkeit „des Teils eines ganzen“ Rechtsgeschäfts voraus.
Der „Teil eines Ganzen“ ist zunächst immer dann betroffen, wenn eine Teilregelung innerhalb eines einzigen Rechtsgeschäfts unwirksam ist. Von „einem einzigen Rechtsgeschäft“ können wir unproblematisch dann sprechen, wenn das Rechtsgeschäft einem bestimmten gesetzlichen Typ entspricht.
Beispiel
Darlehensvertrag mit Vereinbarung eines Wucherzinses (§ 138 Abs. 2); Kaufvertrag über Grundstück, dessen Bezeichnung nicht richtig beurkundet wurde (§§ 125 S. 1, 311b Abs. 1 S. 1).
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Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 5 f.
Entscheidend ist, ob die – möglicherweise sogar äußerlich getrennten – Geschäfte nach dem Willen der Parteien miteinander stehen und fallen sollen.Urteil des BGH vom 24.10.2006 (Az: XI ZR 216/05) = NJW-R. 2007, 395 f.
Das ist durch Auslegung zu entscheiden. Eine nur äußerliche Verbindung in einem Dokument oder ein rein wirtschaftlicher Zusammenhang bringen einen solchen Willen für sich allein noch nicht zum Ausdruck, bilden aber ein Indiz.Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 5.
Beispiel
Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 6.
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Ob Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft i.S.d. § 139 verbunden werden können, ist im Hinblick auf das Trennungs- und Abstraktionsprinzip umstritten.
Einigkeit besteht noch darüber, dass die Parteien die Wirkungen des Erfüllungsgeschäfts (z.B. Übereignung nach § 929 S. 1 oder Abtretung nach § 398) durch Vereinbarung unter die Bedingung (§ 158) der Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts stellen können.BGH NJW 1988, 2364 unter Ziff. II 1c.
Eine Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts führt dann zur Wirkungslosigkeit des Erfüllungsgeschäfts. Aus der grundsätzlichen Möglichkeit einer solchen Bedingung folgert die h.M., dass die Verbindung von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft i.S.d. § 139 jedenfalls dann in Betracht kommen kann, wenn das Erfüllungsgeschäft nicht bedingungsfeindlich ist.BGH NJW 1991, 917 f. unter Ziff. II 1b; Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 7–9; Faust BGB AT § 12 R.. 6; a.A. Medicus/Petersen Allgemeiner Teil des BGB Rn. 241.
Beispiel
Grundstückskaufvertrag und Auflassung können nicht zu einem einheitlichen Geschäft nach § 139 zusammengefasst werden, da die Auflassung nach § 925 Abs. 2 bedingungsfeindlich ist und in ihrem Schicksal daher nicht vom Bestand eines anderen Rechtsgeschäfts abhängen darf.
Außerdem ist eine Anwendung des § 139 im Hinblick auf dessen subsidiären Charakter durch solche Vorschriften ausgeschlossen, die eine Heilung von Formmängeln des Verpflichtungsgeschäfts durch Vornahme des Erfüllungsgeschäfts vorsehen.
Beispiel
V verspricht dem B mündlich, ihm eine DVD zu schenken. B nimmt dieses Versprechen dankend an. Später übereignet V dem B die DVD. Zwar war der Schenkungsvertrag wegen Fommangels des Schenkungsversprechens zunächst nach §§ 125 S. 1, 518 Abs. 1 unwirksam. Diese Unwirksamkeit kann aber nicht über § 139 zur Unwirksamkeit der Übereignung führen. Das Gesetz ordnet nämlich genau umgekehrt an, dass die Übereignung den Formmangel des Schenkungsvertrages heilt und damit den Schenkungsvertrag ebenfalls wirksam werden lässt.
BGH NJW-R. 1989, 519; Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 8.
Fehlt es an darüber hinausgehenden besonderen Umständen, die ausnahmsweise die Annahme eines Verbindungswillens Rechtsgeschäfts der Parteien rechtfertigen könnten, bleibt es bei der grundsätzlichen Selbstständigkeit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft.Expertentipp
Im Zweifel wenden Sie bei Unwirksamkeit von Verpflichtungs- oder Erfüllungsgeschäft § 139 nicht an, sondern behandeln beide Geschäfte unter Verweis auf das Trennungs- und Abstraktionsprinzip separat und unabhängig voneinander.
Es bleiben damit nur wenige Sonderfälle übrig, die regelmäßig dadurch gekennzeichnet sind, dass sich Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäfts nur juristisch, aber inhaltlich kaum noch von einander unterscheiden.
Beispiel
Siehe dazu im Skript „Schuldrecht BT II“ R.. 455 f.
Wer das Verpflichtungsgeschäft zwischen A und G („A verpflichtet sich, die Schuld des S zu übernehmen“) nicht ebenfalls an der Form analog §§ 492, 494 Abs. 1 scheitern lassen will, gelangt über § 139 zu diesem Ergebnis.III. Folgen
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BGH Urteil vom 17.10.2008 (Az: V ZR 14/08) unter Tz. 12 ff. = NJW 2009, 1135, 1137; Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 10 ff.
Dabei ist auf den hypothetischen (mutmaßlichen) Willen der Beteiligten im Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts abzustellen.BGH a.a.O.; Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 14.
Beispiel
Bei einem Kaufvertrag wird unter Verstoß gegen § 138 Abs. 2 ein wucherischer Kaufpreis vereinbart. Nach Abtrennung des unwirksamen Teils (Kaufpreis) entfiele eine Leistungspflicht und der verbleibende Teil bestünde nur als einseitige Verpflichtung mit dem Inhalt des § 433 Abs. 1. Eine Aufrechterhaltung in diesem Umfang kommt nicht in Betracht, da hierdurch der von den Beteiligten gewollte Gesamtcharakter des Geschäfts (Austauschvertrag und keine Schenkung) nicht mehr gewahrt wäre. Die nach § 138 Abs. 2 nichtige Preisvereinbarung zieht also die gesamte Nichtigkeit des Vertrages nach sich.
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BGH in BGHZ 45, 376, 379.
Das insgeheime Bewusstsein der Teilnichtigkeit ist nach § 116 unbeachtlich.
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Grüneberg-Ellenberger § 139 R.. 16.
Das kommt etwa dann in Betracht, wenn die Gesamtnichtigkeit eines bereits abgewickelten Geschäfts aus der Nichtigkeit einer einzelnen Vertragsabrede hergeleitet werden soll, die bei der Durchführung des Vertrags entgegen der ursprünglichen Erwartung bedeutungslos geblieben ist.BGH in BGHZ 112, 288, 296 = NJW 1990, 105, 107.