Baurecht Bayern

Privilegierte und sonstige Vorhaben im Außenbereich

II. Privilegierte und sonstige Vorhaben

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Im Folgenden sollen die in der Praxis und in Examensklausuren wichtigsten Fallgruppen privilegierter Vorhaben vorgestellt werden.

1. Land- und Forstwirtschaftliche Betriebe (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB)

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Der Begriff der Landwirtschaft ist anhand der baurechtlichen Regelung in § 201 BauGB zu bestimmen. Landwirtschaft ist ausgehend von den klassischen Landwirtschaftsformen Ackerbau, Wiesen- und Weidewirtschaft, Erwerbsgartenbau und -obstbau (mittlerweile aber eigener Privilegierungstatbestand in § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) sowie Weinbau definiert als Tätigkeit, bei der der Boden planmäßig und eigenverantwortlich bewirtschaftet wird, um den Ertrag (pflanzliche und tierische Erzeugnisse) zu nutzen (Urproduktion).

Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 14.Das Halten von Tieren ist nach dieser vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Begriffsbestimmung nur dann Landwirtschaft, wenn das Futter überwiegend selbst erzeugt wird.Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 20. Tiermast, die überwiegend oder vollständig mit zugekauftem Futter betrieben wird, erfüllt nicht den Begriff der Landwirtschaft. Es liegt dann eine gewerbliche Nutzung vor, die nicht unter § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gefasst werden kann.

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§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB verlangt weiter, dass die Land- und Forstwirtschaft im Rahmen eines Betriebes ausgeübt wird. Betrieb ist dabei ein nachhaltiges, ernsthaftes, auf Dauer angelegtes und lebensfähiges Unternehmen mit einer bestimmten betrieblichen Organisation.

Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 35 Rn. 13. An dieser Stelle hat eine Abgrenzung zur bloßen Liebhaberei (Hobby bzw. Freizeitbeschäftigung) zu erfolgen.BVerwGE 18, 242 ff. Wichtiges Indiz für die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit eines Unternehmens ist dabei die Möglichkeit und die Absicht, einen Gewinn zu erzielen. Auch Nebenerwerbsbetriebe können den Privilegierungstatbestand in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB erfüllen. Bei solchen ist aber stets besonders genau darauf zu achten, ob es sich nicht um eine bloße Freizeitbeschäftigung handelt, d.h. die Landwirtschaft nur vorgeschoben wird, um das grundsätzliche Bauverbot im Außenbereich zu umgehen.

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Mit dem Tatbestandsmerkmal dienen wird die Beziehung zwischen dem Betrieb und dem Vorhaben bewertet, um einen Missbrauch der Privilegierung zu verhindern.

Hinweis

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Das Merkmal des Dienens ist auch in den übrigen Privilegierungstatbeständen in § 35 Abs. 1 BauGB enthalten. Lediglich in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB hat der Gesetzgeber auf diesen Begriff verzichtet.

Einrichtungen, die für den Betriebsablauf wesensnotwendig und für das Erreichen des Betriebszwecks wesentlich sind, dienen der Land- und Forstwirtschaft. Die Rechtsprechung fragt danach, ob ein vernünftiger Land- und Forstwirt, der die Entscheidung des Gesetzgebers, den Außenbereich von einer Bebauung freizuhalten, respektiert, für einen entsprechenden Betriebszweck das Vorhaben in etwa gleicher Größe, Gestaltung und Ausstattung errichten würde.

Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 31; BVerwG DVBl. 1967, 287 ff.

Hinweis

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Auch ein zu einem landwirtschaftlichen Betrieb zugehöriges „zweites Standbein“ kann an der Privilegierung teilhaben, wenn es zum typischen Erscheinungsbild eines landwirtschaftlichen Betriebes gerechnet werden kann und bodenrechtliche Nebensache mit untergeordnetem Stellenwert im Gesamtbild des Betriebes bleibt. Anerkannt ist dies für die Vermietung von Ferienzimmern auf der Hofstelle und den Verkauf von überwiegend selbst erzeugten Produkten ab Hofstelle.

vgl. Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 28.

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Forstwirtschaft ist die Anbau, Pflege und Abschlag umfassende planmäßige Bewirtschaftung des Waldes.

2. Öffentliche Versorgungsanlagen und ortsgebundene gewerbliche Betriebe (§ 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB)

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§ 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegiert Anlagen, die dem Fernmeldewesen, der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dienen.

Die der öffentlichen Versorgung dienenden Anlagen müssen in derselben Weise ortsgebunden sein wie Gewerbebetriebe, um in den Genuss der Privilegierung zu gelangen. Dies gilt grundsätzlich auch für Einrichtungen für Fernmeldeanlagen des Mobilfunks.

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Ortsgebunden ist ein gewerblicher Betrieb nur dann, wenn das betreffende Gewerbe seinem Wesen und seinem Gegenstand nach auf die geografische oder geologische Eigenart der fraglichen Stelle angewiesen ist.

BVerwG NJW 1975, 550; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 35 Rn. 28 ff. Der Betrieb muss damit mit dem in Aussicht genommenen Standort stehen und fallen. Ein bloßer Lagevorteil, beispielsweise eine kostengünstige Verkehrsanbindung, genügt nicht für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB.

Beispiel

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Die Regelung in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB kommt insbesondere Betrieben zugute, die Bodenschätze ausbeuten. Klassische Anwendungsfälle sind demnach der Abbau von Kies, Sand oder Torf.

Hinsichtlich des Umfangs und der Reichweite der Privilegierung ist bei nicht zwingend standortgebundenen Betriebszweigen danach zu fragen, ob aufgrund technischer Erfordernisse von einem einheitlichen Standort auszugehen ist und ob eine derartige Anlage typischerweise als Einheit konzipiert wird.

Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr BauGB § 35 Rn. 32.

Beispiel

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Bei einem Kiesabbau gehört eine Kieswasch- und Aufbereitungsanlage zum typischen Erscheinungsbild eines Kiesabbauunternehmens, nicht hingegen aber eine Verkaufsstelle für fertig abgepackte Kiessäcke.

3. Subsidiäre (§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB)

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§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert Vorhaben, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Auswirkungen auf die Umgebung oder infolge ihrer Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Anders als bei den übrigen Privilegierungen des § 35 Abs. 1 BauGB geht der Gesetzgeber bei § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht von einem bestimmten Vorhaben aus, sondern erklärt vielmehr generalklauselartig Vorhaben für privilegierungsfähig, die auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind. Der Vorschrift kommt damit der Charakter eines Auffangtatbestandes zu.

Da generell jedoch Voraussetzung für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist, dass das Vorhaben unter den dort genannten Voraussetzungen auf den betreffenden Standort im Außenbereich angewiesen sein muss, scheiden Vorhaben aus, die in der konkret betroffenen Gemeinde im Innenbereich (§ 34 BauGB) bzw. vorhandenen Planbereich (§ 30 BauGB) untergebracht werden können. Insoweit genießt das Gebot der größtmöglichen Außenbereichsschonung Vorrang.BVerwG DÖV 1964, 744 ff.

Mit dem Kriterium des „Sollens“ in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB gelangt weiter der Ausnahmecharakter der Vorschrift zum Ausdruck.

Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 68. Ausgehend vom grundsätzlichen Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs können regelmäßig nur Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert werden, wenn sie der Funktion des Außenbereichs als Erholungslandschaft für die Allgemeinheit entsprechen.BVerwGE 48, 109 ff.; Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 69. Nicht unter den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fallen damit alle Einrichtungen der Freizeitgestaltung im Außenbereich, die nur einem beschränkten Personenkreis zugänglich sind.Spieß in Jäde/Dirnberger BauGB, BauNVO § 35 Rn. 66. Privilegiert nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB können demnach nur Vorhaben sein, die nicht in einem vorhandenen Innen- oder Planbereich verwirklicht werden können, tatsächlich aus einem der in Nr. 4 genannten Gründe auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind und deren Verwirklichung im Allgemeininteresse liegt bzw. einer Nutzung durch die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden.

Beispiel

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Nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierungsfähig sind Seilbahneinrichtungen, Liftanlagen, Schutzunterstände für Wanderer im Gebirge, Aussichtstürme, Almgaststätten etc. Nicht der Privilegierung unterfallen hingegen Golfplätze, private Schießanlagen, Tennisplätze, Sportboothäfen, Hundesportplätze etc.

4. Anlagen der Wind- und Wasserenergie (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB)

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§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dienen. Ihre besondere Relevanz erfährt die Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im planungsrechtlichen Steuerungselement nach § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB, wonach die Gemeinde so genannte Konzentrationszonen für Windkraftanlagen im Flächennutzungsplan darstellen kann, mit der Folge, dass an anderen als den vorgesehenen Standorten ein Entgegenstehen öffentlicher Belange anzunehmen ist. Bei Anlagen zur Gewinnung von Windenenergie gilt es bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit die die Privilegierung einschränkende landesrechtliche Bestimmung in Art. 82 Abs. 1 BayBO zu beachten. Diese wurde aufgrund der bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 249 Abs. 3 BauGB erlassen. Die Regelung in § 249 Abs. 3 BauGB ist verfassungskonform und zeitlich unbegrenzt.Weber in Schwarzer/König BayBO, Art. 82 Rn. 5, 6.

Hinweis

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§ 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB schafft einen Privilegierungstatbestand für Biogasanlagen im Außenbereich. Ebenso wie die in § 35 Abs. 1 Nr. 7 BauGB geschaffene Privilegierung für Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie sind diese von geringerer Klausurrelevanz. Gleiches gilt für die in § 35 Abs. 1 Nr. 8 BauGB geschaffene Privilegierung von Solaranlagen.

5. Sonstige Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB)

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Sonstige Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB sind alle Vorhaben, die nicht vom abschließenden Katalog der privilegierten Vorhaben in § 35 Abs. 1 BauGB erfasst werden.

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