Baurecht Bayern

III. Übungsfall Nr. 1

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„Möbelmarkt ante portas“

Dr. B. ist Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Am 18.1.2022 bekommt er den nachfolgenden Schriftsatz von Rechtsanwalt Dr. S. im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens vorgelegt. Die Eheleute Moser (M) wenden sich gegen einen von der kreisangehörigen Gemeinde Königstein (4800 Einwohner) im Landkreis Augsburg unter dem 13.7.2021 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan mit dem Inhalt „Sondergebiet Möbelmarkt“. Darin ist die Neuansiedlung eines dreigeschossigen Möbelmarktes einschließlich Parkflächen für 1500 Fahrzeuge vorgesehen. Die Eheleute Moser sind dabei Eigentümer eines Grundstücks, das zwar nicht im künftigen Gebiet des Bebauungsplanes „Möbelmarkt“ liegt, aber unmittelbar daran angrenzt (reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO). Die Eheleute M befürchten eine deutliche Zunahme der Lärmbelastung insbesondere durch die Zahl der Fahrzeuge und den Betrieb des Möbelmarktes am Samstag. Folglich sei ein Wertverlust ihres Grundstücks naheliegend. Ihre Einwendungen gegen den Bebauungsplan haben die Eheleute M, soweit damals schon bekannt, im Rahmen der Auslegung des Bebauungsplanes (§ 3 Abs. 2 BauGB) geltend gemacht.

Im Bebauungsplanaufstellungsverfahren hat die Gemeinde K die Immissionsschutzabteilung des Landratsamtes A um eine Einschätzung der Verkehrslärmsituation gebeten. In der betreffenden Stellungnahme kommt das Landratsamt zu der Einschätzung, dass die maßgeblichen Grenzwerte am nächstgelegenen Grundstück der Eheleute M nicht eingehalten werden können. In ihrer Begründung zum Bebauungsplan legt die Gemeinde dar, dass bislang ein Möbelmarkt in der aufstrebenden Gemeinde fehle und ein Investor bereit sei, diese „Lücke“ zu schließen.

 

In dem Dr. B. vorliegenden Antragsschriftsatz sind die nachfolgenden Mängel dieses Bebauungsplans aufgeführt:

a)

Der Bebauungsplan sei gar nicht aus dem Flächennutzungsplan der Gemeinde K entwickelt, der für die betroffenen Grundstücke Wohnbauflächen ausweise.

b)

Es habe überhaupt keine frühzeitige Bürgerbeteiligung stattgefunden. Auch sei kein Umweltbericht zum Bebauungsplan vorgelegt worden.

c)

Das Wasserwirtschaftsamt sei am Verfahren nicht beteiligt worden, obwohl die betroffenen Grundstücke potentiell hochwassergefährdet seien.

d)

Der Bebauungsplan sei nicht erforderlich, da die Gemeinde K bereits ausreichende Gewerbeflächen habe. Es handele sich um eine reine Gefälligkeitsplanung.

e)

Bei Fertigung der Ladung zur Sitzung „Beschlussfassung über den Bebauungsplan“ sei der Tagesordnungspunkt „Möbelmarkt“ nicht aufgenommen worden.

f)

Das sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in Urlaub befindliche Gemeinderatsmitglied X sei nicht zur Sitzung geladen worden.

g)

Das Gemeinderatsmitglied Y sei zu Unrecht von der Sitzung ausgeschlossen worden, da die Schwester seiner Ehefrau mit dem Architekten Z verheiratet sei, der den Bebauungsplanentwurf für die Gemeinde K gefertigt habe.

h)

Der vorgesehene Möbelmarkt grenze unmittelbar an ein reines Wohngebiet, sehe aber keinerlei Lärmschutz vor.

i)

Der Bebauungsplan sei am 22.7.2021 bekannt gemacht worden; der erste Bürgermeister der Gemeinde K habe ihn aber erst am 29.7.2021 eigenhändig unterzeichnet.

Würdigen Sie für Dr. B. die geltend gemachten Einwände. Wie wäre in der Streitsache zu entscheiden? Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs.

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Lösung

Der Normenkontrollantrag der Eheleute M hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit des Antrags

Dr. B. ist hier im Rahmen einer Normenkontrollklage nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO mit der Angelegenheit „Bebauungsplan Sondergebiet Möbelmarkt“ befasst. Diese Normenkontrolle hat die Zulässigkeitsvoraussetzungen in § 47 VwGO zu beachten.

1. Statthaftigkeit

Mit dem Bebauungsplan „Sondergebiet Möbelmarkt“ liegt ein auf ein bestimmtes Bauprojekt bezogener, vorhabenbezogener Bebauungsplan nach §§ 30 Abs. 2, 12 BauGB, § 11 Abs. 2 BauNVO vor, der grundsätzlich ebenfalls sämtliche formellen und materiellen Vorgaben aus BauGB und ergänzend der GO beachten muss.

Der Bebauungsplan nach § 12 BauGB wird dabei ebenfalls nach § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung beschlossen und ist damit tauglicher Prüfungsgegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.

2. Zuständiges Gericht

Über den Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht. Dieses trägt in Bayern nach § 184 VwGO, Art. 1 Abs. 1 AGVwGO die Bezeichnung Bayerischer Verwaltungsgerichtshof. Dieses entscheidet hier auch „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“. Dies bedeutet, dass im Vollzug der angegriffenen Rechtsnorm Streitigkeiten entstehen können, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet ist. Da im Vollzug des Bebauungsplanes Baugenehmigungen nach den Art. 55, 68 BayBO erlassen werden, ist diese Voraussetzung hier zweifelsfrei erfüllt.

3. Antragsberechtigung

Die Eheleute M sind als natürliche Personen grundsätzlich berechtigt, einen Normenkontrollantrag zum BayVGH zu stellen, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO.

4. Antragsbefugnis

Als natürliche Personen müssten die Eheleute M geltend machen können, durch den Bebauungsplan oder dessen Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein bzw. in absehbarer Zeit verletzt zu werden, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Damit bedarf es an dieser Stelle, der Anfechtungsklage und § 42 Abs. 2 VwGO vergleichbar, der Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten. Da das Grundstück der Eheleute M sich nicht unmittelbar im Geltungsbereich des angegriffenen Bebauungsplanes befindet und es damit auch nicht unmittelbar von dessen Festsetzungen betroffen ist, ist nicht auf die Eigentumsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG abzustellen. Das Grundstück der Eheleute M grenzt aber unmittelbar an den Geltungsbereich der angegriffenen Satzung an. Damit lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass die Eheleute M von den Auswirkungen des angegriffenen Bebauungsplanes betroffen sind. Bei der Schaffung eines dreigeschossigen Möbelmarktes und unmittelbar angrenzenden Parkflächen für bis zu 1500 Fahrzeuge lässt sich nicht ausschließen, dass die Anlieger unter einer verstärkten Lärmbelastung durch Verkehrsgeräusche leiden werden. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Möbelmarkt typischerweise auch in den Abendstunden und am Samstag frequentiert wird. Diese mögliche Lärmbetroffenheit der Anlieger musste die Gemeinde in ihre Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB einstellen. Es handelt sich dabei um einen nicht ganz geringfügigen schutzwürdigen Belang, der mit dem gemeindlichen Interesse an der Gewerbeansiedlung in gerechten Ausgleich zu bringen ist. Eine mögliche Entwertung des Grundstücks der Antragsteller ist jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen.

5. Antragsfrist

Da der Bebauungsplan erst am 22.7.2021 bekannt gemacht wurde, ist im Januar 2022 die Jahresfrist aus § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO noch nicht verstrichen.

6. Form

Es gilt die §§ 81, 82 VwGO analog im Antragsverfahren der Normenkontrolle zu beachten. Ein schriftlicher Antrag liegt hier vor. Dieser wurde auch durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bei Gericht eingereicht, § 67 Abs. 4 VwGO. Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof besteht Anwaltszwang.

7. Zwischenergebnis

Der Normenkontrollantrag der Eheleute M nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist zulässig.

II. Begründetheit des Normenkontrollantrages

1. Obersatz

Der Normenkontrollantrag ist begründet, wenn er sich gegen den richtigen Antragsgegner richtet und die angegriffene Norm gegen höherrangiges formelles oder materielles Recht verstößt. Eine Rechtsverletzung der Antragsteller ist darüber hinaus nicht erforderlich, da es sich beim Verfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO um ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren handelt.

2. Antragsgegner

Der Normenkontrollantrag ist gemäß § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO gegen die Körperschaft zu richten, welche die angegriffene Rechtsvorschrift erlassen hat. Dabei verdrängt § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO als Spezialvorschrift die allgemeine Vorschrift des § 78 VwGO. Richtiger Antragsgegner ist damit vorliegend die den Bebauungsplan erlassende Gemeinde K.

3. Prüfungsmaßstab

Hier gilt es § 47 Abs. 3 VwGO zu beachten Der BayVGH prüft die angegriffene Norm insoweit nicht, als dass dies ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes der Fall ist. In Bayern besteht dieser Vorbehalt für die Grundrechte der Bayerischen Verfassung (BV), die ausschließlich im Rahmen einer Popularklage aus Art. 98 S. 4 BV, Art. 55 BayVerfGHG gegen die angegriffene Rechtsnorm gewürdigt werden dürfen.

4. Vereinbarkeit mit höherrangigem formellen und materiellen Recht (ausgenommen die Grundrechte der BV)

Für die Beachtlichkeit der Fehler gilt es, die Vorschriften der §§ 214 ff. BauGB zu beachten. § 216 BauGB ist nicht einschlägig, da die angegriffene Satzung nach dem BauGB bereits bekannt gemacht wurde und in Kraft getreten ist. Im Weiteren ist bezüglich der einzelnen geltend gemachten Rechtsverstöße zu unterscheiden, ob es sich um formelle oder materielle Anforderungen an die Bauleitplanung handelt.

a) Entwicklungsgebot

Es liegt ein Verstoß gegen das in § 8 Abs. 2 BauGB geregelte Entwicklungsgebot vor. § 8 Abs. 2 BauGB stellt ein materielles Erfordernis an die Bauleitplanung dar. Der Bebauungsplan muss dabei die im Flächennutzungsplan vorgegebene Grundkonzeption beachten. Es wird zwar keine sklavische 1:1-Umsetzung gefordert, jedoch darf keine gravierende Abweichung zwischen Flächennutzungsplan und Bebauungsplan gegeben sein. Hier liegt eine gravierende Abweichung zwischen Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung vor. Diese Nutzungen sind auch im Hinblick auf eine Lärmentwicklung wesensverschieden. Es liegt damit ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 BauGB vor. Die Fehlerrelevanz dieses materiellen Mangels der Bauleitplanung beurteilt sich nach § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Diese Norm schafft einen Fall der relativen Unbeachtlichkeit; d.h. der Fehler ist nur dann unbeachtlich, sofern die städtebauliche Entwicklung durch den Verstoß nicht beeinträchtigt wird. Maßgeblich ist hierbei der Grad der Abweichung von Bebauungsplan und Flächennutzungsplan. Hier ist eine Beeinträchtigung der städtebaulichen Entwicklung gegeben, da eine gravierende Abweichung der planerischen Aussagen vorliegt. Daher ist der Fehler beachtlich. Es liegt keine Unbeachtlichkeit nach § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB vor, aber eventuell besteht die Möglichkeit nach § 214 Abs. 4 BauGB einer Heilung im ergänzenden Verfahren.

Ergebnis: Der Fehler ist beachtlich.

b) Frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung/Umweltbericht

Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung ist in § 3 Abs. 1 BauGB geregelt. Der Verstoß gegen § 3 Abs. 1 BauGB betrifft die formelle Seite der Bauleitplanung. Maßgeblich für die Beurteilung der Beachtlichkeit dieses Verstoßes ist damit § 214 Abs. 1 BauGB. Da die Norm des § 3 Abs. 1 BauGB in § 214 Abs. 1 Nr. 2 BauGB aber nicht als ausnahmsweise beachtlicher Fehler genannt ist, bleibt der Verstoß hiergegen folgenlos.

Der fehlende Umweltbericht ist in §§ 2 Abs. 4, 2a S. 2 Nr. 2 BauGB angesprochen. Nach § 2a S. 3 BauGB bildet der Umweltbericht einen gesonderten Teil der Begründung des Bebauungsplans (§ 9 Abs. 8 BauGB). Der Umweltbericht betrifft damit ebenfalls die formelle Seite der Bauleitplanung. Für sein Fehlen gilt es § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB zu beachten. Der Fehler nach § 2a BauGB wird dabei als beachtlich gewertet. Eine Ausnahme hierzu schafft § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB in Bezug auf den Umweltbericht nur, wenn dessen Begründung in unwesentlichen Punkten unvollständig ist. Fehlt der Umweltbericht ganz, ist der Fehler beachtlich. Da ein Unbeachtlichwerden durch Zeitablauf nach § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ausscheidet, bleibt es beim beachtlichen Verfahrensverstoß.

Ergebnis: Der Fehler in der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung ist unbeachtlich; das Fehlen des Umweltberichtes ist beachtlich.

c) Beteiligung der Träger öffentlicher Belange

Das nicht beteiligte Wasserwirtschaftsamt ist ein Träger öffentlicher Belange. Damit gilt es hier § 4 BauGB zu beachten. Das Gesetz differenziert weiter nach § 4 Abs. 1 (frühzeitige TÖB-Beteiligung) und § 4 Abs. 2 BauGB (eigentliche TÖB-Beteiligung). Der Fehler in der frühzeitigen Beteiligung nach § 4 Abs. 1 BauGB bleibt nach § 214 Abs. 1 Nr. 2 BauGB folgenlos. Dem gegenüber ist der Verstoß gegen § 4 Abs. 2 BauGB grundsätzlich beachtlich, da in § 214 Abs. 1 Nr. 2 BauGB genannt. An dieser Stelle gilt es die interne Unbeachtlichkeitsklausel aus § 214 Abs. 1 Nr. 2 BauGB zu beachten; d.h. der Verstoß der Nichtberücksichtigung eines einzelnen Trägers öffentlicher Belange ist nur dann tatsächlich beachtlich, wenn dessen Belange maßgeblich für Bauleitplanung waren und auch nicht anderweitig Berücksichtigung gefunden haben. Wenn man von einer Hochwassergefahr hier ausgeht, waren die Belange des Wasserwirtschaftsamtes entscheidungsrelevant. Daneben ist an ein Abwägungsdefizit zu denken, das unter § 2 Abs. 3 BauGB, 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB fällt. Ein solcher Fehler ist aber nur beachtlich, wenn er offensichtlich (positive Dokumentation) und für das Abwägungsergebnis von Relevanz (konkrete Möglichkeit einer anderen Planung) ist. Sollte das Wasserwirtschaftsamt lediglich übergangen worden sein, ohne dass sich hierzu Ausführungen im Aktenvorgang finden, ist das Abwägungsdefizit als solches nach § 2 Abs. 3 BauGB unbeachtlich.

Ergebnis: Je nach Gewichtigkeit der Belange liegt ein beachtlicher Fehler vor.

d) Erforderlichkeit

Der angesprochene Mangel betrifft die Erforderlichkeit der Bauleitplanung in § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB. Da Bauleitplanung ureigenster Gegenstand kommunaler Selbstverwaltung (Ortsplanung) ist, kommt der Gemeinde ein weites Planungsermessen zu. Die Erforderlichkeit fehlt nur bei gänzlich fehlender Plankonzeption der Gemeinde z.B. bei reiner Negativ- oder reiner Gefälligkeitsplanung. Da die Gemeinde hier ihr gewerbliches Konzept dahingehend erweitern will, dass auch das Möbelsegment künftig vertreten ist, liegt eine städtebauliche Konzeption vor. Bei der Bauleitplanung hat die Gemeinde nach § 1 Abs. 6 Nr. 8a BauGB auch den Belangen der Wirtschaft Rechnung zu tragen. Auch die Tatsache, dass die Gemeinde für das Gewerbeprojekt einen Investor an der Hand hat, belegt an sich noch keine reine Gefälligkeitsplanung. Die Planung ist hier Teil eines gesamten Gewerbekonzeptes der Gemeinde K und erfolgt nicht im primären Interesse der Privatperson.

Ergebnis: Da eine städtebauliche Konzeption gegeben ist, liegt kein materieller Fehler vor.

e) Nachgeschobene Tagesordnung

Bezüglich der gemeindlichen Beschlussfassung erfährt das BauGB eine Ergänzung durch die Normen der GO; das hier gegebene Nachschieben des Tagesordnungspunktes „Möbelmarkt“ ist ein kollektiver Ladungsmangel. Dieser stellt die Beschlussfähigkeit der Gemeinde in Art. 47 Abs. 2 GO in Frage. Keine Heilung des Mangels kann in diesen Fällen über den Punkt „Sonstiges“ einer Tagesordnung erfolgen, da der Zweck der Ladung, sich auf die jeweilige Sitzung vorzubereiten, nicht erreicht wird. Eine Heilung ist nach der Rechtsprechung in diesen Fällen nur möglich, wenn alle Mitglieder des Gemeinderats erscheinen und rügelos zur Sache verhandeln bzw. bei besonderer Dringlichkeit der Angelegenheit. Da hier jedenfalls der Urlauber den Sitzungstermin versäumt hat, scheidet ein Erscheinen und rügeloses Einlassen aller Ratsmitglieder aus. Darüber hinaus ist der Erlass eines Bebauungsplanes auch keine eine Ausnahme rechtfertigende dringliche Angelegenheit.

Es liegt demnach ein formeller Fehler nach Landesrecht vor, für den die §§ 214 Abs. 1, 215 Abs. 1 keine Geltung beanspruchen. Der Fehler ist mithin beachtlich. Allenfalls ist an eine Heilung in einem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB zu denken, die hier aber bislang nicht erfolgt ist.

Ergebnis: Der Fehler ist nach Landesrecht beachtlich.

f) Nichtladung des Urlaubers

In der Nichtladung des Urlaubers liegt ein individueller Ladungsmangel begründet. Dieser die Beschlussfähigkeit nach Art. 47 Abs. 2 GO in Frage stellende Ladungsmangel kann nur geheilt werden, wenn das von ihm betroffene Mitglied erscheint und sich zur Sache einlässt. Dies ist hier gerade nicht der Fall. Dieser formelle Fehler nach Landesrecht ist grundsätzlich beachtlich. Eine Heilung kann allenfalls über § 214 Abs. 4 BauGB in einem eventuellen ergänzenden Verfahren erfolgen. Solange dies nicht geschehen ist, bleibt der Verstoß zeitlich unbegrenzt beachtlich.

Ergebnis: Der Fehler ist beachtlich.

g) Persönliche Beteiligung

Es stellt sich hier das Problem persönlicher Beteiligung im Sinne von Art. 49 Abs. 1 GO. Fraglich ist, ob hier eine persönliche Beteiligung auslösende Schwägerschaft im Sinne von § 1590 BGB vorliegt. Zwar ist die Schwägerschaft in Art. 49 Abs. 1 GO als ein einen Individualvorteil vermittelnder Umstand genannt, jedoch besteht diese Schwägerschaft nur zwischen dem Gemeinderatsmitglied und der Schwester seiner Ehefrau; nicht aber zwischen dem Gemeinderatsmitglied und dem Architekten (Ehemann der Schwester („Schwippschwägerschaft“)). Der Ausschluss war daher rechtswidrig. In diesem Fall ist der Beschluss immer ungültig. Eine Analogie zu Art. 49 Abs. 4 GO darf nicht vorgenommen werden, da es zu einer Verletzung wesentlicher Mitgliedschaftsrechte kommt. Das zu Unrecht ausgeschlossene Mitglied steht dem Nicht-Geladenen gleich. Dieser formelle Fehler nach Landesrecht ist stets beachtlich. Eine Anwendung von §§ 214 Abs. 1, 215 Abs. 1 BauGB darf nicht erfolgen. Allenfalls ist an eine Heilung im ergänzenden Verfahren über § 214 Abs. 4 BauGB zu denken. Solange ein solches aber nicht durchgeführt ist, bleibt der Fehler beachtlich.

Ergebnis: Der Fehler ist beachtlich.

h) Gebot gerechter Abwägung

Es stellt sich hier das Problem gerechter Abwägung im Sinne von § 1 Abs. 7 BauGB. Mit der Ausweisung des Sondergebietes Möbelmarkt in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO liegt jedenfalls ein Verstoß gegen das Gebot der Konfliktbewältigung vor. Da das Abwägungsergebnis als Ausgleich der betroffenen Belange untereinander tangiert ist, liegt hier ein Abwägungsfehler in Form der Abwägungsdisproportionalität vor. Da der Bebauungsplan nach der immissionsschutzrechtlichen Stellungnahme wegen Verletzung der einschlägigen Grenzwerte nicht aufrechterhalten werden kann, liegt ein beachtlicher Mangel im Abwägungsergebnis vor, der nach § 214 Abs. 3 BauGB zu behandeln ist. Als Mangel im Abwägungsergebnis ist er stets beachtlich. Auch § 215 Abs. 1 BauGB beansprucht keine Geltung, da er nur Fehler im Abwägungsvorgang erfasst. Eine Heilung in einem ergänzenden Verfahren scheidet hier ebenfalls aus, da § 214 Abs. 4 BauGB nur punktuelle Nachbesserungen erlaubt. Das ergänzende Verfahren darf nicht zu einem gänzlich anderen Bebauungsplan führen.

Ergebnis: Der Fehler ist beachtlich.

i) Ausfertigung

Es liegt ein Verstoß gegen Art. 26 Abs. 2 GO vor. Die nach Landesrecht gebotene Ausfertigung der Satzung muss zwingend vor der Bekanntmachung des Bebauungsplanes nach § 10 Abs. 3 BauGB erfolgen Der Verstoß in der zwingenden zeitlichen Reihenfolge stellt einen beachtlichen Fehler nach Landesrecht dar, für den §§ 214 Abs. 1, 215 Abs. 1 BauGB keine Geltung beanspruchen. Es liegt gerade kein Fehler nach BauGB vor („dieses Gesetzbuchs“ in § 214 Abs. 1 BauGB). Eine Heilung kann nur im ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB erfolgen. Solange dies nicht geschieht, bleibt der Fehler damit grundsätzlich beachtlich.

Ergebnis: Der Fehler ist beachtlich.

5. Gesamtergebnis

Der Bebauungsplan leidet an mehreren beachtlichen Fehlern formeller und materieller Art, die allenfalls teilweise einem ergänzenden Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB zugeführt und dort behoben werden können. Solange dies nicht erfolgt, ist der Bebauungsplan nach § 47 Abs. 5 VwGO für unwirksam zu erklären. Ein entsprechendes Urteil hat allgemeine Verbindlichkeit; das Urteil ist mit Wirkung inter omnes ausgestattet.

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