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Auch Verpflichtungsklagen setzen die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO voraus (s. hierzu Rn. 602). Dem Kläger muss also ein möglicher Anspruch auf Einschreiten der Baurechtsbehörde zustehen. Da die bauordnungsrechtlichen Befugnisnormen jedoch durchweg als Ermessenentscheidung ausgestaltet sind (s. Rn. 630 ff.) kommt ein Anspruch auf Einschreiten nur im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null in Betracht. Ansonsten steht dem Kläger lediglich ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung und gerade kein Anspruch auf Einschreiten zu.
Die Frage, wann eine Ermessensreduzierung auf Null im Bauordnungsrecht gegeben ist, wird uneinheitlich beantwortet.
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Teilweise wird eine Ermessensreduzierung auf Null bei jedem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften angenommen.
Schoch Jura 2004, 317, 324; OVG Berlin-Brandenburg LKV 2002, 184; OVG Berlin-Brandenburg LKV 2003, 276, 278; Thüringer OVG LKV 2002, 185; s.a. Mampel DVBl 1999, 1403; Mampel BayVBl 2001, 417.Zur Begründung wird angeführt, dass es sich bei dem durch das Bauordnungsrecht eingeräumten Ermessen um einen Fall des intendierten Ermessens handle, weswegen regelmäßig ein Einschreiten erforderlich sei. Nur in Ausnahmefällen könne daher von einem Einschreiten abgesehen werden.
Schoch Jura 2004, 317, 324. Weiterhin bestünde ansonsten die Gefahr, dass ein Nachbar, der gegen ein genehmigungsfreies Vorhaben vorgeht, schlechter gestellt wird, als ein solcher, der wegen einer erteilten Genehmigung gegen diese im Wege der Anfechtungsklage vorgehen kann.Muckel JuS 2000, 132, 136.Hinweis
Ob es sich bei dem durch bauordnungsrechtliche Ermächtigungsgrundlagen um einen Fall des intendierten Ermessens handelt, ist umstritten (s. Rn. 539) und keineswegs so eindeutig, wie es von der t.v.A. proklamiert wird.
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Herrschend wird vertreten, dass ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften keine Ermessensreduzierung auf Null bewirke. Erforderlich sei vielmehr eine schwere Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut, wie z.B. Leben oder Gesundheit, des Nachbarn oder ein schwerer Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften.
BVerwGE 11, 95; Bayerischer VerfGH NVwZ-RR 1994, 631, 632; st. Rspr. des VGH Baden-Württemberg vgl. VGH Baden-Württemberg VBlBW 1992, 103, 104; Degenhart NJW 1996, 1433, 1436 f.; Brenner Öffentliches Baurecht Rn. 865; Brohm Öffentliches Baurecht § 30 Rn. 24. Zur Begründung wird zunächst auf Art. 14 Abs. 1 GG rekurriert und festgestellt, dass eine Verletzung nicht gegeben sei:BVerwGE 11, 95. Der Gesetzgeber habe das Eigentum durch die nachbarschützenden Vorschriften zwar ausgestaltet, gleichzeitig habe er jedoch auch geregelt, dass der Schutz der so begründeten Eigentumsrechte in das Ermessen der Baurechtsbehörde gestellt sei. Eine Inhaltsbestimmung könne die Eigentumsfreiheit nicht verletzten. Den durch das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG gestellten Anforderungen sei durch ein pflichtgemäßes Ermessen genüge getan. Auch aus Art. 19 Abs. 4 GG lasse sich ein Anspruch auf Einschreiten nicht herleiten, denn dieser setze subjektive Rechte voraus und begründe sie nicht. Daher finde die allgemeine Lehre zur Ermessensreduzierung auf Null Anwendung.Expertentipp
In einer Klausur sollten Sie wegen der geringen Anforderungen, die an die Möglichkeit einer Rechtsverletzung zu stellen sind, die Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen der Klagebefugnis, sofern diese nicht völlig abwegig ist, bejahen und im Rahmen der Prüfung der Begründetheit das oben dargestellte Problem erörtern. Ist eine schwere Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut oder ein schwerer Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften gegeben, so erübrigt sich eine Stellungnahme. Sollte dies nicht der Fall sein, so müssen Sie sich für eine Auffassung entscheiden.