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Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ist gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG jedoch nur „im Rahmen der Gesetze“ gewährleistet, so dass es zulässig ist, die gemeindliche Planungshoheit gesetzlich zu konturieren und limitieren. So regelt § 1 Abs. 3 BauGB, dass sobald (Zeitkomponente) und soweit (sachlicher/räumlicher Umfang) ein Bauleitplan für die städtebauliche Ordnung erforderlich ist, eine Rechtspflicht der Gemeinde besteht.
Tettinger/Erbguth/Mann-Erbguth Besonderes Verwaltungsrecht § 27 Rn. 948. Gemäß § 1 Abs. 8 BauGB gilt dies auch für Fälle der Umplanung.Beispiel
In einem unbeplanten Bereich der Gemeinde A ist ein Gewerbepark entstanden. A sieht jedoch derzeit keinen Handlungsbedarf hinsichtlich der Aufstellung eines Bebauungsplans. Die Nachbargemeinde B sieht dies anders und schaltet die Kommunalaufsichtsbehörde ein.
Hier kann die Kommunalaufsichtsbehörde die Gemeinde A verpflichten, für den betreffenden Bereich einen Bebauungsplan aufzustellen, sofern ein qualifizierter städtebaulicher Bedarf besteht.
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Beim Merkmal der städtebaulichen Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der Gemeinde wird hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit ein weiter Entscheidungsspielraum zugebilligt, da das Erfordernis einer Planung für städtebauliche Entwicklung und Ordnung von den Entwicklungsvorstellungen und somit von der planerischen Konzeption der Gemeinde abhängig ist.
Erbguth/Schubert Öffentliches Baurecht, Rn. 72. Zur Ermittlung der Erforderlichkeit müssen zahlreiche Prognosen über die zukünftige Entwicklung angestellt werden.Dürr Baurecht Baden-Württemberg Rn. 14 m.w.N. Das gemeindliche Entwicklungskonzept stellt die Vorwirkung des planerischen Gestaltungsspielraums bei der nachfolgenden Bestimmung der Planinhalte dar.Erbguth/Schubert Öffentliches Baurecht Rn. 72. Dieser Spielraum ist durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB gewährleistet.Erbguth/Schubert Öffentliches Baurecht Rn. 72.Hinweis
Die Konzeption der Gemeinde ist als Ausdruck ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit daher nicht i.e.S. kommunalaufsichtlich oder gerichtlich überprüfbar.
Erbguth/Schubert Öffentliches Baurecht Rn. 72; BVerwG NJW 1971, 1626. Geprüft werden kann nur, ob sich die Gemeinde innerhalb der Grenzen des Beurteilungsspielraums hält.Für die in § 1 Abs. 3 BauGB genannte städtebauliche Ordnung sind allein öffentliche Belange maßgeblich. Öffentliche Belange, die für die städtebauliche Ordnung und Entwicklung relevant sein können, finden sich in § 1 Abs. 5 BauGB als allgemeine Planungsleitlinien, die durch § 1 Abs. 6 BauGB nicht abschließend („insbesondere“) aufgezählten besonderen Planungsleitlinien konkretisiert werden.
Finkelnburg/Ortloff/Kment Öffentliches Baurecht Band I § 5 Rn. 8.Expertentipp
Die Frage, ob ein Bebauungsplan erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB ist, kann daher erst nach der materiell-rechtlichen Prüfung, namentlich der allgemeinen und besonderen Planungsleitsätze, beantwortet werden. In einer Fallbearbeitung haben sie daher die folgenden Aufbaumöglichkeiten, wobei jede dieser Möglichkeiten stilistisch fehlerhaft ist:
1. Sie ziehen die materiell-rechtliche Prüfung in die Prüfung der Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 BauGB vor und prüfen dort inzident insbesondere die Beachtung der Planungsleitlinien.
Nachteile: Dies führt zu einer unschönen Inzidentprüfung und zu einer ebenso unschönen kopflastigen Prüfung. Ferner können Sie im Rahmen der Einhaltung der gesetzlichen Schranken nur noch oben auf die Prüfung der Erforderlichkeit verweisen.
2. Im Rahmen der Erforderlichkeit merken Sie an, dass ein Bebauungsplan nur dann erforderlich ist, wenn ihm keine zwingenden materiell-rechtlichen Regelungen entgegenstehen und dass dies erst nach der späteren Prüfung beantwortet werden kann. Danach prüfen Sie die Einhaltung der gesetzlichen Schranken. Im Anschluss stellen Sie dann fest, dass der Bebauungsplan demgemäß erforderlich bzw. nicht erforderlich war.
Nachteil und Vorteil: Diese Prüfung enthält einen in einem Gutachten unzulässigen Verweis nach unten, vermeidet jedoch die beiden Nachteile der ersten Möglichkeit.
Daher erscheint die zweite Möglichkeit für die Fallbearbeitung vorzugswürdig.
Ebenso Schmidt Öffentliches Baurecht, Rn. 83.Der Begriff der Erforderlichkeit wird ausgehend vom gemeindlichen Planungsermessen weit verstanden:
Definition
Definition: Erforderlichkeit
Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn nach den kommunalen Entwicklungsvorstellungen ein Vorgehen planerischer Art vernünftigerweise geboten erscheint.
BVerwGE 92, 8; VGH Baden-Württemberg NVwZ-RR 2002, 638; VGH Baden-Württemberg VBlBW 2006, 390. Bei dieser Definition handelt es sich jedoch um eine Tautologie.