Inhaltsverzeichnis
1. Nebenintervention
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Expertentipp
Lesen Sie §§ 66, 67, 68 ZPO zunächst einmal durch. Sie werden feststellen, dass ein großer Teil dessen, was Sie nachfolgend lesen werden, bereits im Gesetz steht.
Die Nebenintervention nach §§ 66 ff. ZPO ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Dritter dem (fremden) Rechtsstreit beitritt, um eine Partei im Prozess zu unterstützen. Dies kann auf Klägerseite oder Beklagtenseite erfolgen. Die unterstützte Partei heißt dann Hauptpartei. Der Dritte wird als Nebenintervenient (= Streithelfer) bezeichnet. Der Nebenintervenient wird selbst nicht Partei des Rechtstreits. Er kann aber durch Schriftsätze oder Anträge (z.B. Beweisanträge) frühzeitig Einfluss auf den Prozessverlauf nehmen. Das abschließende Urteil entfaltet dann auch für und gegen ihn die sog. Interventionswirkung. Das ist der Hauptvorteil dieses Instituts.
Beispiel
Mona verklagt die V-GmbH auf Nacherfüllung §§ 437 Nr. 1, 439 BGB wegen der mangelhaften Fliesen. Die V-GmbH wiederum hat die Fliesen beim Fliesenhersteller F gekauft. Der Fliesenhersteller F kann nun auf Seiten der V-GmbH dem Rechtsstreit beitreten, um die V-GmbH bei ihrem Prozess zu unterstützen. Bringen die V-GmbH und F den Vorwurf der Mangelhaftigkeit der Fliesen zu Fall, hilft dies dem Fliesenhersteller F, da er aufgrund seiner Hilfe im Prozess keine Regressansprüche der V-GmbH befürchten muss.
a) Voraussetzungen
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Die Nebenintervention hat drei Voraussetzungen. Es muss zum einen ein Rechtsstreit zwischen zwei Personen anhängig (nicht rechtshängig) sein. Des Weiteren muss der Nebenintervenient ein rechtliches (kein wirtschaftliches) Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei haben. Zudem muss eine wirksame Beitrittserklärung vorliegen. Da der Beitritt Prozesshandlung ist, müssen auch die allgemeinen Prozesshandlungsvoraussetzungen gegeben sein.
aa) Rechtliches Interesse
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Nach § 66 Abs. 1 ZPO liegt ein rechtliches Interesse (= Interventionsgrund) vor, wenn sich der Ausgang des Rechtsstreits auf die Rechtslage des Nebenintervenienten auswirkt. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist weit auszulegen.
BGH NJW 2016, 1020 m.w.N. Hauptbeispiel ist, dass der Nebenintervenient Regressansprüche befürchten muss, wenn die unterstützte Partei den Prozess verliert.Grunsky/Jacoby Zivilprozessrecht Rn. 359. Ein rechtliches Interesse des Nebenintervenienten liegt außerdem vor, wenn sich die Rechtskraft/die Gestaltungswirkung des Urteils auf den Nebenintervenienten erstreckt (§§ 325 ff. ZPO) oder wenn der Nebenintervenient akzessorisch für die Schuld des Beklagten haftet. Ein rechtliches Interesse ist auch für den Fall anzunehmen, dass der Kläger in Prozessstandschaft klagt und der materiell Berechtigte auf Klägerseite dem Prozess beitritt.Vgl. Pohlmann Zivilprozessrecht Rn. 783.Beispiel
Im obigen Beispiel ist ein rechtliches Interesse des Fliesenherstellers gegeben, da er Regressansprüche der V-GmbH befürchten muss (s. auch § 445a BGB).
bb) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
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Zwischen zwei Parteien muss ein Rechtsstreit anhängig sein (= Einreichung einer Klageschrift bei Gericht, § 253 Abs. 5 ZPO).
Die Zustellung an den Beklagten muss noch nicht erfolgt sein. Weitere Voraussetzung ist die wirksame Erklärung des Beitritts. Die Erklärung erfolgt durch Einreichung eines Schriftsatzes beim Prozessgericht (§ 70 Abs. 1 S. 2 ZPO), der bestimmte Mindestpunkte enthalten muss (§ 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–3 ZPO). Beim Nebenintervenienten müssen die Prozessvoraussetzungen vorliegen (Parteifähigkeit etc.).
BGH NJW 2012, 2810; Zeiss/Schreiber Zivilprozessrecht Rn. 755.b) Rechtsstellung des Nebenintervenienten im anhängigen Rechtsstreit
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Die Rechtsstellung des Nebenintervenienten ist in § 67 ZPO geregelt. Er ist an die Lage des Hauptprozesses zur Zeit seines Eintritts gebunden. Der Nebenintervenient kann nach § 67 ZPO eigene Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Prozess (= Vorprozess = Hauptprozess) einbringen sowie eigene Prozesshandlungen (z.B. Beweisanträge) vornehmen. Da er befugt ist, alle Prozesshandlungen zu tätigen, kann er auch im Fall der Säumnis für die Hauptpartei „einspringen“ und die Säumnis abwenden (= Vertreterfiktion). Er kann auch mit Wirkung für die Hauptpartei Rechtsmittel einlegen (innerhalb der für die Hauptpartei laufenden Rechtsmittelfrist).
BGH NJW 2014, 3521; NJW 1997, 2385, 2386; Adolphsen Zivilprozessrecht § 36 Rn. 6. Allerdings hat seine Macht Grenzen. Seine Erklärungen und Prozesshandlungen dürfen nicht in Widerspruch zur Hauptpartei stehen (§ 67 ZPO). Der Nebenintervenient kann ohne Zustimmung der Hauptpartei nicht über den Streitgegenstand verfügen, da er selbst nicht Partei ist (z.B. durch Anerkenntnis, Klagerücknahme, Verzicht, oder Erledigungserklärung). Auch die Aufrechnung mit einem Gegenanspruch oder der Abschluss eines Prozessvergleichs ist nicht möglich.c) Interventionswirkung im Folgeprozess
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Das wichtigste an der Nebenintervention ist die sog. Interventionswirkung. In § 68 ZPO sind die Wirkungen der Nebenintervention im Folgeprozess beschrieben, die für den Nebenintervenienten äußerst nachteilig sein kann. Nach § 68 Hs. 1 ZPO kann der Nebenintervenient die Richtigkeit des Urteils des Vorprozesses nicht bestreiten. Das im Folgeprozess entscheidende Gericht ist an die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen des Vorprozesses gebunden. Die Interventionswirkung (§ 68 ZPO) geht damit weiter als die Rechtskraft (§§ 322, 325 ZPO). Während grundsätzlich nur der Tenor eines Urteils in Rechtskraft erwächst, erstreckt sich die Interventionswirkung auf alle erheblichen Tatsachenfeststellungen sowie deren rechtlichen Beurteilung.
Adolphsen Zivilprozessrecht § 36 Rn. 10; einschr. bei Rechtswegübergreifung BSG NJW 2012, 956, 957.Beispiel
Im Fliesenfall von Mona wird eine Beweisaufnahme durchgeführt. Der Sachverständige stellt die Mangelhaftigkeit der Fliesen fest (§ 434 BGB). Die V-GmbH wird zur Neulieferung der Fliesen an Mona verurteilt (= Hauptprozess). Im Folgeprozess zwischen der V-GmbH und dem Fliesenhersteller kommt nun die Interventionswirkung zum Tragen. Der Fliesenhersteller kann einen Sachmangel der Fliesen wegen der Interventionswirkung (§ 68 ZPO), die sich auch auf alle erheblichen Tatsachenbehauptungen – wie das Vorliegen eines Sachmangels – bezieht, nicht mehr bestreiten. Wäre der Fliesenhersteller nicht als Nebenintervenient beigetreten, könnte er sich im Regressprozess frei verteidigen und etwa behaupten, dass das Gutachten des Sachverständigen fehlerhaft sei und gar kein Sachmangel bestehe.
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Die Interventionswirkung kann nur beseitigt werden, indem der Nebenintervenient im Folgeprozess die Einrede mangelhafter Prozessführung erhebt (§ 68 Hs. 2 ZPO). Der Einwand wird nur berücksichtigt, wenn der Nebenintervenient aufgrund der prozessualen Lage Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht vorbringen konnte oder die Hauptpartei absichtlich oder grob fahrlässig Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht geltend gemacht hat. Die Interventionswirkung geht nach h.M. nur zu Lasten des Streithelfers, nie zu Lasten der Hauptpartei (Argument: Wortlaut des § 68 ZPO).
BGH NJW 2016, 1018, 1019; NJW 1997, 2385, 2386; Zeiss/Schreiber Zivilprozessrecht Rn. 759. Aufgrund der „harten Interventionswirkung“ wird in der Praxis selten von diesem Instrument Gebrauch gemacht.d) Streitgenössische Nebenintervention
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Gem. § 69 ZPO kann ein Nebenintervenient zugleich die Rolle eines Streitgenossen einer Hauptpartei bekommen. Für diese Doppelrolle müssen zunächst die Voraussetzungen des § 66 ZPO vorliegen. Außerdem muss sich die Rechtskraft des Urteils auf das Rechtsverhältnis des Nebenintervenienten zur gegnerischen Partei auswirken. Die „komplizierte“ streitgenössische Nebenintervention kann am besten an einem Beispiel erklärt werden.
Beispiel
Mona ist Inhaberin einer Aktie. In der Hauptversammlung wird über eine Kapitalerhöhungsmaßnahme Beschluss gefasst. Aktionär A will den Beschluss anfechten und erhebt Anfechtungsklage gegen die AG. Tritt Mona als Nebenintervenientin zur Unterstützung von A dem Rechtsstreit bei, handelt es sich um eine streitgenössische Nebenintervention. Denn bei Erfolg der Klage von A würde der Kapitalerhöhungsbeschluss mit Wirkung für und gegen alle Aktionäre nichtig (§ 248 AktG). Damit wirkt sich die Rechtskraft auch auf die Rechtsbeziehung zwischen Mona und der AG aus.
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Vorteil dieser Doppelrolle ist, dass sich der streitgenössische Nebenintervenient mit seinen Erklärungen und Prozesshandlungen auch in Widerspruch zur Hauptpartei setzen darf. Insbesondere darf er selbstständig Rechtsmittel (in der für ihn laufenden Rechtsmittelfrist) einlegen,
BGH NJW 2014, 3521. selbst wenn die Hauptpartei ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet hat. Ansonsten gelten dieselben Wirkungen wie bei der Streitgenossenschaft.Vgl. Zöller/Althammer ZPO § 69 Rn. 8.