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Verwaltungsprozessrecht - 1. Fortsetzungsfeststellungsklage

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Verwaltungsprozessrecht

1. Fortsetzungsfeststellungsklage

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Ein i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO „berechtigtes Interesse (Fortsetzungsfeststellungsinteresse) an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts liegt insbesondere in den nachfolgenden, z.T. auch vom BVerfGBVerfG NJW 2017, 545 (546 f.). ausdrücklich anerkannten Fallgruppen vor.Kurzfälle hierzu bei Schübel-Pfister JuS 2016, 418; Wienbracke VR 2015, 93 (98 f.). Darüber hinaus kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung dazu geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern.BVerwG BeckRS 2023, 40430, Rn. 6 m.w.N.

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Es bestehen konkrete Anhaltspunkte – und nicht nur eine abstrakte Möglichkeit – dafür, dass die Behörde in absehbarer Zeit bei im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen einen mit dem erledigten Verwaltungsakt vergleichbaren Verwaltungsakt erneut erlassen wird (Wiederholungsgefahr; z.B. beabsichtigt V in dem in Rn. 165 gebildeten Beispiel nach Verstreichen desjenigen Tages, an dem die von der Behörde verbotene Versammlung hätte durchgeführt werden sollen, diese nunmehr an einem anderen Tag stattfinden zu lassen). Dabei müssen „dem zukünftigen behördlichen Vorgehen jedoch nicht etwa in allen Details die gleichen Umstände zugrunde liegen. Vielmehr ist für das Fortsetzungfeststellungsinteresse relevant, ob die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zukünftigen Verwaltungshandelns unter Anwendung der insofern einschlägigen Rechtsvorschriften geklärt werden können. Ist dagegen unsicher, ob in der Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes eintreten werden, kann das Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründet werden – ebenso wie dann nicht, wenn die Behörde abermals gehandelt hat und sich infolge dessen die Gefahr des erneuten Erlasses eines gleichartigen Verwaltungsakts verwirklicht hat;Zum gesamten Vorstehenden s. BVerwG NVwZ-RR 2023, 342 (343 f.) m.w.N.

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von dem Verwaltungsakt gehen auch nach seiner Erledigung noch diskriminierende Wirkungen aus (z.B. für das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht aufgrund der publikumswirksamen Begleitumstände einer polizeilich angeordneten Identitätsfeststellung), die nur durch eine gerichtliche Feststellung von dessen Rechtswidrigkeit als Genugtuung bzw. Rehabilitation beseitigt werden können, vgl. Übungsfall Nr. 2. „Dafür reicht es nicht aus, dass der Betroffene die von ihm beanstandete Maßnahme als diskriminierend empfunden hat. Maßgebend ist vielmehr, ob bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise abträgliche Nachwirkungen der Maßnahme fortbestehen.“BVerwG NVwZ 2013, 1550 (1551). M.a.W.: Zusätzlich zu seiner (erledigten) belastenden Wirkung muss der Verwaltungsakt ferner noch einen – fortdauernden – persönlich stigmatisierenden, ehrenrührigen Inhalt besitzen, der dem Ansehen des hiervon Betroffenen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld abträglich ist. Eine derartige Beeinträchtigung kann sich ebenfalls aus der Begründung der streitigen Verwaltungsentscheidung oder den Umständen ihres Zustandekommens ergeben. Demgegenüber erfüllt eine allein subjektiv empfundene Beeinträchtigung diese Anforderungen nicht;Zum gesamten Vorstehenden s. OVG Münster BeckRS 2021, 34137, Rn. 29 m.w.N.  

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ergänzend zur vorgenannten Fallgruppe bejaht die Rechtsprechung das Fortsetzungsfeststellungsinteresse in bestimmten Konstellationen auch ohne Fortwirkung des erledigten Verwaltungsakts. „Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet es […], dass der Betroffene Gelegenheit erhält, in Fällen tiefgreifenderHierunter fallen v.a. diejenigen, die nach dem Grundgesetz (z.B. dessen Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3) unter Richtervorbehalt stehen, BVerfGE 104, 220 (233). Allerdings kann darüber hinaus auch in anderen Konstellationen eine Überprüfung qua Verfassung geboten sein, BVerfG NJW 2005, 1855 (1856) m.w.N., s. z.B. OVG Münster, BeckRS 2023, 41149 (Rn. 20), wonach ein tiefgreifender Grundrechtseingriff regelmäßig auch dann vorliege, wenn durch die betreffende Maßnahme in den Kernbereich von speziellen Grundrechten (z.B. Art. 8 Abs. 1 GG) eingegriffen wird. Bei folgenlos erledigten Maßnahmen ist ein das Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründender, qualifizierter Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG BVerwG BeckRS 2023, 40430 (Rn. 20) zufolge im Grundsatz dagegen nur insoweit zu bejahen, als das individuelle Verhalten eine gesteigerte, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung besitzt (z.B. Wohnungsverweisung eines Nicht-Deutschen, OVG Münster NJW 2024, 688) – nicht dagegen z.B. die Anzahl der Fälle, in denen der Eingriff erfolgt ist., tatsächlich jedoch nicht fortwirkender GrundrechtseingriffeSowohl in nationale, d.h. des GG, als auch in EMRK- und Unionsgrundrechte, s. Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 31 Rn. 82. Dort (Rn. 84) auch zu Engriffen in die Europäischen Grundfreiheiten. auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kannBVerwG NVwZ 1999, 991. (z.B. Auflösung einer Versammlung), wobei auf das letztgenannte Kriterium mitunter verzichtet wird.BVerfG wistra 2006, 59 (61) m.w.N. Hiergegen wendet das SchrifttumS. etwa Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 31 Rn. 84; Hufen Verwaltungsprozessrecht § 18 Rn. 52; Schenke Verwaltungsprozessrecht Rn. 630. Jüngst ebenso Muckel JA 2024, 347 (349). ein, dass erledigtes Verwaltungshandeln in nahezu jedem Fall irgendein Grundrecht berühre – zumindest das der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) – und die Heraushebung besonders wichtiger Grundrechte (z.B. von Art. 1 Abs. 1 GG wegen des besonderen Schutzes durch Art. 79 Abs. 3 GG) eine unangemessene Klassifizierung grundrechtlicher Schutzbereiche zur Folge habe. Vielmehr sei der sich „typischerweise kurzfristig erledigende Verwaltungsakt“ als eigene Fallgruppe des Fortsetzungsfeststellungsinteresses anzuerkennen und zwar auch dann, wenn dieser nicht zu einer „tiefgreifenden Grundrechtsverletzung“Das Vorliegen allein eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, d.h. ohne zudem typischerweise kurzfristige Erledigung, wird nicht als ausreichend für die Bejahung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses i.S.v. 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erachet (str.), s. Hoffmann JA 2024, S. 229 (234) m.w.N. auch zur a.A. führt (z.B. Platzverweis). Andernfalls nämlich könne in derartigen Konstellationen praktisch nie eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden – ein mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbares Ergebnis. Demgegenüber hält die RechtsprechungBVerwG NVwZ 2021, 411 (412); dass. BeckRS 2023, 40430, Rn. 8 m.w.N.; dass. BeckRS 2024, 1177, Rn. 4 (entgegen BVerwGE 171, 242 Rn. 11); OVG Münster BeckRS 2021, 40252 (Rn. 38). weiterhin daran fest, dass es sich bei der Feststellung, dass sich die mit der Klage angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie in der Regel keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren mehr zugeführt werden kann, nicht um eine hinreichende, sondern lediglich um eine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im Sinne von § 114 Abs. 1 S. 4 VwGO in dieser Fallgruppe handelt. Danach muss zusätzlich zum Erfordernis einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der Maßnahme noch die weitere Voraussetzung eines qualifizierten, d.h. tiefgreifenden, gewichtigen bzw. schwerwiegenden, Grundrechtseingriffs vorliegen;

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die aus § 121 VwGO folgende Bindungswirkung (Präjudizialität bzw. Vorgreiflichkeit) der verwaltungsgerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts für einen nachfolgenden Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess vor den ZivilgerichtenDiese Einschränkung ist umstr., s. die Nachweise bei Schübel-Pfister JuS 2015, 1002 (1007). (v.a. aus Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG). Voraussetzung ist insoweit allerdings, dass die Erledigung erst nach Klageerhebung eingetreten ist – wobei der bisher entfaltete prozessuale Aufwand allerdings selbst dann nicht ungenutzt bleiben soll, wenn die bisherige Prozessführung noch keine „Früchte“ getragen hat (str.Nachweise zum Streitstand bei Ehlers in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht § 31 Rn. 74 f..). Zudem muss der beabsichtigte Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess bereits anhängig oder mit Sicherheit zu erwarten bzw. ernsthaft beabsichtigt sein, die begehrte Feststellung muss in diesem Verfahren erheblich und die Rechtsverfolgung darf nicht offensichtlich aussichtslosDies ist bei verschuldensabhängigen Ansprüchen (z.B. aus Amtshaftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) i.d.R. dann der Fall, wenn ein Kollegialgericht (z.B. Kammer des VG) den Verwaltungsakt in seinem Urteil als rechtmäßig angesehen hat („Kollegialgerichts-Richtlinie“; Ausnahme z.B.: Das Gericht ist von einem falschen Sachverhalt ausgegangen). Zu berücksichtigen ist insoweit aber stets, dass auch verschuldensunabhängige Ansprüche, beispielsweise aus enteignungsgleichem Eingriff oder aus Aufopferung, gegeben sein können, s. BVerwG NVwZ 2013, 1550 (1551); Kopp/Schenke VwGO § 113 Rn. 137, jeweils m.w.N. sein.OVG Münster NJW 2022, 3660 (3661) m.w.N. Dass die Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. einer entsprechenden landesrechtlichen Bestimmung ggf. gegen die Behörde zu richten ist, die den erledigten Verwaltungsakt erlassen hat (Rn. 287 ff.), steht der Bindung ihres Rechtsträgers als Gegner des Anspruchs aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht entgegen, da die Behörde für diesen vor dem VG als gesetzliche Prozessstandschafterin auftritt (Rn. 291).

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