Inhaltsverzeichnis
- C. Die gefährliche Körperverletzung, § 224
- I. Überblick
- II. Objektiver Tatbestand
- 1. Körperverletzung durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen (Nr. 1)
- 2. Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Nr. 2)
- 3. Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (Nr. 3)
- 4. Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (Nr. 4)
- 5. Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Nr. 5)
- III. Subjektiver Tatbestand
- IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
- V. Konkurrenzen
C. Die gefährliche Körperverletzung, § 224
I. Überblick
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Die gefährliche Körperverletzung gem. § 224 ist eine Qualifikation zur einfachen Körperverletzung. Die Strafschärfung erfolgt wegen der besonderen Gefährlichkeit der Begehungsweise und der damit einhergehenden erhöhten Gefahr erheblicher Verletzungen.BGHSt 19, 352.
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§ 224 nennt fünf verschiedene Begehungsweisen, die kumulativ verwirklicht sein können, was bedeutet, dass Sie alle Nummern bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte durchprüfen müssen. Im Einzelnen gibt es folgende „gefährliche Körperverletzungen“:
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In minder schweren Fällen kann gem. § 224 Abs. 1 der Strafrahmen abgesenkt werden. Es handelt sich um eine Frage der Strafzumessung, die bei Vorliegen eindeutiger Anhaltspunkte nach der Schuld zu diskutieren ist.
Expertentipp
Wie immer können Sie zunächst den Grundtatbestand der einfachen Körperverletzung komplett durchprüfen und danach den Tatbestand des § 224 prüfen, der ebenfalls aus einem objektiven und subjektiven Tatbestand besteht. Eleganter ist es jedoch, Grundtatbestand und Qualifikation zusammen zu prüfen. Im objektiven Tatbestand prüfen Sie dann die Voraussetzungen des § 223 und des § 224, im subjektiven Tatbestand Vorsatz bezüglich beider Normen: Bitte benennen Sie im Obersatz stets alle in Betracht kommenden Varianten des § 224.
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Der Aufbau sieht dann wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Gefährliche Körperverletzung, § 224
I. | Objektiver Tatbestand |
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| 1. | Voraussetzungen des § 223 |
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| 2. | Voraussetzungen des § 224 |
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| a) | Nr. 1: durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen |
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| gesundheitsschädliche Eignung | Rn. 175 |
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| Beibringen | Rn. 177 |
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| b) | Nr. 2: mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs |
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| unbewegliche Gegenstände als „gefährliches Werkzeug“ | Rn. 179 |
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| c) | Nr. 3: mittels eines hinterlistigen Überfalls |
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zeitlicher Zusammenhang | Rn. 187 | ||||
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| d) | Nr. 4: mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich |
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| Beteiligter | Rn. 189 |
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| Wahrnehmung durch das Opfer | Rn. 190 |
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| e) | Nr. 5: mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung |
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| konkrete/abstrakte Gefahr | Rn. 194 |
II. |
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| 1. | Vorsatz hinsichtlich der Voraussetzungen des § 223 |
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| 2. | Vorsatz hinsichtlich der Voraussetzungen des § 224 |
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III. | Rechtswidrigkeit |
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IV. | Schuld |
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V. | Minder schwerer Fall gem. § 224 Abs. 1 a.E. |
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II. Objektiver Tatbestand
1. Körperverletzung durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen (Nr. 1)
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Nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 ist eine qualifizierte Körperverletzung zu bejahen, wenn diese durch die Wirkung des beigebrachten Giftes oder sonstiger gesundheitsschädlicher Stoffe vollendet wurde. Die Beibringung von Gift oder sonstigen gesundheitsschädlichen Stoffen bildet also das Verletzungsmittel.
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Wie der Gesetzesformulierung entnommen werden kann, ist Gift ein Spezialfall der gesundheitsschädlichen Stoffe.
Definition
Definition: Gift
Unter einem Gift wird jeder anorganische oder organische Stoff verstanden, der die Gesundheit durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung zu schädigen vermag.Küper/Zopfs Strafrecht BT Rn. 115 f.
Beispiel
Zu den organischen Giften zählen bestimmte Rauschgifte wie z.B. Opium sowie das Gift von Schlangen. Zu den anorganischen Giften gehören unter anderem Salzsäure, Arsen, Zyankali und Blausäure.
Definition
Definition: gesundheitsschädliche Stoffe
Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind solche Substanzen, die vor allem mechanisch oder thermisch wirken sowie darüber hinaus krankheitserregende Mikroorganismen, Bakterien aber auch – je nach Art der konkreten Verwendung - Stoffe des alltäglichen Gebrauchs.
Beispiel
Zerstoßenes Glas, heiße Flüssigkeiten sowie eine Infektion mit dem HI-Virus stellen ebenso gesundheitsschädliche Stoffe dar wie ein versalzener Pudding, den ein vierjähriges Mädchen zu erzieherischen Zwecken aufessen mussWessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 221; BGH JuS 2006, 758. (s. dazu das Beispiel unter Rn. 175).
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Um einen Gleichklang im Unrechtsgehalt zwischen der Nr. 1 und der Nr. 2 des § 224 herzustellen, müssen nach überwiegender Auffassung das Gift und die Stoffe geeignet sein, in der konkreten Verwendung die Gesundheit in erheblichem Maße zu schädigen.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 222; Jäger Strafrecht BT Rn. 94; BGH JuS 2006, 758
Achten Sie darauf, dass die erhebliche Gesundheitsschädigung nicht eintreten muss. Anders als § 226 liegt der Strafgrund des § 224 nicht im Herbeiführen einer besonderen Folge, sondern in der Vornahme einer gefährlichen Handlung. Der Stoff muss nur geeignet sein, diese im konkreten Fall herbeizuführen. Ob eine solche Eignung vorliegt, ist am konkreten Fall zu bestimmen.
Beispiel
A verabreicht B Alkohol, damit dieser in einen tiefen mehrstündigen Schlaf fällt und ihn bei seinem Vorhaben, seine Freundin zu verführen, nicht stört.
Hier kann in dem tiefen Schlaf das Herbeiführen eines pathologischen Zustandes liegen. Diese Herbeiführung erfolgte jedoch nicht durch die Beibringung von Gift, da Alkohol in normaler Dosierung und bei normaler Konstitution des Konsumierenden nicht geeignet ist, eine erhebliche Körperverletzung herbeizuführen.Jäger JuS 2000, 35; Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben § 224 Rn. 2b.
Beispiel
T zwingt ihre 4 Jahre alte Stieftochter S unter Androhung von Schlägen, einen mit 32 Gramm Kochsalz versehenen Pudding aufzuessen. Es soll sich dabei um eine erzieherische Maßnahme handeln, da S den Pudding in der Absicht, ihn zusätzlich zu süßen, versehentlich gesalzen hatte. T rechnete dabei mit Übelkeit und Bauchschmerzen, nicht jedoch mit der infolge von Durchfall und Erbrechen eintretenden Dehydration des Kindes, welche schließlich zum Tode führt.
Hier hat der BGHBGH JuS 2006, 758. die Beibringung eines gesundheitsschädlichen Stoffes bejaht. In Anbetracht der Höhe der Dosierung und der Konstitution eines kleinen Kindes (S wog 15 Kilo) war Salz als alltäglicher Stoff geeignet, die Gesundheit über die Übelkeit hinaus in erheblichem Maße zu gefährden.
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Das Gift bzw. der gesundheitsschädliche Stoff muss dem Körper des Opfers beigebracht worden sein und die Körperverletzung ursächlich bewirkt haben.
Definition
Definition: Beigebracht
Beigebracht ist das Gift bzw. der gesundheitsschädliche Stoff dann, wenn eine Verbindung mit dem Körper hergestellt wurde („Körper-Stoff-Beziehung“)Jäger Strafrecht BT Rn. 97, so dass das Gift bzw. der gesundheitsschädliche Stoff dort seine schädliche Wirkung entfalten kann.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 223.
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In der Regel erfolgt die Beibringung durch eine direkte innere Anwendung. Umstritten ist jedoch, ob das Beibringen auch zu bejahen ist, wenn der Stoff oder das lzGift nur äußerlich seine Wirkung entfaltet.
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Nach h.M. ist es unerheblich, ob das Gift bzw. der gesundheitsschädliche Stoff in das Körperinnere gelangt ist. Eine Entfaltung der Stoffe auf der Körperoberfläche soll ausreichen. Maßgeblich ist allein die Gefährlichkeit der Begehungsweise, die sowohl „äußerlich“ als auch „innerlich“ gleich intensiv sein kann. Da bei einer nur äußerlichen Wirkung in der Regel auch die Nr. 2 in der Alternative des „Verwendens eines gefährlichen Werkzeugs“ verwirklicht ist, wird die Nr. 1 von dieser Auffassung als Sonderfall des gefährlichen Werkzeugs verstanden, der die Nr. 2 konkurrenzrechtlich verdrängt.BGHSt 32, 130; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 222; Küper/Zopfs Strafrecht BT Rn. 114
Nach anderer Ansicht soll lediglich eine interne Wirkung des Stoffes unter den Anwendungsbereich der Nr. 1 fallen, da ansonsten Nr. 1 gegenüber Nr. 2 keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr hätte. Demnach müsste der äußerlich angebrachte Stoff seine Wirkung jedenfalls im Körperinneren entfalten.Jäger Strafrecht BT Rn. 97.
Beispiel
A zündet mit einem Feuerzeug das Hemd des B an. B kann das Feuer zwar schnell löschen, erleidet aber eine schmerzhafte Brandwunde.
Da das thermisch wirkende Feuer geeignet war, erhebliche Gesundheitsschädigungen hervorzurufen, könnte es ein gesundheitsschädlicher Stoff gem. Nr. 1 sein. Man könnte aber auch auf das Feuerzeug abstellen und dieses in der konkreten Verwendung als gefährliches Werkzeug begreifen. Der BGHBGH NStZ-RR 2018, 209 hat die Nr. 1 bejaht, da für ihn die äußere Wirkung ausreicht. Zugleich liegt die Nr. 2 vor, die aber im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktritt.
2. Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs (Nr. 2)
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Bei § 224 Abs. 1 Nr. 2 ist Grund für die Strafschärfung, dass der Täter die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen hat. Auch hier kann dem Gesetzestext entnommen werden, dass die Waffe den Spezialfall des gefährlichen Werkzeugs darstellt.
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Was unter einem gefährlichen Werkzeug zu verstehen ist, ist umstritten. Nach h.M. lautet die Definition wie folgt:
Definition
Definition: gefährliches Werkzeug
Ein gefährliches Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.BGH NStZ 87,174; BGH Urteil vom 24.9.2009 Az 4 StR 347/09 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 229.
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Nach a.A. sollen auch unbewegliche Gegenstände, wie feststehende Wände, gegen die der Kopf des Opfers geschlagen wird, unter den Begriff des Werkzeugs zu subsumieren sein, da es um die gefährliche Begehensweise gehe und es von der Wirkung keinen Unterschied mache, ob das Werkzeug beweglich sei oder nicht.LK-Grünewald § 224 Rn. 21; Rengier Strafrecht BT II § 14 Rn. 37
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Die h.M. hält dieser Ansicht entgegen, dass sie zum einen gegen den Wortlaut und damit gegen das sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebende Analogieverbot verstoße, da der natürliche Sprachgebrauch keine feststehenden Gegenstände als Werkzeug betrachtet. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass in den meisten Fällen bei den von der Literatur ins Auge gefassten Begehungsweisen eine gefährliche Behandlung gemäß Abs. 1 Nr. 5 vorliegen wird, sodass eine Erfassung über Abs. 1 Nr. 2 nicht erforderlich sei.BGHSt 22, 235; BGH NStZ 88, 361; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 230.
Expertentipp
Beachten Sie, dass allerdings auch nach h.M. es unerheblich ist, ob der Gegenstand auf das Opfer oder das Opfer auf den Gegenstand trifft. Wird also das Opfer vor ein herannahendes Auto gestoßen, so liegt genauso eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 vor, wie wenn das Auto auf das Opfer zufährt und es dadurch verletzt.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 230.
Auch aus diesem Grund will die o.g. Literaturauffassung unbewegliche Gegenstände unter den Begriff des Werkzeugs subsumieren, da letztlich nicht die durch die Bewegung des Gegenstandes herbeigeführte Verletzung maßgeblich sei.
Die erheblichen Verletzungen müssen wie bei der Nr. 1 nicht tatsächlich eingetreten sein. Es reicht nach der Definition, dass das gefährliche Werkzeug potenziell geeignet war, diese herbeizuführen. In Frage kommen bereits aus sich heraus gefährliche Werkzeug wie z.B. ein Küchenmesser wie auch ungefährliche Alltagsgegenstände, wenn diese gefährlich eingesetzt werden wie z.B. der Bleistift, der dem Opfer ins Auge gestochen wird.BGH Urteil vom 24.9.2009 Az 4 StR 347/09 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de.
Beispiel
Je nach Verwendung im Einzelfall können gefährliche Werkzeuge sein:
Eine Schere, der Schuh am Fuß beim Tritt gegen empfindliche Stellen des Körpers, ein Kraftfahrzeug, auch das Ausdrücken einer brennenden Zigarette auf der Haut des Opfers wegen der nicht sicher absehbaren Folgen, wie z.B. komplizierte Wundheilung und Narbe, sowie das Übergießen mit siedenden Flüssigkeiten, wobei diese schon vom Anwendungsbereich der Nr. 1 umfasst werden. Keine gefährlichen Werkzeuge sollen Behandlungs- und Operationsinstrumente in den Händen von niedergelassenen Ärzten sein, die bestimmungsgemäß gebraucht werden, wie z.B. Skalpelle.Siehe die Übersicht bei Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 231.
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Dem Wortlaut „gefährliches Werkzeug“ ist nach h.M. ferner zu entnehmen, dass als ein solches Werkzeug nur körperfremde Sachen in Betracht kommen. Unbewehrte Körperteile, wie z.B. die Faust, die Handkante oder das Knie, stellen mithin keine gefährlichen Werkzeuge dar, auch wenn ein Profiboxer auf das Opfer einwirkt. Der teilweise in der LiteraturHilgendorf ZStW 112, 811 vertretenen Gegenauffassung wird erneut die Wortlautgrenze und damit das Analogieverbot entgegengehalten.Jäger Strafrecht BT Rn. 100.
Unerheblich ist hingegen der Aggregatzustand des Werkzeugs, so dass auch Salzsäure und giftige Gase in Betracht kommen.Jäger Strafrecht BT Rn. 100.
Definition
Definition: Waffe
Unter einer Waffe ist eine Waffe im technischen Sinn zu verstehen. Umfasst werden gebrauchsbereite Werkzeuge, die nach ihrer Art der Anfertigung nicht nur geeignet, sondern allgemein als Angriffs- oder Verteidigungsmittel auch dazu bestimmt sind, Menschen durch ihre mechanische oder chemische Wirkung körperlich zu verletzen.BGHSt 4, 125.
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Wesentlich ist auch bei der Waffe die konkrete, einsatzbezogene Gefährlichkeit, wie beim gefährlichen Werkzeug.
Beispiel
Als Waffe werden gem. § 1 Abs. 2 WaffG i.V.m. Anlage 1 zum WaffG Pistolen, auch Gaspistolen, Gewehre, Messer, sofern sie nach ihrer Bauart als Waffen bestimmt sind, Handgranaten usw. angesehen.
Wird die Pistole allerdings nur mit einem leichten Schlag gegen den Oberkörper des Opfers geführt, so liegt keine gefährliche Körperverletzung vor, da es in diesem Fall an der einsatzbezogenen Gefährlichkeit der Waffe fehlt.
Beachten Sie, dass die Körperverletzung „mittels“ des gefährlichen Werkzeugs oder der Waffe begangen worden sein muss. In der Verletzung muss sich also die spezifische Gefährlichkeit des Tatwerkzeuges in typischer Weise realisieren. Stammt die Gefährlichkeit nur mittelbar aus dem Tatwerkzeug, verneint jedenfalls der BGH die Nr. 2. Dazu die beiden nachfolgenden Beispiele:
Beispiel
Polizist P möchte einen anfahrenden Autofahrer stellen, indem er sich auf die Motorhaube des Fahrzeugs legt und sich an den Scheibenwischern festhält. Nachdem der Autofahrer nicht anhält, nutzt er bei der nächsten Kurve die Fliehkräfte und lässt sich auf den Asphalt fallen. Dabei zieht er sich Schürfwunden an Armen und Beinen zu.
Der BGHBGH Beschluss vom 30.6.2011 Az 4 StR 266/11 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de; ähnlich BGH Beschluss vom 20.12.2012 Az 4 StR 292/12. hat § 224 Abs. 1 Nr. 2 in diesem Fall verneint. Zwar könne ein fahrendes Auto grundsätzlich ein gefährliches Werkzeug sein, so z.B. beim Zufahren auf einen Fußgänger. Die Verletzungen des P seien jedoch, so der BGH, nicht durch eine Einwirkung des Fahrzeuges auf den Körper, sondern durch den Sturz auf den Asphalt entstanden.
Beispiel
A, der mit der Liebesbeziehung seiner Tochter T zu ihrem Freund F nicht einverstanden ist, beschließt, der T aufzulauern, um sie ggfs. gewaltsam dazu zu bringen, die Beziehung zu beenden. Als er sie auf dem Rücksitz des Motorrollers des F entdeckt, fährt er mit seinem Auto beiden hinterher. Während der Verfolgungsfahrt fährt er mehrfach gezielt von hinten auf den Roller auf. Dabei schiebt er den Roller vor sich her, bis dieser umkippt. T und F fallen herunter, wobei sich F Prellungen an der Hüfte zuzieht.
Der BGHBGH StV 2013, 438 hat hier eine Körperverletzung „mittels“ des gefährlichen Werkzeugs „Auto“ verneint, da die Verletzungen erneut aus dem Sturz und damit aus dem Kontakt mit dem Asphalt stammten und nicht direkt durch das Auto verursacht wurden. In der Literatur wurde hingegen darauf verwiesen, dass sowohl in diesem Fall als auch in vergleichbaren Fällen (sie das Beispiel zuvor) die Verletzung durch das Werkzeug „vermittelt“ wurde und der Wortlaut keine Begrenzung auf eine unmittelbare Wirkung erfordere.Jäger Strafrecht BT Rn. 102; Rengier Strafrecht BT II § 14 Rn. 42
3. Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (Nr. 3)
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Ein weiterer Qualifikationsgrund liegt nach § 224 Abs. 1 Nr. 3 in der Begehung mittels eines hinterlistigen Überfalls. Der Grund für die Strafschärfung liegt zum einen in der gesteigerten Gefahr eines überraschenden Angriffs, dem das Opfer sich nicht ohne weiteres erwahren kann, sowie in der Verwerflichkeit des hinterlistigen Vorgehens.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 234
Definition
Definition: Überfall
Unter einem Überfall ist jeder plötzliche unerwartete Angriff auf einen Ahnungslosen zu verstehen.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 235. Dieser Überfall ist hinterlistig, wenn der Täter planmäßig berechnend vorgeht, indem er seine wahre Absicht verschleiert und gerade dadurch dem Angegriffenen die Abwehr erschwert.BGH GA 89, 32.
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Das Ausnutzen eines Überraschungsmoments genügt für sich alleine insofern nicht. Der Täter muss vielmehr weitere Vorkehrungen treffen, um seine Absicht zu verdecken.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 235; Jäger Strafrecht BT Rn. 103
Beispiel
A und B befinden sich in einer wortreichen Auseinandersetzung, die B dadurch zu beenden vorgibt, dass er A die Hand zum Friedensschluss entgegen streckt. Kaum hat der ahnungslose A die Hand ergriffen, stößt ihm B unvermittelt das Knie in den Unterleib.
Hier hat der BGH einen hinterlistigen Überfall bejaht, da der Täter durch das Ausstrecken der Hand zum Friedensschluss seine wahre Absicht planmäßig berechnet verdeckt hat.BGH MDR/D 56, 526.
Weitere hinterlistige Überfälle können sein: Verstecken und Auflauern, Beibringen eines Betäubungsmittels, Anbringen einer Stolperfalle etc.
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In der Regel fallen Hinterlist und Körperverletzungshandlung sowohl zeitlich als auch vom Vorsatz des Täters umfasst zusammen, d.h. der Täter hat beim planmäßigen Verdecken bereits den Vorsatz, das Opfer körperlich anzugreifen. Er geht also hinterlistig vor, um das Opfer anzugreifen. In der Regel liegt dieser Körperverletzungsvorsatz dann auch zumindest in Gestalt des dolus directus 2. Grades vor.
Nach Auffassung des BGH kann das aber ausnahmsweise auseinanderfallen, wenn der Täter der Hinterlist zunächst aus anderen Motiven heraus begeht und dann „zäsurlos“, will heißen unmittelbar seinen Vorsatz ändert und das Opfer nur noch am Körper verletzten möchte, wobei er bzgl. der Körperverletzung nur noch dolus eventualis hat. Dazu nachfolgendes:
Beispiel
A, der O töten möchte, steigt mit einem verdeckten Messer bewaffnet unter einem Vorwand zu ihr ins Auto und bittet sie, an einer einsamen Stelle zu halten. Da A sich die ganze Zeit über friedfertig gegenüber der O verhält, schöpft O keinen Verdacht. Unmittelbar nach dem Anhalten zückt A sein Messer, will sie nun aber nicht mehr töten, sondern nur noch mit dem Tod bedrohen. Dabei sticht er mehrfach in Richtung ihres Oberkörpers und nimmt dabei nur noch billigend eine Verletzung in Kauf, welche O sich auch zuzieht, als sie in Panik nach der Klinge greift und sich an der Hand verletzt.
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass A zwar planmäßig berechnend seine Absicht verdeckt hat, indem er O zu einer einsamen Stelle und damit in eine Falle dirigierte. Zu diesem Zeitpunkt hatte A aber Tötungsabsicht Den Vorsatz, hier nur in Gestalt von dolus eventualis fasste er erst später. Er lockte O also nicht in die Falle, um sie am Körper zu verletzen, sondern um sie zu töten und verletzte sie dann anschließend „bei Gelegenheit“ der bereits zuvor geschaffenen Falle.
Der BGHBGH NStZ 2022, 164 hat aufgrund des zäsurlosen Übergangs den hinterlistigen Überfall bejaht: „Die drei Komponenten Hinterlist, Überfall und Kausalität ("mittels") erfordern lediglich, dass eine Finte des Täters den überraschenden Angriff auf das Opfer ermöglicht und der Überrumpelungseffekt die Körperverletzung begünstigt. Diese Voraussetzungen sind auch dann erfüllt, wenn der Täter im letzten Moment von seiner Absicht abrückt und das Opfer nur mit Eventualvorsatz verletzt. Denn auch dann liegt die vom Tatbestand geforderte kausale Verknüpfung zwischen List und Körperverletzung vor.“
4. Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (Nr. 4)
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Gem. § 224 Abs. 1 Nr. 4 ist die Körperverletzung gefährlich, wenn sie mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird. Strafgrund ist die gesteigerte Eskalations- und damit Verletzungsgefahr bei mehreren Angreifern.
Definition
Definition: Gemeinschaftlich
Gemeinschaftlich ist die Körperverletzung begangen, wenn mindestens zwei Personen als Angreifer am Tatort gefahrerhöhend zusammenwirken.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 237
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Umstritten ist, was unter dem Begriff des „Beteiligten“ zu verstehen ist.
Teilweise wird unter Hinweis auf das Tatbestandsmerkmal „gemeinschaftlich“ noch immer verlangt, dass die beiden Personen mittäterschaftlich handeln müssen.Schroth NJW 1998, 2861. Nach inzwischen herrschender Meinung in der Literatur und Rechtsprechung lässt die Formulierung „mit einem anderen Beteiligten“ jedoch darauf schließen, dass die Täter nicht als Mittäter miteinander verbunden sein müssen, sondern dass es ausreicht, dass Anstifter und Haupttäter bzw. Gehilfe und Haupttäter am Tatort zusammenwirken. Die Unterstützungshandlung des Beteiligten kann dabei sowohl in einer physischen Mitwirkungshandlung liegen wie z.B. dem Anreichen eines Schlagrings als auch in einer psychischen Mitwirkungshandlung liegen wie z.B. dem aggressionssteigernden Anfeuern des Haupttäters.Jäger Strafrecht BT Rn. 105 Nicht ausreichend ist jedoch das Untätigbleiben eines anwesenden Garanten, da ein bloßes Unterlassen die Gefährlichkeit des Angriffs nicht erhöht.Jäger Strafrecht BT Rn. 105
Das Tatbestandsmerkmal „gemeinschaftlich“ soll aber sicherstellen, dass ein verbundenes Handeln mehrerer Personen erfasst wird, die gefahrerhöhend am Tatort anwesend sind, so dass das Opfer immer damit rechnen muss, auch der unterstützende Angreifer könne jederzeit zum täterschaftlichen Angriff übergehen.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 237; Fischer § 224 Rn. 23; BGH Urteil vom 3.9.2002 Az 5 STR 210/02 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de.
Beispiel
A, B und C wollen eine Gaststätte überfallen. Während C draußen wartet, betreten A und B das Gebäude und treffen zunächst in der Küche auf den Koch K. Nachdem dieser erklärt hat, er habe kein Geld und könne auch nicht auf die Kasse zugreifen, betritt die Pächterin P die Küche. Diese erkennt die Sachlage, verlässt die Küche und betritt über einen Flur einen Nebenraum, um die Polizei zu rufen. Während A den K in Schach hält, folgt B der P. Im Nebenraum schubst er sie gegen eine „Entkorkmaschine“, wobei P Prellungen erleidet. Die Täter verschwinden alsdann ohne Geld.
Hier stellte sich für den BGHBGH NStZ 2017, 640. die Frage, ob B die Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen hat. C, der draußen Schmiere stand, schied als Beteiligter aus. In Betracht kam aber A, der in der Küche K in Schach hielt. Der BGH hat § 224 Abs. 1 Nr. 4 verneint und dabei darauf abgestellt, dass sich beide Täter in unterschiedlichen Räumen aufhielten. Das überzeugt aufgrund der doch immer noch bestehenden räumlichen Nähe nicht unbedingt. Vielmehr spricht gegen die Anwendung der Nr. 4, dass A damit beschäftigt war, K in Schach zu halten und von daher nicht zur Unterstützung des B im Nebenraum zur Verfügung stand.So auch Anm. Bock NStZ 2017, 640.
Expertentipp
In der Klausur ist der Aufbau der Prüfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 nicht ganz unproblematisch, da inzident die Beteiligungsform einer anderen Person mitgeprüft werden muss.
Sofern unproblematisch eine mittäterschaftliche Begehung angenommen werden kann, sollten Sie den gemeinsamen Aufbau bei der Mittäterschaft wählen und „… die Strafbarkeit von A und B gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2…“ prüfen.
Sofern unproblematisch die andere Person Anstifter oder Beihelfender ist, prüfen Sie bei dem Merkmal „Beteiligter“ inzident den jeweiligen Beitrag („fördern oder bestimmen“) und stellen fest, dass insoweit eine gemeinschaftliche Begehung vorliegt. Später können Sie dann bei der Prüfung des Teilnehmers hinsichtlich des Beitrags auf oben verweisen.
Sofern die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme in der Klausur Probleme aufwirft, sollten Sie erneut mit dem Haupttäter beginnen (im obigen Fall B) und bei § 224 Abs. 1 Nr. 4 dann feststellen, dass zumindest ein die Tat fördernder Beitrag i.S.d. Beihilfe oder ein bestimmender Beitrag i.S.d. Anstiftung in Betracht kommt, was nach h.M. ausreicht. Ob der Tatbeitrag zudem auch eine Mittäterschaft begründen könnte, lassen Sie an dieser Stelle dann offen und verweisen auf die spätere Prüfung.
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Umstritten ist ferner, ob das Opfer den weiteren Beteiligten auch wahrgenommen haben muss.
Beispiel
A will X einen Denkzettel verpassen und möchte auf die Reifen seines fahrenden Fahrzeuges schießen. Damit der Plan gelingt, bittet er B, sich 250 m vorher ins Gebüsch zu setzen und ihm mittels eines Walkie Talkie Bescheid zu geben, sobald X sich nähert. Das Fahrzeug gerät aufgrund des Schusses von der Fahrbahn ab und landet im Graben. Die Insassen ziehen sich diverse Verletzungen zu.
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In der Literatur wird überwiegend vertreten, dass das Opfer die unterstützungsbereite Person am Tatort auch wahrgenommen haben müsse, da es nur dann auch aufgrund seiner psychischen Zwangslage in seiner Verteidigung eingeschränkt sei.LK-Grünewald § 224 Rn. 32; NK-Paeffgen/Böse § 224 Rn. 25a.
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Der BGH und die in der Literatur vertretenen Gegenauffassung verweisen hingegen auf die erhöhte Gefährlichkeit, die sich auch aus der Angriffs- und Wehrbereitschaft sowie der Zusammenarbeit mehrerer Angreifer ergebe, so dass eine Wahrnehmung des Opfers nicht erforderlich sei.BGHSt 2006, 572; Joecks/Jäger § 224 Rn. 46; Fischer § 224 Rn. 24
5. Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (Nr. 5)
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Gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 kann sich die Gefährlichkeit der Körperverletzung schließlich noch aus der lebensgefährdenden Behandlung ergeben.
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Dabei ist umstritten, ob es sich bei der Gefahr um eine konkrete oder abstrakte Gefahr handeln muss.
Im Hinblick auf die hohe Strafandrohung wird in der Literatur teilweise vertreten, dass die Tathandlung das Opfer in eine konkrete Lebensgefahr gebracht haben müsse. Dafür spreche auch die Unbestimmtheit des Begriffs der abstrakten Gefahr.Schönke/Schröder-Stree/Sternberg-Lieben § 224 Rn. 12. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn es nur noch vom rettenden Zufall abhängt, ob der Tod eintritt.
Hinweis
§ 221 Abs. 1 verlangt eine derart konkrete Lebensgefahr als tatbestandlichen Erfolg. Dementsprechend finden Sie dort auch die Formulierung „… ihn dadurch der Gefahr des Todes … aussetzt“.
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Die herrschende Meinung lässt hingegen die abstrakte Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung ausreichen.BGHSt 36, 9. Eine tatsächliche Lebensgefahr muss demnach nicht eintreten. Begründet wird dies damit, dass keine der in § 224 genannten Ziffern eine tatsächlich eingetretene schwere Folge voraussetzt und dass der Wortlaut schließlich auch nicht von dem Herbeiführen einer Lebensgefahr, sondern nur von einer lebensgefährdenden Behandlung spreche. Schließlich habe auch der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass eine konkrete Gefahr nicht erforderlich sei.Joecks/Jäger § 224 Rn. 49. Nach herrschender Meinung wird die lebensgefährdende Behandlung damit wie folgt definiert:
Definition
Definition: das Leben gefährdende Behandlung
Eine das Leben gefährdende Behandlung liegt vor, wenn die Verletzungshandlung den konkreten Umständen nach generell geeignet ist, das Leben des Opfers in Gefahr zu bringen.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I Rn. 238
Beispiel
Eine solche Gefahr kann bejaht werden bei einem Stoßes des Kopfes gegen eine Wand, Tritten gegen den Kopf, einem festen Würgegriff, der zu Schmerzen und Würgemerkmalen am Hals führt,BGH Entscheidung vom 3.7.2007 Az 5 StR 37/07 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. Anfahren mit einem Fahrzeug, Verabreichen eines versalzenen PuddingsBGH JuS 2006, 758..
Anders hingegen in dem oben beschriebenen Fall des exzessiv röntgenden Arztes, da hier allenfalls eine abstrakte Gefahr für die Zellen besteht.BGHSt 43, 356 mit abl. Bspr. Jung MedR 1998, 329. Auch eine Ansteckung mit dem HI-Virus wird von der herrschenden Meinung als eine das Leben gefährdende Behandlung angesehen, sofern der Nachweis der Kausalität gelingt.Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 238.
Expertentipp
Sofern Sie eine andere Definition wählen als die der h.M., wirkt sich das auch auf den Vorsatz aus. Sind Sie z.B. der Auffassung, dass bei Nr. 5 eine konkrete Gefahr erforderlich ist, so muss der Täter auch mit dieser konkreten Gefahr gerechnet und sie billigend in Kauf genommen haben. In der Klausur kann es sein, dass insbesondere bei der Nr. 5 im objektiven Tatbestand die unterschiedlichen Meinungen irrelevant sind, im subjektiven Tatbestand der Täter aber allenfalls Vorsatz im Hinblick auf eine abstrakte, nicht aber auf eine konkrete Gefahr hat, so dass Sie in Fällen dieser Art den Streit im objektiven Tatbestand entscheiden sollten.
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Zu beachten ist, dass sich die Lebensgefährdung aus der Behandlung selber ergeben muss. Ergibt sich die Gefahr erst aus den nachfolgenden Konsequenzen, so muss § 224 Abs. 1 Nr. 5 verneint werden.
Beispiel
Wird ein Opfer vom Täter auf eine Straße geschubst und erleidet es seine Verletzungen erst dadurch, dass sich im Anschluss daran ein Unfall entwickelt, weil ein Autofahrer nicht rechtzeitig ausweichen kann, so ist die Behandlung, nämlich das „Schubsen“, vom BGH nicht als lebensgefährliche Behandlung angesehen worden. Demnach muss die Gefahr auch hier „mittels“ der Art der Behandlung eintreten.BGH Beschluss vom 5.1.2010 Az 4 StR 478/09 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de.
III. Subjektiver Tatbestand
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In subjektiver Hinsicht reicht für § 224 normaler Vorsatz, d.h. dolus eventualis aus. Der Vorsatz muss sich also auch darauf beziehen, dass
• | das Gift oder der gesundheitsschädliche Stoff in der konkreten Art und Weise seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche, eventuell weitere, nicht notwendig lebensgefährliche Körperverletzungen herbeizuführen (Nr. 1), |
• | das gefährliche Werkzeug nach seiner objektiven Beschaffenheit und Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbei zu führen (Nr. 2), |
• | die das Leben gefährdende Behandlung generell geeignet ist, das Leben des Opfers in Gefahr zu bringen (Nr. 5). |
Beispiel
Im obigen Kochsalzfall hat der BGHBGH JuS 2006, 758. den Vorsatz bezüglich der Nr. 1 bejaht, da die Täterin zumindest mit erheblichen Bauchschmerzen und Übelkeit gerechnet habe. Den Vorsatz bezüglich der Nr. 5 hat er nicht geprüft, da er sich anschließend auf die Strafbarkeit gem. § 227 fokussiert hat. Im Rahmen des § 227 hat er ausgeführt, dass es für die Täterin aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht subjektiv vorhersehbar gewesen sei, dass eine derartige Salzmenge zu einer Dehydration und damit zum Tode führen könne. Ausgehend davon wird man den Vorsatz der Täterin bezüglich der abstrakten Lebensgefährdung wohl ebenfalls verneinen müssen.
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
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Es gibt keine deliktsspezifischen Besonderheiten. Insofern wird auf die allgemeinen Grundsätze verwiesen.
V. Konkurrenzen
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