Strafrecht Allgemeiner Teil 2 - Unterlassungsdelikt - Kausalität & objektive Zurechnung

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Strafrecht Allgemeiner Teil 2

Unterlassungsdelikt - Kausalität & objektive Zurechnung

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IV. Kausalität und objektive Zurechnung

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Ebenso wie bei den Begehungsdelikten ist auch bei den Unterlassungsdelikten eine Verbindung zwischen Unterlassen und Erfolg nötig. Diese Verbindung wird hergestellt zum einen durch die Kausalität und zum anderen durch die objektive Zurechnung.

Bei den Unterlassungsdelikten muss die conditio-sine-qua-non-Formel allerdings modifiziert werden. Ein „Hinwegdenken“ macht hier keinen Sinn, da der Täter ja gerade nichts getan hat, was man hinwegdenken könnte. Es muss also um ein „Hinzudenken“ und damit um eine hypothetische Kausalität (auch „Quasi-Kausalität) gehen.


Definition

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Definition: kausal

Das Unterlassen ist für den Erfolg kausal, wenn die rechtlich gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige (konkrete) Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.BGHSt 6, 1; 37, 106; BGH NStZ 2000, 583.

Die Formulierung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ umschreibt die Problematik der Kausalität bei den Unterlassungsdelikten. In der Praxis geht es an dieser Stelle um die sachverständige Bewertung alternativer Kausalverläufe und deren Erfolgswahrscheinlichkeit.

Beispiel

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Arzt A unterlässt es, den Notarzt zu verständigen, weil er den Willen seiner schwer kranken Patientin P, sich das Leben zu nehmen, respektiert. Als es P findet, ist die Vergiftung bereits weit fortgeschritten, so dass es fraglich erscheint, ob ein sofort herbeigerufener Notarzt den Eintritt des Erfolges noch hätte verhindern können.

Nach h.M. wirken sich Zweifel an der Kausalität nach dem „in dubio pro reo“ Grundsatz zugunsten des Täters aus. Lässt sich also nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beweisen, dass der Erfolg auch bei Vornahme der erforderlichen Handlung ausgeblieben wäre, dann muss die Kausalität verneint werden.BGH NStZ 2000, 583; Rengier Strafrecht AT § 49 Rn. 15.

Teilweise wird in der Literatur vertreten, es sei ausreichend, dass die Handlung des Risiko des Erfolgseintritts gemindert hätte („Risikoerhöhungslehre“, die hier als „Risikoverminderungslehre“ auftritt.)Greco ZIS 2011, 674. Diese Annahme führt aber ebenso wie bei den Erfolgsdelikten zur Aushöhlung des „in dubio pro reo“ Grundsatzes sowie zu einer Umwandlung von Erfolgs- in Gefährdungsdelikte.

Wie Sie bei der oben genannten Definition gesehen haben, scheint es im Hinblick auf den Erfolg 2 Möglichkeiten zu geben: es kann auf den konkreten oder den tatbestandsmäßigen Erfolg abgestellt werden.

Im Gegensatz zu den Begehungsdelikten stellt vor allem die RechtsprechungBGHSt 6,1 und 37,106. bei der Definition der Kausalität nicht auf den konkreten Erfolg ab, sondern auf den tatbestandsmäßigen Erfolg, um so einer Ausuferung der Haftung für Unterlassungen entgegenzuwirken.

Die Literatur hingegen stellt hingegen wie sonst auch auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt ab und nimmt die Einschränkung im Bereich der objektiven Zurechnung vor.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 1173. Im Rahmen der objektiven Zurechnung wird ein spezieller Pflichtwidrigkeitszusammenhang gefordert. Bei diesem speziellen Pflichtwidrigkeitszusammenhang wird danach gefragt, ob die Vornahme der gebotenen Rettungshandlung in der konkreten Gefahrsituation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Erhaltung des gefährdeten Rechtsguts, d.h. zur Vermeidung des nunmehr tatbestandlichen Erfolges oder jedenfalls zu einer wesentlich geringeren Verletzung geführt hätte. Für den Fall, dass der gleiche tatbestandliche Erfolg lediglich in anderer Gestalt auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, wird der Pflichtwidrigkeitszusammenhang und damit die objektive Zurechnung verneint. Sofern dies nicht sicher festgestellt werden kann, greift zugunsten des Täters der „in dubio pro reo“ Grundsatz.Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 1173; Otto in Jura 2001, 275.

Expertentipp

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Bedenken Sie, dass die Rechtsprechung die objektive Zurechnung nur bei den Fahrlässigkeitsdelikten, nicht jedoch bei den Vorsatzdelikten prüft. Insofern scheint die Einschränkung bei der Kausalität nachvollziehbar. Sie brauchen in der Klausur keine Entscheidung zwischen den unterschiedlichen Definitionsansätzen zu treffen. Es reicht, wenn Sie die Unterschiede darstellen und darauf hinweisen, dass die Literatur die Einschränkung bei der objektiven Zurechnung vornimmt und dementsprechend zum selben Ergebnis gelangt.

Beispiel

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Bei einem Brand wird A mit seinen beiden Kleinkindern in einer Dachgeschosswohnung eingeschlossen. Ein Entkommen ist lediglich durch einen Sprung aus dem Fenster, welches sich ca. sechs bis sieben Meter über der Erde befindet, möglich. Unterhalb des Fensters warteten drei kräftige Männer mit ausgebreiteten Armen darauf, dass A die Kinder aus dem Fenster wirft. Wegen des Verletzungsrisikos kann sich A jedoch nicht entschließen, die Kinder hinabzuwerfen. In letzter Sekunde bringt er sich selbst durch einen Sprung nach unten in Sicherheit, während die Kinder in den Flammen umkommen.

Bei der Kausalität hat der BGH in diesem sog. FensterwurffallBGH JZ, 1973, 173. nicht danach gefragt, ob die Kinder dem Flammentod entgangen wären, sondern ob sie ganz allgemein dem Tod entgangen wären, wenn A sie rechtzeitig aus dem Fenster geworfen hätte. Wegen der in diesem Fall zu 90 % bestehenden Gewissheit, dass bei dem Wurf die Kinder gerettet worden wären, wurde die Kausalität bejaht.

Die Literatur hätte bei der Kausalität danach gefragt, ob die Kinder dem Erfolg in seiner konkreten Gestalt, also dem Tod durch Verbrennen, entgangen wären. Dies wäre von der Literatur bejaht worden. Bei der objektiven Zurechnung hätte dann im Rahmen des speziellen Pflichtwidrigkeitszusammenhangs danach gefragt werden müssen, ob der Wurf aus dem Fenster mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Überleben der Kinder geführt hätte. Dies wäre von der Literatur im Rahmen der objektiven Zurechnung ebenso bejaht worden wie vom BGH im Rahmen der Kausalität.  

Beispiel

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Nehmen Sie alternativ an, das Kind wäre auch beim Hinabwerfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gestorben, womit der Vater gerechnet hat. In diesem Fall würde der BGH die Kausalität verneinen, da derselbe tatbestandliche Erfolg auch beim Hinabwerfen eingetreten wäre. Die Literatur würde erneut die Kausalität bejahen, da der konkrete Erfolg (Tod durch Verbrennen) ausgeblieben wäre. Allerdings würde die Literatur dann den Pflichtwidrigkeitszusammenhang verneinen, da der tatbestandliche Erfolg auch bei Vornahme der Handlung eingetreten wäre.

Neben dieser Besonderheit beim Unterlassungsdelikt müssen Sie in einer Klausur bei der objektiven Zurechnung wie sonst auch prüfen, ob der Täter mit seinem Unterlassen ein rechtlich relevantes Risiko gesetzt hat, welches sich in tatbestandlicher Weise im Erfolg realisiert hat.

Besondere Bedeutung kommt dem „Unterlassen von Rettungsmaßnahmen“ insbesondere bei einem Suizid zu. Sofern es sich bei diesem Suizid um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung handelt, ist der Täter – mittlerweile auch nach heutiger Rechtsprechung des BGH – straffrei. Die Literatur verneint wie beim Begehungsdelikt die objektive ZurechnungWessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT Rn. 266., der BGHBGH NJW 2019, 3089 – anders, wenn es sich nicht um einen freiverantwortlichen Suizid handelt: BGH NJW 2016, 176, der dann noch immer ein Überspringen der Tatherrschaft auf den Garanten und damit keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung annimmt., der bei Vorsatzdelikten nicht mit der objektiven Zurechnung arbeitet, verneint die sich aus einer Garantenstellung ergebende Pflicht zum Handeln (Garantenpflicht).

Hinweis

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Mit den Voraussetzungen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung haben wir uns im Skript „Strafrecht AT I“, dort Rn. 90 befasst. Nutzen Sie die Gelegenheit und wiederholen Sie dieses Thema.

Beispiel

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D leidet seit ihrem 16. Lebensjahr an einem sehr schmerzhaften und die Lebensqualität massiv einschränkenden Reiz-Darm-Syndrom. Seit langem äußert sie den Wunsch, sterben zu wollen. Arzt A, der sie seit ihrer Kindheit betreut, stellt 2 Rezepte über ein Medikament aus, welches in einer gewissen Dosierung zum Tode führen kann. D nimmt diese Medikamente ein und fällt ins Koma. A unterlässt es, den Notdienst zu verständigen, weil er den Wunsch der D respektiert. Ob D hätte gerettet werden können, lässt sich nicht mehr sicher feststellen.

A könnte sich u.a. gem. §§ 212, 216, 13, 22, 23 strafbar gemacht haben, indem er es unterließ, den Rettungsdienst zu verständigen. Da es sich jedoch um eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der D handelte, kommt nunmehr in diesen Fällen auch der BGHBGH NJW 2019, 3089. zu dem Ergebnis der Straffreiheit für A. Aus dem sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG ergebenden und auch den §§ 1901a ff. BGB zugrundeliegendem Selbstbestimmungsrecht folge, so der BGH, dass der freiverantwortliche gefasste Wille der Sterbenden zu berücksichtigen sei, der Arzt als Garant mithin nicht verpflichtet sei, entgegen dem Willen der Strebenden zu handeln.

 

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