Inhaltsverzeichnis
A. Überblick
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Der Tatbestand im engeren Sinne, auch Unrechtstatbestand genannt, beschreibt die Straftat abstrakt und enthält damit vertyptes Unrecht. Die Grundstruktur des Tatbestandes dürfte Ihnen schon vom Lesen einzelner Normen bekannt sein. Sie sieht wie folgt aus: „Wer x tut oder y unterlässt, wird bestraft“. Der Tatbestand übernimmt damit eine Auslesefunktion, d.h. aus einer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten werden diejenigen Verhaltensweisen ausgewählt, die nach Überzeugung der Rechtsgemeinschaft aufgrund der Sozialschädlichkeit bei Strafe verboten werden sollen.
Hinweis
Vom Tatbestand im engeren Sinne ist der Tatbestand im weiteren Sinne zu unterscheiden. Mit dem Tatbestand im weiteren Sinne werden alle Voraussetzungen einer Strafbarkeit bezeichnet, mithin nicht nur der Tatbestand im engeren Sinne, sondern darüber hinaus auch Rechtswidrigkeit und Schuld. Die oben beschriebene Garantiefunktion erstreckt sich auf den Tatbestand im weiteren Sinne.
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Sofern Sie der finalen oder sozialen Handlungslehre folgen – was Sie in der Klausur tun sollten – unterscheiden Sie beim Tatbestand den objektiven und den subjektiven Unrechtstatbestand. Einige Delikte, so der § 231 verlangen zusätzlich eine sog. „objektive Strafbarkeitsbedingung“. Diese ist im Anschluss an den subjektiven Tatbestand als Tatbestandsannex zu prüfen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind selbstverständlich von Delikt zu Delikt unterschiedlich und werden im Einzelnen vertieft in den Skripten „Strafrecht Besonderer Teil I, II und III“ dargestellt. Gleichwohl können Sie sich bei der Prüfung vieler Delikte im Wesentlichen an dem nachfolgend dargestellten Aufbauschema orientieren, welches für das vorsätzliche Begehungsdelikt relevant ist.
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Das Aufbauschema für das vollendete vorsätzliche Begehungsdelikt sieht wie folgt aus:
Prüfungsschema
Wie prüft man: Vollendetes vorsätzliches Begehungsdelikt
I. | Objektiver Unrechtstatbestand |
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| 1. | besondere Merkmale des Tatsubjektes, sofern vom Gesetz gefordert |
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| 2. | die Tathandlung mit ihren äußeren Merkmalen einschließlich besonderer Begehungsweisen oder Tatmittel (Beispiel: „Wegnahme“ in § 242 oder „heimtückische Tötung“ in § 211) |
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| 3. | das Tatobjekt entsprechend den tatbestandlich vorausgesetzten Merkmalen (Beispiel: „fremde bewegliche Sache“ gem. § 242 oder „ein anderer Mensch“ bei § 212) |
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| 4. | der Tatort, sofern von Gesetz gefordert (Beispiel: „vor Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle“ bei § 153) |
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| 5. | bei Erfolgsdelikten: |
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| a) | Eintritt des tatbestandlichen Erfolges |
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| b) | Kausalität |
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| alternative, kumulative und überholende Kausalität | Rn. 68 |
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| c) | Objektive Zurechnung |
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| Fallgruppen, insbesondere eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten, die eigenverantwortliche Selbstgefährdung sowie rechtmäßiges Alternativverhalten | Rn. 85, 88, 93 |
II. | Subjektiver Unrechtstatbestand |
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| 1. | der Tatbestandsvorsatz, der sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale umfassen muss |
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| dolus eventualis in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit | Rn. 106 | |
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| dolus alternativus | Rn. 112 | |
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| Irrtum gem. § 16 Abs. 1 in Abgrenzung zum Irrtum gem. § 17 | Rn. 120 | |
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| error in persona vel objecto | Rn. 122 | |
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| aberratio ictus | Rn. 124 | |
| 2. | sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale wie besondere Absichten oder Motive (Beispiel: Zueignungsabsicht bei § 242, die Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen bei § 211) |
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III. | Tatbestandsannex |
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| Objektive Bedingungen der Strafbarkeit (Beispiel: Der Tod eines Menschen oder die schwere Körperverletzung bei § 231) |
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