Strafprozessrecht (Basics) - Das Erkenntnisverfahren erster Instanz - Voraussetzungen des Strafverfahrens

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Strafprozessrecht (Basics)

Das Erkenntnisverfahren erster Instanz - Voraussetzungen des Strafverfahrens

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A. Voraussetzungen des Strafverfahrens

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Die Durchführung eines Strafverfahrens hängt von gewissen allgemeinen Prozessvoraussetzungen ab. Das Fehlen einer Prozessvoraussetzung stellt ein Verfahrenshindernis dar, welches grundsätzlich dazu führt, dass in der Sache keine Entscheidung ergeht. Je nach Stadium, in welchem sich das Strafverfahren befindet, hat das folgende Konsequenzen:

im Ermittlungsverfahren: Stellt die Staatsanwaltschaft fest, dass die Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen, so stellt sie das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein.

im Zwischenverfahren: Wird das Fehlen dieser Voraussetzungen erst im Zwischenverfahren festgestellt, dann beschließt das Gericht, die Hauptverhandlung nicht zu eröffnen gem. § 204 StPO.

im Hauptverfahren: Außerhalb der Hauptverhandlung stellt das Gericht bei Fehlen der Voraussetzungen das Verfahren gem. § 206a StPO ein. Wird ein Verfahrenshindernis erst während der Hauptverhandlung festgestellt oder tritt es erst während dieser Verhandlung ein, so endet die Hauptverhandlung mit einem Prozessurteil, in welchem die Einstellung ausgesprochen wird, § 260 Abs. 3 StPO. Steht allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass der Angeklagte bei Vorliegen der Voraussetzungen freizusprechen wäre, so muss ein freisprechendes Urteil ergehen (Vorrang des Freispruchs).

Engländer Examens-Repetitorium Strafprozessrecht Rn. 9.

I. Die Prozessvoraussetzungen

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Die Prozessvoraussetzungen sind in jedem der soeben dargestellten Verfahrensstadien von Amts wegen zu prüfen. Zu den wichtigen Prozessvoraussetzungen zählen:

 

Expertentipp

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Fragen nach den Verfahrenshindernissen sind beliebte Zusatzfragen, sowohl in der Klausur als auch in der mündlichen Prüfung. Außerdem sind sie wichtig für die Revision. Sie sollten sich also die nachfolgenden Ausführungen gut einprägen.

keine anderweitige Rechtshängigkeit: Hat das Gericht bereits bezüglich derselben prozessualen Tat einen Eröffnungsbeschluss erlassen, so ist die Sache bei diesem Gericht rechtshängig. Dies führt dazu, dass diese Tat nicht mehr vor einem anderen Gericht angeklagt werden kann.

BGHSt 29, 341.

keine entgegenstehende Rechtskraft: Ist bezüglich derselben prozessualen Tat bereits eine rechtskräftige Entscheidung ergangen, so darf ebenfalls keine erneute Anklage erhoben werden. Es ist ein sog. Strafklageverbrauch eingetreten (vgl. dazu Art. 103 Abs. 3 GG).

Expertentipp

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Wie Sie sehen, ist die prozessuale Tat ein wichtiger Begriff, mit dem wir uns ausführlich unter Rn. 38 auseinandersetzen werden.

keine Verjährung: Die Verfolgung einer verjährten Tat ist nicht möglich. Die Verjährung ist geregelt in den §§ 78 ff. StGB. Die abstrakte Verjährungsfrist bestimmt sich nach § 78 StGB, die konkrete Verjährungsfrist wird nach § 78a StGB berechnet. Sie beginnt in der Regel mit der Beendigung der Tat. Unter bestimmten Umständen kann die Frist ruhen (§ 78b StGB) oder aber unterbrochen werden (§ 78c StGB).

wirksamer Strafantrag bei Antragsdelikten bzw. wirksame Ermächtigung (z.B. § 90 StGB): Sofern es sich um absolute Antragsdelikte handelt, ist der Strafantrag, der vom Verletzten gestellt werden muss, Verfolgungsvoraussetzung. Fehlt dieser, so kann bezüglich dieser Tat keine Anklage erhoben werden. Beachten Sie aber, dass es Delikte gibt, bei denen der fehlende Strafantrag durch das öffentliche Interesse ersetzt werden kann.

Hinweis

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Bei der Beschäftigung mit dem materiellen Strafrecht werden Ihnen absolute und relative Antragsdelikte begegnet sein. Absolute Antragsdelikte sind solche, bei welchen die Verfolgung ausschließlich von dem Vorliegen eines Strafantrags abhängt, so z.B. der Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB und die Beleidigung gem. § 185 StGB. Relative Antragsdelikte hingegen sind solche, die zwar grundsätzlich eines Strafantrags bedürfen, bei denen sich die Staatsanwaltschaft jedoch wegen des besonderen öffentlichen Interesses über das Fehlen eines Antrags hinwegsetzen darf. Zu den relativen Antragsdelikten gehört der Diebstahl einer geringwertigen Sache gem. §§ 242, 248a StGB sowie aufgrund der entsprechenden Verweise die Begünstigung gem. § 257 Abs. 4 S. 1 StGB, die Hehlerei gem. § 259 Abs. 2 StGB, der Betrug gem. § 263 Abs. 4 StGB, sowie die Untreue gem. § 266 Abs. 2 StGB.

Strafmündigkeit: Wie sich aus § 19 StGB ergibt, sind Personen unter 14 Jahren nicht schuldfähig. Sie sind damit auch nicht strafmündig, so dass gegen sie kein Strafverfahren durchgeführt werden kann.

Verhandlungsunfähigkeit: Der Beschuldigte muss in der Lage sein, aktiv an dem Strafverfahren mitzuwirken, insbesondere sich in adäquater Weise zu verteidigen. Ist die Verhandlungsfähigkeit nur vorübergehend eingeschränkt, so kann dies zu einer vorläufigen Einstellung gem. § 205 StPO (analog) führen. Die endgültige Verhandlungsunfähigkeit ist demgegenüber ein Verfahrenshindernis, welches zur Einstellung zwingt.

BVerfG NJW 1995, 19, 51.

Beispiel

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In dem Verfahren gegen den vom LG München wegen Beihilfe zum Mord an 29 000 Juden zu 5 Jahren Haft verurteilten John Demjanjuk war die Verhandlungsfähigkeit in Anbetracht des Alters (89 Jahre) des Angeklagten ein großes Problem. Nachdem medizinische Gutachter ihn für eingeschränkt verhandlungsfähig erklärt hatten, konnte Anklage erhoben und der Prozess durchgeführt werden.

Informationen dazu finden Sie unter http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mutmasslicher-ns-verbrecher-aerzte-erklaeren-demjanjuk-fuer-verhandlungsfaehig-a-634140.html.

keine Immunität: Gem. Art. 46 Abs. 2 und 4 GG und § 152a StPO in Verbindung mit den entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen sind Mitglieder des Bundestages und der Länderparlamente für die Dauer ihres Mandats immun, d.h. es darf grundsätzlich keine Strafverfolgung durchgeführt werden. Beachten Sie jedoch, dass das Parlament die Strafverfolgung genehmigen kann gem. Art. 46 Abs. 2 GG.

wirksamer Eröffnungsbeschluss und wirksame Anklage: Prozessvoraussetzung des Hauptverfahrens sind ein wirksamer Eröffnungsbeschluss sowie eine wirksame Anklage (zum Inhalt der Anklageschrift siehe § 200 StPO). Beide können jedoch nach herrschender Meinung auch während der Hauptverhandlung noch nachgeholt werden, so dass die Fehler, auch wenn es schwerwiegende sind, geheilt werden können.

BGHSt 29, 224; a.A. Beulke/Swoboda Strafprozessrecht Rn. 284 f.

sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts: Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts ist in der StPO und dem GVG geregelt. Wir werden uns ausführlich damit auseinandersetzen unter Rn. 45 ff.

kein Tod des Beschuldigten: Es ist allgemein anerkannt, dass nach dem Tod des Beschuldigten keine Sachentscheidung mehr ergehen darf. Nach neuerer Rechtsprechung endet das Verfahren nicht von selbst, sondern ausschließlich durch einen förmlichen Einstellungsbeschluss.

BGHSt 45, 108.
Umstritten ist, ob der Umstand, dass der Beschuldigte aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende der Hauptverhandlung nicht mehr erleben wird, ein Verfahrenshindernis darstellt. Dies wurde im Fall Honecker vom BerlVerfGH bejaht.BerlVerfGH NJW 1993, 515; a.A. Beulke/Swoboda Strafprozessrecht Rn. 289. Ein generelles Verfahrenshindernis wegen hohen Alters des Beschuldigten kann daraus allerdings nicht abgeleitet werden. Ist hingegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass der Tod des Beschuldigten gerade durch das Strafverfahren zu erwarten ist, so kann aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein Verfahrenshindernis abgeleitet werden.BVerfG NJW 2002, 51.

Eine überlange Verfahrensdauer stellt nach herrschender Meinung grundsätzlich kein Verfahrenshindernis dar. Eine Lösung wird hier auf der Strafzumessungsebene gesucht.

Beulke/Swoboda Strafprozessrecht Rn. 287 und Rn. 26. Lesen Sie zur Ausnahme aber das Fallbeispiel unter Rn. 104.

II. Rechtsstaatswidrige Tatprovokation

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Problematisch ist, inwieweit eine Tatprovokation durch einen polizeilichen Lockspitzel ein Verfahrenshindernis darstellen kann.

Bislang hatte der BGH bei einer Tatprovokation eines verdeckten Ermittlers (agent provocateur) die Strafzumessungslösung gewählt. Diese Linie vertrat er noch im Mai 2015

BGH Beschluss vom 19.5.2015, AZ 1 StR 128/15 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. trotz einer mittlerweile ergangenen Entscheidung des EGMREGMR „Furcht gegen Deutschland“, Individualbeschwerde Nr. 54648/09.. Der EGMR hatte in der Angelegenheit Furcht/Deutschland deutlich gemacht, dass diese Lösung nicht ausreiche, um die Menschenrechtsverletzung zu kompensieren, die darin liege, dass ein zunächst unschuldiger, unverdächtiger Mensch zum Werkzeug der Kriminalpolitik gemacht werde. Im Einzelnen hat der EGMR u.a. folgendes ausgeführt:

„Der ständigen Rechtsprechung des Gerichthofs zufolge ist der Gebrauch von Beweismitteln, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen wurden, nach Art. 6 Abs. 1 der Konvention nicht erlaubt. Damit ein Verfahren im Sinne dieser Bestimmung fair ist, müssen alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen muss greifen.“

Wesentliche Voraussetzung der vom EGMR aufgeführten Konsequenzen ist, dass eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegt. Die Definition einer solchen Provokation ist nach der Rechtsprechung des EGMR weit. Zulässig sind demnach ausschließlich passiv begleitende Aktivitäten verdeckter Ermittler. Wird jedoch z.B. durch eine Anstiftung oder auf andere Weise Einfluss genommen, dann handelt es sich nach Auffassung des EGMR um eine unzulässige Tatprovokation. Wesentlich bei der Abgrenzung ist die Frage nach der hypothetischen Kausalität. Wäre die Tat ohne die Handlung der verdeckten Ermittler so nicht begangen worden, muss eine rechtsstaatswidrige Provokation angenommen werden. Dabei trägt der Staat die Beweislast. Kann er keine entlastenden Indizien vortragen ist von einer unzulässigen Provokation auszugehen.

Im Juni 2015 hat der BGH

BGH Urteil vom 10.6.2015, AZ 2 StR 97/14 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. alsdann seine Rechtsprechung unter Berücksichtigung der genannten EGMR Rechtsprechung geändert und in Fällen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis angenommen.

Beispiel

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Im zu entscheidenden Fall des 2. Senats

BGH Urteil vom 10.6.2015, AZ 2 StR 97/14 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de. bestand gegen die zwei späteren Verurteilten ein vager Tatverdacht, diese könnten in Geldwäsche- und Betäubungsmittelstraftaten verwickelt sein. Nachdem umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler über einen Zeitraum von mehreren Monaten auf die beiden Männer an. Die Ermittler versuchten, die Beschuldigten dazu zu überreden, Ihnen große Mengen Ecstasy Tabletten zu besorgen, was die Beschuldigten ablehnten. Erst als einer der Ermittler behauptete, seine Familie werde mit dem Tode bedroht, halfen die Beschuldigten ohne Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr der Tabletten.

Der Senat hat offen gelassen, ob die Rechtsfolge einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines endgültigen Verfahrenshindernisses in allen Fällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eintreten muss, wie es die Rechtsprechung des EGMR allerdings nahe legt, oder ob eine „abgestufte“ Lösung je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverletzung möglich wäre. Bei der Sachlage im konkreten Fall hat er jedoch auf der Basis der Feststellungen des Landgerichts jede andere Möglichkeit der Kompensation ausgeschlossen.

Diese „abgestufte“ Lösung hat nachfolgend im Jahr 2017 dann der 1. Senat des BGH aufgegriffen und die nach seiner Auffassung nicht rechtsstaatswidrige, da vergleichsweise harmlose Provokation des verdeckten Ermittlers lediglich auf Strafzumessungsebene zugunsten des Täters berücksichtigt.

BGH NStZ 2018, 355.

Hinweis

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Der polizeiliche Lockspitzel (auch agent provocateur genannt) macht sich dann nicht wegen Anstiftung zu dem jeweiligen Straftatbestand strafbar, wenn sein Vorsatz nicht auf die Verwirklichung des Deliktes durch den Täter gerichtet war. Näheres dazu finden Sie im Skript „Strafrecht AT II“ im Kapitel „Täterschaft und Teilnahme“.

 

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