Staatsorganisationsrecht

Der Bundestag - Der Status der Bundestagsabgeordneten

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III. Der Status der Bundestagsabgeordneten

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Aus der Bundestagswahl gehen gem. § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG – vorbehaltlich der noch hinzuzurechnenden Überhang- und Ausgleichsmandate – insgesamt 598 Abgeordnete hervor. Deren Status ist in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG geregelt. Jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages ist Vertreter des Volkes. Aus dem Status des Abgeordneten folgen die Rechte, die erforderlich sind, damit er der Aufgabe als Volksvertreter nachkommen kann. Einiges wird im Grundgesetz ausdrücklich genannt, so die Indemnität (Art. 46 Abs. 1 GG), Immunität (Art. 46 Abs. 2 bis 4 GG) oder ein Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 47 GG). Die meisten mandatsbezogenen Rechte ergeben sich jedoch als Ausprägung des freien Mandates aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Sie garantieren damit ein verfassungsrechtliches Recht auf freie und effektive Mandatsausübung (vgl. Rn. 121).

1. Der Grundsatz des freien Mandats

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Expertentipp

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Bitte wiederholen Sie den Zusammenhang des freien Mandates mit dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie in Rn. 21.

Da die Abgeordneten Vertreter des gesamten Volkes und nicht nur einer Partei oder ihrer Wähler sind, können sie an Aufträge nicht gebunden sein, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Sie sind vielmehr berechtigt und verpflichtet, in ihrer Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung zu handeln.

Das freie Mandat ist abzugrenzen vom imperativen Mandat. Letzteres bindet den Abgeordneten an den Wählerwillen oder an Weisungen von Partei oder Fraktion. Das freie Mandat schützt hingegen die Abgeordneten vor unzulässiger Einflussnahme von Wählern, Wählergruppen, Parteien bzw. Fraktionen oder anderen politischen und wirtschaftlichen Gruppen und garantiert ihre Unabhängigkeit.

Expertentipp

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Entscheiden Sie sich in Konfliktfällen für den Vorrang der Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten i.S.d. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG.

2. Das Recht auf effektive Mandatsausübung

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Aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG wird hergeleitet, dass der Abgeordnete über Mitwirkungsmöglichkeiten im Parlament verfügen muss, um seinem Amt als Volksvertreter nachkommen zu können. Diese Ausprägung des freien Mandats fasst man unter dem Begriff „effektives Mandatsausübungsrecht“ zusammen.

Hierzu gehören insbesondere:

das Teilnahme-, Rede- und Fragerecht der Abgeordneten,

das Recht zur Bildung von Fraktionen,

das Informationsrecht,

das Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung,

BVerfGE 140, 115.

der Störungsbeseitigungsanspruch gegenüber dem Vorsitzenden in Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse und

die Freiheit der Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle.

BVerfGE 134, 141.

Expertentipp

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Es geht um die Frage: Was muss dem Abgeordneten zustehen, damit er der Aufgabe gerecht werden kann, „Vertreter des ganzen Volkes“ zu sein? Diese Herleitung ermöglicht in der Klausur die Überprüfung eines Gesamtverständnisses, das über bloßes Detailwissen hinausgeht.

Das Informationsrecht des Abgeordneten ergibt sich auch aus dem demokratischen Gewaltenteilungsgrundsatz gem. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG . Denn er kann seine Funktion der Kontrolle der Regierung nur wahrnehmen, wenn er die Möglichkeit hat, sich über das Handeln der Exekutive in ihrem Verantwortungsbereich zu informieren. Seine Konkretisierung erfährt das Fragerecht in §§ 104 f. GOBT. Gem. § 105 GOBT können auch einzelne Abgeordnete von der Bundesregierung Auskunft über bestimmte einzelne Bereiche verlangen.

Prüfungstipp

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Die GOBT ist kein Verfassungsrecht, sondern autonomes Satzungsrecht des Parlaments, Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG. Ein Verstoß gegen das parlamentarische Informationsrecht des Abgeordneten muss nach den einschlägigen Normen in der Verfassung, insbesondere also dem freien Mandatsausübungsrecht (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), geprüft werden.

Die parlamentarischen Mitwirkungsrechte gelten nicht unbeschränkt. Sie können im Einzelfall durch anderes Verfassungsrecht, die Grundrechte Dritter oder die Verpflichtung der Verfassungsorgane zur gegenseitigen Rücksichtnahme beschränkt werden.

Definition

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Definition: Verfassungsorgantreue

Verfassungsorgantreue ist die ungeschriebene Verpflichtung der Verfassungsorgane, in ihrem Verhältnis zueinander über die positiv festgestellten Befugnisse hinaus, sich von wechselseitiger Rücksichtnahme leiten zu lassen.

Beispiel

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Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist zu berücksichtigen, dass für die Beantwortung Kleiner Anfragen nur eine Frist von 14 Tagen zur Verfügung steht, § 104 Abs. 2 GOBT. Begehrt ein Abgeordneter Auskunft über einen geheimhaltungsbedürftigen Gegenstand, hat die Regierung – in Abwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse – die Möglichkeit einer Unterrichtung in nichtöffentlicher, vertraulicher oder geheimer Form. Verweigert die Regierung die Auskunft pauschal und ohne hinreichende Abwägung mit Hinweis auf das Geheimhaltungsinteresse, liegt insoweit ein Verstoß gegen das parlamentarische Informationsrecht des Abgeordneten vor.

Zudem rechtfertigt die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Parlaments Beschränkungen der Rechte des einzelnen Abgeordneten. Jedoch dürfen den Abgeordneten die Mitwirkungsrechte nicht vollständig entzogen werden. Das BVerfGBVerfGE 80, 188, 218. definiert einen unentziehbaren „Kernbereich“ verfassungsrechtlicher Abgeordnetenrechte: das Rederecht, das Stimmrecht im Plenum, die Beteiligung an der Ausübung des Frage- und Informationsrechts des Parlaments, das Recht, sich an vom Parlament vorgenommenen Wahlen zu beteiligen, parlamentarische Initiativen zu ergreifen sowie sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Dabei muss nach der RechtsprechungBVerfGE 96, 264, 285. ein Mindeststandard gewährleistet sein, der die sinnvolle Wahrnehmung dieser Rechte ermöglicht.

Beispiel

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So können zwar Redezeiten im Plenum für einzelne Abgeordnete begrenzt werden (vgl. § 35 Abs. 1 GOBT), doch liegt die Untergrenze der Redezeit dort, wo diese so kurz bemessen ist, dass eine dem Debattenthema angemessene Äußerung nicht mehr möglich ist. 

Das Äußerungsrecht eines Abgeordneten im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG bezieht sich nicht nur auf die Kommunikation innerhalb des Plenums, sondern umfasst auch eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen den Abgeordneten und den Wählern.

Beispiel

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Anlässlich eines Besuches des türkischen Staatspräsidenten haben Polizeibeamte des Bundestages (vgl. Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG) die Abgeordnetenräume des Abgeordneten A betreten und dort an den Außenfenstern angebrachte DIN A4 Plakatierungen mit Zeichen einer kurdischen Organisation entfernt.

Der polizeiliche Eingriff in das Recht auf freie und effektive Mandatsausübung des A nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist nicht gerechtfertigt, weil das Vorgehen der Polizei beim Bundestag jedenfalls nicht verhältnismäßig ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Plakatierungen überhaupt von Passanten wahrgenommen oder zum Anlass von Angriffen auf das Parlamentsgebäude oder die Mitarbeiter genommen worden wären.BVerfG Beschluss vom 9.6.2020 – 2 BvE 2/19 -, juris.

3. Indemnität und Immunität

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Definition

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Definition: Indemnität

Indemnität bedeutet nach Art. 46 Abs. 1 GG, dass ein Abgeordneter wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag getan hat, nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

Damit schließt Art. 46 Abs. 1 GG in dem genannten Anwendungsbereich zivilgerichtliche Klagen, Straf- und Disziplinarverfahren gegen einen Abgeordneten aus.

Definition

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Definition: Immunität

Immunität bedeutet nach Art. 46 Abs. 2 GG, dass ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden darf, es sei denn, er wird auf frischer Tat ertappt.

Indemnität und Immunität sind beide einschlägig, soweit ein Abgeordneter wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung im Bundestag strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder gar verhaftet werden soll. Ansonsten unterscheidet sich ihr Anwendungsbereich:

Die Indemnität schützt das parlamentarische Verhalten des Abgeordneten, befreit ihn diesbezüglich aber von jeder, auch der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit. Sie gewährt Straffreiheit, auch über die Dauer des Mandates hinaus (vgl. § 36 StGB). Schutzgut der Indemnität ist die Freiheit des Mandats: Der einzelne Abgeordnete soll in seiner parlamentarischen Arbeit nicht durch die Drohung mit straf- oder zivilrechtlichen Konsequenzen behindert werden können. Folgerichtig darf das Parlament über die Indemnität eines Abgeordneten nicht verfügen.

Die Immunität dagegen schützt zwar auch das außerparlamentarische Verhalten, jedoch nur vor der Strafgewalt des Staates. Sie ist ein reines Strafverfolgungshindernis und besteht im Interesse des Parlamentes, dessen Arbeit vor den Strafverfolgungsorganen geschützt werden soll.

Infolgedessen kann das Parlament auf die Immunität gegen den Willen des Abgeordneten verzichten, indem es die Genehmigung zu Strafverfolgungsmaßnahmen erteilt (Art. 46 Abs. 2 GG). Auch erlischt die Immunität mit dem Mandat.

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Beispiel

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Der Abgeordnete X richtet eine Anfrage an die Bundesregierung, in der dem Bundesminister Y die Beteiligung an einer Steuerhinterziehungsaffäre unterstellt wird Zugleich übergibt X seine Anfrage der Presse, die tags darauf über die angebliche Steuerhinterziehung des Y berichtet. Y beantragt gegen X vor dem zuständigen Zivilgericht eine einstweilige Verfügung, mit der X verboten werden soll, eine derartige Unterstellung zu wiederholen. Ist der auf eine einstweilige Verfügung gerichtete Antrag zulässig?

Die Unzulässigkeit des Antrags könnte wegen der in Art. 46 Abs. 1 GG geregelten Indemnität in Betracht kommen. Dies setzt eine Äußerung des X im Bundestag voraus. Hieran kann wegen der Mitteilung an die Presse gezweifelt werden. Jedoch besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit einem parlamentarischen Vorgang. Der BGH differenziert in diesen Fällen wie folgt: Wird eine in der Öffentlichkeit erfolgte Äußerung im Parlament nur wiederholt, ist Art. 46 Abs. 1 GG nicht anwendbar. Wenn aber die Äußerung als Drucksache des Parlaments vorliegt, bevor sie an die Presse gegeben wird, es sich also um die nachträgliche Berichterstattung über eine im Parlament erfolgte Äußerung handelt, unterfällt sie insgesamt dem Schutz von Art. 46 Abs. 1 GG.

Folglich schützt Art. 46 Abs. 1 GG den X. Der Antrag des Y ist unzulässig. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Äußerung des X als verleumderische Beleidigung zu werten gewesen wäre, Art. 46 Abs. 1 S. 2 GG.Der Beispielsfall ist BGHZ 75, 384 ff. nachgebildet.

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4. Die Abgeordnetenentschädigung

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Nach Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG, §§ 11 ff. AbgG haben die Abgeordneten einen Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Die Tatsache, dass die Tätigkeit als Abgeordneter die Ausübung eines Berufs neben dem Mandat kaum zulässt, hat das BVerfGBVerfGE 40, 296 ff. in seinem grundlegenden Diäten-Urteil aufgegriffen: Aus der von Art. 48 Abs. 3 GG geforderten Entschädigung, die einmal eine Entschädigung für besonderen, mit dem Mandat verbundenen Aufwand war, sei die Bezahlung für die im Parlament geleistete Tätigkeit geworden. Die Diät verstehe sich als Entgelt für die Inanspruchnahme des Abgeordneten durch sein zur Hauptbeschäftigung gewordenes Mandat. Der Abgeordnete erhalte nicht mehr bloß eine Aufwandsentschädigung, sondern beziehe aus der Staatskasse ein echtes Einkommen. Die Alimentation sei so zu bemessen, dass sie auch für den, der kein Einkommen aus einem anderen Beruf hat, eine Lebensführung gestattet, die der Bedeutung des Mandats angemessen ist.

Die Entscheidung über die Diäten, insbesondere ihre Höhe und ihre Anpassung, liegt nach Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG beim Gesetzgeber. Dieser hat die einzelnen Entschädigungsposition und ihre Höhe in den §§ 11–17 des Abgeordnetengesetzes geregelt.BVerfGE 118, 277.

5. Die prozessuale Geltendmachung von Rechten der Abgeordneten

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Sofern es zu Rechtsstreitigkeiten von Abgeordneten mit anderen Organen (z.B. Bundestag oder Bundestagspräsident) oder Organteilen (z.B. Ausschuss oder Fraktion) über deren funktionelle Kompetenzen kommt, sind prozessuale Besonderheiten zu beachten. Es handelt sich um sogenannte Organstreitverfahren. Die Besonderheiten liegen vor allem darin begründet, dass die Wirkungen solcher Streitigkeiten innerhalb des Bundestages verbleiben (Innenrechtsstreitigkeit) und dass es dabei (nur) um Streitigkeiten über funktionelle Kompetenzen, nicht aber um private Rechte geht.

Die mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen Kompetenzen stehen den Abgeordneten nicht als Privatpersonen, sondern sind ihnen als Funktionsträger zugewiesen.

Hinweis

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Die mandatsbezogenen Rechte und Pflichten sind demnach keine persönlichen, privaten Rechte der hinter dem Amt stehenden natürlichen Person. Es handelt sich vielmehr um die funktionellen Wahrnehmungszuständigkeiten des Abgeordnetenmandats. Diese Wahrnehmungszuständigkeiten des Mandats sind rechtlich strikt von privaten Rechten der jeweiligen natürlichen Person zu trennen, die gerade das Abgeordnetenamt ausfüllt.

Abgeordnete können ihre mandatsbezogenen Rechte aus dem GG und der GOBT beim BVerfG im Wege des Organstreitverfahrens prozessual geltend machen und durchsetzen, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG.

Beispiel

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In einer Rede vor dem Bundestag beschimpft der Abgeordnete A den Bundesfinanzminister B als „den bisher größten deutschen Bankrotteur des 3. Jahrtausends“. Der Präsident des Bundestages rügt diese Bezeichnung als ungebührlich. Diese Rüge empfindet der Abgeordnete als einen Eingriff in sein Rederecht. Deshalb beantragt er vor dem BVerfG die Feststellung, die Rüge sei rechtswidrig.

In Betracht kommt eine Verletzung der Redefreiheit des Abgeordneten im Parlament, die durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als Ausprägung der Mandatsausübungsfreiheit gewährleistet ist. Eine Verfassungsbeschwerde scheitert allerdings daran, dass die Redefreiheit auf dem Abgeordnetenstatus des A beruht. Es geht nicht um die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG des A als Privatperson, sondern um sein Recht als Abgeordneter nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. A beruft sich auf seine Rechte als Staatsorgan.

Ein Organstreitverfahren scheitert aber daran, dass eine Rüge in der Regel nicht den Status als Abgeordneter berührt und somit keine Antragsbefugnis gegeben ist. Die Rüge ist das mildeste Mittel zur Aufrechterhaltung der parlamentarischen Ordnung gegenüber einem Bundestagsabgeordneten. Der Bundestagspräsident kann sie bei solchen Verstößen gegen die parlamentarische Ordnung anwenden, die er als so leicht bewertet, dass selbst ein Ordnungsruf als schwächstes der förmlichen Disziplinarmittel der Geschäftsordnung noch nicht angezeigt erscheint. Die Rüge, die zum Teil auch als Mahnung bezeichnet wird, ist an keine bestimmte Form gebunden. Kennzeichnend für die Rüge als Ordnungsmaßnahme ist ihr präventiver, hinweisender Charakter. Sie ist eine Maßnahme unterhalb der Sanktion für die Verletzung der parlamentarischen Form, ein Hinweis, die parlamentarischen Gepflogenheiten zu beachten. Dementsprechend gibt es gegen die Rüge auch keinen Einspruch an den Bundestag, wie er in § 39 GOBT für die Fälle des Ordnungsrufes und des Ausschlusses vorgesehen ist. Aus dem vorwiegend mahnenden Charakter der parlamentarischen Rüge folgt, dass dieses Ordnungsmittel in der Regel nicht die verfassungsmäßigen Rechte des Abgeordneten, gegen den sie sich richtet, beeinträchtigen kann. Eine Rüge durch den Bundestagspräsidenten bringt zwar auch eine Missbilligung der Äußerung oder des Verhaltens eines Abgeordneten zum Ausdruck, hat jedoch weder unmittelbar noch mittelbar einen Rechtsnachteil zur Folge. Somit ist auch das Organstreitverfahren unzulässig.

Anders wäre der Fall, wenn der Bundestagsabgeordnete wegen einer Äußerung in einer Plenardebatte mit einer Ordnungsmaßnahme – Ordnungsruf oder Ausschluss gem. §§ 36 ff GOBT – belegt worden wäre. Dabei ist zwischen Rüge und Ordnungsruf allerdings streng zu trennen. Ein Ordnungsruf im Sinne des § 36 S. 2 GOBT liegt nur dann vor, wenn er vom Präsidenten des Bundestages auch nach außen hin ausdrücklich als solcher kenntlich gemacht worden ist. Er muss mindestens den Begriff „Ordnung“ enthalten. Durch dieses strenge Formerfordernis soll gerade sichergestellt werden, dass der Ordnungsruf, gegen den der betroffene Abgeordnete Einspruch einlegen kann (§ 39 GOBT) und der bei zweimaliger Wiederholung zur Entziehung des Wortes führt (§ 37 GOBT), eindeutig von der Rüge im engeren Sinn zu unterscheiden ist. Bei einer Ordnungsmaßnahme wäre die zu dem verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gehörende Befugnis zur Rede nachteilig berührt.BVerfGE 10, 4, 12. Das Organstreitverfahren wäre hier zulässig.Vgl. BVerfGE 60, 374.

Im Organstreitverfahren ist neben der Geltendmachung eigener aber auch die Geltendmachung fremder Rechte möglich. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG kann ein Teil eines Organs auch eine Verletzung der Rechte des Organs, dem er angehört, und somit fremde Rechte geltend machen. Diese Prozessstandschaft, nähme man sie wörtlich, gäbe jedem einzelnen Abgeordneten das Recht, etwa Rechte, die dem Bundestag insgesamt gegenüber der Bundesregierung zustehen, geltend zu machen, möglicherweise gegen den Willen der Mehrheit im Bundestag. Das BVerfG beschränkt die Möglichkeiten der Prozessstandschaft deshalb auf Fraktionen und Ausschüsse.BVerfGE 2, 143 ff.


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6. Pflichten der Abgeordneten

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Aus der Stellung eines Abgeordneten folgen auch Pflichten. Diese müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben oder in einfachen Gesetzen normiert sein. Pflichten auf einfachgesetzlicher Grundlagen haben wiederum mit der Verfassung, insbesondere dem Recht auf freie und effektive Mandatsausübung nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Einklang zu stehen. Der Pflichtenkreis eines Abgeordneten beinhaltet im Wesentlichen Teilnahme- und Veröffentlichungspflichten.

Zu den Teilnahmepflichten gehört die aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie abzuleitende Pflicht zur Anwesenheit und Mitwirkung im Bundestag. Nach der einfachgesetzlichen Konkretisierung dieser Pflicht in § 44a Abs. 1 S. 1 AbgG muss die Ausübung des Mandates im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages stehen (siehe dazu den nachfolgenden Fall Nr. 4). § 13 Abs. 2 S. 1 GO BT normiert zudem, dass die Mitglieder des Bundestages an dessen Arbeit teilzunehmen haben. Unbeschadet dieser Verpflichtungen bleiben allerdings Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat grundsätzlich zulässig (vgl. § 44a Abs. 1 S. 2 AbgG). Auch das Grundgesetz hält – mit Ausnahme der in Art. 137 Abs. 1 GG geregelten Fälle – ein Nebeneinander von Mandat und Beruf des Abgeordneten für vereinbar.

Nach Maßgabe des § 44a Abs. 4 S. 1 AbgG und von §§ 1-3 Anl. 1 GO BT (Verhaltensregeln für Mitglieder des Bundestages) obliegen den Abgeordneten bestimmte Veröffentlichungspflichten. Diese dienen der Öffentlichkeit als Information über relevante wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten von Dritten auf einen Abgeordneten.

7. Übungsfall Nr. 4

Übungsfall Nr. 4: „Mandat im Mittelpunkt“

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