Inhaltsverzeichnis
- IX. Verhältnis der Gewährleistungsrechte zu anderen Rechten
- 1. Rechtslage vor Anwendbarkeit des § 437
- 2. Rechtslage bei Anwendbarkeit des § 437
- a) Verhältnis zur Anfechtung
- aa) Anfechtung nach §§ 119 Abs. 1, 123
- bb) Anfechtung nach §§ 119 Abs. 2
- b) Verhältnis zu §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, Abs. 3
- c) Verhältnis zu §§ 823 ff.
IX. Verhältnis der Gewährleistungsrechte zu anderen Rechten
1. Rechtslage vor Anwendbarkeit des § 437
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Da § 437 die Rechtsfolgen bei Vorliegen eines Mangels explizit regelt, stellt sich die Frage, ob neben den dort vorgesehenen Rechtsfolgen auch noch andere Rechte des Käufers in Betracht kommen. Festzuhalten ist zunächst einmal, dass Konkurrenzprobleme grundsätzlich erst ab Gefahrübergang (§ 434) bzw. ab Übertragung des Rechts (§ 435) entstehen können. Denn vorher kommt § 437 gar nicht zur Anwendung.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die h.M. für die Anfechtung gem. § 119 Abs. 2, dazu sogleich. Vorher stehen dem Käufer die Primäransprüche gem. § 433 Abs. 1 und die sich aus dem Allgemeinen Leistungsstörungsrecht ergebenden Rechte zu.Besonders deutlich wird dies an § 285: Vor Gefahrübergang ist dieser Anspruch anwendbar, nach Gefahrübergang mangels Nennung in § 437 nicht mehr, Palandt-Weidenkaff § 437 Rn. 50; a.A. von Olshausen ZGS 2002, 194 ff.2. Rechtslage bei Anwendbarkeit des § 437
a) Verhältnis zur Anfechtung
aa) Anfechtung nach §§ 119 Abs. 1, 123
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Die Möglichkeit der Anfechtung gem. § 119 Abs. 1 bleibt auch nach Gefahrübergang unberührt. Es handelt sich um Störungen, die mit der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes nichts zu tun haben. Auch die Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 ist immer möglich.
Palandt-Weidenkaff § 437 Rn. 53 f.bb) Anfechtung nach §§ 119 Abs. 2
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Eine Anfechtung gem. § 119 Abs. 2 ist nur insoweit zulässig, als die Regelungen der §§ 437 ff. durch sie nicht umgangen bzw. „ausgehebelt“ werden. Der Verkäufer kann also den Kaufvertrag nicht mit der Begründung anfechten, er habe sich über die fehlende Mangelfreiheit des Kaufgegenstandes geirrt, denn anderenfalls würde der Käufer um seine Gewährleistungsrechte gebracht. Dasselbe gilt für die Anfechtung des Käufers gem. § 119 Abs. 2 wegen Irrtums über das Vorliegen eines Mangels. Nur auf diese Weise kann verhindert werden, dass der Käufer kaufrechtliche Haftungsausschlüsse umgeht, zudem könnte er auf diese Weise den kürzeren Verjährungsfristen des § 438 entgehen.
BGH NJW-RR 2008, 222 Tz. 9; Palandt-Ellenberger § 119 Rn. 28; Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 573.Die Anfechtung gem. § 119 Abs. 2 ist nach h.M. in diesen Fällen bereits vor Gefahrübergang ausgeschlossen. Sie argumentiert, es hänge lediglich vom Zufall ab, ob der Mangel schon vor oder erst nach Gefahrübergang entdeckt werde.
Palandt-Ellenberger § 119 Rn. 28 m.w.N.; Lorenz/Riehm Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 573; a.A. Palandt-Weidenkaff § 437 Rn. 53.b) Verhältnis zu §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, Abs. 3
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Ein Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, Abs. 3 (cic) wegen fahrlässig falscher Angaben bzw. Aufklärungspflichtverletzung hinsichtlich eines Mangels ist grundsätzlich ausgeschlossen. Denn es gilt, dem grundsätzlichen Vorrang der Nacherfüllung und dem kaufrechtlichen Haftungsausschluss bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Käufers von dem Mangel (§ 442) Rechnung zu tragen. Zudem würden auch durch den Anspruch aus c.i.c. die kürzeren kaufrechtlichen Verjährungsregeln umgangen. Das wirtschaftlich im Wesentlichen identische Ergebnis wird durch das Recht des Käufers zur Minderung oder Rücktritt erreicht.
BGH Urteil vom 27.3.2009 (Az: V ZR 30/08) unter Tz 21 ff. = BGHZ 180, 205ff. = NJW 2009, 2120 ff.; Palandt-Weidenkaff § 437 Rn. 51a–c m.w.N.Ob ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, Abs. 3 hingegen bei Arglist des Verkäufers besteht, ist streitig. Da in diesen Fällen nach § 438 Abs. 3 auch für die kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte die allgemeine Verjährungsfristen maßgeblich sind, ein Recht des Verkäufers zur „zweiten Andienung“ und ein Haftungsausschluss nach § 444 entfällt, sprechen die besseren Argumente dafür, von einer freien Konkurrenz auszugehen.
BGH Urteil vom 27.3.2009 (Az: V ZR 30/08) unter Tz 21 ff. = NJW 2009, 2120 ff.; Medicus/Lorenz Schuldrecht II § 12 Rn. 7; Looschelders Schuldrecht BT Rn. 179 m.N. zur Gegenansicht.Hinweis
Der Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung nach den allgemeinen Regeln aus § 280 Abs. 1 wird auch dann nicht durch die kaufrechtlichen Gewährleistungsregeln verdrängt, wenn zwischen den Parteien zusätzlich zum Kaufvertrag ein selbständiger Beratungsvertrag geschlossen wurde. Die Annahme eines solchen selbständigen Beratungsvertrages liegt dann nahe, wenn zu Beginn der Beratung noch kein konkreter Kaufvertrag angebahnt worden ist.
Medicus/Lorenz Schuldrecht II § 12 Rn. 9.c) Verhältnis zu §§ 823 ff.
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Die Ansprüche aus unerlaubter Handlung bestehen selbständig neben den Rechten aus §§ 437 ff. und folgen ihren eigenen Regeln.
Palandt-Weidenkaff § 437 Rn. 56. Konkurrenzprobleme entstehen aber im Zusammenhang mit den so genannten „Weiterfresserschäden“.Siehe dazu das Skript „Schuldrecht BT III“ Rn. 403 ff.