Der BGH (1 StR 336/12 – abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) musste sich über folgenden Sachverhalt Gedanken machen:
R, der zu seinem späteren Tatopfer O über mehrere Jahre eine Liebesbeziehung hatte, war vor kurzem von O verlassen worden und fühlte sich emotional und finanziell ausgenutzt. Einen Tag vor der Tat stellte er in aufgebrachter Stimmung O zur Rede. Dabei beleidigte er sie und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht. Er beruhigte sich erst wieder, als O ihm versicherte, sie werde ihm eine Entschädigung für seine Aufwendungen leisten. Man verabredete sich am nächsten Tag zur weiteren Besprechung. Zu dieser Besprechung brachte R eine Waffe mit, mit der er O bedrohte. Diese blieb jedoch trotz des Vorhalts der Waffe „völlig ruhig“ und signalisierte R, dass sie seinen Forderungen in dem von ihm gewünschten Umfang nicht nachkommen werde. Sie glaubte, R, der mit Ausnahme des vorangegangenen Tages niemals gewalttätig ihr gegenüber war, beruhigen zu können. Obgleich R, der sich nicht ernst genommen fühlte, immer mehr in Rage geriet, blieb O weiter ruhig. Als er ihr erneut die Waffe an den Kopf hielt und ihr den Tod androhte, sagte sie: „Rolf, dann musst Du tun, was Du tun musst“. Was Rolf dann auch tat – O starb kurze Zeit darauf an einer Schussverletzung.
Problematisch war nun die Beantwortung der Frage, ob R heimtückisch gehandelt hat. Offensichtlich war O trotz des Verhaltens des R arglos, da sie die Drohungen des R nicht ernst nahm und bis zuletzt davon ausging, er werde ihr keine Gewalt antun. Infolge dieser Arglosigkeit unternahm sie auch keine Verteidigungshandlungen, als R ihr wiederholt die Waffe an den Kopf hielt. Sie war mithin auch wehrlos. Das Landgericht Freiburg hat gleichwohl die Heimtücke verneint, da R diese Arg-und Wehlosigkeit nicht bewusst habe ausnutzen wollen. Schließlich habe sich R offensichtlich darum bemüht, die Arglosigkeit der O zu beseitigen und habe dementsprechend nicht den Willen gehabt, die Arglosigkeit auszunutzen.
Nach Auffassung des BGH ist diese Annahme aber rechtsfehlerhaft. Er führt dazu folgendes aus: „Das… Ausnutzungsbewusstsein liegt vor, wenn der Täter die Arg-und Wehlosigkeit des Opfers in ihrer Bedeutung für dessen hilflose Lage und die Ausführungen der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. …Eines darüber hinausgehenden, voluntativen Elements in dem Sinne, dass der Täter die Arglosigkeit des Opfers für seine Tat instrumentalisieren oder anstreben muss, bedarf es nicht. …….der Täter muss nur erkennen, dass das Opfer arglos ist und sich deshalb des Angriffs auf sein Leben nicht oder nur in geringerem Umfang erwehren kann.“
Bewusstes Ausnutzen ist also nicht gleichzusetzen mit absichtlichem Handeln, es reicht aus, wenn der Täter um die Arglosigkeit des Opfers weiß. Davon muss vorliegend ausgegangen werden, da insbesondere der Satz: „Rolf, dann musst Du tun, was Du tun musst“ deutlich signalisiert, dass O nicht damit rechnete, dass R sie angreifen werde. Problematisch an dieser Entscheidung ist natürlich, dass ein Täter, der dem Opfer die Arglosigkeit nehmen möchte, immer aus § 211 StGB bestraft wird, wenn er es mit einem besonders coolen Opfer zu tun bekommt. Die Nervenstärke des Opfers führt also zur Bestrafung des Täters. Nun dürften diese Fälle in der Praxis nicht allzu häufig auftreten. Nichtsdestotrotz gab es für R im vorliegenden Fall keine Möglichkeit, den § 211 StGB zu vermeiden – außer natürlich gar nicht zu schießen….
Weitere Ausführungen finden Sie in unserem GuKO SR II sowie in unseren ExO`s. Einen Auszug aus unseren Skripten zu diesem Thema finden Sie unter http://www.juracademy.de/web/topic.php?id=12491