A befindet sich in einer akuten Beziehungs-/Lebenskrise. Er sucht die B auf. Diese bietet ihm eine Lebensberatung an. Ihre Ratschläge sollen auf den Erkenntnissen basieren, die sie durch das Legen von Spielkarten erlangt. In der Folge legt die B dem A am Telefon mehrfach die Karten und erteilt ihm Auskünfte. Ende des Jahres 2008 zahlt A an B für die in diesem Jahr erbrachten Leistungen 35.000 €. Weitere 7000 € verlangt B für die Beratung im Januar 2009. Hat B einen Anspruch auf Zahlung gegen A?
Ein Anspruch auf Zahlung der 7000 € könnte aus § 611 Abs. 1 BGB folgen. Dazu müssten die Parteien einen Dienstvertrag geschlossen haben. B sollte A Ratschläge erteilen. Damit schuldete sie die Vornahme einer bestimmten Leistungshandlung. Nicht geschuldet war hingegen die Vorhersage bestimmter Ereignisse im Sinne eines konkreten Erfolges, sodass die Vereinbarung eindeutig als Dienst- und nicht als Werkvertrag einzuordnen ist. Zwischen den Parteien nicht streitig waren der Vertragsschluss selbst und das Bestehen eine Vergütungsvereinbarung. Zweifel bestehen jedoch an der Wirksamkeit des Vertrages. Es könnte ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB vorliegen. Dazu hält der BGH jedoch fest, dass ein Sittenverstoß nicht allein aufgrund der Tatsache in Betracht komme, dass ein Gläubiger für eine nach naturwissenschaftlichen Maßstäben unmögliche Leistung ein hohes Entgelt zu zahlen bereit sei. Vielmehr müssten zusätzliche Elemente vorliegen, die auf einen Sittenverstoß hindeuten, etwa ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche. Für das Vorliegen solcher besonderen Umstände gäbe es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte. Eine Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB scheidet danach aus. Der Vertrag ist wirksam zustande gekommen. Allerdings könnte der Vergütungsanspruch der B gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB entfallen sein. Dazu müsste die Leistungspflicht der B gemäß § 275 BGB ausgeschlossen sein und es dürfte keine der Ausnahmeregelungen des § 326 BGB eingreifen. Fraglich ist, ob die Leistungsverpflichtung der B unmöglich im Sinne des § 275 BGB ist. Der BGH stellte hierzu fest, geschuldet sei von B nicht etwa allgemeine Lebensberatung oder das bloße Kartenlegen als „jahrmarktähnliche Attraktion“, sondern die Parteien gingen fest davon aus, dass B aus dem Legen den Spielkarten mittels magischer oder übernatürlicher Kräfte Erkenntnisse über die zukünftige Lebensgestaltung des A erlangen würde. Anders als bei den ersten beiden Alternativen sei hier durchaus von objektiver Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB auszugehen, denn nach dem aktuellen Stand der Erkenntnis von Wissenschaft und Technik sei eine Leistung, die auf dem Einsatz übernatürlicher oder magischer Kräfte basiert, schlechthin nicht erbringbar. Grundsätzlich käme man damit zur Anwendung des § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB, wonach der Vergütungsanspruch der B bei objektiver Unmöglichkeit der Leistungspflicht entfällt. Diese Rechtsfolge ist jedoch – so der BGH – keinesfalls zwingend. Denn § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB könne durch Individualvereinbarung abbedungen werden. Zwar sei es den Parteien im Rahmen der Privatautonomie und in Anerkennung ihrer Selbstverantwortung grundsätzlich möglich, entgeltliche Verträge über eine Leistung abzuschließen, die nach aktuellen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen nicht erbringbar ist – es würde jedoch Inhalt und Zweck der Vereinbarung widersprechen, den Vergütungsanspruch mit gerade der Begründung zu verneinen, die Verpflichtung habe eine unmögliche Leistung im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB zum Gegenstand. Lasse sich der Gläubiger auf eine entsprechende Vereinbarung ein, so übernehme er vertraglich das Risiko dafür, dass die geschuldete Leistung unmöglich sei. Damit komme man zu einer Anwendung des § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB. Der Vergütungsanspruch bleibe bestehen, da der Gläubiger „allein oder weit überwiegend verantwortlich“ für den Eintritt des Leistungshindernisses sei. Der Vergütungsanspruch der B ist danach nicht gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB entfallen. B hat einen Anspruch gegen A auf Zahlung der 7000 € aus § 611 Abs. 1 BGB.
Erkenntnisgewinn aus dieser Entscheidung? § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB erfasst nicht nur Fälle, in denen der Gläubiger vertragliche Pflichten oder Mitwirkungsobliegenheiten verletzt, sondern auch solche, in denen die vertragliche Risikoverteilung ergibt, dass er ausdrücklich oder konkludent das Risiko des Eintritts eines bestimmten Leistungshindernisses übernommen hat und sich dieses im Anschluss dann auch verwirklicht. Entsprechende Fallgestaltungen sind in einer Vielzahl denkbar!
Mehr über Leistungsstörungen finden Sie in unserem GuKO ZR II und dem entsprechenden ExO. Einen Einblick in das Probeskript gibt es hier.