Das LG München II (Urt. v. 20.01.2020 – 1 Ks 21 Js 5718/18) musste sich mit folgendem Sachverhalt befassen: A gibt sich gegenüber verschiedenen jungen Frauen, u.a. dem späteren Opfer O, als Arzt aus, der zusammen mit einer renommierten Universität eine Studie zur Wirksamkeit von Stromstößen als Schmerztherapie durchführe. Er wirbt O unter Inaussichtstellen von 1.000 € als Teilnehmerin dieser Studie an. Zuvor soll O jedoch zu Hause einen „Vorab-Stromtest“ durchführen. Nach genauer Anweisung des A setzt sich O Stromdrähte an die Schläfen und löst dadurch einen Stromschlag mit 230 Volt aus. O geht dabei davon aus, dass dieses Vorgehen harmlos sei, auch weil sie der Expertise des vermeintlichen Arztes A vertraut. Sie rechnet mit einem leichten etwas unangenehmen „Schlägli“, verspürt aber tatsächlich schwere Schmerzen. Der Stromschlag führt glücklicherweise nicht zum Tod der O. A, der via Skype mit O verbunden ist, zeichnet den Vorgang auf, um sich später sexuell zu stimulieren.
Das LG München II hat sich zunächst mit einem versuchten Mord in mittelbarer Täterschaft gem. den §§ 211, 212, 25 I 2. Alt, 22, 23 StGB befasst.
Dann müsste A zunächst Tatentschluss gehabt haben, O zu töten. Ausreichend ist dolus eventualis. A müsste also mit der Möglichkeit des Eintritts des Todes gerechnet haben und diese billigend in Kauf genommen haben, was dann angenommen wird, wenn der Täter sich mit dem Erfolgseintritt abfindet und sich denkt „Na wenn schon“. Der dolus eventualis kann sich aus der geständigen Einlassung des A ergeben und/oder aber aus objektiven Indizien. Grundsätzlich gilt: je gefährlicher die Handlung und je wahrscheinlicher der Todeseintritt, desto eher kann ein dolus eventualis begründet werden. Aufgrund der bei einer Tötung zu überwindenden Hemmschwelle, muss die Begründung unter Ausschöpfung aller Indizien erfolgen, u.a. auch unter Berücksichtigung besonderer Umstände der Tatsituation oder des Täters (z. B. affektive Erregungszustände, Spontanität des gefassten Entschlusses uvm.) Vorliegend hat das LG München aufgrund der hohen Gefahr für das Opfer und der Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs den Vorsatz bejaht.
Als Mordmerkmal, auf welches sich der Vorsatz = Tatentschluss beziehen müsste, kommt die Heimtücke in Betracht. Zwar kann man noch annehmen, dass O als sie sich die Stromstöße versetzte, arglos war, da sie der vermeintlichen Expertise des A vertraute. Sie müsste aber auch infolge der Arglosigkeit wehrlos sein. Dies hat das LG München II verneint, da O jederzeit das Experiment hätte abbrechen können. Sie war damit zur Verteidigung imstande.
Das LG hat aber unter Berufung auf die „Kannibalen-Entscheidung“ des BGH (JuS 2005, 58) das Mordmerkmal „zur Befriedigung des Geschlechtstriebs“ bejaht. Auch wenn A sich nur anhand des Videos und damit mittelbar sexuell befriedigen wollte, so diente das ganze Geschehen doch ausschließlich seiner sexuellen Befriedigung.
Darüberhinausgehende niedrige Beweggründe sind nicht ersichtlich. Sofern es A auf die Zufügung von Schmerzen ankam, war diese sadistische Komponente Teil der Befriedigung des Geschlechtstriebs.
Nach der Vorstellung des A sollte aber der Tod durch eine Handlung des Opfers O eintreten. Diese müsste A nun über § 25 I 2. Alt. StGB zugerechnet werden können.
Das wäre dann der Fall, wenn er kraft überlegenen Wissens und/oder Wollens eine Tatherrschaft über das Opfer innegehabt hätte. Auch der BGH, der nach dem Täterwillen fragt, stellt maßgeblich auf diese Tatherrschaft ab zur Ermittlung des animus auctoris.
Eine solche Tatherrschaft scheidet aus, wenn sich O eigenverantwortlich selbst gefährdet hätte. Die Selbstgefährdung kann bejaht werden, da O die zum Tode führende Bedingung beherrscht hätte, indem sie die Stromkabel an die Schläfen hält. Fraglich ist, ob diese Selbstgefährdung eigenverantwortlich gewesen wäre.
Nach h.M. (auch der des BGH: Urt. v. 03.07.2019 - 5 StR 393/18) wird die Eigenverantwortlichkeit anhand des Einwilligungsmaßstabs bestimmt. Der vom Opfer gefasste Wille muss also frei von Täuschung, Drohung oder Zwang sein und das Opfer muss fähig sein, die Gefahren für das geschützte Rechtsgut zu erkennen.
Zwar ging O davon aus, evtl. leichte Schmerzen durch den Stromschlag zu spüren. Aufgrund der Manipulation des A glaubte sie aber an die Harmlosigkeit ihrer Handlung. Weder wollte sie sich starke Schmerzen oder Verletzungen zufügen noch den Tod herbeiführen. Sie befand sich damit in einem Irrtum über das Ausmaß der Verletzungen und bezüglich des Todes in einen Irrtum über die Verletzung des geschützten Rechtsguts. Aufgrund dessen war ihre Selbstgefährdung nicht eigenverantwortlich.
Da A die Manipulation durch Vortäuschen falscher Tatsachen ausgeführt hat, besaß er – auch nach seiner Vorstellung, um die es beim Tatentschluss ja geht – Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens, weswegen die Handlung der O zugerechnet werden kann.
A hat auch entsprechend seinem Tatentschluss unmittelbar zur Tat angesetzt, indem er O Anweisungen zur Tatausführung gab und diese via Skype überwachte. Da auch keine Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe gegeben sind, hat A sich gem. den §§ 211, 212, 25 I 2. Alt, 22, 23 strafbar gemacht.
Darüber hinaus kommt eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung gem. den §§ 223 I, 224 I Nr. 5, 25 I 2. Alt. StGB in Betracht.
Auch hier muss die Tathandlung entsprechend dem oben Ausgeführten über § 25 I 2. Alt. StGB zugerechnet werden. In Bezug auf die Körperverletzung wusste O zwar, dass eine solche eintreten könnte. Sie ging aber nur von einer leichten Beeinträchtigung aus, so dass sie sich – veranlasst durch A – über Art und Ausmaß der Verletzung irrte. Das Herbeiführen des Stromflusses durch das Anlegen der Drähte an den Schläfen ist auch unproblematisch eine das Leben gefährdende Behandlung und zwar unabhängig davon, ab man mit der h.M. die abstrakte Lebensgefahr als ausreichend ansieht oder aber mit der Gegenauffassung eine konkrete Lebensgefahr verlangt.
Das LG hat darüber hinaus § 224 I Nr. 1 StGB verneint, da der Stromfluss kein gesundheitsschädlicher „Stoff“ sei.
Bei der Rechtswidrigkeit muss man kurz die Einwilligung ansprechen. Entsprechend dem bereits ausgeführten war die Einwilligung aber nicht frei von Täuschung. Zudem verstößt die Tat gem. § 228 StGB gegen die guten Sitten, da sie ausschließlich der Befriedigung des Geschlechtstriebs dient und zudem hoch gefährlich ist.
A hat sich also zudem gem. den §§ 224 I, 224 I Nr. 5, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.
Hinweis
Schließlich liegt noch eine Strafbarkeit gem. § 132a I Nr. 2 StGB vor, indem A sich als Arzt ausgab sowie eine Strafbarkeit gem. § 201a I Nr. 1 und § 205 I 2 StGB vor, indem er das Geschehen heimlich aufnahm. Auch eine Strafbarkeit gem. § 263 I StGB kommt in Betracht. Teilnehmer von medizinischen Studien erhalten in der Regel eine Aufwandsentschädigung. Damit ist das Einnehmen eines Medikaments sowie die sonstige Mitwirkung grundsätzlich eine Entgeltpflichtige Leistung und damit eine Vermögensverfügung, die O tätigt. Es darf davon ausgegangen werden, dass A niemals vorhatte, O die 1.000 € zu zahlen, weswegen er über seine Leistungswilligkeit getäuscht hat.