In der Regel lag den Entscheidungen folgender Sachverhalt zugrunde: Die Täter legten in Apotheken Impfausweise vor, die unzutreffende Eintragungen über tatsächlich nicht stattgefundene Corona Schutzimpfungen auswiesen. Diese Eintragungen enthielten das angebliche Datum der Impfung, den Impfstoff, die angebliche Impfcharge sowie jeweils eine Unterschrift/einen Stempel. Durch Vorlage des Impfausweises wollten die Täter ein digitales Impfzertifikat erhalten, um am öffentlichen Leben (Besuch von Restaurants etc.) teilnehmen zu können.
Nun stellt die Vorlage dieser Impfausweise in der Apotheke unproblematisch das Gebrauchen einer unechten Urkunde gem. § 267 I Var. 3 StGB dar. Der Impfausweis ist zwar keine Gesamturkunde, jede einzelne Eintragung ist aber eine eigene menschliche Gedankenerklärung, die zum Beweis einer stattgefunden habenden Impfung bestimmt und geeignet ist und aufgrund des Stempels und/oder der Unterschrift den Aussteller erkennen lässt. Damit ist sie eine Urkunde. Durch das Vorlegen wird sie dem Rechtsverkehr zugänglich gemacht. Dies geschieht vorsätzlich und in der Absicht, ein rechtlich erhebliches Verhalten (= Generierung des digitalen Zertifikats) zu bewirken.
Zugleich ist der Impfausweis aber auch ein Gesundheitszeugnis gem. den §§ 277-279 StGB – alte wie neue Fassung. Die Impfdokumentation impliziert, dass der vermeintlich Geimpfte über eine bessere Immunabwehrkraft verfügt und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit besser gegen das Virus geschützt ist (OLG Karlsruhe a.a.O, Rn. 16).
Hinweis
Teilweise (OLG Hamburg, 1Ws 114/21) wurde die Eintragung im Impfausweis aufgespalten in 2 Gedankenerklärungen und damit in 2 Urkunden: in die Eintragung der Impfung und die Eintragung der Chargennummer. Letztere wäre dann kein Gesundheitszeugnis, so dass § 267 StGB wieder anwendbar wäre. Das OLG Karlsruhe hat diese künstliche Aufspaltung in 2 voneinander unabhängige Urkunden aber zu Recht aufgrund des untrennbar inhaltlichen Zusammenhangs und des mangelnden eigenen Erklärungsinhalts der Chargennummer abgelehnt (a.a.O. Rn. 18).
Nach alter Fassung war das Verhalten des Täters aber nur dann strafbar, wenn es „zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften“ nicht aber zur Täuschung von sonstigen Dritten, u.a. Apotheken erfolgte. Da der § 277 StGB - alte wie neue Fassung – einen geringeren Strafrahmen als § 267 StGB aufweist, stellt sich nun die Frage, ob er gegenüber § 267 StGB eine umfassende Privilegierung mit Sperrwirkung ist.
Hinweis
Der Gesetzgeber hat die Normen nun mit Wirkung zum 24. November 2021 verändert, so dass sich dieses Problem aufgrund einer ausdrücklichen Subsidiarität nicht mehr stellt. Für alle Sachverhalte, bei denen die Täter aber vor dem 24.11.2021 gehandelt haben, gilt aufgrund des Rückwirkungsverbots nach wie vor die alte Rechtslage, weswegen das OLG die Rechtsfrage auch dem BGH vorgelegt hat. Wir haben uns mir der neuen Rechtslage bereits in einem Beitrag im JURACADEMY Club befasst: https://www.juracademy.de/recht-interessant/article/vorlegen-falscher-impfausweise-strafbar
Diese Frage wird nicht nur in der Lit. unterschiedlich beantwortet, sondern auch innerhalb der Oberlandesgerichte (dazu das OLG Karlsruhe a.a.O. mit entsprechenden Nachweisen).
Das OLG Karlsruhe ist der Rechtsauffassung, dass die §§ 277-279 a.F. StGB jedenfalls in den Fällen, in denen der Täter den Impfpass nicht „zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften“ gebraucht, keine Sperrwirkung entfalten. Dazu führt es folgendes aus (a.a.O., Rn 23f):
„Zwar handelt es sich bei den §§ 277 bis 279 StGB a.F. im Verhältnis zur Urkundenfälschung (§ 267 StGB) um speziellere Vorschriften….. Durch diese Privilegierung wird die Anwendung des § 267 StGB jedoch nach den Grundsätzen der Spezialität nur in solchen Fällen gesperrt, in denen von einem falschen Gesundheitszeugnis Gebrauch gemacht wird bzw. (im Fall von § 278 StGB a. F.) eine solche zu diesem Zweck ausgestellt wird, um eine Behörde oder eine Versicherungsgesellschaft zu täuschen, also die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 277 ff. StGB a.F. erfüllt sind.
Ist dies jedoch - wie hier - nicht der Fall, entfalten die §§ 277 bis 279 StGB a. F. bei einem gleichzeitigen Verstoß gegen § 267 StGB keine über ihren eigenen Anwendungsbereich hinausgehende Sperrwirkung …“
Als systematisches Argument für diese nur beschränkte Sperrwirkung auf die Fälle, in denen der Täter die für §§ 277-279 a.F. StGB erforderliche Absicht hatte, führt das OLG (a.a.O. Rn. 24) weiter folgendes aus:
„Zumal die Sperrwirkung einer nicht in allen Tatbestandsmerkmalen erfüllten Privilegierung dem deutschen Strafrecht grundsätzlich fremd ist … So entfaltet etwa § 216 StGB eine solche nur dann, wenn auch dessen Voraussetzungen umfänglich vorliegen.“
Darüber hinaus setzt sich das OLG umfassend mit der historischen Entwicklung der Normen auseinander und vermag anhand dessen keinen Anhaltspunkt für eine umfassende Sperrwirkung erkennen. Dazu führt es (a.a.O. Rn. 48 und 49) u.a. aus:
„Zumindest ebenso möglich erscheint es daher, dass der historische Gesetzgeber bei den Privilegierungstatbeständen der §§ 277 ff. StGB a.F. davon ausging, dass Versicherungen und Behörden die Fälschungen - etwa mit Hilfe von Sachverständigen - leichter erkennen können als Privatpersonen … und deswegen weniger schützenswert sind oder die Privilegierung deswegen erfolgte, weil gegenüber Versicherungen und Behörden häufig ein zumindest faktischer Zwang zur Einreichung von gesundheitlichen Zeugnissen besteht …
Eindeutige Anhaltspunkte für einen umfassenden Privilegierungswillen des historischen Gesetzgebers der §§ 277 bis 277 StGB a. F. gegenüber dem § 267 StGB lassen sich demnach weder aus der Gesetzgebungsgeschichte noch aus sonstigen Umständen gewinnen. Es ist letztlich nicht mehr zu klären, ob der historische Gesetzgeber mit dem Nebeneinander der §§ 277 bis 279 StGB a.F. einerseits und des § 267 StGB andererseits einen konkreten Zweck verfolgte oder ob dem historischen Gesetzgeber bei Einführung des § 267 RStGB die ursprüngliche Funktion des § 256 pStGB aus dem Blick geraten ist und er daher die §§ 277 ff. StGB a.F. unreflektiert als dessen Nachfolgeregelungen eingeführt hat und jedenfalls keine umfassende Sperrwirkung der Privilegierung aus den §§ 277 ff. StGB a.F. bezweckte …“
Schließlich liegt nach Meinung des OLG durch dieses Verständnis des Verhältnisses der Normen zueinander auch kein Verstoß gegen das sich aus Art. 103 II GG ergebende Bestimmtheitsgebot vor. Dazu wie folgt (a.a.O. Rn. 27ff):
„Nach dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot ist für Strafnormen erforderlich, dass jedermann vorhersehen können soll, welches Verhalten verboten und mit welcher Strafe es bedroht ist … Maßstab für die Klarheit der Norm ist dabei der Verständnishorizont des Bürgers als Normadressat … Der Bürger muss dem Gesetzestext entnehmen können, was ihm noch erlaubt ist und wodurch er sich gegebenenfalls schon strafbar macht.
Nach diesem Maßstab genügt das Normgefüge aus § 267 Abs. 1 StGB einerseits und den §§ 277 ff. StGB a.F. andererseits dem Bestimmtheitsgebot. Der Wortlaut des § 267 StGB erfasst die Vorlage unrichtiger Gesundheitszeugnisse gegenüber Apotheken ohne weiteres. Ausdrückliche Hinweise auf einen Anwendungsvorrang der § 277 ff. StGB a.F. oder eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 267 StGB enthalten weder die §§ 277 ff. StGB a.F. noch § 267 StGB …“
Es bleibt nunmehr abzuwarten, wie der BGH entscheiden wird. Wir werden Sie wie immer auf dem Laufenden halten.