Tatbestand:
K kauft von V ein Grundstück für 88.000€, dessen objektiver Wert nach Abwicklung des Vertrags von einem Sachverständigen auf 46.000€ geschätzt wird.
Im Kaufvertrag wird die Verpflichtung zur Tragung der Nebenkosten des Vertrags (4.400€ Grunderwerbssteuer, 862,22€ Beurkundungskosten und 316€ Umschreibungskosten) dem V auferlegt.
Nach Abwicklung des Vertrags verlangt K Rückzahlung des Kaufpreises. V wendet ein, es sei ihm aufgrund der Privatautonomie erlaubt das Grundstück zu jedem Preis zu veräußern. I.Ü. sei zu berücksichtigen, dass er die Vertragsnebenkosten zu tragen hat.
Lösung:
Ein Anspruch des K gegen V könnte sich aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ergeben.
1 Etwas erlangt
Der Verkäufer hat im Falle einer Barzahlung Eigentum und Besitz an den Geldscheinen erlangt und im Falle einer Überweisung eine Gutschrift. Ob die Gutschrift ein abstraktes Schuldanerkenntnis gemäß §§ 780,781 BGB darstellt oder mit der Rechtsprechung §§ 700 Abs. 1, 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zuzuordnen ist, kann vorliegend dahinstehen.
2 Durch Leistung
Unter Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen. K wollte mit der Zahlung den durch den Kaufvertrag begründeten Zahlungsanspruch zum Erlöschen bringen. Hierin ist eine Leistung zu sehen.
3 Ohne Rechtsgrund
Fraglich ist, ob die Leistung ohne Rechtsgrund erfolgte. Da die Parteien laut Sachverhalt einen Kaufvertrag über das Grundstück geschlossen haben, könnte sich ein Rechtsgrund aus § 433 BGB ergeben. Dem Kaufvertrag könnte jedoch eine rechtshindernde Einwendung entgegenstehen.
Fraglich ist, ob § 138 Abs. 2 BGB zur Nichtigkeit des Kaufvertrags führt. § 138 Abs. 2 BGB findet jedoch nur Anwendung, wenn eine Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen ausgenutzt wird. Eine solche Gesinnung des Verkäufers lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, weshalb § 138 Abs. 2 BGB ausscheidet.
Expertentipp
§ 138 Abs. 2 BGB ist als speziellere Norm vor § 138 Abs. 1 BGB zu prüfen.
Exkurs:
Im Zusammenhang mit § 138 Abs. 2 im Verhältnis zu § 138 Abs. 1 gilt es zu dem zwei Besonderheiten zu beachten. Zum einen sind die subjektiven Voraussetzungen (Norm lesen) von Abs. 2 wesentlich strenger als die von Abs. 1. Zum anderen erfasst § 138 Abs. 2 BGB als gesetzlicher Fall der Fehleridentität regelmäßig auch das dingliche Rechtsgeschäft.
Fraglich ist, ob eine rechtshindernde Einwendung gemäß § 138 Abs. 1 BGB vorliegt.
Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft noch 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei zusammenfassender Betrachtung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss (Vermutung) auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu. (Senat, Urteil vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 301 ff.; Urteil vom 24. Januar 2014 - V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rn. 5)
Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann grundsätzlich ab einer Überschreitung des Verkehrswerts von 90 % angenommen werden. (Senat, Urteil vom 24. Januar 2014 - V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rn. 8).
Fraglich ist, ob vorliegend von einem solchen groben Missverhältnis ausgegangen werden kann.
Vergleicht man den Verkehrswert in Höhe von 46.000 € mit dem Kaufpreis in Höhe von 88.000 € so liegt eine Verkehrswertüberschreitung von 91,3 % vor. Hiernach wäre die verwerfliche Gesinnung zu vermuten. § 138 Abs. 1 BGB wäre demnach erfüllt.
Fraglich ist, ob die vom Verkäufer übernommenen Nebenkosten in die Berechnung einzubeziehen sind. Würde man diese berücksichtigen, so wäre dem Verkehrswert von 46.000 € nur noch ein Kaufpreis in Höhe von 82.421,78 € gegenüberzustellen. Dies ergebe eine Überschreitung des Verkehrswerts um 79,18 %. Demnach wäre eine Vermutung der verwerflichen Gesinnung nicht anzunehmen.
Bei der Frage, ob zwischen Leistung und Gegenleistung ein besonders grobes Missverhältnis besteht, dass die oben genannte Vermutung begründet, ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzulegen. Nimmt der Verkäufer zusätzliche Leistungen auf sich, muss dies im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise von Leistung und Gegenleistung Berücksichtigung finden. Liegt demnach der zwischen den Parteien vereinbarte Kaufpreis mehr als 90 % über dem Verkehrswert der Immobilie, verpflichtet sich der Verkäufer jedoch anderweitige Verbindlichkeiten des Käufers zu tilgen, reduziert sich-wirtschaftlich gesehen-der Aufwand des Käufers entsprechend. Erfolgt die Übernahme dieser Kosten in einem Umfang, in der die 90 % Grenze unterschritten wird, ist es aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr gerechtfertigt, von einer verwerflichen Gesinnung des Verkäufers auszugehen. (Senat, Urteil vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 21)
Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch auf die Übernahme von Erwerbsnebenkosten zu übertragen sind.
Fehlt es an einer Vereinbarung der Kaufvertragsparteien sind diese Kosten gemäß § 448 Abs. 2 BGB im Innenverhältnis vom Käufer zu tragen. Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung ist es auch in der Praxis üblich in notariellen Grundstückskaufverträgen eine – deklaratorische – Klausel des Inhalts aufzunehmen, dass der Käufer die mit dem Vertrag und dessen Ausführung verbundenen Kosten und Abgaben alleine trägt. (vgl. Beck´sches Notar-Handbuch/Krauß, 6. Aufl., A I.IX.1., S. 119 f.; Würzburger Notarhandbuch/Hertel, 4. Aufl., Teil 2 Kap. 2, 4. Rn. 484 ff.).
Verpflichtet sich abweichend von dieser üblichen Kostentragungsregel der Verkäufer zur Zahlung von Erwerbsnebenkosten, reduziert sich im Ergebnis der Aufwand des Käufers entsprechend. Deshalb sind - bei Zugrundelegung der oben genannten wirtschaftlichen Betrachtungsweise - die übernommenen Erwerbsnebenkosten zu beachten.
Damit liegt keine Überschreitung des Verkehrswerts von 90 % vor.
In der Abweichung vom Verkehrswert in Höhe von 79,18 % ist jedoch ein auffälliges Missverhältnis i.S.d. § 138 Abs. 1 zu sehen.
Auch bei Vorliegen eines bloß auffälligen Missverhältnisses kommt die Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB in Betracht. Die Annahme von § 138 Abs. 1 BGB setzt sodann jedoch voraus, dass weitere Umstände hinzutreten, die in Verbindung mit dem auffälligen Missverhältnis den Vorwurf der sittenwidrigen Übervorteilung begründen (s.o.) (vgl. Senat, Urteil vom 24. Januar 2014 - V ZR 249/12, NJW 2014, 1652 Rn. 10; BGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, NJW-RR 2014, 653 Rn. 16).
Aus dem Sachverhalt ergeben sich keine weiteren Umstände, welche in Kumulation mit dem auffälligen Missverhältnis eine sittenwidrige Übervorteilung begründen könnten.
Der Kaufvertrag war demnach nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.
Demnach liegt ein Rechtsgrund vor, weshalb § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ausscheidet.
4. Ergebnis
K hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB gegen V