Mit dieser Abgrenzungsfrage musste sich in 2023 der BGH (Urteil vom 23.03.2023 – 3 StR 363/22, abgedruckt in NStZ-RR 2023, 169) befassen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am Tattag fuhr der Angeklagte A den gesondert Verfolgten S und drei von diesem akquirierte - unbekannt gebliebene - Komplizen mit dem PKW zur neuen Adresse der Geschädigten G. Er hatte zuvor erfahren, dass G ihr Haus verkauft hatte, hat diese Information an V weitergegeben und zusammen mit ihm daraufhin den Plan entwickelt, G zu überfallen und das Geld aus dem Hausverkauf an sich zu bringen. Am Fahrtziel angekommen, ging einer der Komplizen zur auf vorheriges Klingeln geöffneten Wohnungstür der G und gab sich ihr gegenüber als Postbote aus. A hatte ihm zuvor eine Dienstjacke der Deutschen Post gegeben. Als G auf die Bitte des vermeintlichen Postboten ihren Personalausweis holen wollte, drängte dieser sie in die Wohnung, hielt ihr den Mund zu und drückte ihren Kopf herunter. Während er sie anschließend in seiner Gewalt hielt und ihr mit einem Messer und einer Schere drohte, um die Preisgabe des Aufbewahrungsorts des Geldes aus dem Hausverkauf zu erreichen, betraten die beiden weiteren Komplizen die Wohnung und durchsuchten sie. Sie fanden Schmuck und Goldmünzen im Gesamtwert von 340 €. Zudem gab G aus Angst um ihr Leben 560 € Bargeld heraus. Im Anschluss verließen die Täter den Tatort mit der bis dahin erzielten Beute und begaben sich zurück zum lediglich ein Stück entfernt haltenden PKW. Der A, der jederzeit fluchtbereit am Steuer des Fahrzeugs gewartet hatte, fuhr mit ihnen davon. Für seine Beteiligung erhielt er einen Beuteanteil in Höhe von 50 €.
Grundsätzlich starten Sie in einer Klausur mit demjenigen, der in seiner Person alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat. Da hier wohl 3 Täter zusammengewirkt und wechselseitig die Tathandlungen des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung und des erpresserischen Menschenraubes ausgeführt haben, würden sie diese 3 Beteiligten gemeinsam prüfen und nachfolgend dann die Frage nach der Strafbarkeit des A stellen.
Die 3 Täter haben sich wegen schweren Raubes gem. §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht, indem sie G den Mund zuhielten, den Kopf herunterdrückten, sie dabei mit einem Messer und einer Schere bedrohten und Schmuck und Goldmünzen im Wert von 350 € an sich nahmen. Während ein Täter Gewalt anwendete und eine Drohung unter Verwendung von Messer und Schere aussprach, nahmen die beiden anderen die Gegenstände an sich. Dies geschah arbeitsteilig auf Basis eines gemeinsamen Tatplans, weswegen die Tatbeiträge einander zugerechnet werden können.
Hinweis
Da der BGH nach dem äußeren Erscheinungsbild abgrenzt, ist hier durch diese Handlungen (=Nehmen) unproblematisch ein Raub verwirklicht. Die Lit. müsste danach fragen, ob in dem Dulden der G eine Vermögensverfügung gesehen werden kann. Bei einer Übermacht von 3 Tätern und offen herumliegenden Gegenständen, dürfte G keine Handlungsalternative gesehen haben, so dass auch nach Auffassung der Lit. ein Raub anzunehmen wäre.
Daneben zwangen die Täter G durch Gewalt und Drohung 560 € Bargeld herauszugeben. Sofern G hier eine „Hüterstellung“ zum Geld hatte, würde die Lit. die Vermögensverfügung bejahen und ebenso wie der BGH (hier liegt ein „Geben“ vor) wegen schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB bestrafen.
Schließlich hat das Zuhalten des Mundes und das Herunterdrücken des Kopfes bereits eine stabile Bemächtigungslage hervorgerufen, weswegen auch eine Bestrafung aus §§ 239a Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB erfolgen kann.
Fraglich ist nun, wie der in den Tatplan eingeweihte A sich strafbar gemacht hat. Seine Tatbeiträge (die im Obersatz aufzunehmen sind!) bestehen in der Weitergabe der Informationen, dem Übergeben der Jacke sowie dem An- und Abtransport der Täter. Es kommen Mittäterschaft und Beihilfe in Betracht. Da die Mittäterschaft die schwerere Begehungsform ist, fangen Sie in einer Klausur damit an.
Wenn Sie mit dem Raub beginnen, stellen Sie fest, dass Schmuck und Goldmünzen auch für A fremde bewegliche Sachen waren. Alsdann stellen Sie unter Verweis auf das soeben geprüfte fest, dass Gewalt angewendet und eine Drohung ausgesprochen wurde und die Gegenstände weggenommen wurden. Nunmehr stellen Sie die Frage, ob diese Handlungen dem A gem. § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden können.
Voraussetzung dafür ist zunächst, dass sie auf Basis eines gemeinsamen Tatplans erbracht wurden, was vorliegend bejaht werden kann. Problematisch ist nun aber die Wertung. Die Lit. fragt nach der funktionalen Tatherrschaft, der BGH nach dem Eigeninteresse, wobei er aber zur Bestimmung dieses Interesses maßgeblich auf die Tatherrschaft bzw. den Willen zur Tatherrschaft abstellt. Vorliegend hat der BGH folgendes zu dieser Abgrenzung ausgeführt:
„Im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB gemeinschaftlich handelt, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst, ebenso wenig eine Anwesenheit am Tatort; ausreichen kann vielmehr ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich die objektiv aus einem wesentlichen Tatbeitrag bestehende Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach fremde Tatbeiträge gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sind die maßgeblichen Kriterien der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen ….
Die gebotene Gesamtbetrachtung lässt allein die Wertung zu, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die Tat gemeinschaftlich mit S. und den drei Komplizen beging:
Unter dem Gesichtspunkt der Tatherrschaft ist zunächst der wesentliche Einfluss des Angeklagten darauf zu berücksichtigen, dass die Tat überhaupt und an welchem Ort sie begangen wurde. Er war nicht nur Tippgeber …, der dem gesondert Verfolgten für ihre Begehung „essentielle“ Informationen erteilte…, sondern wirkte auch maßgebend an der Entstehung des gemeinsamen Tatentschlusses mit. Die grundlegende Übereinkunft, das Geld der Geschädigten aus dem Hausverkauf an sich zu bringen, traf S. allein mit dem Angeklagten, indem jener ihm den Vorschlag unterbreitete und dieser sein Einverständnis hiermit erklärte. Daraufhin stand dem Grunde nach der Entschluss zu einer solchen Straftat fest. Der Tatort sollte hiernach die neue Wohnung der Geschädigten sein, wenngleich die Ermittlung der Anschrift noch ausstand. Denn wie der Angeklagte wusste, nahm der gesondert Verfolgte an, das Geld befinde sich dort … Die dem Angeklagten bereits zuvor bekannten die Tat ausführenden Männer akquirierte S. erst in der Folgezeit….Zwar war der Angeklagte zunächst nicht an der weiteren Tatplanung beteiligt. Die Organisation der Tatbegehung im Einzelnen übernahm der gesondert Verfolgte; insbesondere instruierte er die drei Komplizen … Der Angeklagte wurde jedoch in die näheren Einzelheiten des Plans eingeweiht. Er kannte und billigte ihn. Das konkrete Vorhaben fußte dabei namentlich auf seiner Bereitschaft, die Dienstjacke der Deutschen Post zur Verfügung zu stellen.
…Darüber hinaus erbrachte der Angeklagte, auch wenn er keine der tatbestandlichen Ausführungshandlungen eigenhändig vornahm, zuvor und währenddessen für den Taterfolg bedeutsame Beiträge. Zum einen stellte er für die Tatbegehung tatsächlich die Dienstjacke zur Verfügung. Sie ermöglichte es dem an der Wohnungstür handelnden Komplizen, gegenüber der Geschädigten als Postbote aufzutreten. Zum anderen leistete der Angeklagte Fahrdienste mit dem von ihm angemieteten Kraftfahrzeug. …
Unter dem Gesichtspunkt des Tatinteresses ist in den Blick zu nehmen, dass der hochverschuldete Angeklagte beabsichtigte, mit seinem Anteil der Tatbeute einen nennenswerten Teil seiner Verbindlichkeiten zurückzuführen. Das Tatinteresse des Angeklagten ist deshalb als groß zu bewerten.“
Prüfungstipp
In einer Klausur können Sie – wie das erstinstanzlich urteilende Landgericht auch - mit entsprechender Argumentation auch zu dem Ergebnis kommen, dass lediglich eine Beihilfe (ggfs. je nach Ausgestaltung des Sachverhalts auch eine Anstiftung) verwirklicht wurde. Immerhin bekam der Angeklagte nur 50 €, was gegen ein hohes Eigeninteresse spricht. Auch wurden von S die weiteren Mittäter akquiriert und der Plan entsprechend fortentwickelt. In diese Planung war A nicht einbezogen. Am Tatort war A nicht anwesend. Das ist nach Auffassung des BGH und der h.Lit. auch nicht notwendig. Dann muss das Ausführungsminus aber durch ein Planungsplus ausgeglichen werden.