Mit Urteil vom 16.12.2021 (1 StR 197/21) musste sich der BGH erneut mit diesem Thema befassen.
Hinweis
Die Entscheidung aus dem Jahr 2015 finden Sie in der JURACADEMY unter https://www.juracademy.de/rechtsprechung/article/fuehrt-eine-tatprovokation-durch-verdeckte-ermittler-zu-einem-verfahrenshinderniss Einen weiteren Beitrag zu diesem Thema finden Sie unter https://www.juracademy.de/recht-interessant/article/verfahrenshindernisse-strafprozess.
Wie häufig in Fällen, in denen es um eine Tatprovokation geht, wurde auch hier der Täter wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a BtMG) in mehreren Fällen verurteilt. Der Täter, der sich zuvor mit einem anderen verabredet hatte, Betäubungsmittel, vor allem Marihuana und Kokain, zu veräußern, wurde von einem verdeckten Ermittler angesprochen, der nachfolgend von diesem Betäubungsmittel in geringen Mengen (§ 29 BtMG) erwarb. Nach dem ersten Kauf fragte der Ermittler, ob der Täter nicht auch Betäubungsmittel in größeren Mengen beschaffen und veräußern könnte – etwa 3 Kilogramm Marihuana und 100 Gramm Kokain. Nachdem dies zwar bejaht, alsdann aber nicht ausgeführt wurde, erhöhte der Ermittler den Druck, indem er wiederholt nachfragte und u.a. darauf hinwies, dass er Schwierigkeiten mit anderen Lieferanten habe und man sich unter Landsleuten doch helfen müsse. Schließlich verständigte man sich auf einen Liefertermin, zu welchem der Täter die verlangten größeren Mengen mitbrachte und bei dem es dann zu einer Festnahme kam.
Der BGH musste sich nun mit der Frage befassen, ob eine Verurteilung gem. § 29a BtMG (der bei gewissen Begehensweisen eine Qualifikation zu § 29 BtMG darstellt) möglich war oder ob der Verurteilung das von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (Verletzung von Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG sowie Art. 6 I EMRK) entgegenstand.
Die Besonderheit des vorliegendes Falles bestand darin, dass der Täter bereits tatgeneigt war von dem verdeckten Ermittler aber angehalten wurde, eine schwerere Straftat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt (Qualifikation) zu begehen.
Zunächst einmal führt der BGH (a.a.O.) aus, unter welchen Voraussetzungen von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ausgegangen werden kann:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gebot des fairen Verfahrens gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK durch eine polizeiliche Tatprovokation verletzt, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch einen Amtsträger oder eine von diesem geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt …
Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist anzunehmen, wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine polizeiliche Vertrauensperson mit dem Ziel, eine Tatbereitschaft zu wecken oder die Tatplanung zu intensivieren, über das bloße „Mitmachen“ hinaus mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt …. .
Auch bei bereits bestehendem Anfangsverdacht kann die Rechtsstaatswidrigkeit einer Tatprovokation dadurch begründet sein, dass die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist … .
Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, aber auch Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen …
Für die Frage, ob eine Person tatgeneigt war, ist – im Anschluss an den Gerichtshof – im Einzelfall u.a. die erwiesene Vertrautheit des Betroffenen mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, dessen Fähigkeit, solche kurzfristig zu beschaffen, sowie seine Gewinnbeteiligung bedeutsam …
Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat ist weiterhin maßgeblich, ob auf den Angeklagten Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. Dabei ist unter anderem darauf abzustellen, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat …“
Es sind also (alternativ) 2 Fragen zu beantworten, bei deren Bejahung i.d.R. von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ausgegangen werden muss:
- War der Täter noch nicht tatgeneigt?
- Wurde auf den Täter Druck ausgeübt?
Zu der Besonderheit im vorliegenden Fall führt der BGH (a.a.O.) folgendes aus:
„Eine Straftat kann auch dann auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhen, wenn sich der Täter aufgrund der Einwirkung des Verdeckten Ermittlers auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung einlässt oder hierdurch seine Bereitschaft wecken lässt, eine Tat mit einem erheblich höheren Unrechtsgehalt zu begehen …In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne Weiteres eingeht, beziehungsweise sich geneigt zeigt, die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen oder an ihr mitzuwirken … Eine derartige – auf eine Tat mit erheblich höherem Unrechtsgehalt – gerichtete Tatgeneigtheit ist durch das Tatgericht gesondert festzustellen. Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters mit einer Einwirkung durch die Ermittlungsperson einher, die von einiger Erheblichkeit ist, so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor. In diesem Falle kann ein Konventionsverstoß angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist.“
Anhaltspunkte für eine derart erhebliche Einwirkung des verdeckten Ermittlers auf den Täter sah der BGH in dem wiederholten Nachfragen, dem anfänglichen Unvermögen des Täters, die gewünschten Mengen zu beschaffen und dem Hinweis auf „Lieferschwierigkeiten“ und die Zusammengehörigkeit als Landsmänner. Da diese aber für eine gewissenhafte Prüfung nicht ausreichten und die Feststellungen des Landgerichtes lückenhaft waren, hat der BGH die Entscheidung aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.