Im zu entscheidenden Fall des 2. Senats bestand gegen die 2 späteren Verurteilten ein vager Tatverdacht, diese könnten in Geldwäsche- und Betäubungsmittelstraftaten verwickelt sein. Nachdem umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler über einen Zeitraum von mehreren Monaten auf die beiden Männer an. Die Ermittler versuchten, die Beschuldigten dazu zu überreden, Ihnen große Mengen Ecstacy Tabletten zu besorgen, was die Beschuldigten ablehnten. Erst als einer der Ermittler behauptete, seine Familie werde mit dem Tode bedroht, halfen die Beschuldigten ohne Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr der Tabletten.
Das LG Bonn verurteilte beide wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe.
Dieses Urteil hob der BGH (Urteil vom 10.Juni 2015 - 2 StR 97/14 - abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de) auf und stellte das Verfahren wegen eines auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhenden Verfahrenshindernisses ein.
Bislang waren sowohl der BGH als auch das BVerfG der Auffassung, es reiche zur Kompensation in Fällen der rechtsstaatswidrigen Provokation durch verdeckte Ermittler aus, wenn die Strafe für den Angeklagten gemildert werde, sog. Strafzumessungslösung.
Der EGMR (Urteil vom 23.10.2014 - Individualbeschwerde Nr. 54648/09) hat jedoch in der Angelegenheit Furcht / Deutschland deutlich gemacht, dass diese Lösung nicht ausreiche, um die Menschenrechtsverletzung zu kompensieren, die darin liege, dass ein zunächst unschuldiger, unverdächtiger Mensch zum Werkzeug der Kriminalpolitik gemacht werde. Im einzelnen hat der EGMR u.a. folgendes ausgeführt:
" Der ständigen Rechtsprechung des Gerichthofs zufolge ist der Gebrauch von Beweismitteln, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen wurden, nach Art. 6 Abs. 1 der Konvention nicht erlaubt. Damit ein Verfahen im Sinne dieser Bestimmung fair ist, müssen alle als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnenen Beweismittel ausgeschlossen werden oder aber ein Verfahren mit vergleichbaren Konsequenzen muss greifen."
Wesentliche Voraussetzung der vom EGMR aufgeführten Konsequenzen ist, dass eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegt. Die Definition eines solchen Provokation ist nach der Rechtsprechung des EGMR weit. Zulässig sind demnach ausschließlich passiv begleitende Aktivitäten verdeckter Ermittler. Wird jedoch z.B. durch eine Anstiftung oder auf andere Weise Einfluss genommen, dann handelt es sich nach Auffassung des EGMR um eine unzulässige Tatprovokation. Wesentlich bei der Abgrenzung ist die Frage nach der hypothetischen Kausalität. Wäre die Tat ohne die Handlung der verdeckten Ermittler so nicht begangen worden, muss eine rechtsstaatswidrige Provokation angenommen werden. Dabei trägt der Staat die Beweislast. Kann er keine entlastenden Indizien vortragen ist von einer unzulässigen Provokation auszugehen.
Der BGH hat nunmehr unter Berücksichtigung dieser Entscheidung seine Rechtsprechung geändert. In der Pressemitteilung des BGH heißt es dazu wie folgt:
"Der 2. Strafsenat hat vor diesem Hintergrund die Rechtsprechung geändert. Da der Begriff der so genannten "rechtsstaatwidrigen Tatprovokation", wie ihn der EGMR definiert, weiter ist als der des Bundesgerichtsgerichtshofs – also die Voraussetzungen bereits bei geringeren aktiven Einflussnahmen erfüllt sind –, gilt der Rechtssatz des EGMR, wonach eine bloße Strafmilderung nicht ausreicht, jedenfalls auch in allen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof eine rechtsstaatswidrige Provokation als gegeben ansieht.
Auf der Rechtsfolgenseite war der 2. Strafsenat daher nicht an die bisherige Rechtsprechung gebunden, weil diese durch die Entscheidung des EGMR überholt ist und der Bundesgerichtsgerichtshof gehalten ist, die europarechtliche Rechtsprechung des EGMR in nationales Recht umzusetzen, um weitere Verurteilungen der Bundesrepublik wegen Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Daher war auch eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nicht geboten, denn über die Rechtsfrage, die sich stellte, war auf der Grundlage der neuen menschenrechtlichen Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden.
Der Senat hat offen gelassen, ob die Rechtsfolge einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines endgültigen Verfahrenshindernisses in allen Fällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eintreten muss, wie es die Rechtsprechung des EGMR allerdings nahe legt, oder ob eine "abgestufte" Lösung je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverletzung möglich wäre. Bei der Sachlage im konkreten Fall hat er auf der Basis der Feststellungen des Landgerichts jede andere Kompensation ausgeschlossen.
Damit ist in Deutschland erstmals die rechtswidrige Überredung von Bürgern zu Straftaten durch die Polizei oder von ihr gesteuerter Personen als ein Verfahrenshindernis anerkannt worden."