Sachverhalt
Der Antragsteller (im Folgenden: A) war Halter eines Pkw, welcher ursprünglich vom DRK als Notarztfahrzeug genutzt worden war. A hatte das Fahrzeug unter Beibehaltung der charakteristischen roten Leuchtfarbe umgestaltet, indem er an verschiedenen Stellen des Fahrzeugs Schriftzüge und Piktogramme mit "Totarzt", "Deutsches Totes Kreuz", "Vorsicht Gift" sowie Totenköpfe angebracht hatte. Weiter hatte er die abgedruckte Telefonnummer abgeändert auf "0815". Die Leuchten für blaues Rundumlicht hatte er abgeklebt.
Der Pkw war von der Polizei beschlagnahmt worden. Gegen die Verfügung legte A nach § 80 Abs. 5 VwGO einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ein. Das zuständige VG Bautzen lehnte diesen jedoch ab. Die Voraussetzungen der Beschlagnahme nach § 27 Abs. 1 S. 1 SächsPolG hätten vorgelegen, insbesondere sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben gewesen. Denn durch die Nutzung des Pkw habe A den Tatbestand von § 125 Abs. 1, 3 OWiG verwirklicht. Diese Vorschrift lautet:
(1) Ordnungswidrig handelt, wer unbefugt das Wahrzeichen des roten Kreuzes auf weißem Grund oder die Bezeichnung "Rotes Kreuz" oder "Genfer Kreuz" benutzt.
(2).....
(3) Den in den Absätzen 1 und 2 genannten Wahrzeichen, Bezeichnungen und Wappen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
Das VG Bautzen ging davon aus, die von A gewählten Schriftzüge und Symbole seien den Originalen zum Verwechseln ähnlich. Dazu führte das VG aus:
"Zum Verwechseln ähnliche Wahrzeichen und Bezeichnungen sind solche, die nur unwesentliche Abweichungen aufweisen, so dass bei flüchtiger Betrachtung einer nicht besonders sachkundigen Person der Gesamteindruck entstehen kann, es handele sich um die geschützten. Das Auswechseln eines einzelnen Buchstabens in der Bezeichnung stellt eine unwesentliche Abweichung dar, die bei flüchtiger Betrachtung leicht zu einem Überlesen oder Übersehen führen kann."
Gegen den abweisenden Beschluss des VG Bautzen legte A beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht Beschwerde ein gem. § 146 Abs. 1 VwGO.
Entscheidung des Sächsischen OVG
Das Sächsische OVG war bei seiner Beurteilung nach § 146 Abs. 4 S. 5 VwGO auf das Vorbringen des A beschränkt.
Verwechslungsfähigkeit nach § 125 Abs. 1, 3 OWiG?
Das Gericht hatte zunächst zu untersuchen, ob A den Tatbestand des § 125 Abs. 1, 3 OWiG verwirklicht hatte.
Insoweit hatte A vorgetragen, zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr „sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr die infrage stehenden Bezeichnungen regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnehme und miteinander vergleiche, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinne. Hierbei träten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor als die Unterschiede, so dass es maßgeblich nicht so sehr auf die Unterschiede als auf die Übereinstimmungen zweier Zeichen ankomme.“ Diesen Anforderungen habe das VG Bautzen allerdings nicht entsprochen, da es lediglich auf die „Sichtweise eines flüchtigen Betrachters“abgestellt habe.
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht kam zu dem Schluss, das VG Bautzen habe das Merkmal der Verwechslungsgefahr in nicht zu beanstandender Weise angewandt. Das Gericht führte aus: „Verwechslungsfähigkeit ist anzunehmen, wenn bei einem durchschnittlichen, nicht genau prüfenden oder nicht besonders sachkundigen Betrachter trotz vorhandener Unterschiede der irrige Gesamteindruck entstehen kann, es handele sich um eine Bezeichnung, die durch § 125 Abs. 1 OWiG geschützt ist.“
Entgegenstehende Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG?
Anschließend widmete sich das Sächsische OVG der Frage, ob das VG Bautzen bei seiner Beurteilung die Bedeutung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verkannt hatte.
A hatte vorgebracht, sein Pkw stelle ein „Gesamtkunstwerk“ dar, für dessen Nutzung der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG eröffnet sei. Die Beschlagnahme stelle einen Eingriff in seine Freiheit dar. Dieser sei auch nicht zu rechtfertigen, da entgegenstehende Grundrechte Dritter nicht ersichtlich seien.
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht stellte fest, dass dem VG Bautzen auch insoweit kein Rechtsfehler unterlaufen war. Zwar falle die Nutzung des Pkw durch A unter Umständen in den Schutzbereich der Kunstfreiheit. Jedoch sei dieses Grundrecht jedenfalls mit den Grundrechtspositionen Dritter im Wege der praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Dies sei hier auf Grundlage des § 125 OWiG geschehen, welcher ein Schrankengesetz darstelle.
Das Gericht untersuchte den Schutzzweck von § 125 Abs. 1, 3 OWiG und stellte fest, die Vorschrift diene unter anderem dem nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentum des Deutschen Roten Kreuz. Das Symbol des Roten Kreuzes stelle eine vermögenswerte Rechtsposition dar: „Wer etwa durch ein Warenzeichen auf Besonderheiten seiner betrieblichen Erzeugnisse hinweisen kann, benennt damit nicht nur die Herkunft seines Produkts; es ist Ausdruck eines Leistungswillens “ Das Wahrzeichen kennzeichne die „Leistungsgüte des auch im wettbewerblichen Zusammenhang tätigen Deutschen Roten Kreuz.“ Damit sei das Eigentum des Deutschen Roten Kreuz mit der Kunstfreiheit des A in Ausgleich zu bringen.
Weil A keine weiteren konkreten Einwände vorgebracht hatte, etwa gegen die Abwägung der streitgegenständlichen Rechtspositionen durch das VG Bautzen, sah das Sächsische OVG von einer weiteren Prüfung ab.
Das Gericht kam zu dem Schluss, das Vorbringen As rechtfertige jedenfalls nicht die Annahme, dass das VG Bautzen den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Unrecht abgelehnt hätte. Damit lehnte es die Beschwerde As als unbegründet ab.
Bedeutung für ExamenskandidatInnen
Anhand dieses Urteils können Sie sich ins Gedächtnis rufen, in welchem Umfang das OVG das erstinstanzliche Urteil des VG auf etwaige Rechtsfehler prüft – nach § 146 Abs. 4 S. 5 VwGO ist es auf das Vorbringen des Antragstellers beschränkt.
Weiter macht das Urteil deutlich, auf welche Weise Grundrechte Betroffener in einer polizeirechtlichen Fallgestaltung Berücksichtigung finden können. An dieser Stelle dürfte es als überraschend erscheinen, dass lediglich auf das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum des Roten Kreuz, nicht aber auf Leben oder körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer abgestellt wurde. Dies lässt sich wohl damit erklären, dass die Beschlagnahme nach § 27 Abs. 1 S. 1 SächsPolG eine konkrete und unmittelbare Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut voraussetzt. Eine solche Gefahr bestand im vorliegenden Fall für Leib oder Leben Dritter wohl noch nicht.