Der Sachverhalt: Am 14. September 2018 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat auf seiner Internetseite ein Interview von Bundesminister Horst Seehofer mit der Deutschen Presse-Agentur. In dem Interview äußert sich dieser, angesprochen auf die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), wie folgt: „Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben Sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend.“ Im weiteren Verlauf erklärt er außerdem, dieses Vorgehen sei „einfach schäbig“ gewesen. Sodann bejaht er die Frage, ob die AfD radikaler geworden sei, und fügt hinzu: „Die sind auf der Welle, auf der sie schwimmen, einfach übermütig geworden und haben auch dadurch die Maske fallen lassen. So ist es auch leichter möglich, sie zu stellen, als wenn sie den Biedermann spielt. (…) Mich erschreckt an der AfD dieses kollektive Ausmaß an Emotionalität, diese Wutausbrüche – selbst bei Geschäftsordnungsdebatten. (…) So kann man nicht miteinander umgehen, auch dann nicht, wenn man in der Opposition ist.“ Das Interview wurde nach zwei Wochen von der Homepage gelöscht.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung, durch die Veröffentlichung in ihren Rechten verletzt zu sein. Der Antrag sei zulässig und begründet, insbesondere seien Antragsbefugnis und Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Denn es sei nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsgegner durch das streitgegenständliche Interview und dessen Veröffentlichung auf der amtlichen Internetseite die verfassungsrechtlichen Grenzen der Äußerungsbefugnisse von Regierungsmitgliedern überschritten und die AfD dadurch in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am Prozess der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt habe. Das Rechtsschutzbedürfnis entfalle nicht durch die Entfernung des Interviews von der offiziellen Internetseite des Ministeriums, weil der Antragsgegner weiterhin die Auffassung vertrete, dass die Veröffentlichung des Interviews zulässig gewesen sei. Daher bestehe eine jederzeitige Wiederholungsgefahr (Rn. 10).
Zudem sei der Antrag begründet, da die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes es erforderlich mache, dass Staatsorgane sowohl während als auch außerhalb des Wahlkampfs das Neutralitätsgebot beachteten. Dieser Prozess der politischen Willensbildung sei nicht auf den Wahlkampf beschränkt, zudem finde im föderalen System gleichsam ständig ein Wahlkampf statt. Der Antragsgegner habe die ihm obliegende Neutralitätspflicht verletzt. Zwar habe die Bundesregierung die Befugnis zur neutralen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie dürfe aber nicht mithilfe staatlicher Ressourcen zielgerichtet auf den politischen Willensbildungsprozess einwirken. Bei der Zurückweisung von Kritik habe sie die gebotene Sachlichkeit zu wahren (Rn. 11-12). Die spezifische Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes sei bei einer Veröffentlichung von Äußerungen eines Ministers auf der offiziellen Internetseite des Ministeriums immer zu bejahen. Abgesehen davon möge die Kritik am Bundespräsidenten zwar der Anlass für die Äußerung des Antragsgegners gewesen sein; dies sei aber rechtlich irrelevant. Der Antragsgegner könne seine Äußerungen nicht damit rechtfertigen, dass er den Bundespräsidenten habe in Schutz nehmen wollen, dafür sei er auch gar nicht dafür zuständig (Rn. 32).
Hiergegen wendete sich der Antragsgegner, der Antrag sei weder zulässig noch begründet: Es fehle an einer rechtserheblichen Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG. Die Antragstellerin wende sich formal gegen zwei unterschiedliche Handlungen: die Äußerungen im Interview und die Einstellung des Interviews auf der amtlichen Internetseite. Das bloße, von verschiedenen Print- und Online-Medien zitierte, Interview stelle bereits keine rechtserhebliche Maßnahme eines Verfassungsorgans dar, weil hierbei keine spezifische Amtsautorität in Anspruch genommen worden sei. Die Verteidigung des Bundespräsidenten sei in parteipolitischer Verantwortung geschehen, nicht aus dem Staatsamt heraus (Rn. 19); außerdem habe der Antragsgegner ein Verhalten der AfD-Bundestagsfraktion und nicht der Partei adressiert. Dies unterstreiche bereits die Bezugnahme auf „Geschäftsordnungsdebatten“. Auch der Begriff „staatszersetzend“ habe sich auf das Verhalten der AfD-Bundestagsfraktion bezogen (Rn. 20). Auch habe die Antragstellerin nicht plausibel dargelegt, wie die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Äußerungen auf der Homepage des Ministeriums ihr Recht auf Chancengleichheit im Wahlkampf hätte beeinträchtigen können. Der Antragsgegner habe weder dazu aufgerufen, die Antragstellerin nicht zu wählen noch diese als politische Kraft zu boykottieren. Auch thematisch sei kein Bezug zu Wahlkämpfen zu erkennen. Darüber hinaus zeige die Antragstellerin nicht auf, inwiefern durch die ausschließlich an der AfD-Bundestagsfraktion geübte Kritik der Status der Antragstellerin berührt sein könne (Rn. 21). Auch fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da sich die angegriffenen Äußerungen darauf beschränkten, ein konkretes Verhalten der AfD-Bundestagsfraktion in der zurückliegenden Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages zu kritisieren. Es handle sich mithin um einen Konflikt über einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Einzelfall. Das Interview sei von der Internetseite entfernt worden. Der Antragsgegner habe die Äußerung nicht wiederholt; hierfür bestehe auch kein plausibler Anlass (Rn. 22).
Die Unbegründetheit des Antrags ergäbe sich aus Folgenden Überlegungen: Das Interview beinhalte allgemeinpolitische Äußerungen, die nicht in den Kontext des regierungsamtlichen Handelns eines Bundesministers fielen. Es fehle bereits an einem Eingriff in den freien Wettbewerb unter politischen Parteien im Sinne des Art. 21 Abs. 1 GG, weil sich die Kritik des Antragsgegners nicht gegen die Antragstellerin gerichtet habe, sondern gegen die AfD-Bundestagsfraktion, die nicht durch Art. 21 Abs. 1 GG geschützt sei (Rn. 24). Der Antragsgegner habe auch nicht unter Verletzung der Chancengleichheit in den Wahlkampf interveniert. Seine Äußerung habe in keinem spezifischen Zusammenhang zu einem konkreten Wahlkampf gestanden (Rn. 25) und er habe auch nicht in unzulässiger Weise von seiner spezifischen Amtsautorität Gebrauch gemacht. Er habe sich hier als Parteipolitiker allgemeinpolitisch sowie themenübergreifend gegenüber Journalistinnen der dpa nach Maßgabe der von diesen frei formulierten Fragen geäußert. Die Veröffentlichung auf der Internetseite des Ministeriums sei nicht als Presseerklärung oder sonstige amtliche Äußerung erfolgt (Rn. 26). Zudem sei zu beachten, dass Mitglieder von Verfassungsorganen nicht in ein kommunikatives Korsett gezwängt werden dürften, welches es unmöglich mache, Anfeindungen und Aggressionen kraftvoll entgegenzutreten. Daher dürften die Anforderungen an Sachlichkeit und Neutralität nicht derart überspannt werden, dass Spontanäußerungen nicht mehr möglich seien (Rn. 27). Somit stellten die Äußerungen sich in der Sache als zulässige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dar. Der Antragsgegner habe sich für die Grundwerte der Verfassungsordnung eingesetzt und einen respektvollen Umgang im politischen Diskurs angemahnt. Das Gebot der Neutralität und der Sachlichkeit gelte hier insofern nicht, als die verteidigten Verfassungswerte nicht „neutral“ seien, sondern Ausdruck politischer Wertentscheidungen. Verfassungsimmanente Wertentscheidungen dürften von allen Verfassungsorganen kommunikativ verteidigt werden (Rn. 28).
Das BVerfG nahm den Antrag als zulässig an. Die Antragstellerin sei als politische Partei im Organstreit parteifähig, da sie eine Verletzung ihres Rechts auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb geltend mache und sich damit auf ihren besonderen, in Art. 21 GG umschriebenen verfassungsrechtlichen Status berufe (Rn. 36). Die Veröffentlichung des Interviews sei tauglicher Beschwerdegegenstand im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG, da es sich um ein Verhalten handele, das grundsätzlich geeignet ist, in die Rechtsstellung der Antragstellerin einzugreifen (Rn. 37). Sie sei auch antragsbefugt, denn sie habe nachvollziehbar ausgeführt, dass der BMI sich in dem Interview negativ über sie geäußert und bei der Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des Ministeriums die mit seinem Amt verbundenen Ressourcen in Anspruch genommen habe. Da Äußerungen von Regierungsmitgliedern unter Inanspruchnahme der Amtsautorität oder der mit dem Amt verbundenen Ressourcen die Grenzen zulässiger Teilnahme am politischen Meinungskampf überschreiten, erscheine auf der Grundlage des Sachvortrags der Antragstellerin eine Verletzung ihres Rechts aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen (Rn. 38). Ein Bezug der Äußerungen eines Regierungsmitglieds zu einem konkreten Wahlkampf sei zumindest nicht ausnahmslos erforderlich, vielmehr erfordere der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität auch außerhalb von Wahlkampfzeiten. Daher könne jedenfalls auf der Zulässigkeitsebene dahinstehen, ob die Äußerungen des Antragsgegners einen konkreten Wahlkampfbezug haben erkennen lassen (Rn. 39).
Das Rechtsschutzbedürfnis sei ebenso vorhanden, dergestalt dass diese ein erhebliches Interesse an der Klärung der Zulässigkeit der streitgegenständlichen Vorgehensweise des Antragsgegners habe (Rn. 40). Die freiwillige Entfernung des in Rede stehenden Interviews von der Internetseite führe nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses, da eine Wiederholungsgefahr bestehe. Der Antragsgegner halte ausdrücklich an der Auffassung fest, dass die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Ausführungen auf der Internetseite des Ministeriums verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gewesen sei. In Anbetracht der fortdauernden Teilnahme der Beteiligten am politischen Diskurs und der Rechtsauffassung des Antragsgegners sei nicht auszuschließen, dass der BMI sich bei einem anderen Anlass erneut vergleichbar zur Antragstellerin äußere und diese Äußerung auf der Internetseite seines Ministeriums veröffentliche (Rn. 41).
Das BVerfG hält den Antrag auch für begründet: In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes gehe alle Staatsgewalt vom Volke aus und werde von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Dies setze voraus, dass die Wählerinnen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung fällen können. Dabei komme den politischen Parteien entscheidende Bedeutung zu (Rn. 43-45). Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, sei es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnähmen. Art. 21 Abs. 1 GG garantiere den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolge (Rn. 46).
Dieses Recht werde verletzt, wenn Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirkten. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten. Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstießen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen. Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordere der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität. Denn der Prozess der politischen Willensbildung sei nicht auf den Wahlkampf beschränkt, sondern finde fortlaufend statt (Rn- 47-48). Die Aufgabe der Staatsleitung schließe als integralen Bestandteil die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein. Diese sei nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen. Es sei aber zu berücksichtigen, dass die der Bundesregierung zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes ermöglichen, die das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der Parteien und einer Umkehrung des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen beinhalte. Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ende daher dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginne. Es sei daher der Bundesregierung, auch wenn sie von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch mache, von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (Rn. 49-51).
Vor diesem Hintergrund sei die Bundesregierung zwar berechtigt, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen; dabei habe sie aber sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren. Das schließe die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus. Darüberhinausgehende, mit der Kritik am Regierungshandeln in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehende, verfälschende oder herabsetzende Äußerungen seien demgegenüber zu unterlassen (Rn. 52). Für die Äußerungsbefugnisse eines einzelnen Mitglieds der Bundesregierung gelte nichts anderes (Rn. 53). Dies schließe allerdings nicht aus, dass ein Regierungsmitglied außerhalb seiner amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilnimmt (Rn. 54); dem Neutralitätsgebot stehe auch nicht entgegen, dass der Inhaber eines Regierungsamtes regelmäßig in seiner Doppelrolle als Bundesminister und Parteipolitiker wahrgenommen würde (Rn. 55). Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liege daher vor, wenn Regierungsmitglieder sich am politischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgriffen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen (Rn. 56).
Kriterien ermöglichten es, in der Regel ministerielle Äußerungen, die dem Neutralitätsgebot unterfallen, von der bloßen Teilnahme am politischen Meinungskampf abzugrenzen (Rn. 63). Entscheidend sei hier, dass der Antragsgegner mit der Internetseite seines Ministeriums staatliche, der Antragstellerin nicht zur Verfügung stehende Ressourcen eingesetzt habe, um die Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien zu deren Nachteil zu verändern. Dies müsse die Antragstellerin nicht hinnehmen (Rn. 92). Somit habe der Antragsgegner durch die Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage des von ihm geführten Ministeriums das Recht der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.
Das BVerfG trifft hiermit eine klare Aussage zugunsten der staatlichen Neutralität und spricht gleichzeitig staatlichen Stellen die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zu. Hierbei ist es staatliche Aufgabe, den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen. Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung (und ihre Mitglieder) zwar berechtigt, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen; dabei hat sie aber sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren und darf nicht ihre Ressourcen für Wahlkampf nutzen.