Ein Arbeitnehmer X ist Schichtleiter in einer Fabrik. Als die Stelle eines (in der Hierarchie unter ihm stehenden) Abteilungsleiters frei wird, macht er sich vehement stark, dass sein Schwiegersohn eben diese Stelle bekommt. Es kommt allerdings nicht wie erhofft, die Stelle geht stattdessen an S. S war Azubi in demselben Betrieb und wird von der Geschäftsleitung als "Stärkster seines Jahrgangs" eingeschätzt. Das wurmt X, da sein Schwiegersohn damit maximal die "Nr. 2" sein kann. Er muss sich aber schließlich mit der Entscheidung anfreunden. Tut er aber nur halb. Er gibt R zu verstehen, dass er es wünsche mit vollem Namen angesprochen zu werden, nicht wie von allen anderen Mitarbeitern nur mit Spitznamen. Er bedeutet zudem mehrmals in offener Runde, dass er von R nicht viel halte und er sich die Stelle "vermutlich anderweitig verdient" habe. Der psychisch nachweisbar labile R muss sich aufgrund der Anfeindungen am Arbeitsplatz durch X mehrfach krankschreiben lassen. Schließlich wendet sich R direkt an die Geschäftsführung und klagt sein Leid. Die Geschäftsführung beraumt daraufhin ein Gespräch mit X an, in dem X mit den Vorwürfen konfrontiert wird. X zeigt sich uneinsichtig woraufhin nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats eine fristlose Kündigung ergeht. X muss gehen. X will aber nicht so einfach gehen und erhebt stattdessen fristgerecht Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht. Er beantragt ferner die Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses.
Es ist also folgendes zu klären: 1. War die Kündigung wirksam, 2. Hat X einen Anspruch bis zur rechtskräftigen Entscheidung weiterbeschäftig zu werden und 3. Hat X einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses.
Zu 1. Die Wirksamkeit der Kündiung richtet sich nach § 626 BGB. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung setzt dabei voraus, dass Tatsachen vorliegen, die es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände unzumutbar erscheinen lassen, am Arbeitsverhältnis festzuhalten oder auch nur die ordentliche Kündigung zu wählen. Voraussetzung ist also, dass eine ordentliche Kündigung wirksam wäre und zusätzlich besondere Umstände die Zuwartezeit unzumutbar erscheinen lassen.
Die ordentliche Kündiung richtet sich im vorliegenden Fall nach § 1 KSchG. Der betriebliche und persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet (davon ist auszugehen).
"Die streitgegenständliche Kündigung gilt nicht bereits mangels rechtzeitiger Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach Maßgabe von §§ 4, 7 KSchG als rechtswirksam."
Der Kündigungsgrund ist fortgesetztes "Mobbing", welches als Verhalten iSd § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 KSchG zu verstehen ist. "Eine ordentliche Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs.2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichten erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, eine weitere Störung zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint." (Alle Zitate, auch die folgenden, sind dem Originalurteil ArbG Magdeburg Urteil vom 15.07.2013 3 Ca 713/13 HBS entnommen)
Notwendig ist damit:
- erhebliche Pflichtverletzung,
- Relevanz der Pflichtverletzung für das Arbeitsverhältnis,
- negative Prognose,
- Verhältnismäßigkeit.
Am besten prägt man sich den Satz des Arbeitsgericht gut als Musterobersatz ein, dann vergisst man keinen relevanten Prüfungspunkt.
Eine erhebliche Pflichtverletzung wird auch in der Verletzung einer gravierenden Nebenpflicht gesehen. Arbeitnehmer sollen auch auf die Rechtsgüter von Kollegen Rücksicht nehmen, vgl. § 241 Abs. 2 BGB. Diese Rücksichtspflicht ist eine origniäre Pflicht des Arbeitnehmers (auch?) gegenüber seinem Arbeitgeber. Fortgesetztes Mobbing kann eine solche gravierende Nebenpflichtverletzung darstellen. Denn unabhängig davon, ob durch psychischen Einfluss auch der Körper des "Opfers" leidet, findet zumindest ein fortgesetzter Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht statt. Allerdings ist dabei zu beachten, "dass nicht jede Auseinandersetzung oder Meinungsverschiedenheit eines Arbeitnehmers mit Kollegen und/oder Vorgesetzen, jedes unbeherrschte Verhalten eines zur Personalführung wenig geeigneten Vorgesetzten oder jede aufgrund Persönlichkeitsstruktur und Rollenverständnis der beteiligten Personen in unangemessener, teilweise intoleranter Form ausgetragene Sachstreitigkeit zwangsläufig schon als „Mobbing“ anzusehen sein muss (vgl. Sächsisches LAG 17.02.2005 2 Sa 751/03 m. w. N., zitiert nach Juris). Erforderlich sind vielmehr aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende Verhaltensweisen, die ein übergeordnetes von der Rechtsordnung missbilligtes Ziel verfolgen (Thüringer LAG 15.02.2001 5 Sa 102/00, LAGE § 626 BGB Nr.133) und eine klare Täter-Opfer Konstellation erkennen lassen (Thüringer LAG 10.04.2001 5 Sa 403/00, LAGE Art 2 GG Persönlichkeitsrecht Nr.2)."
Doch selbst wenn die Handlungen des X ausgereicht haben, um eine gravierende Pflichtverletzung festzustellen, so ist zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Spannungen in Zukunft auftreten werden und eines Klärungsprozesses bedürfen; dass allerdings eine ordentliche Kündigung allein deshalb schon verhältnismäßig wäre, ist eher unwahrscheinlich und mangels hinreichend substantiiertem Vortrag des Arbeitgebers vorliegend nicht gegeben. Zu fordern ist in aller Regel, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor abmahnen, ihm also klar und deutlich mitteilen muss, dass er sich ein bestimmtes Verhalten für die Zukunft verbiete.
"Dies ergibt sich sowohl aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch daraus, dass Zweck einer Kündigung nicht die Sanktionierung begangener Vertragspflichtverletzungen, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen ist. Die Abmahnung dient der Objektivierung der negativen Prognose in Bezug auf weitere Pflichtverletzungen. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen."
Vorliegend kann sich der Arbeitgeber auch nicht gegen das Abmahnerfordernis einwenden, dass X sich uneinsichtig gezeigt habe. Das ArbG Magdeburg führt hierzu überzeugend aus, dass ein Arbeitnehmer sich, im Angesicht der Kündigungsmöglichkeit, zweimal überlege, ob er mit seinem Verhalten fortfahre und zwar unabhängig davon, ob er sein Verhalten selbst für falsch hält.
Nach alldem ist schon die ordentliche Kündigung unwirksam, weil eine negative Prognose nicht dargelegt werden kann. Beweispflichtig ist übrigens der Arbeitgeber – und zwar für alle Voraussetzungen der Kündigung.
Zu 2. Der Anspruch auf vorübergehende Weiterbeschäftigung ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag iVm §§ 611, 613, 242 BGB iVm Art. 1, 2 GG (allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch). Während eines Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Beschäftigung. Das Problem ist nun, dass während eines laufenden Kündigunsschutzprozesses gerade der Bestand des Arbeitsverhältnisses im Streit steht und am Ende festgestellt werden könnte, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet wurde - oder eben weiterbesteht. Der Anspruch auf Weiterbeschäftigung während der Schwebezeit, unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung, ergibt sich damit aus einer Interessensabwägung im Einzelfall, die vor allem die Prozesschancen der Parteien summarisch berücksichtigen muss. Im Falle eines erstinstanzlichen Urteils muss die unterliegende Partei substantiiert darlegen können, dass trotz Unterliegens eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar ist. Das gelingt vorliegend nicht - und ist auch nur in vereinzelten Ausnahmen denkbar. Wichtig ist hier für Studenten nur, dass man den Anspruch kennt und grob herleiten kann.
Zu 3. "Der Kläger hat auch Anspruch auf das begehrte Zwischenzeugnis. Zwar folgt dieser Anspruch nicht ohne weiteres aus § 109 GewO, da eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien möglicherweise gar nicht eintritt. Bei Vorliegen eines triftigen Grundes kann sich jedoch als vertragliche Nebenpflicht eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auch während eines laufenden Arbeitsverhältnisses, dem Arbeitnehmer ein Zeugnis und zwar ein sog. Zwischenzeugnis oder aber auch vorläufiges Zeugnis zu erteilen. Dies ist anerkanntermaßen unter anderem regelmäßig dann der Fall, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien über die Wirksamkeit einer Kündigung streiten (MüllerGlöge in ErfK 13.Aufl. § 109 GewO Rdn.7, 8, 50 m. w. N.). Nur so hat der, beim alten Arbeitgeber anhand der Kündigung ohne weiteres erkennbar unerwünschte Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich anderweitig zu bewerben und ggf. auch im Obsiegensfall seine Rechte aus § 12 KSchG wahrzunehmen." Auch hier ist wieder vor allem wichtig den Anspruch zu kennen und § 109 GewO einmal abzulehnen um dann auf die vertraglichen Nebenpflichten zu kommen.
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