Mit dieser Frage musste sich kürzlich das OLG Stuttgart (4 Ss 543/15 - abrufbar bei beck-online, FD-StrafR 2016, 378413) beschäftigen. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein Verkehrsteilnehmer hatte einen fahrlässigen Rotlichtverstoß eines anderen mit einer in der Windschutzscheibe montierten, dauerhaft während der Fahrt eingeschalteten Dashcam aufgenommen. Im Verfahren gegen den "Rotlichtsünder" wurde die Aufnahme als Beweismittel verwertet. Das nachfolgende Urteil stützte sich maßgeblich auf diese Aufnahme. Gegen dieses Urteil wendete sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Gem. § 80a III 1 OWiG wurde die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Gegen die Verwertung der Aufnahmen könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung sprechen, wonach der Einzelne grundsätzlich selbst entscheiden darf, ob und welche persönlichen Lebenssachverhalte offenbart werden.Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird jedoch eingeschränkt durch § 6b BDSG, welcher bestimmt, ob und unter welchen Umständen ein solcher Eingriff - auch durch Private - ausnahmesweise doch zulässig sein kann.
§ 6b BDSG
1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie
1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist
und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.
Diese Vorschrift soll aber in erster Linie fest installierte Kameras z.B. an öffentlichen Plätzen zur Bekämpfung der Kriminalität erfassen, nicht aber mobile Dash-Cams. Gleichwohl führt das OLG Stuttgart dazu folgendes aus:
"Bei den Straßen, die vom Zeugen und dem Betroffenen mit ihren Fahrzeugen befahren wurden, handelt es sich um öffentlich zugängliche Räume. Die „dashcam“ des Zeugen stellt eine optisch-elektronische Einrichtung dar..... § 6b BDSG verfolgt den Zweck, die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen zu gestatten, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu wahren. Durch den Klammerzusatz in § 6b Abs. 1 BDSG („Videoüberwachung“) hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass jegliches technisches Gerät, das Videos aufzeichnen kann, grundsätzlich als optisch-elektronische Einrichtung im Sinne dieser Norm zu verstehen ist ... Die Nutzung der Daten erfolgte hier auch nicht ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG). Die personenbezogenen Daten wurden der Bußgeldbehörde vorgelegt, dadurch wurde der persönliche und familiäre Bereich verlassen.
Allerdings verhält sich das Urteil des Amtsgerichts nicht zu den Zwecken, die der Zeuge mit seiner Videoaufzeichnung verfolgt hat. Es bleibt offen, ob er einen solchen Zweck vorher überhaupt festgelegt hat. Es ist denkbar, dass er die Kamera deshalb verwendet hat, um mögliche Beweismittel bei einem Verkehrsunfall vorlegen zu können und so auch zivilrechtliche Ansprüche zu sichern; möglicherweise war bestimmendes Motiv aber auch, bei einem anderen verkehrsrechtlichen Sachverhalt Verkehrsteilnehmer anzeigen zu können. Da der genaue Zweck offen bleibt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob er als berechtigtes Interesse i. S. v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG anzuerkennen wäre. Ebenso finden sich keine Feststellungen zur Betriebsform, in der die Kamera genutzt wurde (wurden bei eingeschalteter Zündung permanent Filmaufnahmen gemacht und auf einer SD-Karte gespeichert, bis deren Kapazität erschöpft ist? Wurden die Aufzeichnungen permanent gespeichert? Wer entscheidet bei der verwendeten Kamera, wann und wie welche Sequenzen der Videoaufzeichnung gesichert bzw. längerfristig gespeichert werden, um eventuell ein Überschreiben der Daten zu verhindern?). Auch diese Umstände könnten eventuell für die datenschutzrechtliche Beurteilung relevant sein."
Aufgrund der vorgenannten Aspekte könnte man zu dem Ergebnis gelangen, dass das Beweismittel durch einen Privaten rechtswidrig erlangt wurde. Nunmehr stellt sich die "Klassiker - Frage", ob rechtswidrig von Privaten erlangte Beweismittel in einem späteren Verfahren verwertet werden dürfen oder ob insoweit ein Beweisverwertungsverbot greift.
Evtl. könnte sich ein gesetzlich geregeltes Beweisverwertungsverbot aus § 6 III 2 BDSG ergeben:
(3) Die Verarbeitung oder Nutzung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.
Das OLG verneit dies mit folgender Begründung:
"Aus § 6b BDSG, insbesondere dessen Absatz 3 Satz 2, folgt kein gesetzlich angeordnetes Beweisverwertungsverbot für das Bußgeldverfahren. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzgebungsmaterialien geben Hinweise, dass der Gesetzgeber ein solches Beweisverwertungsverbot regeln wollte. Ein solches kennt das deutsche Strafprozessrecht - und über § 46 OWiG auch das Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren... - ohnehin nur in Ausnahmefällen. In § 6b Abs. 3 Satz 2 BDSG ging es dem Gesetzgeber um eine Ausnahme von der strikten Zweckbindung des § 6b Absatz 3 Satz 1 BDSG für die durch Videoüberwachung gewonnenen Daten (BT-Drs. 14/5793, S. 62). Zur weitergehenden Frage eines Beweisverwertungsverbots im Straf- oder Bußgeldverfahren äußerte er sich jedoch gerade nicht, so dass auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen ist."
Da also keine gesetzliche Regelung vorliegt, muss das Beweisverwertungsverbot nach den allgemeinen Grundsätzen bestimmt werden, wobei abzuwägen ist einerseits zwischen dem Verfolgungsinteresse der Allgemeinheit und der Pflicht des Staates, von Amts wegen Straftaten aufzuklären und andererseits dem Interesse des Betroffenen an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren. Zu bedenken ist vorliegend auch, dass der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nicht durch den Staat erfolgte und auch nicht durch diesen veranlasst wurde. Es handelt sich um eine Beweisgewinnung durch einen privaten Dritten.
Hinzu kommt ferner die Berücksichtigung der Sphären, in die eingegriffen wird. Ein Eingriff in den Kernbereich der Lebensgestaltung ist niemals zulässig, auch dann nicht, wenn das Beweismittel rechtmäßig gewonnen wurde. Ein Eingriff in die Privatssphäre ist unter engen Voraussetzungen zulässig, ein Eingriff in die Sozialsphäre ist zumeist zulässig.
Diese Aspekte greift das OLG Stuttgart auf und führt dazu folgendes aus:
"Der Tatrichter ist grundsätzlich nicht gehindert, eine Videoaufzeichnung, die keine Einblicke in die engere Privatsphäre gewährt, sondern lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiert und eine mittelbare Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs zulässt, zu verwerten, wenn dies zur Verfolgung einer besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit erforderlich ist. So überwiegt hier im Rahmen der gebotenen Gesamtschau bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen das allgemeine Interesse an der Effektivität der Verfolgung von erheblichem Fehlverhalten im Straßenverkehr.....
Bei der Abwägung ist zunächst zu sehen, dass es hier lediglich um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit und keiner Straftat geht. Die Videoaufzeichnung durch den Zeugen war geeignet, auch in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer unbestimmten, letztlich vom Zufall abhängigen Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer einzugreifen. Sie wurde vom Betroffenen und allen anderen zufällig aufgezeichneten Verkehrsteilnehmern nach aller Lebenserfahrung nicht wahrgenommen, sondern geschah für sie verdeckt. Eine verdeckte Datenerhebung führt regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität....
Andererseits sind die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall (Rotlichtverstoß sehr deutlich über einer Sekunde) zu berücksichtigen. Es handelt sich nicht nur um eine Ordnungswidrigkeit im Verwarnungs- bzw. Bagatellbereich, sondern um eine solche, die bereits der Verordnungsgeber der Bußgeldkatalog-Verordnung nicht nur mit deutlich erhöhter Geldbuße, sondern im Regelfall wegen des groben Fehlverhaltens auch mit einem Fahrverbot sanktioniert sehen möchte. ...Die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs dient angesichts des hohen Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsverstößen dem Schutz von Rechtsgütern mit - auch verfassungsrechtlich - ausreichendem Gewicht. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht auch im Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben....
Die Videoaufzeichnung wurde weder durch den Staat veranlasst, um grundrechtliche Sicherungen planmäßig außer Acht zu lassen, noch wurde ein Privater gezielt mit der Fertigung beauftragt, um Beweise zu erlangen, deren sich der Staat durch die Verkehrsüberwachungsbehörden selbst nicht hätte bedienen dürfen. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn Privatpersonen wiederholt bzw. dauerhaft aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels „dashcam“-Aufzeichnungen Daten, insbesondere Beweismittel, für staatliche Bußgeldverfahren erheben, sich so zu selbsternannten „Hilfssheriffs“ aufschwingen und die Datenschutz- und Bußgeldbehörden dies dulden bzw. sogar aktiv fördern. Derartiges ist hier allerdings nicht festgestellt....
Im Übrigen besteht kein Rechtssatz dahin, dass es im Straf- und Bußgeldverfahren stets untersagt wäre, von Privaten erlangte Beweismittel zu verwerten, sofern diese unter Verstoß gegen Gesetze gewonnen wurden. Aus der rechtswidrigen Erlangung eines Beweismittels durch einen Dritten folgt nicht ohne Weiteres die Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren (BGH, Urteil vom 12. April 1986 - 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167, 173). Selbst Beweismittel, die von Privaten in strafbewehrter Weise erlangt wurden, sind - verfassungsrechtlich unbedenklich - grundsätzlich verwertbar und unterliegen nicht zwingend per se einem Beweisverwertungsverbot (vgl. zum Thema „Steuer-CDs“: BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NStZ 2011, 103 Rn. 58; Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, NJW 2014, 1434 ff.).....
Die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Videoaufzeichnung des fließenden Verkehrs ist hier zudem sehr gering. Die aufgezeichneten Daten betreffen insbesondere nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung des Betroffenen oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre. Vielmehr setzte sich der Betroffene durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer wie auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei- und die Ordnungsbehörden aus..."
Das Video durfte also vorliegend zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit verwertet werden. Nichts anderes wird gelten, wenn es sich um die Verfolgung einer Straftat handelt. Wird z.B. zufällig aufgezeichnet, wie ein trunkener Autofahrer einen Verkehrsteilnehmer anfährt und sodann wegfährt, dann kann diese Aufzeichnung verwertet werden. Hier ergeben sich "schöne" Kombinationsmöglichkeiten von Straßenverkehrsdelikten und StPO Zusatzfrage in Ihrer Examensklausur!
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